Brentano Theodor Chindler
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7317-6043-6
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman einer deutschen Familie
E-Book, Deutsch, 496 Seiten
ISBN: 978-3-7317-6043-6
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bernard von Brentano, 1901 in Offenbach am Main geboren, war in den zwanziger Jahren Korrespondent der Frankfurter Zeitung in Berlin. Mit seinen Essays Über den Ernst des Lebens (1929) und Der Beginn der Barbarei in Deutschland (1932) brachte er die Nationalsozialisten gegen sich auf. Seine Bücher wurden nach der Machtergreifung auf dem Scheiterhaufen verbrannt. 1933 emigrierte er in die Schweiz, wo er für die Neue Zürcher Zeitung und die Weltwoche schrieb. Von 1949 bis zu seinem Tod 1964 lebte er in Wiesbaden.
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5
1886 hatte Elisabeth Chindler geheiratet. In den ersten Monaten ihrer Verlobungszeit liebte sie Theodor Chindler. Dann merkte sie an der Art, wie er sich in den politischen und religiösen Kämpfen verhielt, daß er (ihrer Ansicht nach) ein schwankender Mensch war. Sie erschrak und überlegte. Heiraten wollte sie, und dieser Mann war nicht nur eine gute Partie, sondern der Ausweg aus der Misere ihres Elternhauses und der bedrückenden Stelle in Bonn, welche eine Folge jener Misere war. Aber sie sagte sich, es werde viel auf sie zukommen. Zunächst nahm sie ihre Sprachstudien wieder auf, die sie im Jubel der ersten Wochen ihrer Liebe vernachlässigt hatte. Aber nach der Hochzeit merkte sie, daß es auf andere Dinge ankommen werde, auf die Führung des Haushalts, auf die Überwachung des kleinen Vermögens und hauptsächlich auf die Karriere ihres Mannes.
Nur keinen Mann haben, der nichts war.
Als der Prozeß ihrer Eltern um die Erbschaft des Onkels endgültig verloren war, fing ihr Vater an zu trinken. Abend für Abend schloß er sich in sein Zimmer ein und soff Rotwein, bis er lallte. Dabei ging er, wie ein Wolf im Käfig, fortwährend von einem Zimmer ins andere und schlug jedesmal, so fest er nur konnte, die Tür hinter sich zu. Elisabeth, die mit ihrer Mutter im ersten Stock schlief, zählte die Schläge. Päng … jetzt war er in den Salon gegangen. Bumm … jetzt hatte er die Salontür zugeschlagen. Päng … jetzt war er wieder in seinem Arbeitszimmer angekommen. So ging das Nacht für Nacht. »Du bist an allem schuld«, sagte er zu seiner Frau, wenn er mittags aufgestanden war, »du mit deiner verfluchten Verschwendungssucht!«
»Du hast den Salat doch nur gegessen, wenn er gut angemacht war«, antwortete Frau von Beaufort.
»Da hast du deine Mitgift …« sagte er zu seiner Tochter und warf ihr ein leeres Portemonnaie an den Kopf.
Elisabeth Chindler stöhnte. Sie erinnerte sich noch genau an die kleine blaue Geldtasche, die sie in Köln gekauft und ihrem Vater zu Weihnachten geschenkt hatte. Diesen Beutel hatte er ihr an die Haare geworfen.
Nein, nein, nur keinen Mann haben, der nichts war!
Als sie mit ihrem Mann Bonn und die verhaßte Universität verließ, atmete sie auf und schwärmte für Windthorst.
Man zog nach Neustadt. Aber was war das für ein langweiliges Nest. Die Stadt hatte 105000 Einwohner, davon 85000 Arbeiter. Der Rest waren Beamte, die sogar in der Mode mit der Regierung gingen, Offiziere, die sich nur ängstlich herbeiließen, mit dem ultramontanen Professor zu verkehren (übrigens Train und Troß, mit dem ein vornehmer Kavallerist wie Elisabeths Vater nie verkehrt haben würde), und reiche, teilweise enorm reiche Fabrikanten, die alle so liberal waren, daß sie nur mit Liberalen umgingen.
Nach einer Weile merkte Elisabeth, daß man vom Regen in die Traufe gekommen war. In Bonn hatte man Chindlers boykottiert; in Neustadt beachtete man sie wenig. Erst als sich ihre finanziellen Verhältnisse besserten und das Ehepaar Diners geben konnte, lockerten sich die Widerstände. Man sprach über sie und begann sie zu besuchen.
Ach ja, die Armut!
Auch Chindler hatte bei einer Spekulation, zu der ihn ein Kölner Bankier verleitet hatte, Geld verloren. Der Rest, der blieb, langte noch zum Leben, aber nur zu einem sehr einfachen Leben, bei dem jede Ausgabe eingeteilt sein wollte und jede unvorhergesehene Rechnung zu Streitigkeiten zwischen den Eheleuten führte, die man zwar voraussehen, aber trotzdem nicht abstellen konnte. Jedesmal, wenn Chindler zu Sitzungen der Fraktion nach Berlin fuhr, brauchte er mehr Geld als vorberechnet war, und Elisabeth jammerte dann, weil alle Berechnungen wieder kaputt waren.
»Du hast keine Ahnung von Geld«, schimpfte Chindler, »weil du …«
Er wollte etwas Kränkendes sagen, beherrschte sich aber und schwieg. Aber Elisabeth fühlte, was er hatte sagen wollen, und spürte in solchen unvollendeten Sätzen Anspielungen auf die Vorkommnisse in ihrem Elternhaus heraus.
»Ich bin ein Weib«, sagte sie zu ihrer Schwägerin, mit der sie sich befreundet hatte, »ich kann keine Karriere machen. Aber Theodor ist gescheit. Er muß es schaffen. Meinst du nicht?«
Friederike Chindler nickte als Antwort mit dem Kopf.
Theodor Chindler war nicht ehrgeizig. Schon nach kurzer Zeit langweilte ihn seine Statistenrolle in der Politik, und er dachte darüber nach, wie er es anstellen könnte, wieder an einer Universität anzukommen.
»Das geht doch nicht«, sagte Elisabeth Chindler, als sie ihn durchschaute. »Du weißt genau, daß man nie wieder an eine Universität kommt, wenn man einmal eine Professur aufgegeben hat.«
Chindler hörte sie an und wußte, daß seine Frau die Wahrheit sagte. Aber er spürte ihre Freude darüber, daß diese Karriere kaputt war, die sie nicht geliebt hatte. Das erbitterte ihn.
»Wenn kein Geld da ist«, sagte er, »und ich wie ein Kuli leben muß, kann ich auch nur ein Kuli sein. Karriere kann man nur mit Geld machen.«
»Hat Krupp Geld gehabt, als er anfing?« fragte Frau Chindler.
»Bin ich Krupp?«
»Du könntest mehr sein, wenn du nur wolltest!«
»Dann bist du noch lange nicht Frau Krupp …«
»Ich habe fünf Kinder geboren und aufgezogen«, antwortete Elisabeth Chindler. »Ich habe meine Pflicht getan. Und ich habe noch mehr getan. Als wir anfingen, ich meine, als dir dieser Schuft in Köln die Mexikaner aufhängte, die dann alle nichts mehr wert waren, hatten wir 150000 Mark und 6000 Rente. Das war wenig. Aber meine eiserne Sparsamkeit brachte es dahin, daß wir heute 200000 und 8000 Rente haben …«
»… und das Haus …?«
Elisabeth Chindler wachte aus ihren Träumen auf und rollte die Serviette zusammen, die auf ihrem Schoß lag.
Wer hatte eben gesagt: »Und das Haus?« Es war mit der Stimme Chindlers gesprochen worden.
Die Tür stand auf und das Zimmer war leer. Die Köchin war längst wieder in der Küche. Als sich die schwere Frau erhob und in die Mitte des Zimmers trat, senkte sich der Boden. Davon gingen die Türen des großen, weißlackierten Kinderzimmerschrankes auf, die nicht sorgfältig verschlossen worden waren, und breiteten ihre Flügel lautlos auseinander.
Elisabeth Chindler erschrak, aber ihre Erinnerungen waren heftiger als alles, was um sie herum geschah. Der Krieg, der sich vor ihr erhob wie ein Berg, der aus einer Ebene aufsteigt, warf sie zum ersten Male seit Jahr und Tag auf sich selber zurück.
Ja, das Haus! Kurz vor der Jahrhundertwende hatte Chindler von einer Verwandten 60000 Mark geerbt und sofort beschlossen, sich ein Haus bauen zu lassen. Er wollte aus der Etage heraus und wünschte sich einen Garten mit Bäumen und Blumen. Elisabeth Chindler kämpfte gegen diese Absicht, und es kam zu bösen Auftritten.
»Wenn man 180000 Mark hat«, sagte sie, »gibt man nicht ein volles Drittel her, um sich ein Haus zu bauen. Das ist Verschwendung, die an den Bettelstab bringt.«
»Wir haben 240000 Mark«, antwortete Chindler, »und du siehst, daß ich nur ein Viertel hergebe.«
»Wenn du 60 ausgibst«, beharrte sie, »bleiben nach meiner Zählung nur 180 …«
Über dieser wirklich etwas närrischen Rechnerei veruneinigten sich die beiden wie kaum je zuvor.
»Ich habe es ein für allemal satt«, donnerte Chindler, als wäre der Tag der Abrechnung gekommen, »ich bin es definitiv leid«, brüllte er, zornbebend im Zimmer auf und ab gehend, »daß du dich noch fernerhin um das Geld kümmerst, das mir und sonst niemanden auf der Welt gehört. Damit wird jetzt Schluß gemacht.«
»Du vergißt, daß wir Kinder haben«, antwortete Frau Chindler, »an die ich denken muß, wenn sonst niemand an sie denkt.«
Nur heraus mit deiner Seele, dachte Chindler, und sagte es auch.
»Kinder … Kinder … von morgens bis abends Kinder. Ich wünsche eine Frau zu haben und nicht mehr mit der Erzieherin meiner Kinder zu leben. Wahrhaftig, die Gelegenheit ist gut, und es ist gut, daß es endlich soweit ist. Du mußt dich jetzt sofort und endgültig entscheiden, Elisabeth. Hundertmal habe ich dich darum gebeten … jetzt verlange ich, daß du mir schwörst, hörst du, feierlich schwörst, von heute an nur noch an mich zu denken, nur noch an mich.«
Niemals, dachte Frau Chindler, werde ich mich davon abbringen lassen, an meine Kinder zu denken. Aber sie sagte es nicht. Um das Gespräch abzulenken, fing sie wieder vom Hausbau an, trotzig bei ihrer Behauptung verharrend, ein solches Unternehmen sei in ihrer Lage unverantwortlich und verschwenderisch.
Chindler ließ sich nicht mehr ablenken. »Ich verlange Antwort«, sagte er.
Elisabeth schwieg. »Unter Schmerzen habe ich meine Kinder geboren«, sagte sie endlich hoffärtig und etwas übertrieben, als Chindler fortfuhr, darüber zu klagen, daß sie seit Jahr und Tag weit weniger sein Weib sei als die Mademoiselle der Kinder und die Schreiberin des Küchenzettels.
Chindler fuhr herum. »Mir wäre es lieber gewesen«, antwortete er, »du hättest sie mit etwas mehr Vergnügen empfangen!«
Dieser Satz saß. Fünfzehn Jahre lang hatte sich Elisabeth Chindler ihrem Mann nicht hingegeben, sondern überlassen, eine Pflicht erfüllend, die sie verachtete. Chindler wußte längst, daß sie über alle Fragen ihres Ehelebens mit ihrem Beichtvater sprach, einem dicken, bäurischen Pfarrer, dessen Unbildung ihm zuwider war. Diesmal stellte er sie zur Rede.
»Du mischst die Kirche in Dinge, die sie nichts angehen«, sagte er, »und...




