Boyle / Franßen | Einsame Zeugin | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 350 Seiten

Boyle / Franßen Einsame Zeugin


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-945133-82-8
Verlag: Polar Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

E-Book, Deutsch, 350 Seiten

ISBN: 978-3-945133-82-8
Verlag: Polar Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Amy Falconettis Leben könnte so einfach sein, seitdem ihre ihre Freundin Alessandra nach Los Angeles weitergezogen ist und sie verlassen hat. Ihre Bartending- und Party-Tage hat sie hinter sich gelassen lebt in einer Souterrain-Wohnung und geht ganz in der Arbeit für die Kirche auf, indem sie alten Menschen betreut, die die Kommunion Zuhause in Anfang nehmen müssen. Wäre da nicht dieser Mord, den sie mit angesehen hat und nicht nur das, sie hat auch die Tatwaffe entwenden und sie gesäubert. Seitdem fühlt sie sich verfolgt. Als auch noch Alessandra und ihr verschollener Vater wieder in ihren Leben auftauchen, ist es vorbei mit dem Glauben daran, dass sie einfach nur ihr Leben zu wechseln braucht, um mehr Ruhe und Zufriedenheit zu finden. Schließlich gibt es da auch noch einen Mörder und eine Zeugin, die lieber nicht die Polizei gerufen, sich vielmehr daran berauscht hat, eine Mitwisserin zu sein. Nicht genug, als der Mörder sie findet, macht er ihr ein Angebot, dass sie nicht abschlagen will.

William Boyle ist in der Nachbarschaft von Gravesend in Brooklyn aufgewachsen. Er lebt zurzeit in Oxford, MS. Im Polar erschien 2017 sein erster Roman Gravesend.

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Kapitel 1
Als Mrs. Epifanio die Tür öffnet, weiß Amy sofort, dass irgendetwas nicht stimmt. Vor dem ersten Besuch ein paar Monate zuvor hatte Monsignore Ricciardi Amy gewarnt, dass Mrs. Epifanio gelegentlich unter Demenzschüben leidet und an manchen Tagen wahrscheinlich sehr verwirrt wirkt und nicht weiß, wo sie ist, welches Jahr geschrieben wird und wo oben und unten ist. Aber solche Ausfälle hat Amy nur ein, zwei Mal bemerkt. Vormittags ist Mrs. Epifanio fast immer aufgeweckt und fröhlich. Zwar sind ihre Schultern gebeugt, doch mit den rosa gefärbten, trotz der Haarklemmen zerzausten Haaren und der verwegen vom Hals baumelnden und am Steg mit Klebeband geflickten Brille steht sie für eine Neunzigjährige flott da. Anders als sonst trägt sie heute eine Kittelschürze. Normalerweise macht sie sich mit einer geblümten Bluse und langen Hosen für die Kommunion schick. Ihr Blick ist zittrig, so als wäre sie den Tränen nahe, wobei man das bei alten Frauen nie so genau weiß. Sie wirft einen Blick über Amys Schulter und sieht die Straße rauf und runter. »Geht’s gut, Mrs. E?«, fragt Amy. »Nein, gar nicht«, sagt Mrs. Epifanio. »Was ist los?« »Du kennst doch Diane, die Frau von der Kirche, die mich viermal in der Woche besucht?« »Ja, vom Sehen.« »An ihrer Stelle ist gestern und vorgestern ihr Sohn gekommen. Vincent heißt er. Ein widerlicher Mensch. Ich sitz am Küchentisch, spiel Solitär und ess, was mir Meals on Wheels gebracht hat, und er geht einfach in mein Schlafzimmer und kramt rum. Ich ruf ihm hinterher, dass ich die Polizei hole. Worauf er sagt: ›Regen Sie sich ab, ich räum nur ein bisschen auf, Mrs. E‹, so als wären wir beste Freunde.« »Echt?«, fragt Amy. »Wenn ich’s doch sage.« »Vielleicht haben Sie es nur geträumt.« »Nie im Leben.« »Was sagt Diane dazu?« »Sie hat Grippe, hat er gesagt. Ich erreich sie nicht.« »Um wie viel Uhr besucht sie Sie normalerweise?« »Zehn.« »Haben Sie Angst, dass er wiederkommt?« »Ja.« »Wie wär’s, wenn ich hierbleibe und mit ihm rede?« »Ach, das wär nett. Danke, meine Liebe.« Mrs. Epifanio wirkt erleichtert. Amy deutet auf ihre Tasche. »Ich hab Ihnen die Kommunion mitgebracht.« »Komm rein, komm nur rein«, sagt Mrs. Epifanio. Sie zeigt den engen Flur hinunter, an dessen Ende sich die Tür zu einer kleinen Küche befindet. Amy tritt ein. »Ich hab gerade meinen Enkel Rob angerufen und ihm alles von dir erzählt«, sagt Mrs. Epifanio. »Ist das Elaines Sohn?« »Ja, genau der. Sie leben drüben in Metuchen. Angeblich will er mich Sonntag besuchen, mal sehen. ›Amy Falconetti‹, sag ich zu ihm. ›Ist eigentlich aus Flushing. Sie bringt mir die Kommunion. So ein nettes Mädchen. Hübsch. Dunkle Haare. Lauter Tattoos, genau wie du‹, sag ich zu ihm.« »Da werd ich ja rot.« Kurz fragt sich Amy, woher Mrs. Epifanio das mit den Tattoos weiß. Sie sind auf ihrem Rücken und ihren Oberschenkeln, Erinnerungen an ihr früheres Leben. Vermutlich hat es sich herumgesprochen. Jemand hat sie zufällig im Sommer in Tanktop und Shorts gesehen und es rumerzählt. Sie schämt sich nicht für ihre Tattoos und bereut auch nicht, dass sie sie sich stechen ließ. Es kommt ihr inzwischen nur so vor, als würden sie zu jemand anderem gehören. Ihre dunklen Haare sind ihr auch fremd. Schon seit ein paar Jahren färbt sie ihre blonden Haare kohlrabenschwarz, aber so ganz hat sie sich noch nicht daran gewöhnt. Manchmal erkennt sie sich selbst nicht im Spiegel. Aber irgendwie fand sie die Veränderung nötig. »Das ist die reine Wahrheit. Du hättest Immacula sehen sollen, die mir vorher die Kommunion gebracht hat.« Mrs. Epifanio streckt die Arme wie ein Zombie von sich. »Eine lebende Tote. Ein bisschen Spaß hat noch niemand umgebracht, oder? Gut, es gibt Aufregenderes, als einer alten Frau, die nicht mehr aus dem Haus kann, die Kommunion zu bringen, aber deshalb muss man doch nicht immer so ein miesepetriges Gesicht ziehen. Tust du ja auch nicht.« »Nett, dass Sie das sagen, Mrs. E«, sagt Amy. »Ich bemüh mich. Und ich freu mich immer, wenn ich Sie besuche.« »Ich bin besser als die anderen, was?« »Wen meinen Sie?« »Na, die anderen alten Schachteln, die du besuchst.« Amy lacht. »Sie sind spitze.« Mittlerweile haben sie die Küche erreicht. Mrs. Epifanio setzt sich auf ihren gepolsterten Stuhl, Amy ihr gegenüber. Der Tisch ist bedeckt mit Rubbellosen, Kirchenblättchen aus den letzten Monaten, Sudoku-Heften, Rezepten, Werbebroschüren und Tablettenschachteln. Bei jedem Besuch sieht Amy das Foto an der Wand an: Mr. Epifanio als junger Mann, wie er mit einem Klemmbrett in der Hand in einem Subway-Tunnel steht. Amy weiß nicht genau, was er gearbeitet hat – es ist nicht leicht, Mrs. Epifanio eine konkrete Antwort auf eine Frage zu entlocken –, aber sie vermutet, dass er bei der Metropolitan Transport Authority war. Er ist 1986 gestorben, gleich nachdem die Mets die World Series gewonnen hatten, was Amy nie vergessen wird, weil sie damals in der Ersten war und ganz Queens ausflippte. Das ist mehr als dreißig Jahre her. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Amy hört Mrs. Epifanio gerne zu, wenn sie von ihrem Mann erzählt. Die meisten Geschichten handeln davon, dass er irgendeinen Unsinn in einer Kneipe angestellt oder die ganze Nacht mit einem Schrotgewehr eine kleine Maus gejagt hat. »Kommen Sie mit den Tabletten zurecht, Mrs. E?«, fragt Amy. »Meine Tabletten«, sagt Mrs. Epifanio und winkt ab. »Wer weiß das schon? Der Kopf will nicht mehr wie der Rest und umgekehrt.« »Kommt die Pflegerin noch?« Mrs. Epifanio lässt das Kinn auf die Brust sinken. »Ja. Aber verstehen tu ich sie mit ihrem russischen Akzent nicht.« Amy ergreift die Gelegenheit, Mrs. Epifanio die Kommunion zu reichen. Eigentlich soll sie sich nicht unterhalten, bis das Gemeindemitglied die Kommunion empfangen hat, aber das ist fast nicht durchzuhalten, besonders bei Mrs. Epifanio, die sich über ein bisschen Gesellschaft freut. Wie bei allen einsamen Witwen vollzieht Amy die abgekürzte Zeremonie. Sie holt die Bibel, das Kreuz, die Kerze und das weiße Tuch aus ihrer Tasche. Dann beten sie. Wie sie sich für den Kirchendienst anzieht – blaue Hose, weiße Bluse –, hat so gar nichts mit ihrem früheren Stil zu tun. Jahrelang hat sie ein ziemlich striktes Modediktat befolgt: Rockabilly-Frisur, manchmal mit Tuch in den Haaren, dazu Bleistiftrock oder Tellerrock, Caprihose oder Marlenehose, eine kurzärmlige Bluse, ein rückenfreies Top oder ein Vintage-Pulli oder auch ein Sarong-Kleid. Ausschließlich in Rot, Weiß, Schwarz und Marineblau, mit Punkten, Streifen, Leopardenmuster oder Karos. An Motiven waren Kirschen, Totenschädel, Anker, Hufeisen, Würfel, Schleifen und Pin-up-Girls erlaubt. Als Schuhe Ballerinas oder Pumps. Sie sah immer so aus, als wäre sie auf dem Weg zu einem Social-Distortion-Konzert oder wäre Komparsin in einem Film von John Waters. Inzwischen blitzen Bilder aus ihrem früheren Leben – eigentlich waren es ja mehrere – nur noch manchmal auf, verschwommene Erinnerungen an Bars, Musik, Tattoos, Saufereien, Frauen. Mit Merrill, ihrer abgestürzten Punker-Freundin, die die Krätze und einen fiesen Köter an einer zerfransten Leine hatte, wurde alles noch düsterer. Dann lernte Amy in der Seven Bar, in der sie jahrelang gearbeitet hat, Alessandra kennen und zog mit ihr nach Brooklyn, genauer gesagt nach Gravesend. Das war vor fünf Jahren. Eigentlich hat Alessandra das Viertel, aus dem sie stammte, von jeher gehasst und wollte immer weg. Gleichzeitig hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie nach der Highschool nach Los Angeles abgehauen war, um Schauspielerin zu werden, und selbst dann nicht heimgekommen war, als ihre Mutter Krebs bekam und starb. Erst danach beschloss sie, zurückzukommen und sich eine Zeitlang um ihren Vater zu kümmern. Wie fast immer bei Alessandra hatte der Entschluss eher mit einem Wunschbild von sich zu tun als mit der Person, die sie wirklich war. Eine Weile waren sie glücklich. Amy fuhr mit der Subway in die City und stellte sich hinter den Tresen der Seven Bar, während Alessandra ihrem Vater half und sich hin und wieder beim Film etwas dazuverdiente. Als ihr Vater plötzlich an einer Lungenembolie starb, ließ sie Amy von einem Tag auf den anderen sitzen und ging nach Los Angeles zurück. Amy fiel in eine...



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