E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Crowns of Nyaxia
Broadbent Six Scorched Roses (Crowns of Nyaxia)
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-646-94041-1
Verlag: Carlsen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Novella | Düstere Romantasy über eine verbotene Liebe zwischen Mensch und Vampir
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Crowns of Nyaxia
ISBN: 978-3-646-94041-1
Verlag: Carlsen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Carissa Broadbent schreibt düstere Geschichten, seit sie etwa neun Jahre alt ist. Heute verfasst sie ganze Fantasy-Romane mit einer gehörigen Portion knallharter Frauen und einer großen Prise Romantik. Sie lebt mit Mann und Sohn, einem gut erzogenen Kaninchen und einer sehr misstrauischen Katze in Rhode Island.
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KAPITEL DREI
Hier ist nichts, wovor ich Angst haben müsste, versuchte ich mir zu sagen. Trotzdem standen mir die Haare zu Berge.
Ich drehte mich um.
Und obwohl ich damit gerechnet hatte, zuckte ich zusammen, als er im Dunkeln oben auf der Treppe stand.
Meine Augen brauchten einen Moment, um auch jenseits des Mondlichts etwas zu erkennen. Er stand auf dem oberen Treppenabsatz und sah mit dem unbestimmten Interesse eines Falken auf mich herab. Er hatte langes, dunkelbraunes Haar, etwas gewellt, und einen gepflegten Bart. Gekleidet war er in ein weißes Hemd und eine schwarze Hose, unspektakulär, wenn nicht sogar ein wenig altmodisch. Er war groß, aber nicht riesig. Und irgendwelche Hörner oder Flügel konnte ich beim besten Willen nicht entdecken.
Ich war fast ein wenig enttäuscht, weil er … so normal aussah.
Lediglich seine Art, sich zu bewegen, verriet, dass er kein menschliches Wesen war – besser gesagt, seine Art, sich nicht zu bewegen. Reglos wie aus Stein. Kein Zucken eines Muskels, kein Heben und Senken der Schultern, nicht die Spur eines Blinzelns, als er mich musterte. So etwas fällt einem erst auf, wenn es nicht vorhanden ist, und sofort schrie alles in mir: Du hast einen Fehler gemacht!
Er kam die Treppe herunter. Im Mondlicht schimmerten bernsteinfarbene Augen und, als sich langsam ein Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete, zwei spitze Eckzähne.
Sogleich schwand meine Furcht und wich schlichter Neugier.
Spitze Eckzähne. Richtig spitze Eckzähne, wie in den Geschichten. Ich fragte mich, wie das funktionierte. Enthielt sein Speichel eine Art Gerinnungshemmer oder …?
»Würdest du mir verraten, was du in meinem Haus willst?«
Er hatte einen Akzent, sprach die T und D hart aus und zog die A und O melodisch in die Länge.
Interessant. Ich hatte noch nie einen obitraeischen Akzent gehört. Wie auch? Die meisten Leute in den Menschennationen waren noch nie einem Vampir begegnet. Immerhin verließen Vampire nur selten ihre Heimat, und taten sie es doch, war man gut beraten, wenn man ihnen aus dem Weg ging.
»Ich will zu Euch«, sagte ich.
»Und deshalb kommst du einfach ungebeten herein?«
»Es wäre leichter gewesen, wenn Ihr die Tür geöffnet hättet.«
Er blieb am Fuß der Treppe stehen. Wieder in der Reglosigkeit eines Vampirs, bis auf einen trägen Wimpernschlag. »Weißt du überhaupt, wo du hier bist?«
Was für eine dämliche Frage.
Er mochte ja gewohnt sein, dass man vor ihm zurückwich. Ich jedenfalls tat es nicht. Warum auch? Ich war dem Tod schon dreimal begegnet. Und dieses vierte Mal verlief bislang eher enttäuschend.
»Ich habe Euch ein Geschenk mitgebracht«, erklärte ich.
Seine Brauen zogen sich kaum merklich zusammen. »Ein Geschenk?«, wiederholte er.
»Ein Geschenk.«
Er neigte den Kopf ein wenig, mit einem leichten Grinsen auf den Lippen. »Bist du das Geschenk?«
»Nein«, antwortete ich.
»Diesmal nicht«, korrigierte er, worauf ich keine Antwort parat hatte.
»Das Geschenk ist etwas Besonderes. Etwas Einzigartiges. Wie ich gesehen habe, wisst Ihr Einzigartiges zu schätzen.« Ich machte eine ausladende Geste auf die mit unzähligen Kunstwerken behangenen Wände. »Im Tausch dagegen will ich Euch um einen Gefallen bitten.«
»Dann ist es kein Geschenk«, stellte er klar. »Dann ist es Bezahlung. Und ich biete keine käuflichen Dienste an.«
»Unbedeutende Details«, sagte ich. »Hört Euch mein Angebot erst einmal an. Mehr verlange ich gar nicht.«
Stirnrunzelnd musterte er mich. Schweigend. Ich fragte mich, ob jemand, der besser Mimik lesen konnte als ich, seinen Gesichtsausdruck hätte deuten können. Ich jedenfalls konnte es nicht.
Als sich das Schweigen in die Länge zog, wurde mir unbehaglich und ich räusperte mich.
»Können wir uns irgendwo setzen?«, fragte ich.
»Setzen?«
»Ja, hinsetzen. Hier gibt es doch sicher eine Menge Sitzgelegenheiten. Tag und Nacht allein in diesem großen Haus tut man vermutlich nichts anderes, als herumzusitzen.«
»Mache ich den Eindruck, als täte ich nichts anderes, als herumzusitzen?«
Er kam einen Schritt näher, und unwillkürlich sah ich ihn mir genauer an.
Nein, er schien mir nicht wie jemand, der nur herumsaß, sondern eher wie jemand, der sich viel bewegte. Manchmal wahrscheinlich sogar schwere Sachen hob.
Ich stieß einen gequälten Seufzer aus. »Wie Ihr wollt. Wir können auch hier im Stehen weiterreden.«
Er schien zu überlegen, dann sagte er: »Komm mit.«
ER FÜHRTE MICH in ein Wohnzimmer, das noch voller war als die Eingangshalle. Immerhin war es beleuchtet, wenn auch nur spärlich von Laternen, in denen merkwürdige blaue Flammen züngelten. Gemälde, Schilde, Schwerter und Schriftrollen hingen an den Wänden. Überbordende Bücherregale waren in jede Ecke geschoben worden – sogar vor die Fenster – und die Mitte des Raums war vollgestellt mit nicht zusammenpassendem feinem Mobiliar. Statuen ragten neben uns auf, als wir das Zimmer betraten – auf der einen Seite blickte eine grüne Jadekatze auf uns herab, von der anderen starrte uns eine vollkommen nackte Frau aus schwarzem Marmor mit misstrauischem Blick grimmig an. Die Vorhänge waren aus himmelblauer Seide, und Streifen aus demselben Stoff waren an der gegenüberliegenden Wand um ein Ensemble aus Gemälden herumdrapiert.
Es war das reinste Durcheinander und gleichzeitig der atemberaubendste, schönste Ort, den ich je gesehen hatte.
Innerhalb weniger Sekunden entdeckte ich Kunstwerke aus vier verschiedenen Ländern in weit entfernten Regionen der Welt. Was sich in diesem Raum an geballtem Wissen angesammelt hatte – es schien mir unvorstellbar.
Ich musste wohl die Augen ein wenig aufgerissen haben, denn er gab ein Geräusch von sich, das fast einem leisen Lachen glich.
»Gibt es an meiner Einrichtung etwas auszusetzen?«
Etwas auszusetzen?
Etwas so Beeindruckendes habe ich noch nie gesehen, hätte ich ihm beinahe gesagt. Doch noch war nicht der richtige Zeitpunkt für solche Schmeicheleien.
»Welchem Haus gehört Ihr an?«, fragte ich stattdessen.
Ein weiterer Wimpernschlag. »Wie bitte?«
Offenbar dachte er, er hätte sich verhört.
»Welchem Herrscherhaus? In Obitraes.« Ich zeigte auf die Wand. »All das scheint viel zu farbenfroh, als dass es aus dem Haus des Schattens stammen könnte. Und für das Haus des Blutes seht Ihr viel zu gesund aus. Also kommt Ihr aus dem Haus der Nacht?«
Wieder senkten sich seine Augenbrauen, diesmal so tief, dass seine bernsteinfarbenen Augen wie zwei dunkel eingefasste Juwelen aussahen.
Die Frage, ob er irritiert war, erübrigte sich. Gut so, sollte er doch. Vielleicht überraschte es ihn, dass sich ein Mensch für die drei Königshäuser in Obitraes interessierte und damit auskannte. Aber ich hatte es mir nun einmal zum Ziel gesetzt, mir Wissen anzueignen. Es war das Einzige, was ich gut konnte, und wenn man nicht viel Zeit auf dieser Welt hat, will man zumindest so viel wie möglich über sie in Erfahrung bringen.
Nach einer Weile fragte er mich: »Hast du gar keine Angst, dass ich dich verschlinge?«
Ein bisschen, flüsterte eine Stimme in meinem Hinterkopf.
»Nein«, antwortete ich. »Wenn Ihr das vorhättet, hättet Ihr es längst getan.«
»Vielleicht will ich ja vorher noch etwas ganz anderes«, sagte er provokativ, womit er vermutlich schon des Öfteren eine deutlichere Reaktion erzielt hatte.
Ich seufzte nur erschöpft. »Können wir uns jetzt setzen und reden?«, fragte ich. »Wir haben nicht viel Zeit.«
Er schien etwas enttäuscht, aber dann zeigte er auf die Sitzgelegenheiten. Ich setzte mich kerzengerade auf einen verstaubten, mit rotem Samt bezogenen Stuhl, und er nahm in lässiger Haltung auf einem ledernen Sofa mir gegenüber Platz.
»Sagt Euch Adcova etwas?«, fragte ich.
»Sagt mir genug.«
»Die Stadt wird von einer Krankheit heimgesucht.«
Seine Mundwinkel verzogen sich. »Ich habe schon gehört, dass einer eurer flatterhaften Götter ein wenig Anstoß an diesem Ort genommen hat. Pech.«
Als ob Nyaxia, die im Exil befindliche Göttin, umgänglicher wäre als unsere Gottheiten! Ja, die Gottheiten des Weißen Pantheons waren mitunter gnadenlos und unberechenbar, aber Nyaxia – die abtrünnige Göttin, die sich vor zweitausend Jahren vom Pantheon losgesagt und die Vampire geschaffen hatte – stand ihnen an Unbarmherzigkeit in nichts nach.
»Die Krankheit breitet sich immer weiter aus«, erklärte ich. »Sie greift auf die umliegenden Regionen über. Wir haben Tausende von Toten zu verzeichnen, mit steigender Tendenz.«
Vor meinem geistigen Auge sah ich all den Staub – diesen widerwärtigen Staub, der aus den Krankenhäusern, von den Straßen und aus den Betten gekehrt wurde. Fünf-, sechsmal am Tag wurde er von den Böden der Kirchen gekehrt, wenn die Bestattungen sich aneinanderreihten.
Ich sah den Staub vor mir, den ich auf dem Boden von Minas Schlafzimmer zusammenkehrte, eine dickere Schicht mit jedem Tag. Den Staub, von dem wir beide vorgaben, wir sähen ihn nicht.
Ich räusperte mich. »Sämtliche führende Wissenschaftler und Ärzte in Adcova und Baszia arbeiten an einem Heilmittel.«
Priester, Magiekundige und Hexenmeister natürlich ebenso. Doch ich glaubte längst nicht...