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Bollag / Rutishauser Ein Jude und ein Jesuit
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7867-3057-6
Verlag: Matthias Grünewald
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
im Gespräch über Religion in turbulenter Zeit
E-Book, Deutsch, 212 Seiten
ISBN: 978-3-7867-3057-6
Verlag: Matthias Grünewald
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Zweite Vatikanische Konzil hat vor 50 Jahren das Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum theologisch neu bestimmt: Dialog ist nötig, um den Anderen und im Anderen sich selber zu verstehen.
Michel Bollag und Christian Rutishauser nehmen als Jude und als Christ diesen Auftrag zum Dialog ernst. In ihrem intensiven Gespräch geht es einerseits um klassische, bis heute wirkende Fragen wie Alter Bund und Neuer Bund, Gottesverständnis und Offenbarung. Andererseits greifen sie aktuelle, politisch höchst brisante Probleme auf wie Evangelisierung und Judenmission, Landverheißung und Staat Israel, Dialog mit dem Islam und mit der postsäkularen Gesellschaft.
Ein spannender, inspirierender und orientierender Gegenpol zu einer unübersichtlichen und auseinanderdriftenden Welt.
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2. Schöpfung, Offenbarung, Erlösung Gespräch CHR: Schöpfung, Offenbarung und Erlösung sind Worte, die im alltäglichen Sprachgebrauch kaum mehr vorkommen. Der Glaube verwendet sie, um Gesamtdeutungen des Lebens zu geben. Sie sind Antworten auf die Fragen: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und was ist zu tun? Die drei Begriffe sind Metaphern und Grundprinzipien. Juden wie Christen benutzen diese Kategorien, auch wenn sie sie unterschiedlich deuten. MB: Als religiöse Vertreter haben wir eine enorme Übersetzungsarbeit zu leisten, um diese Begriffe heutigen Menschen nahezubringen. Ein Schöpfer- und Richtergott, gar mit langem weißem Bart, hat in unserem Weltbild keinen Platz mehr. In Auschwitz ist das Bild eines allgütigen Gottes, der sichtbar interveniert und Rettung bringt, definitiv zerstört worden. CHR: Als Glaubende und rational Denkende müssen wir Theologen diese Begriffe immer wieder neu auslegen, so dass sie ein Sinnangebot darstellen. Der Glaube will einen alternativen Blick eröffnen. Er kann jedoch abgelehnt werden. Auch ohne ihn lebt es sich gut. Sinndeutung ist für alle Beteiligten Arbeit. Religion ist weder Freizeitbeschäftigung noch Lifestyle und erst recht kein Kinderspiel. Es geht um höchste geistige Anstrengung, die Welt zu deuten und verantwortlich zu handeln. MB: Dieser Aufgabe stellen sich viele wache Zeitgenossen, aber nicht mehr mit den Begriffen des monotheistischen Glaubens. Andere Religionsformen und philosophische Weltdeutungen breiten sich aus. CHR: Die Weltdeutung orientiert sich heute an Naturwissenschaft und Philosophie. Da gibt es sehr viele gute Wertvorstellungen und kulturelle Errungenschaften. Bei anderen Phänomenen hätte die Kirche früher von einer heidnischen Kultur gesprochen. MB: …und die rabbinische Tradition spricht von avoda zara, von Fremdkulten und von Götzendienst. CHR: Christine Busta sagt von sich: «Ich bin eine durch das Christentum gebrochene Heidin und für diese Brechung bin ich dankbar.» Das gefällt mir. Die biblische Tradition möchte die Kultur, auf die sie stößt, umformen und gestalten, läutern und neue Perspektiven eröffnen. Wo wir uns heute an der Natur orientieren, lädt sie uns zum Beispiel ein, die Umwelt als Schöpfung zu sehen. Das ist ein anderes Konzept. So schreibt die Enzyklika Laudato si‘ von Papst Franziskus die katholische Soziallehre weiter. Sie betont den Zusammenhang von sozialer Frage und Ökologie. Die Flüchtlingsfrage und die Migrationsströme hängen mit westlicher Wirtschaftspolitik, ökologischer Zerstörung und Ausbeutung zusammen. Der Papst will durch Impulse aus der Schöpfungsspiritualität aber auch einen Mentalitätswandel herbeiführen. MB: Du sprichst vom Konzept Schöpfung. Ich lese die biblische Schöpfungsgeschichte auch nicht als einen chronologischen Bericht über die Weltentstehung. Die jüdische Tradition liest sie primär als Anleitung zum Handeln im Nachahmen Gottes. Gott erschafft und ruht. Er erzeugt und zieht sich wieder aus dieser Welt zurück: Darin sehen wir ein Vorbild für unser eigenes Tun. Der Mensch soll ebenfalls schöpferisch in die materielle Welt eingreifen, damit diese für alle Lebewesen in gerechten Verhältnissen bewohnbar wird. Moderne Wissenschaft und Technologie sind ein Segen. Doch das Sich-Zurückziehen Gottes soll dem Menschen ein Vorbild sein für eigenes Aufhören und Sich-Zurückziehen, das Raum und Freiheit für andere schafft und für ihn selbst. CHR: Ja, der Schöpfungsbericht beschreibt weniger, wie die Welt entstanden ist. Er ist Ursprungserzählung, formuliert das gestalterische Prinzip und will Paradigma sein. Auch die Herkunftsgeschichte eines Menschen ist nicht einfach objektive Information. Wenn ein Mensch von seiner Herkunft erzählt, will er mitteilen, wie er geprägt worden ist, damit man ihn versteht. In diesem Sinn wollen die ersten Seiten der Bibel prägen: Schöpfung bedeutet, einen Schöpfer anzuerkennen, ihm das Leben zu verdanken und es zu hüten. Alles Geschaffene ist gut, von Gott gewollt. Es darf nicht gedankenlos zerstört oder für rein egoistische Zwecke ökonomischen Prinzipien unterworfen werden. Alles Geschaffene ist, im Gegensatz zu Gott, begrenzt, also auch das Bewusstsein oder die Vernunft, was viele Philosophen nur schwer annehmen können. Es geht aber nicht allein um die Endlichkeit aller Dinge. Diese kann auch an der Natur abgelesen werden. Schöpfungsglaube schließt zugleich personale Bezogenheit und Verwiesenheit mit ein. In der Aussage, der Mensch sei männlich und weiblich im Abbild Gottes geschaffen, wird Gendergleichwertigkeit begründet. Der Mensch soll, wie du auch vom Judentum her sagst, kreativ sein wie Gott. Die christliche Theologie spricht von Imitatio Dei. – Ich könnte die Schöpfungstexte so weiter als Ursprungsmythen auslegen. Übrigens sagen auch Urknalltheorie und Evolutionslehre nicht nur aus, wie das Universum entstanden ist. Sie haben ebenso begründende Funktion. Die Naturwissenschaften leiten aus Naturbeobachtungen ihrerseits eine Ursprungserzählung ab. MB: Die Erzählung vom Urknall will die Weltentstehung objektiv erklären. Daraus wird aber auch gefolgert, dass der Mensch ein animal rationale ist. Die naturwissenschaftlichen Erklärungen verobjektivieren das All und erlauben somit die technische Ausbeutung des Universums. CHR: Der biblische Schöpfungsmythos hat naturwissenschaftliche und soziale Elemente integriert. Heute brauchen wir mehrere Ursprungsgeschichten. Wenn wir nur die wissenschaftliche Theorie hätten, wäre das Resultat für den Bereich des Handelns der Sozialdarwinismus. Der Stärkste, Anpassungsfähigste bzw. der «Korrupteste» setzt sich durch, wie in der Evolution. Energien prallen aufeinander; die einen überleben, die anderen nicht. Im Universum und in der Natur herrscht viel Gewalt. Wenn das die einzige Ursprungserzählung ist, fehlt die Ethik. Deshalb brauchen wir eine zusätzliche Ursprungserzählung für das soziale Kollektiv. Im 19. Jahrhundert sind denn auch die Nationalmythen den naturwissenschaftlichen Erzählungen beigesellt worden. Diese nationalen Erzählungen beginnen immer mit einem Freiheitskrieg und einer gerechten kollektiven Ordnung, die danach aufgebaut wird. Das nationale Kollektiv lebt jedoch von der ethnischen Abgrenzung. Für eine globalisierte Welt braucht es ein ethisches Narrativ, das alle Menschen umfasst. Wir brauchen auf der Naturebene, der Gesellschaftsebene und auf der religiösen Ebene Ursprungserzählungen. In einer säkularen ausdifferenzierten Gesellschaft müssen das notwendig mehrere sein ? und wir dürfen sie nicht gegeneinander ausspielen. Die Bibel, die einen Mythos für jeden schafft, hat da ihren Platz. MB: Im Schöpfungsdenken haben Juden und Christen tatsächlich vieles gemeinsam. Das oft unscharf verwendete Adjektiv «jüdisch-christlich» trifft vielleicht gerade hier einmal zu. CHR: Ja – und doch werden auch hier unterschiedliche Akzente gesetzt. Dem Schaffen durch das Wort, wie es in Gen 1 beschrieben wird, steht christlich der Anfang des Johannesevangeliums zur Seite: «Im Anfang war das Wort.» Dieses Wort ist der Logos, der dann mit Christus identifiziert wird. So wird der Mensch aus Gen 1 durch den konkreten Menschen Jesus veranschaulicht. MB: Die Rabbinen haben Gen 1 ebenfalls weiter interpretiert: Die Welt wurde erschaffen durch die Tora, vergleichbar mit dem Logos. Anthropomorph erzählt: Gott hat in die Tora geschaut wie in einen Bauplan und erschuf auf dieser Grundlage die Welt. Die Tora stellt also die geistige Struktur und die ethische Ordnung dar, durch die die Welt besteht. Offenbarung ist klassisch rabbinisch die Gabe der Tora. Für heute auf den Punkt gebracht: Es geht um den Einbruch eines Anderen in das Sein. Ein Anderer spricht mich an und zwar durch einen Text. Im Text erscheint etwas, das mich übersteigt. Ich kann es nicht greifen oder begreifen, mich des Wortes nicht bemächtigen. Ich berühre es bei der Lesung der Tora nur leicht mit der symbolischen Hand, dem Jad. Ich berühre das Wort kaum, ich interpretiere, suche in ihm Bedeutung, nicht objektive Wahrheit. In der Offenbarung entsteht ein Dialog zwischen einem Anderen und mir, dem angesprochenen Du. Der Andere spricht mehr als ich vernehmen kann. Daher hat die Tora als uralter Text ein Potenzial, das immer wieder neu zu deuten ist. CHR: So kann ich auch die christliche Bibel verstehen. Offenbarung als Gottes Anrede, die uns vorausgeht, ist das Entscheidende des Glaubens. Dadurch steht der Mensch nicht am Anfang und nicht im Zentrum. Er setzt sich Gott selbst mit seinen intimsten und mystischen Erfahrungen aus. Der konkrete Bezugspunkt ist dabei für uns Jesus Christus, denn er legt den unsichtbaren Gott aus und offenbart ihn so. MB: In Zusammenhang mit den von Gott gesprochenen zehn Worten am Berg Sinai wird in der Tradition der Begriff matan Tora, Gabe der Tora, verwendet. Offenbarung im Sinne von «etwas offenlegen» würde im Kontext des Sinai-Ereignisses in die falsche Richtung führen. Gottes Wort wird «in der Dichte des Gewölks» unter Blitz und Donnerstimmen vernommen, eher verunsichernd als Sicherheiten vermittelnd. Was Gott zu sagen hat, kann unter diesen Umständen vom Menschen nur mehrdeutig wahrgenommen werden. So wird zum Beispiel der Psalmvers gedeutet: «Eines hat Gott geredet, zwei Dinge sind es, die ich gehört.» Der Einbruch Gottes in die Welt verstört zuerst einmal. Ein berühmter Midrasch fragt: «Wo wurde die Tora gegeben?» Die Antwort ist: «Am Berg Horeb.» Und...