E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Arena Thriller
Brömme Todesflirt
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-401-80175-9
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Arena Thriller:
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Arena Thriller
ISBN: 978-3-401-80175-9
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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1. Kapitel
Die kleine Berivan hatte er sich auf die Schultern gesetzt, Teiki um den Bauch herum gefasst und unter seinen rechten Arm geklemmt. An der linken Hand zog er Hannah, die schon Vorschulkind war, hinter sich her. Ich trug Moritz auf dem Rücken, den Rucksack vor dem Bauch, und versuchte, so gut wie möglich mit David Schritt zu halten.
Die Kräuter, Gräser und Blumen um uns herum wogten, dicke Tropfen fielen auf uns herab und die Kinder jauchzten – nach der schwülen Hitze war diese Erfrischung mehr als willkommen. Hannah streckte die Zunge heraus und wollte die Tropfen auffangen, aber David zog unbarmherzig an ihrem Arm. Mit dem Kinn wies er zu den anthrazitfarbenen Wolken hin, die sich zu Gebirgen auftürmten.
»Lauf, lauf, lauf«, feuerte er sie an und ich fürchtete schon, sie würde – wie es ihre Art war – trotzig mit verschränkten Armen stehen bleiben und ausrufen: »Ich geh gar nicht mehr. Keinen einzigen Schritt!« Aber da gab es einen solchen Donnerschlag, dass Moritz auf meinem Rücken laut aufschrie und Hannah froh war, weiterlaufen zu dürfen. Jetzt weinte auch Berivan und kuschelte sich an Davids blonde lockige Haare. Eng fasste sie ihn um den Hals. Sie würde es als Erste erwischen, würde uns der Blitz treffen. Und er wäre der Zweite. Mit einem Mal war mir eiskalt. David lief, so gebückt es ging.
Bis zum Waldrand waren es vielleicht noch hundert Meter, die Hütte bereits zu erkennen. Die gelben und roten Westen der anderen Kinder leuchteten uns entgegen. David warf mir einen zuversichtlichen Blick zu. Gleich hätten wir es geschafft. Der Regen rann durch mein dünnes Top bis in die Hose hinein – gut, dass sie so kurz war, da kam unten gleich alles wieder heraus.
Es war das erste Mal, dass ich sah, wie der Blitz einschlug. Ich verstand mit einem Mal die Bedeutung des Wortes »blitzschnell«. Ein unvorstellbares Krachen, ein Aufleuchten und eine heftige Erschütterung – dann stand der mannshohe Busch keine 30 Meter von uns entfernt in Flammen. Die Kinder weinten jetzt alle. Ich keuchte und dachte, ich würde gleich umfallen. Die Turnschuhe quietschten bei jedem Schritt und scheuerten am großen Zeh. Ich war wirklich sportlich – in der Schule war ich immer die Schnellste meines Jahrgangs gewesen, aber das hier …
Endlich kam uns wenigstens die Schneider entgegen, nahm David Teiki ab und Hannah. Jessica folgte und nahm mir Moritz vom Rücken. David hob Berivan von seinen Schultern, gab ihr einen kleinen Klaps und sagte: »Komm, kleine Kröte, hüpf ganz flink!« Und das tat sie, bis sie die Hütte erreicht hatte. David streckte seinen Rücken durch und versuchte, die Schultern zu lockern. Kurze Kringelsträhnen hingen beinahe bis in seine türkisblauen Augen. Wasser lief über seine kantigen Wangenknochen und er kniff den ohnehin schmalen Mund vor Anstrengung zusammen. Ohne zu überlegen, griff ich nach Davids Hand und zog ihn hinter mir her. Ich hörte sein Keuchen in meinem Ohr. Ich war froh, als wir endlich die Bäume erreicht hatten, obwohl ich wusste, dass der Aufenthalt hier auch nicht gerade ungefährlich war. Irgendwie fühlte ich mich trotzdem beschützt.
Die Hütte war ein alter Heuschober, dessen Tor auf der Seite zum Feld hin halb offen stand. Sein verwittertes Holz wirkte vor dem schwarzen Himmel noch düsterer. Innen war es ziemlich finster. Es lag eine ganze Menge Heu herum, richtige Berge, und die Kinder hatten angefangen, sich damit zu bewerfen. Sie quietschten schon wieder vor Vergnügen und der Gewitter-Schreck war verflogen. Der Abstand zwischen Blitz und Donner wurde langsam wieder größer.
»Wir warten hier, bis der Regen aufhört«, verkündete die Schneider, sah verärgert auf die Uhr und versuchte – wie immer erfolglos –, Ordnung in ihre aufgesteckten straßenköterblonden Haare zu bringen. Wir waren sowieso zu spät dran. Der Marsch über die riesige Wiese hatte viel zu lang gedauert. Die Eltern würden beklommen vor dem Kindergarten stehen und warten, dass wir ihre Kleinen gesund zurückbrachten. Aber das war typisch für die Schneider: Hauptsache, es sah nach etwas Großem aus. Ein kleiner Ausflug in den nächstgelegenen Wald machte ja nichts her. Nein, über die Panzerwiese zur Flugwerft Schleißheim musste es gehen! Dass die Kinder wie aufgeschreckte Ameisen kreuz und quer über die riesige Wiese stolpern würden – bei schwülen 32 Grad und zu wenig Wasserflaschen dabei –, hätte man vorher ja auch nicht ahnen können. Jessica und Regine tuschelten wie immer. Ihre fast identischen Bobfrisuren in Kupferrot und Hellbraun berührten sich an den Spitzen. Die Schneider versuchte zu zählen, ob alle ihre 25 Schäfchen auch hier waren, während David und ich allen Kindern, die nass geworden waren, halfen, ihre Klamotten aus- und die Wechselwäsche anzuziehen, die in meinem großen Rucksack steckte. Mein Magen knurrte, ich war nass und die Kinder hatten nur Unfug im Kopf. Sie bewarfen sich mit nassen Hosen und T-Shirts, versuchten, sich Heu in die Krägen zu stopfen, und kletterten auf uns herum, als seien wir Spielgeräte. David warf mir gelegentlich ein Grinsen zu und ich bewunderte wieder einmal seine Geduld. Er war noch nicht allzu lange als »Bufdi« in unserer Einrichtung dabei, aber dass er ein Händchen im Umgang mit den Kindern hatte, war schnell klar geworden. Dabei machte er gar nichts Besonderes. Er saß einfach da, hörte ihnen zu, gab Tipps, wenn er gefragt wurde, und manchmal kitzelte er sie durch. Die Kinder liebten ihn – die Jungs wollten mit ihm Fußball spielen, die Mädchen ihn in der Puppenküche bekochen. David machte alles mit. Vielleicht war er auch so begehrt, weil er erstens das einzige männliche Wesen innerhalb der Kindergartenmauern und zweitens nicht ständig da war. Der Verein, der mehrere Kindergärten betrieb, hatte ihn über den »Bundesfreiwilligendienst« für leichtere Hausmeisterjobs und als Springer eingestellt, weil ständig irgendeine Erzieherin krank, schwanger, auf einem Seminar oder im Urlaub war.
Nachdem sich Annegret, eine beliebte und erfahrene Erzieherin in unserem Kindergarten, das Sprunggelenk gebrochen hatte und mehrere Wochen ausfiel, war David nun regelmäßig bei uns. Ich selbst machte seit neun Monaten im »Springseil e. V.« mein freiwilliges soziales Jahr.
Nach dem Abitur hatte ich nicht so genau gewusst, was ich machen sollte, und so kam ich auf die Idee, ein FSJ zu machen. Vielleicht würde mir danach klar sein, ob ich Jura studieren sollte oder doch lieber Psychologie (wofür ich dann immerhin schon zwei Wartesemester vorzuweisen hätte) oder vielleicht Journalismus. Gut, dass ich noch ein Vierteljahr Zeit zum Überlegen hatte …
Meine Eltern, meine Schwester, Max, mein Liebster, und meine Freunde nahmen meine Entscheidung für das FSJ so auf, als stünde sie schon seit spätestens dem Ende des vierten Schuljahres fest. Hätte ich gesagt, ich studiere BWL, wäre für sie alle eine Welt zusammengebrochen. Nein – Tabea wird etwas Soziales machen, das war allen klar. Okay, mir eigentlich auch. Schließlich ist die Welt, in der wir leben, nicht die allerbeste, die man sich vorstellen kann. Aber wenn jeder von uns ein klein wenig dazu beiträgt, sie besser zu machen, dann wird sie auch besser – meine Meinung!
Max hielt mich für eine Sozialromantikerin, unverbesserlich, aber auch unwiderstehlich, wie er, zumindest am Anfang unserer Beziehung vor gut eineinhalb Jahren, immer gerne in mein Ohr säuselte.
Jetzt allerdings flüsterte David: »Schau mal, wie raffiniert Hannah ist.« Er kicherte. »Erst steckt sie Berivan Heu ins T-Shirt, und während die das Zeug wieder rausholt, bedient sich Hannah aus Berivans Brotzeitdose.«
»Hey«, lachte ich zurück. »Du hast das Wort ›Brotzeit‹ schon gelernt – super!« Er knuffte mich in die Seite. Wir saßen an die Wand des Schobers gelehnt, hörten den Wind durch die Ritzen sausen, die Tropfen anklopfen und beobachteten, wie weltvergessen die Kinder durchs Heu tobten. David stammte aus Norddeutschland, woher genau, wusste ich nicht, und war mit der bayerischen Sprache alles andere als vertraut. Obwohl München ja die Welthauptstadt der »Zuagroasten« ist, rieben wir ihm alle seine Sprachunkenntnis ziemlich häufig unter die Nase und ließen ihn gerne an Wörtern wie »Oachkatzlschwoaf« verzweifeln. Er hatte zwei Tage gebraucht, um herauszufinden, dass das »Eichhörnchenschwanz« bedeutete, und jetzt trainierte er emsig und ziemlich vergebens eine korrekte Aussprache.
»Ochkootzlschwoof«, versuchte er es gerade mal wieder und ich lachte laut heraus. David griff nach einer Handvoll Heu und bewarf mich damit.
»Ha’k ’n Hark hatt, ha’k harken künnt«, rief er dabei aus und ich begann noch mehr zu kichern. Was sollte das denn für ein Kauderwelsch sein?
Während er mir diverse Strohhalme aus dem Haar zupfte, verriet er es: »Wenn ich eine Harke hätte, hätte ich harken können. So redet man bei uns.« Ah so.
»Heimweh nach zu Hause?«, fragte ich und mir wurde klar, dass wir uns bisher noch nie über persönliche Dinge unterhalten hatten. Sein immer leicht melancholischer Blick aus den großen Augen wurde wieder ernst. Dann schüttelte er energisch den Kopf, als müsse er eine lästige Fliege verscheuchen.
»Nee«, sagte er knapp. »Überhaupt nicht.«
»War’s nicht schön, da wo du herkommst?«
»Bayern gefällt mir jedenfalls besser«, sagte er. Dann pflückte er einen weiteren Halm von meinem Haar und kitzelte mich damit an der Nase. Ich musste tatsächlich niesen und er lachte. Da klaubte ich Heu auf und bewarf nun ihn damit.
Wir vergaßen, dass wir nicht zu den Kindergartenkindern gehörten. Ich fühlte mich leicht und unbeschwert auf dem Gipfel des...




