Brömme | Frostherz | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Arena Thriller

Brömme Frostherz

Die Arena Thriller:
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-401-80209-1
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Arena Thriller:

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Arena Thriller

ISBN: 978-3-401-80209-1
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Anne ist nicht wie andere Mädchen. Sie lebt zurückgezogen, ihr Vater überwacht jeden ihrer Schritte. Doch dann lernt sie Cornelius kennen, und mit ihm gemeinsam wagt sie es endlich, sich aufzulehnen. Was sie nicht ahnt: Den Vater quält ein schreckliches Familiengeheimnis, und es gibt jemanden, der auch vor Mord nicht zurückschreckt, um dieses Geheimnis für immer zu wahren.
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1. Kapitel

Als sie aus dem Bus stieg, sah sie schon von Weitem den dunkelblauen Mercedes am Straßenrand stehen. Unwillkürlich beschleunigte sie ihren Schritt, blickte dabei auf die Uhr. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Sie versuchte sich zu erinnern, genau zu erinnern, aber alles war wie immer gewesen. Sie hatte ihm eine SMS geschrieben, als der Bus losgefahren war. Wie jeden Tag.

Sie öffnete rasch die Tür des einstöckigen Eckreihenhauses mit dem Flachdach. Alles war still.

»Johann?«, rief sie. »Papa?« Keine Antwort. Sie warf ihren Schlüssel in das kleine Teakholzschälchen auf dem Schuhschrank, hängte ihre Jacke auf und ging in die Küche. Niemand dort. Wie jeden Tag. Den Blick an die Decke hätte sie sich sparen können. Natürlich leuchtete das kleine rote Licht. Sie rief noch einmal.

»Jemand da?«

Dann sah sie durch die offene Wohnzimmertür seine dunkelbraune Nubuklederjacke auf dem Fußboden vor dem Essplatz liegen.

»Papa?« Ihre Stimme zitterte nun leicht.

Ihr Vater saß auf dem Sofa. Dem alten hellgrauen Sofa mit den dicken Kissen darauf. Auf dem Sofa, auf dem ihre Mutter die letzten Wochen gelegen hatte, bevor sie ins Krankenhaus gekommen war. Vorgestern waren es acht Jahre gewesen. Er saß ganz auf der Kante. Stierte vor sich auf den Beistelltisch, der mit Zeitungen übersät war. Der rechte Arm hing schlaff hinunter, in der linken Hand hielt er das Handy fest umklammert. Anne kniete sich vor ihn auf den Boden.

»Was ist los?«, fragte sie und legte eine Hand auf sein Knie. Ganz langsam bewegten sich seine Augen in ihre Richtung. Er sah sie an, schwieg aber noch immer.

»Papa«, rief sie nun eindringlich und da ging ein Ruck durch seinen Körper. »Was ist los?«

Er legte das Telefon in einer schnellen Bewegung auf den Tisch, als müsse er etwas Ekliges, Schleimiges loswerden. Dann musterte er sie.

»Deine Großmutter«, sagte er endlich. »Deine Großmutter ist tot.«

Anne ließ sich auf ihre Füße zurückfallen. Sie griff nach Johanns Hand.

»Wie? Wieso?« Ein kehliges Flüstern.

Er legte seine Hand auf ihren Kopf und streichelte über ihre dunkelblonden Haare, wieder und immer wieder. Er zuckte hilflos mit den Schultern, seine Augen füllten sich mit Tränen.

»Mich hat vorhin diese Caritas-Frau angerufen, die morgens immer zu ihr kommt«, sagte er sehr langsam.

»Frau Reisinger?«

»So heißt sie wohl. Sie hat sie gefunden. Sie lag im Esszimmer auf dem Boden. Ihr Herz hat einfach nicht mehr geschlagen.«

Er senkte den Kopf. Anne sah, wie die Tränen dunkle Flecken auf seiner hellen Leinenhose hinterließen. Sie presste seine Hand, setzte sich endlich neben ihn.

»Und jetzt?«, war das Erste, was ihr einfiel. Sie fühlte sich starr, kalt. Wie ein eben ausgeschalteter Kühlschrank. Johann hob die Schultern.

»Ich bin vom Büro aus hin. Da war der Arzt schon da. Herzversagen. Sie haben sie dann…«

Seine Stimme riss ab.

»Papa, sie war seit vielen Jahren herzkrank«, versuchte Anne ihn zu trösten. »Sie war immerhin schon 74.«

»Das ist doch kein Alter. Heutzutage.«

Anne wusste nicht, was sie antworten sollte.

»Wieder einer. Wieder einer, der mich verlässt. Ich habe ihr nicht helfen können.« Jetzt schluchzte er. Sie ließ seine Hand los und stand auf.

»Auch ein Wasser?«, hörte sie sich. Die eigentliche Frage hätte lauten müssen: »Warum bist du so traurig?« Doch diese Frage wagte sie nicht zu stellen. Warum war ihr Vater so fassungslos – über den Tod einer Frau, mit der er seit Jahren nicht mehr als das Allernotwendigste gesprochen hatte? Die er gemieden hatte wie der Teufel das Weihwasser? Für die er immer nur harte Worte gefunden hatte?

Eiskalt lief ihr das Wasser die Kehle hinunter. Sie fragte sich, wo ihre Tränen blieben, wieso sie selbst nicht traurig war.

Das erste Bild, das ihr in den Kopf kam, war das so typische Gesicht ihrer Großmutter Annemarie (von deren Namen sie den ersten Teil geerbt hatte). Die Lippen schmal und fest aufeinandergepresst, die weiß-grau melierten Haare streng aus dem Gesicht gekämmt und zu einem Dutt aufgesteckt, die blauen Augen kalt und von den Lidern beschwert – als müsse sie immer dagegen ankämpfen, die Augen ganz zu schließen. Ihre Körperhaltung war meist abweisend, oft saß sie in ihrem senfgelben Sessel mit dem kratzigen Bezug, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte vor sich auf den Perserteppich. Gelegentlich hatte sie unsichtbare Falten aus ihrem meist hellblauen Rock gestrichen. Anne war es immer so vorgekommen, als wäre sie stundenlang so gesessen, während ihre Enkelin, als sie noch kleiner war, leise neben ihr auf dem Teppich mit Playmobil-Männchen oder Schlümpfen gespielt hatte. Oder alleine ein Spiel gespielt, das für mindestens zweier Spieler vorgesehen war.

Ihre Großmutter hatte eine Autorität ausgestrahlt, für die sie niemals die Stimme hatte erheben müssen. Sie war schlank, fast mager gewesen. Immer sehr korrekt gekleidet. Ihre Sprache war knapp und präzise, kein Wort zu viel, das vor allem. Sie hatte ihre Enkelin wohlwollend, aber mit Strenge behandelt. Natürlich gab es zu Weihnachten, Ostern und Geburtstag Geschenke und für ein sehr gutes Zeugnis ein wenig Geld. Aber das waren auch schon die einzigen Zuwendungen. Wenn Anne für ein paar Tage bei ihr bleiben musste, wusste sie von vornherein, worin ihre Aufgabe bestand: nicht aufzufallen und keinen Ärger zu machen. Sie hatte sich immer alle Mühe gegeben und es war ihr auch meist gelungen. Anne hatte manchmal gedacht, sie müsste in dem großen Haus mit seinem herrschaftlichen Empfangszimmer, dem riesigen Wohnzimmer, der fast ebenso großen, altmodischen Küche und ihrem Schlafzimmer, in dem ein erdrückend massiver Schrank neben einem wuchtigen Bett stand, ersticken. Wenn sie am Wochenende dort war, musste sie nach dem Essen auf der Wohnzimmercouch immer einen Mittagsschlaf halten, so wie ihre Großmutter es in ihrem Schlafzimmer tat. Eine Stunde lang konzentrierte sie sich auf das Ticken der großen Standuhr, das vom Esszimmer bis zu ihr hinüber als einziges Geräusch in der Stille zu hören war. Sie schlief nie ein. Die Stunde zog sich wie eingetrockneter Kleber. Glücklicherweise gab es für die Nachmittage den Garten mit den Kirsch- und Apfelbäumen, der mehr lang als breit war und in dessen hinterem Teil sie sich zwischen Holunderbüschen und Flieder ihre eigene Fantasiewelt aufbaute. Sie malte Grundrisse in den sandigen Boden, teilte die Zimmer mit Stöcken und Hölzern ab, dekorierte sie mit abgefallenen Blütenköpfen und flocht, leise summend, skurriles Mobiliar aus Grashalmen und vertrockneten Blättern. Es war das einzige Versteck, das sie je gehabt hatte. Nie kam die Großmutter, um nach ihr zu suchen. Und das war auch das einzige Großmutter-Enkelinnen-Geheimnis. Denn natürlich wäre Johann entsetzt gewesen, hätte er mitbekommen, dass die Großmutter Anne für Stunden sich selbst überließ. Anne ging erst zurück ins Haus, wenn es Zeit fürs Abendessen war oder es zu regnen anfing. Nie wurde mehr gesprochen als nötig. Sie konnte sich nicht erinnern, dass ihre Großmutter sie jemals in den Arm genommen hätte. Doch, einmal: als sie ihr gesagt hatten, dass ihre Mutter gestorben war.

Anne wusste nicht, warum sie um diese harte Frau hätte trauern sollen. Und warum es ihr Vater nun so vehement tat, verstand sie auch nicht.

Als sie zu ihm ins Wohnzimmer zurückkehrte, saß er noch genauso unbeweglich da wie zuvor.

»Papa«, sagte sie sanft. »Hast du schon ein Beerdigungsinstitut angerufen?«

»Das hat die Frau von der Caritas gemacht, da kommt nachher einer, er hat vorhin angerufen.«

Anne setzte sich wieder neben ihn aufs Sofa, nahm seine Hand. Dann schwiegen sie beide so lange, bis es an der Tür klingelte.

Die nächsten Tage bis zur Beerdigung blieb die Kanzlei geschlossen. Ihr Vater saß die meiste Zeit auf dem Sofa und starrte vor sich hin. Nicht einmal an ihre Tabletten erinnerte er sie. Sie war sich nicht sicher, ob er die SMS las, die sie ihm wie üblich schickte, wenn sie in der Schule angekommen war beziehungsweise wenn sie den Heimweg antrat. Sie hatte keine Zeit, großartig darüber nachzudenken, denn nach der Schule hatte sie neben den Hausaufgaben und dem Lernen viel zu tun. Sie hatte sich notiert, was der Bestattungsunternehmer an anfallenden Aufgaben diktiert hatte, und die Liste nach und nach abgearbeitet.

Die Trauerfeier war zu organisieren, ein Sarg auszusuchen, eine Anzeige aufzugeben. Welches Kleid sollte die Großmutter im Sarg tragen, welcher Blumenschmuck wurde gewünscht, welche Musik sollte gespielt werden? Sie war stolz, all diese Aufgaben zu meistern. Glücklicherweise waren die allermeisten Dinge telefonisch zu erledigen. Ihr Vater war so sehr in seine Trauer versunken, dass ihm alles egal war.

Beinahe hätte er sie sogar alleine zum Haus der Großmutter fahren lassen. Sie wertete es als gutes Zeichen, dass er sich in letzter Sekunde doch noch umentschied. Schweigend lenkte Johann seinen Wagen in die etwa zehn Minuten entfernte Gartenstraße. Wie ein Mahnmal ragte die äußerlich herrschaftliche Villa hinter den sandsteinfarbenen Mauern empor. Der dunkellila Flieder rankte bis auf den Gehweg und sein Duft drang durch das geöffnete Autofenster. Anne atmete tief ein.

»Gehen wir?«, fragte sie, nachdem ihr Vater den Motor abgestellt hatte.

»Geh du, bitte«, sagte er. »Ich kann das nicht.« Verwundert nahm sie den Hausschlüssel und stieg aus.

Es gruselte sie ein wenig, das Haus alleine zu betreten, um im...


Bettina Brömme wurde 1965 (rund und gesund) in Karlsruhe geboren, lebt mit ihrer Familie (glücklich) in München-Bullerbü. Nach (mäßigem) Abitur und (blaublutlastigem) Zeitschriftenvolontariat beim Burda-Verlag in Offenburg absolvierte sie (gemütlich) ein Diplomstudium der Germanistik, Journalistik und Kunstgeschichte in Bamberg. Dann (anstrengende) Ausflüge in die Filmproduktionswelt, (langjährige) zum Fernsehen und seit 1998 ist sie  (gelegentlich pausierende) Schriftstellerin und (wiederkehrende) Autorin für TV, Hörfunk und Print, die sich die Adjektive nicht so recht abgewöhnen kann.Foto © Anna Iding



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