E-Book, Deutsch, 421 Seiten
Reihe: P&L Edition
Böhm Zwei kleine Galerien unsterblicher Namen - E-Book-Bundle
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-95669-220-8
Verlag: Bookspot Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 421 Seiten
Reihe: P&L Edition
            ISBN: 978-3-95669-220-8 
            Verlag: Bookspot Verlag
            
 Format: EPUB
    Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Michael Böhm, der im Ruhestand in der Nähe von München lebt, schreibt seit seiner Jugendzeit. Der erste Teil seiner »Petermann«-Trilogie mit dem Titel »Herrn Petermanns unbedingter Wunsch nach Ruhe« wurde 2014 für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert, im Jahr 2016 erhielt er die begehrte Auszeichnung für den zweiten Band »Herr Petermann und das Triptychon des Todes«. Mit »Quo vadis, Herr Petermann?« schloss er die Reihe im selben Jahr ab. 2018 kooperierte er mit Dieter Hentzschel für den gemeinsamen Kriminalroman »Dinner mit Elch« und widmete sich dann »Träume am Ende des Weges«, einer zauberhaften Galerie großer Persönlichkeiten. In den Jahren 2020 bis 2022 kehrte Michael Böhm dann mit seinen kriminologischen Gesellschaftsporträts »Die zornigen Augen der Wahrheit«, »Mein Freund Sisyphos« und »Der verborgene Gast« zum Spannungsgenre zurück.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Bis an das Ende der Welt
Heinrich der Seefahrer – Ein Essay
Eine Tafel am Eingang zur geheimnisumwitterten Seefahrerakademie in Sagres im Algarve erinnert an den Prinzen Heinrich:
»Aeternum sacrum! Von dieser Stelle aus hat der große Prinz Heinrich, Sohn Johanns I., König von Portugal, es unternommen, die vorher unbekannten Regionen von Westafrika zu erforschen und um Afrika herum einen Weg zu den entlegenen Ländern des Orients zu suchen. Er hat auf eigene Kosten sein Schloss, die berühmte Schule der Kosmographie, das astronomische Observatorium und das Seearsenal errichtet und bis an sein Lebensende mit bewunderungswürdiger Ausdauer erhalten, gefördert und erweitert zum größten Segen der Wissenschaft … Als seine Expeditionen den 8. Grad nördlicher Breite erreicht hatten, als manche Insel im Ozean entdeckt und mit portugiesischen Kolonien versehen war, starb dieser große Prinz am 13. Nov. 1460 …«
Prinz Heinrich von Portugal ist eine geheimnisumwitterte Figur der Geschichte, sogar eine zwiespältige, egal von welchem Blickwinkel aus man das wenige, welches man sicher von ihm weiß, auch betrachten mag.
Sofern an Geschichte interessiert, begegnet einem Interessierten immer wieder dieser Name, es ist nie viel, meist nur Bruchstückhaftes. Heinrich ist nur eine Randfigur der Weltgeschichte. Andere Namen überstrahlen ihn ganz leicht mit ihrem Nachruhm. Doch mit dem Zusatz zu seinem Namen, vermag er sich doch im fantasiebegabten Gedächtnis verankern: »Der Seefahrer«. Wen, welchen Mann bedachten da die Chroniken mit diesem ungewöhnlichen Beinamen? Hatten nicht viele andere glorreiche Figuren der Geschichte »der Große« als Zusatz hinter ihrem Namen? »Der Seefahrer« war einmalig, ließ Abenteuer ahnen, roch er doch nach Ferne und Träumen.
Wer war dieser Heinrich?
Vor Jahren bin ich ihm, Heinrich dem Seefahrer, begegnet, nicht persönlich natürlich, nur virtuell. Ich stand dort, wo auch er einst stand. In Sagres, auf dem Kap Sao Vincente, in der äußersten Südwestecke Portugals, im Algarve, wo jeder Besucher den heute noch eindrucksvollen Ort der ehemaligen Seefahrerakademie des Prinzen auf sich wirken lassen kann. Von diesem mächtigen, tief in ein wütend brausendes Meer abfallenden Felsen aus organisierte Heinrich seine Expeditionen ins Unbekannte. Der Prinz war ohne ein damals bekanntes Vorbild an diese Aufgabe herangetreten, ohne sich auf irgendwelche Erfahrungen stützen zu können, ohne schnelle Ergebnisse vor Augen zu haben, ohne eigentlich mit Erfolgen überhaupt rechnen zu können. Zudem kämpfte er von Anfang an gegen das Unverständnis seiner Umgebung.
Wer also war dieses Phantom der Geschichte?
Ich hatte Sagres gesehen, kehrte von der Urlaubsreise heim und »der Seefahrer« ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Schnell stellte ich fest, dass die Literatur über Heinrich nicht gerade eine Bibliothek füllt, nicht mal eine kleine. Die brauchbaren Quellen sprudelten nur spärlich. Was ich fand, sichtete, verglich, war oft widersprüchlich, in manchen Angaben sogar fehlerhaft. So wurde Heinrich, um ein Beispiel zu nennen, direkt mit Kolumbus in Verbindung gebracht, der jedoch im Todesjahr des Prinzen, 1460, noch ein Kind war.
In einigen Texten wird das Wirken Heinrichs, die Existenz seiner Akademie in großen Teilen, manchmal sogar gänzlich angezweifelt. Hat es den Prinzen überhaupt gegeben?
Gerade solche Punkte reizten mich, Heinrich weiter auf der Spur zu bleiben. Meine Sammlung über den portugiesischen Königssohn und seine Zeit wuchs langsam, aber doch stetig. Werden sich vielleicht die Lücken schließen, für die noch Vermutungen oder die Fantasie herhalten müssen?
Wenn ich auf den folgenden Seiten von diesem besonderen Mann erzählen will, seinen letzten Tag mit seiner Lebensgeschichte verwebe, erhebe ich nicht den Anspruch der Vollständigkeit und auch nicht den der reinen Wahrheit. Es soll nur der Versuch einer Annäherung an Heinrich den Seefahrer sein.
1 TAGESANBRUCH
Der halb nackte Mann ist nur noch Haut und Knochen. Völlige Stille umgibt ihn. Durch das eine größere und das zweite kleinere Fenster graut der neue Tag herein in die mehr als karge Klause. Mit brennenden Augen starrt der Mann hinauf zur tiefdunklen Decke. Irgendwann in der Nacht, er hatte es nur kurz im Halbschlaf wahrgenommen, rüttelte ein starker Wind an dem Haus. Unbewusst hatte er entschieden, dass der Wind nicht die Kraft zu einem Sturm haben würde. So war er wieder in den Schlaf zurückgesunken. Später in der Nacht war dann der weißgewandete Engel an sein Lager getreten mit der Nachricht, dass seine Abberufung von dieser Welt unmittelbar bevorstehe. Sein Herz hatte sich schmerzhaft verkrampft. Lautlos bewegten sich die blutleeren Lippen, als er tonlos fragte, ob der Himmel ihm vergeben habe oder ob er in die ewige Hölle hinabgestoßen würde. Der Engel hatte gelächelt. Noch einmal bat er eindringlich um eine Antwort. Wieder lächelte der Himmelsbote, um gleich darauf unsichtbar zu werden.
Seit dieser Vision liegt Heinrich, Prinz von Portugal, Herzog von Visen, Herr von Covilha, Großmeister des Christusordens, der in der gesamten Christenheit berühmte Seefahrer, wach.
Er stellt sich die Frage nach dem Warum, wieder einmal. Ist es Gottes Wille, der Mensch solle in seinem Lebensbereich bleiben? Oder folgt er dem Willen des Herrn, seinem Wort: Machet euch die Welt untertan? Zu welchem Nutzen gibt er, Heinrich, seine Befehle: Zum Wohle des Landes, allein für den König oder doch nur für eine kleine Oberschicht? Oder aber, das Schlimmste für ihn, ist es sein Ehrgeiz, doch nur sein persönliches Ziel? Ist er so, wie über ihn gesprochen wird? Er weiß es, denn er hat überall seine Ohren: Rücksichtslos sei er, hart, sogar bösartig. Muss er nicht so sein, um seine große Aufgabe zu erfüllen?
Jede Nacht, seit Jahren quält er sich mit diesen Fragen. Doch das ist nicht der wunde Punkt, der schwärzeste Punkt in seinem Leben, der jedes Mal als Höhepunkt seiner Selbstanklage in seine Gedanken drängt. Der alte Mann ist von einem Stigma gezeichnet, das allen bekannt ist, eine Schuld, an der er schwer trägt, die er nur tief bereuen, nicht wiedergutmachen kann. Es ist der Verrat an seinem jüngeren Bruder Fernando.
Tanger ist zweiundzwanzig Jahre nach Ceuta, im Jahre des Herrn 1437, das zweite kriegerische Unternehmen in Nordafrika. Prinz Pedro, der zweite Bruder, war dagegen, weil Portugal sich das Unternehmen nicht leisten konnte.
Heinrich ließ sich von realistischen Argumenten nicht von einem Ziel abbringen, das er sich vorgenommen hatte. Er verfasste eine Denkschrift, in der er zu dem Angriff aufrief. Scheute auch nicht vor reiner Kriegshetze zurück. Fernando sollte die Möglichkeit erhalten, sich seine Rittersporen zu verdienen, wie er selbst einst in Ceuta. Doch die Eroberung von Tanger blieb nur ein Versuch, wurde dem jungen Bruder zum Verhängnis. Die Folge des Fehlschlages war zudem ein Wirtschaftsniedergang in Portugal.
Damals, bei der Einnahme von Ceuta, war Heinrich als Hitzkopf vorgegangen und hatte zudem wirklich Glück gehabt. Mit seinen Worten gesagt: Der Himmel war mit ihm. In Tanger war der Himmel nicht mit ihm, ganz und gar nicht. Heinrich schlug alle strategischen und taktischen Ratschläge in den Wind, manövrierte sich in eine Lage, aus der er sich nur zu befreien vermochte, indem er seinen Bruder als Geisel zurückließ.
Die Bedingung für die Freilassung des jungen Prinzen war die Rückgabe von Ceuta. Die Brüder Duarte und Pedro waren dazu bereit, ebenso die Vertreter der Städte und der Provinzen. Der Adel und der Klerus hingegen wollten die christliche Stadt nicht in die Hände der Ungläubigen zurückgeben. Die Auseinandersetzung zog sich hin. Fernando blieb in den Händen der Mauren, für die er bis zu seinem Tod, acht lange Jahre, Sklavenarbeit verrichtete. Sein Gewissen meinte Portugal damit zu beruhigen, indem Fernando zu einem christlichen Märtyrer erhoben wurde.
Natürlich war auch Heinrich um seine Stellungnahme befragt worden. Er wich aus, indem er ein Heer verlangte, mit dem er die Mauren aus Afrika vertreiben und seinen Bruder befreien wollte. Das war ein rein rhetorischer Vorschlag, sowohl was die wirtschaftlichen Möglichkeiten als auch seine persönlichen Fähigkeiten betrafen. Heinrich, der seinem Bruder versprochen hatte, ihn auszulösen, opferte den Prinzen der Staatsräson und der christlichen Machtpolitik. Der von Heinrich geforderte Feldzug fand nicht statt.
Heinrich steigt mit tränenüberströmtem Gesicht von seinem einfachen Lager und wankt zu der nahen Kniebank.
Als er sich endlich wieder mühsam erhebt, küsst er das Amulett, das er um den Hals trägt. Seit seine streng religiöse Mutter es ihm als Kind geschenkt hatte, hat er es nie abgelegt.
Wenig später verlässt er seine Klause, ein völlig anderer Mann tritt in den jungen Tag hinaus. Ein stolzer, düsterer, unnahbarer Herr, schlank, hochgewachsen, ein schmales eingefallenes Gesicht, dunkle tiefliegende Augen, weißes volles Haar, in schwarzen Samt gekleidet, die goldene Kette des Christusordens auf der Brust.
Nur für Momente bleibt er stehen, blickt zum Himmel und hinunter zum Meer. Dann schreitet er zur nahen Kapelle. Bis auf den Altar, mit einem Teppich davor und zwei Stühlen an der Wand, ist sie leer. Heinrich geht in die Knie, legt sich der Länge nach auf den Teppich, der hier den Steinboden bedeckt, um zu...





