E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Brodowski BNE in der Kita
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-451-81624-6
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bildung für Nachhaltige Entwicklung in Theorie und Praxis
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-451-81624-6
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Michael Brodowski ist Professor für Leitung und Management frühkindlicher Bildungseinrichtungen an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. Dort ist er für den Masterstudiengang Netzwerkmanagement Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung (BNE) verantwortlich. Von 2005 - 2010 war er Leiter der Koordinationsstelle zur Umsetzung der UN Weltdekade 'Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung' für das Bundesland Thüringen.
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Michael Brodowski
Was Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung (BNE) ist und was sie für Kitas sein kann – eine Einführung
Auf den Grundlagen der Agenda 21 – global denken, lokal handeln – fußt der Gedanke, wie man nachhaltige Entwicklung weltweit und flächendeckend umsetzen kann. Wie ändert man also ggf. eine gewachsene Handlungsperspektive, die eben nicht nachhaltig ist? Wie schafft man nachhaltige Alternativen, die es lohnt, auszuprobieren? Wie kann es gelingen, all die bereits vorhandenen Ansätze zu einem mentalen Modell einer nachhaltigeren Welt zu bündeln? Wie kann Ökologie, Ökonomie, Soziales, Politik und Kultur so zusammenwirken, dass für alle auf dieser Erde eine nachhaltige Gegenwart und Zukunft möglich ist?
Der Weg, diese wesentlichen, existentiellen Fragen auch nur ansatzweise zu beantworten, ist Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung. Dahinter steht die Einsicht, dass Lernen über Erfahrungen zu Veränderungen führen kann, die so tiefgreifend sind, dass ein Umdenken und damit eine Entwicklung hin zur Nachhaltigkeit möglich werden. Dabei ist „Nachhaltige Entwicklung […] eine Entwicklung, die die Lebensqualität der gegenwärtigen Generation sichert und gleichzeitig zukünftigen Generationen die Wahlmöglichkeit zur Gestaltung ihres Lebens erhält“, wie es die Brundtlandkommission 1987 formulierte. Nachhaltige Entwicklung hat vier Dimensionen: Ökonomische und ökologische, soziale und kulturelle Aspekte müssen dabei zusammenfließen.
Im Sinne dieses Leitbilds ist es eine gesellschaftliche Aufgabe, die natürlichen Lebensgrundlagen für jetzige und folgende Generationen in der einen Welt zu bewahren und einen Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit und kultureller Vielfalt zu leisten.
Dabei ist die Begrifflichkeit der Nachhaltigkeit kein neues Phänomen. Eine ähnliche Erkenntnis erlangten Forstarbeiter und Forstwissenschaftler bereits im 18. Jahrhundert, als Wälder für wachsende Ansiedlungen und zunehmende Metallverarbeitung abgeholzt wurden. In der Forstwirtschaft hatte man schon die Erkenntnis, dass sich der Wald nur dann dauerhaft nutzen lässt, wenn der Holzeinschlag und die Aufforstung in einem ausgewogenen Verhältnis stehen und der Wald wieder nachwachsen kann, so dass auch spätere Generationen, also unsere Kinder und Enkel, noch genügend Holz ernten können. Auch Alexander von Humboldt erkannte die Zusammenhänge der Natur im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung, auch wenn er nicht den Begriff selbst prägte. Bei seinen Forschungen in Südamerika stellte er immer wieder fest, wie die einzelnen Elemente etwa des Regenwaldes miteinander verbunden sind und wie empfindlich das Ökosystem auf Veränderungen reagiert: Veränderungen durch den Menschen zogen dabei, damals noch unbeachtete, Folgen nach sich, die Humboldt aus einer eher ganzheitlichen Perspektive beobachtete und dokumentierte.
Die nachhaltige Entwicklung und Zukunftsfähigkeit zielt darauf ab, dass die Menschheit nur so viel verbrauchen darf, wie im gleichen Zeitraum nachwächst oder auf andere Weise wiederhergestellt wird. Die Forstwirtschaft hat daraus gelernt und ihr Prinzip grundlegend geändert. Doch wie sieht es auf unserem Planeten aus? Hier scheint dieses Gleichgewicht immer spürbarer aus den Fugen zu geraten.
Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) basiert auf der Erkenntnis, dass unsere derzeitige Art, zu leben und zu wirtschaften, nicht fortgesetzt werden kann, ohne dass ökologische Risiken sowie ökonomische und soziale Ungerechtigkeiten weltweit zunehmen. „Der bereits spürbar stattfindende Klimawandel macht heute schon klar: Wir müssen uns deutlich und schnell umorientieren. Das gelingt nur, wenn viele Menschen gemeinsam im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung handeln. BNE möchte die Menschen dazu befähigen. Sie motiviert, Zukunftschancen zu erkennen und gemeinsam mit anderen aktiv und verantwortungsvoll zu nutzen. Zukunftsorientiertes Lernen und Handeln ist dabei an keine Altersstufe gebunden und richtet sich an alle Bildungsbereiche, schulische und außerschulische Lern- und Erfahrungsfelder – auch die der Früh- und Kindheitspädagogik.“1
BNE ist damit ein ganzheitliches Lernkonzept, das nicht nur die Dimensionen der Nachhaltigkeit ausgewogen betrachtet und berücksichtigt, sondern sich auch bereits in der Art des „wie Lernens“ zeigt. Neben Lernwerkstätten und Exkursionen, Experimenten und kooperativem Lösen von Problemen ist es immer eine Art des Lernens, die es ermöglicht, umfangreiche eigene, direkte Erfahrungen auch mit anderen gemeinsam zu machen. Die Präsentation dieser Erfahrungen kann dabei durch Impulse von außen unterstützt werden, muss aber im Wesentlichen selbst intendiert sein, wenn sie zu Veränderungen subjektiver Theorien über Nachhaltigkeit führen soll. Das betrifft, wie gesagt, alle Altersstufen, so dass BNE auch ein intergenerationaler Lernprozess ist. Dies gilt ebenfalls und im Besonderen für Bildungsinstitutionen wie Kita, Schule, Hochschule oder Berufsschule. Wir alle sind in diesem Fokus Lehrende und Lernende zugleich, da es keinen klaren Weg gibt, den es zu beschreiten gilt. BNE ist so komplex wie die nachhaltige Entwicklung selbst und damit in hohem Maße voraussetzungsvoll. Dies deshalb, weil man sich ggf. daran gewöhnen muss, etwas auszuprobieren, gemeinsam mit anderen Toleranz gegenüber Fehlern zu üben, aus denen man schließlich auch sehr viel lernen kann, oder sich schlicht im Sinne der Gemeinschaft einzusetzen, ohne genau zu wissen, ob das gemeinsame Projekt am Ende auch gelingen kann.
BNE ist gerade deshalb auch ein wunderbares Konzept für Kindertagesstätten (Kitas), gibt es doch viele Ansätze, die bereits in vielen Kitas etabliert sind, auf denen man aufbauen kann. Genannt seien bspw. neben Klassikern wie Montessori-, Waldorf- und Kneipp-Pädagogik der Situationsorientierte Ansatz, die offene Arbeit oder der Early-Excellence-Ansatz. Aber neben diesen Konzepten gibt es eine Vielzahl kleiner, täglicher Bildungssettings, die sehr viel mit den Grundgedanken einer BNE zu tun haben. Wenn man diese gemeinsam mit Kindern, Eltern und Kolleg*innen entdeckt, kann es gelingen, BNE mit viel Freude und Ideenreichtum auch zu einem Schwerpunkt für die eigene Kita auszubauen oder sogar als Profil zu etablieren.
Bei all den Herausforderungen und Aufgaben, vor denen Kitas heute stehen und auch zukünftig stehen werden – dabei ist permanenter Fachkräftemangel nur eines der vielen strukturellen Probleme –, ist dies sicher keine leichte Aufgabe, denn BNE ist sehr komplex. Wie soll man alle Dimensionen einer BNE in der täglichen Arbeit verbinden? Was, wenn wir bspw. auf die Beschaffung für unsere Kitas gar keinen Einfluss haben? Wie nehmen wir die Eltern mit auf diese Reise zu mehr Nachhaltigkeit? Und ist schließlich BNE nicht noch ein Ansatz oben drauf, wo wir uns doch gerade an die offene Arbeit gewöhnt haben?
Aber bei aller anfänglichen Skepsis trifft man immer mehr Kolleg*innen, die erste Schritte gegangen sind und begeistert waren. Meist haben sie mit kleinen Schritten begonnen, Schritten, die schnell zu einem sichtbaren Erfolg führten, die die Teams nicht überlastet haben und an eben jenen Ansätzen andocken konnten, die bereits etabliert waren. Ergebnis sind oft positive Erlebnisse gemeinsam mit Eltern, Kindern und Kolleg*innen, die dazu motivieren, noch einen Schritt zu gehen. Es sei aber auch deutlich gesagt, dass hierbei die Träger in der Pflicht sind, alles dafür zu tun, dass die Rahmenbedingungen in ihren Kitas stimmen, damit kooperatives Lernen dort gelingen kann. Dahinter sollte auch die Einsicht stehen, dass die Träger selbst ja nur so gut sein können wie ihre Kitas und umgekehrt auch die Kitas nur so gut sein können, wie der Träger es zulässt. Es ist und bleibt eine Wechselbeziehung besondere Art, die wir Autor*innen u. a. mit diesem Band unterstützen wollen. Er ist eben nicht nur für Erzieher*innen, Kindheitspädagog*innen oder Leitungen gedacht, sondern ebenso für Träger und interessierte Eltern. Es soll eine erste Sammlung wichtiger Einsichten und Erkenntnisse sowie praktischer Beispiele über das weite und komplexe Feld der BNE sein, das neben der Unterstützung der Akteur*innen des frühkindlichen Bereichs gleichzeitig die Reihe zur Nachhaltigen Entwicklung im Herder-Verlag rahmt, in der schon einige spannende Praxisbücher erschienen sind.
So steht in diesem Band auch gleich am Anfang die Frage, was eigentlich eine Bildung für Nachhaltige Entwicklung ist? Hierzu führt Michael Brodowski wesentliche Fakten des Weltaktionsprogramms BNE im Nachgang der UN-Weltdekade BNE zusammen und stellt die Ergebnisse der Expert*innengruppe Frühpädagogik, die unter Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung am Aktionsplan mitgearbeitet hat, vor. Hier werden sowohl Ziele als auch Maßnahmen entlang einer BNE aufgezeigt, die in den nächsten Jahren in Bildungsinstitutionen wie Kitas umgesetzt werden sollen. Pia Paust-Lassen stellt in einem Artikel die regionalen Netzwerke auf Länderebene vor, die sich mit der Umsetzung und / oder Koordination einer BNE in den einzelnen Bundesländern beschäftigen. Gedacht ist dieser erste Abschnitt als Einstieg, um den Leser*innen einen Überblick über die bereits vorhandenen und etablierten Strukturen einer...