Böhmert | Ein Abend beim Chinesen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 241 Seiten

Böhmert Ein Abend beim Chinesen

Beste Geschichten
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95765-977-4
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Beste Geschichten

E-Book, Deutsch, 241 Seiten

ISBN: 978-3-95765-977-4
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Aber: 'Ich habe nie verstanden, warum noch keiner seine Storys mal gesammelt rausgebracht hat.' Klaus N. Frick Nun: 'Immer wenn man glaubt, diesen Schriftsteller durchschaut zu haben, zertrümmert er jegliche Erwartungen mit geradezu erschütternder Beiläufigkeit.' Hannes Riffel Also: 24 beste Geschichten aus knapp 30 Jahren, quer durch Böhmerts Schaffen und über alle Genregrenzen hinweg. Unterhaltsam, eindringlich, romantisch, abgebrüht. 

Frank Böhmert, Jahrgang 1962, wurde hauptsächlich durch seine lose Mitarbeit an der Perry-Rhodan-Serie bekannt und lebt als Übersetzer in Berlin. Er hat Autoren wie Robert B. Parker, Philip K. Dick und James Tiptree jr. ins Deutsche gebracht.
Böhmert Ein Abend beim Chinesen jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Der Baum beim Blutbunker


Es war längst Nachtruhe im Schullandheim. Die anderen Jungen in dem Sechsbettzimmer schliefen schon. Karo lag mit seiner Taschenlampe oben im Etagenbett und verschlang sein neuestes Mystery-Heft, Purgator der Folterer.

Er war gerade bei der Stelle, als der Katzenmensch Purgator sich endlich gegen seinen bösen Herrn auflehnte, den Grafen Grambor-Zuli, da fiel ihm auf, dass er das Heft fast ausgelesen hatte. Karo blätterte vor. Nur ein paar Kapitel noch! Hollerdipoller!

Rasch verstaute er Brille, Heft und Taschenlampe am Fußende, kuschelte sich in die dünne Schullandheimdecke und schloss die Augen. So war es immer am gruseligsten – wenn man das Ende nicht kannte und dann einzuschlafen versuchte! Dann hörten sich die kleinen Nachtgeräusche auf einmal ganz anders an, und wenn man Glück hatte, sah man schlimme Dinge in den Schatten. Und träumte später davon, wie die Geschichte weiterging …

Er nickte langsam ein. Wie es wohl war, ein Fell zu haben und ausfahrbare Krallen? Und einfach so, zackzackzack, einen Baumstamm hochklettern zu können?

Er schmatzte und kuschelte sich zurecht, und dann rutschte ihm die Bettdecke weg. Er griff nach ihr, aber sie rutschte noch weiter weg, und als er sich hinterherdrehte, stürzte er über den Bettrand ins Leere. Krachte mit dem Gesicht auf irgendetwas Hartes und landete dann weniger hart auf dem Fußboden, auf seiner verkrumpelten Decke.

Er setzte sich auf. Seine Nase tat weh wie Hölle. Und sie lief. Es lief aus ihr raus wie Wasser.

Jemand machte Licht. Karo blinzelte. Es war Ben, der da am Lichtschalter stand. Ben sah ihn entsetzt an.

Karo schaute an sich hinunter. Er blutete. Sein ganzer Schlafanzugpulli war bekleckert.

Dann kam Frau Schüppel ins Zimmer gestürzt: »Um Gottes willen! Was ist denn hier passiert?« Sie trug einen leuchtend orangefarbenen Bademantel.

»Er ist auf einmal einfach rausgefallen«, sagte Ole, der das Bett unter Karo hatte. »Voll auf den Stuhl hier.«

»Ah ja«, sagte Frau Schüppel. »Einfach so.«

Es tat zwar weh wie Hölle, aber es war halb so schlimm. Das Bluten hörte schnell wieder auf. Frau Schüppel wusch ihm das Gesicht mit einem Lappen ab und fand keine Platzwunde. Karo musste aufstehen und ein paar Schritte gehen, zum Beweis, dass ihm nicht schwindelig war, dass er keine Gehirnerschütterung davongetragen hatte. »Ist dir schlecht, Oskar?«, fragte sie.

»Nein«, sagte er.

»Dann ist ja gut.« Sie sah erleichtert aus. Da war er froh, dass er gelogen hatte. Ihm wurde immer schlecht, wenn er Blut sah.

Dann wurden alle wieder ins Bett geschickt. Karo zog sich den blutigen Schlafanzugpulli aus und ein Sweatshirt an. Als er den engen Kragen über die Nase zog, zeckte es gewaltig.

Er sagte nichts, aber beim Einschlafen dachte er, dass Ole ihm die Decke vielleicht weggezogen hatte.

Am nächsten Tag hatten sie tolles Wetter. Goldener Oktober. Trotz der Sonne war es kühl. Alle hatten Anoraks an oder Kapuzenpullis. Heute hatten die Schüler bestimmen dürfen, und so machten sie keinen Ausflug, sondern spielten einfach bloß draußen.

Das Schullandheim war toll. Erstens wohnten sie alle in einer Reihe von Blockhäusern, die schon ganz alt aussahen. Das Holz war grau und verwittert. An den Rückseiten wucherte Unkraut bis zu den Fenstern hoch. Es war fast wildwestmäßig, wie in einer Goldgräbersiedlung oder so.

Zweitens lag das Heim an einem See. Man brauchte bloß um das Steinhaus der Herbergseltern herumzulaufen, dann konnte man ihn schon glitzern sehen zwischen den hohen Birken und Kiefern.

Drittens, und das war das absolut Beste, in den sandigen, mit Grasflecken besetzten Hängen lagen die Überreste eines gesprengten und zugeschütteten Bunkers aus Beton. Eines richtigen Bunkers.

Dort hatten Karo, Ole und Ben gerade versucht, sich einen Zugang freizuschaufeln. Wieder einmal erfolglos. Nun sollte Karo eine seiner selbst ausgedachten Gruselgeschichten erzählen.

»Nur wenn ihr von da oben runterspringt«, sagte er und zeigte auf eine der glatten Bunkermauern, die aus ungefähr drei Metern Höhe steil abfielen. Unten lag weicher Sand. »Die Klippen des Wahnsinns!«

»Erst du«, sagte Ben.

»Nee, erst ihr!«

So ging das eine Weile hin und her. Schließlich sprangen sie alle drei gleichzeitig, und dann saßen sie unten im kühlen Sand in der Sonne, und Karo fing mit seiner Gruselgeschichte an: »Wisst ihr eigentlich, warum sie diesen Bunker gesprengt haben damals? Es war ein Experimentierlabor der Nazis. Die haben da Kampfmonster gezüchtet, aus Katzen … Der Blutbunker, so hat er hier in der Gegend geheißen. Hat mir der Herbergsvater erzählt.«

Ole schnaubte. »Und das glaubste? Der hat doch’n Rad ab!«

»Nee, echt! Fast hätten sie den Zweiten Weltkrieg doch noch gewonnen damit …«

Ole schnaubte noch einmal.

»Der hat sogar zwei Räder ab«, sagte Ben. Sie lachten. »Aber Blutbunker? Klingt voll gut. Voll horrormäßig. Und dann noch Nazis? Oh, Mann. Die hatten sogar Werwolf-Soldaten damals, hat mein Bruder gesagt. Und manche hatten sich Totenköpfe an der Uniform festgemacht.«

Karo rieb sich die Nase. Sie fühlte sich zu weich an und tat immer noch weh. Ole und Ben sahen ihn erwartungsvoll an. Er hatte sie am Haken. Sie wollten wissen, wie seine Geschichte weiterging.

Abendbrot. Weil das Wetter so schön war, aßen sie draußen, auf dem Platz zwischen dem Steinhaus und den Blockhütten. Er wurde auf der einen Seite von einem großen, flachen Schuppen abgeschlossen, der dem Herbergsvater als Garage diente. Sie saßen auf den zerschrammten grünen Bierbänken und löffelten gerade Linsensuppe mit Würstchen in sich hinein, da hörten sie wildes Geknatter in der Auffahrt.

Der Herbergsvater kam mit seinem Schrottauto angefahren. Er reichte mit den Augen kaum über das Lenkrad, weil er den Fahrersitz ausgebaut hatte und mit dem Hintern zwischen den Halteschienen saß. Die Jungs johlten begeistert. Vorne rechts fehlte der Kotflügel, dort waren nur der rissige Reifen und der verrostete Radkasten zu sehen; und der Kofferraumdeckel war mit Paketschnur runtergebunden.

»Ho-ho-ho!«, brüllten die Jungs und: »Au warte!«, als der schwarze Klapperkasten zu scharf in die Kurve ging und genau auf die äußerste Bierbank zuhielt. »Stopp! Bremsen!«

Der Herbergsvater reckte den Hals, dann klappte ihm der Mund auf, und er stieg so hart auf die Bremse, dass er erst mit dem Kopf ans Lenkrad krachte und dann nach hinten kippte.

Es reichte trotzdem nicht ganz. Der Wagen rollte bis gegen die Bierbank, schob sie ein Stück seitwärts, und alle Kinder darauf purzelten hinunter. Alles kreischte und kicherte und grölte durcheinander, aber zum Glück war niemandem etwas passiert. Jedenfalls niemandem aus der Klasse.

»Hollerdipoller!«, rief Karo. »Der Herbergsvater aus der Hölle!«

Ole, Ben und er lachten.

»Ja, und ihr seid das teuflische Trio!«, sagte Frau Schüppel. Sie ging zu dem Auto. »Ist Ihnen was passiert, Herr Bennigsen?«

»Nein, danke«, sagte Herr Bennigsen. »Ich hab schon gegessen.« Es waren nur seine Füße zu sehen. Sie steckten in grauen Filzpantoffeln.

Abwasch. Frau Schüppel hatte das teuflische Trio dazu verdonnert. Ben spülte, Ole übernahm das Klarspülen, Karo trocknete ab. Frau Bennigsen war irgendwo hinten im Haus und kümmerte sich um ihren Mann, der ein ordentliches Horn auf der Stirn gehabt hatte, als er aus dem Auto geklettert war.

»Örks«, sagte Ben auf einmal. Er war zu faul gewesen, den Dreck von den Tellern zu kratzen, und nun schwammen lauter Linsen und Würstchenscheiben auf dem Spülwasser. »Voll ekelig!« Ben nahm eine Würstchenscheibe und schnippte sie durch die Küche. Sie blieb nass am Geschirrschrank kleben.

Ole und Ben lachten.

»Seid ihr bescheuert?« Karo pulte die Scheibe wieder ab und warf sie zurück. Sie landete im Klarspülbecken.

»Örks!«, rief nun Ole. Er fischte das Teil raus und schnippte es – »Passt auf!« – Richtung Küchendecke.

Die Scheibe blieb dort oben hängen.

»Cool!« Ben fischte eine zweite Scheibe aus dem Wasser und schnippte sie hinterher. Auch sie blieb an der Decke kleben.

»Jetzt du!«

Aber Karo wollte nicht. Auch dann nicht, als sie ihn als Schisshasen verhöhnten. »Ich bin kein Schisshase«, sagte er. »Ich hab bloß keine Lust, denen die Küche zu versauen.«

»Ach ja? Dann …« Ben sah sich in der Küche um und fing zu grinsen an. »Dann kannste ja davon was futtern.« Er zeigte auf eine schmale Packung neben dem Herd.

»Salz?«, fragte Karo. »Kann doch jeder.«

»Aber nicht ’nen ganzen Löffel voll.« Ben nahm einen Teelöffel aus dem Besteckständer. »Da.«

Karo schluckte.

»Na, was nun?«, fragte Ben.

Karo nahm den Löffel. Sah zum Salz. Dann...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.