Bossenbroek Tod am Kap
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-406-68813-3
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geschichte des Burenkriegs
E-Book, Deutsch, 623 Seiten
ISBN: 978-3-406-68813-3
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Martin Bossenbroeks preisgekrönte Darstellung des Burenkriegs (1899 – 1902) ist aus der Perspektive des niederländischen Juristen Willem Leyds, des britischen Kriegsberichterstatters Winston Churchill und des burischen Kämpfers Deneys Reitz geschrieben. Deren Tagebücher, Briefe und Reportagen gewähren einen unmittelbaren Einblick ins Geschehen und informieren präzise und umfassend über Vorgeschichte, Motive, Verlauf und Folgen der Auseinandersetzung.
Angelockt von reichen Bodenschätzen, nicht zuletzt Gold und Diamanten, kommen immer mehr Abenteurer in die Burenrepubliken Oranje-Freistaat und Transvaal – viele von ihnen britische Uitlanders. Als die Buren ihnen die Gleichstellung verwehren, schickt die Regierung in London eine Viertelmillion Soldaten ans Kap, um die Region dem Empire einzuverleiben. Die Welt erhält eine Vorahnung des totalen Kriegs: Britische Truppen schlagen Schneisen der Verwüstung durch die Burenrepubliken und weiten den Krieg gnadenlos auf die Zivilbevölkerung aus. Sie internieren 230.000 Menschen in concentration camps, 46.000 sterben, die meisten von ihnen Kinder. Im Kampfgebiet waren damals etwa 200 Korrespondenten unterwegs und versorgten die Weltöffentlichkeit so gründlich mitInformationen wie noch von keinem Krieg zuvor. Dank intensiver Auswertung dieser reichen Quellen kann Martin Bossenbroek ein so dichtes Bild des Burenkriegs entwerfen wie noch kein Autor vor ihm.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1;Cover;1
2;Titel;3
3;Impressum;4
4;Inhalt;5
5;Prolog – Erfenisdag (Bloemfontein, 24. September 2011);7
6;Erster Teil – Für die Gerechte Sache (Juni 1884 bis Oktober 1899);25
6.1;Eine nicht alltägliche Begegnung (Amsterdam, Juni 1884);28
6.2;Denn du bist Staub (Pretoria, Oktober 1884);41
6.3;Landhunger (Veertienstroom, Januar 1885);50
6.4;Gold (Johannesburg, Januar 1887);65
6.5;Konzessionen (Pretoria, Juni 1887);78
6.6;Burenliebe, Holländerhass (Amsterdam, November 1889);91
6.7;Rhodes & Company (Pretoria, Juli 1892);101
6.8;Lebensader (Lourenço Marques, Juli 1895);114
6.9;Zu den Waffen (Berlin, Januar 1896);129
6.10;Diamond Jubilee (London, Mai 1897);146
6.11;Die Geister scheiden sich (Pretoria, Februar 1898);158
6.12;Letzte Chancen (Atlantischer Ozean, Januar 1899);173
7;Zweiter Teil – Wie ein Abenteuerbuch (Oktober 1899 bis Juni 1900);196
7.1;Rule, Britannia! (Southampton, 14. Oktober 1899);200
7.2;Vierfrontenkrieg (Kapstadt, 31. Oktober 1899);211
7.3;Kugelhagel (Chieveley, 15. November 1899);226
7.4;Kriegsrecht (Pretoria, 18. November 1899);238
7.5;Die verlassene Grube (Witbank, 15. Dezember 1899);255
7.6;Ein warmer Empfang (Durban, 23. Dezember 1899);268
7.7;Toter Winkel (Spionkop, 24. Januar 1900);287
7.8;Durchbruch (Monte Cristo, 18. Februar 1900);302
7.9;Fieberschauer (Ladysmith, 3. März 1900);319
7.10;Kolonnen in Bewegung (Bloemfontein, 16. April 1900);336
7.11;Farbkontraste (Kroonstad, 12. Mai 1900);347
7.12;Triumph (Pretoria, 5. Juni 1900);364
8;Dritter Teil – Tod und Verderben (Juni 1900 bis Mai 1902);380
8.1;Außer Kontrolle (Pretoria, Juni 1900);383
8.2;Treibjagd (Bronkhorstspruit, Juli 1900);397
8.3;Sonderrecht (Lydenburg, Oktober 1900);412
8.4;Fremder Boden (Warmbad, November 1900);424
8.5;Schuldige Landschaft (Naauwpoort, Dezember 1900);439
8.6;Totes Pferd (Ou Wapad, Februar 1901);456
8.7;Hungerwinter (Tafelkop, April 1901);471
8.8;Ewige Verbannung (Zastron, August 1901);488
8.9;Schwarzer Tod (Herschel, September 1901);501
8.10;Raubzug (Zuurberge, Oktober 1901);518
8.11;Vergeltung (Leliefontein, März 1902);533
8.12;Das bittere Ende (Concordia, April 1902);548
9;Epilog – Gewinner und Verlierer (Bloemfontein, 6. Juli 2012);567
10;Anmerkungen;580
11;Quellen und Literatur;603
12;Personenregister;611
13;Register der Organisationen, Vereinigungen, Parteien, Unternehmen sowie (südafrikanischen) Stämme und Völker;617
14;Register der geographischen Begriffe;618
15;Zum Buch;623
16;Über den Autor;623
EINE NICHT ALLTÄGLICHE BEGEGNUNG
Amsterdam, Juni 1884 Es war ein Angebot, das er leicht ablehnen konnte. Cum laude promoviert, gerade erst fünfundzwanzig, Protegé sämtlicher Professoren der renommierten juristischen Fakultät der Universität Amsterdam: Willem Leyds hatte viele Möglichkeiten. Ein Amt in der Gerichtsverwaltung Niederländisch-Ostindiens, eine Professur in Groningen oder diese Stelle bei der Nederlandsche Bank, im Grunde standen ihm alle Türen offen. Warum also sollte er auf ein solch merkwürdiges Angebot eingehen? Das Amt des Staatsprocureurs – ähnlich dem des Generalstaatsanwalts – in Transvaal zu übernehmen wäre ihm ganz sicher als Letztes in den Sinn gekommen. Ein Staat, nicht viel älter als er selbst und mit einer Bevölkerung aus streng calvinistischen Farmern und Viehzüchtern – wie sollte ein liberaler Jurist sich dort Meriten erwerben, ganz zu schweigen von der kulturellen Unwirtlichkeit der südafrikanischen Hochebene. Leyds war nicht nur Akademiker, sondern hatte auch eine musische Ader. Er spielte Violoncello in einem Streichquartett, dem auch der spätere Komponist und Dichter Alphons Diepenbrock angehörte, war befreundet mit dem Altphilologen Willem Kloos (mit dem er Homer im Original las) und dem Arzt Frederik van Eeden, der wie Kloos und Diepenbrock zu den wichtigsten niederländischen Autoren der 1880er und 1890er Jahre zählen sollte. Und nun die Zumutung, nach Transvaal zu gehen, in diese intellektuelle Wüste, wie seine Verlobte Louise Roeff das Problem ironisch zusammenfasste? Wenn er es überhaupt in Erwägung zog, lag das an der Persönlichkeit, von der das Angebot kam. Paul Kruger hatte Leyds imponiert: seine wuchtige Gestalt, seine dunklen Augen, sein sonorer Bass, diese selbstsichere Direktheit. Und doch, es war eine Stimme aus einer anderen Welt, ein Echo der Vergangenheit. Der Präsident Transvaals war der Inbegriff des Buren oder Afrikaanders, ein Mann der Bibel, des Gewehrs und der endlosen Weidegründe, der außerdem erstaunlich wenig auf sein Äußeres achtete. Während Leyds als gut aussehender junger Mann galt, gepflegt bis in die Spitzen seines modischen Schnurrbarts, fiel der fast sechzigjährige Burenpräsident vor allem durch seine ausgeprägte Schlampigkeit auf, erst recht in der luxuriösen Suite des Amstelhotels, in der er Leyds empfangen hatte. Leyds empfand den Kontrast als zu scharf, den Abstand als zu groß, den Entschluss, den er hätte fassen müssen, als zu radikal. Ein paar Stunden nach dem Gespräch lehnte er dankend ab. Doch so leicht kam er nicht davon. Kruger wollte sich mit seinem Nein nicht abfinden und überredete ihn, noch einmal gründlich über die Sache nachzudenken. Es war der 12. Juni 1884, der Tag nach Leyds’ Promotion. In zwei Tagen würde der Präsident von Transvaal abreisen. Und so beschloss Leyds, das Angebot noch mit Nicolaas Pierson zu besprechen, dem Direktor der Nederlandsche Bank.[1] Leyds’ Zögern war begreiflich. In den Niederlanden wusste man noch nicht so recht, was man von den Buren halten sollte. Man bewunderte sie zwar allgemein für ihren erfolgreichen Widerstand gegen die britische Kolonialmacht, aber ihr Heldenstatus, erst Ende 1880, Anfang 1881 errungen, war noch etwas brüchig. Den Ereignissen von 1880 waren Jahrzehnte des Vergessens und der Verachtung vorangegangen. Seit der endgültigen Annexion der einst niederländischen Kapkolonie durch die Briten im Jahr 1806 – dem Jahr, in dem die Niederlande selbst, schon seit 1795 als «Batavische Republik» ein französischer Satellitenstaat, als «Königreich Holland» unter Louis Napoleon noch enger an Frankreich angeschlossen wurden – hatte das Interesse an den Kolonisten im südlichen Afrika immer mehr nachgelassen, auch in der Heimat der meisten ihrer Vorfahren. Dass sie sich in den 1850er Jahren nördlich der Flüsse Oranje und Vaal von der britischen Herrschaft befreit und die unabhängigen Republiken Oranje-Freistaat und Transvaal – offiziell Südafrikanische Republik genannt – gegründet hatten, nahm man einfach zur Kenntnis. Das Gefühl der «Stammverwandtschaft» hatte sich allmählich verflüchtigt, zumindest wurden die Buren als in jeder Hinsicht zurückgebliebene Verwandte empfunden, die man lieber nicht erwähnte. In den wenigen Berichten über sie, die man hin und wieder noch erhielt, häuften sich die Beschuldigungen. Die Buren wurden als faul, dumm oder scheinheilig dargestellt, und was das Allerschlimmste war, sie misshandelten «arme Kaffern». Tatsächlich praktizierten die Buren einen alttestamentarisch inspirierten Rassismus, der die Sklaverei ohne jede Scham einschloss. Mehr noch, wenn Missionare die schwarze Bevölkerung für das Christentum zu gewinnen versuchten, wurden ihnen nur Steine in den Weg gelegt. Es waren deshalb vor allem die Missionsgesellschaften, die sich über die Buren empörten und sie in der europäischen Öffentlichkeit in Verruf brachten, erst in Großbritannien, dann auch auf dem Festland. Wichtigster Zeuge der Anklage war in den Niederlanden ein Pfarrer namens Pierre Marie Huet, der zwölf Jahre Missionsarbeit geleistet hatte und 1869 in seinem Buch Het lot der zwarten in Transvaal (Das Los der Schwarzen in Transvaal) eingehend über Raub, Mord und andere von den Buren begangene Verbrechen berichtete. In den 1870er Jahren nahm der schon stark angeschlagene Ruf der Buren weiteren Schaden, obwohl es zunächst so aussah, als könnte der damalige Präsident Transvaals, Thomas François Burgers, eine Wende herbeiführen. 1875 bemühte sich Burgers auf einer Europareise um Unterstützung für einige ehrgeizige Entwicklungspläne; in den Niederlanden hinterließ er zumindest in liberalen Kreisen einen günstigen Eindruck. Es gelang ihm, nicht nur wichtige diplomatische Verbindungen zu knüpfen, sondern auch ein Darlehen für den Bau einer Eisenbahnstrecke von Transvaal zum Indischen Ozean auszuhandeln. Als Zugabe bekam er sogar noch eine Nationalhymne mit auf den Weg, deren Text und Musik von der Dichterin Catharina van Rees stammten. «Kennst du das Volk voller Heldenmut», lautete die erste Zeile, doch dass Burgers die Hymne nach seiner Rückkehr aus voller Brust mitgesungen hat, darf bezweifelt werden, denn er musste bald feststellen, dass die Buren das Vertrauen in ihn verloren. Aus den Eisenbahnplänen wurde nämlich nichts, die Unternehmung endete mit einem finanziellen Desaster, Parteienstreit führte zu politischer Lähmung und zum Staatsbankrott. Zwei Jahre nach Burgers Europareise konnten die Briten Transvaal fast widerstandslos annektieren; am 12. April 1877 wehte der Union Jack in Pretoria, nun Hauptstadt der britischen Transvaal Colony.[2] Kaum jemand in den Niederlanden weinte dem unabhängigen Transvaal eine Träne nach. Juristen der Universitäten von Utrecht, Amsterdam und Leiden erhoben zwar Protest gegen das völkerrechtlich inakzeptable Vorgehen der Briten, aber Mitleid mit den Buren schwang darin nicht mit. Selbst schuld, urteilten die Liberalen: Die Buren hätten eben Burgers nicht fallen lassen dürfen. Selbst schuld, meinten auch Abraham Kuyper und seine orthodox-protestantischen Anhänger, die politisch in der Antirevolutionaire Partij (ARP) vereint waren: Die Buren hätten eben diesen Burgers nie ans Ruder lassen dürfen. Erst als die Einwohner von Transvaal im Dezember 1880 zu den Waffen griffen, um sich ihre Unabhängigkeit zurückzuerobern, und ihnen das auch noch innerhalb kurzer Zeit gelang, kam es in der öffentlichen Meinung zu einem wundersamen Umschwung: Plötzlich waren die Buren nicht mehr die schwarzen Schafe der Familie, sondern zwar weit entfernte, aber doch vollwertige Angehörige des ruhmreichen Stamms der Holländer mit dem gleichen «Geusenblut». Geistig eher schlicht, aber doch mit gesundem Menschenverstand, nur dass sie mehr als die meisten Menschen in den Niederlanden traditionelle Normen und Werte hochhielten. Aber wer würde das nicht, im dunklen Afrika? Es waren nicht die Dümmsten, die für diese plötzliche Wende verantwortlich waren: Die intellektuelle Elite des Landes lieferte nicht nur die Argumente für die erstaunliche Aufwertung der Buren, sondern wurde auch selbst aktiv. Nun ja, was heißt aktiv, man formulierte Appelle und Zeitungsartikel, gab Broschüren heraus, organisierte Solidaritätsveranstaltungen und Sammlungen. Mehr nicht, aber...