EINLEITUNG
Klimafreundlich denken, klimaschädlich handeln
Die Forststraße im Mischwald unweit einer Kleinstadt war Ort einer seltsamen Begegnung. In einer Kurve hielt ein überdimensionierter SUV an. Ein Sticker mit dem Slogan »Go back to school, Greta!« war gut sichtbar am Heck platziert. Ein etwas klein gewachsener kahlköpfiger Mann Mitte 40 stieg aus, entleerte einen Sack Batterien im Moos und warf noch einen halbvollen Behälter mit Motoröl hinterher. »Ich hasse die Umwelt!« erklärte er knapp, sprang zurück in sein Auto und brauste davon.
Nein, bitte verlieren Sie jetzt nicht ein weiteres Stück Vertrauen in die Menschheit. Dieser Vorfall ist frei erfunden. Vermutlich hatten nur die wenigsten von uns schon einmal eine solche Begegnung mit einem selbsternannten Umweltfeind. Im Grunde genommen wünschen wir uns nämlich alle gute Luft, intakte Wälder, saubere Flüsse und funktionierende Ökosysteme. Ich persönlich kenne auch niemanden, der sich sehnlichst eine Klimakatastrophe herbeiwünscht. Ja, es gibt einige wenige Menschen, die den Klimawandel und seine Folgen für eine Übertreibung halten. Aber so gut wie niemand hält es für eine ausgesprochen gute Idee, das Klimasystem zu kippen und damit unsere eigene Existenzgrundlage zu gefährden. Im Großen und Ganzen sind wir doch fast alle umweltfreundlich eingestellt und befürworten Klimaschutz.
Einen weniger klimafreundlichen Eindruck hinterlassen hingegen die vielen Entscheidungen, die wir in unserem Alltag treffen. Mit unserer vermeintlichen
Umweltfreundlichkeit? und Klimaschutzbefürwortung passen diese oft nicht zusammen. Gut, wir werfen keine Batterien in den Wald, wir trennen brav unseren Müll und wir verursachen nach Möglichkeit auch keine Ölteppiche. Klimaschonend sind unsere Lebensstile deshalb aber noch lange nicht: Flüge, Autofahrten, Fleischkonsum, Wein aus Australien zum argentinischen Steak, Übersee-Früchte statt heimischer Äpfel, Aluminiumkapselkaffee, Online-Mode-Shopping inklusive Rückversand und viele andere Entscheidungen belasten unseren ökologischen Fußabdruck. Bei genauerer Betrachtung müssen sich die meisten von uns wahrscheinlich eingestehen: Unsere Konsumentscheidungen stehen nicht im Einklang mit unseren grundsätzlich umwelt- und klimafreundlichen
Einstellungen?.
Als Menschen haben wir ein erstaunliches Talent dafür,
Widersprüche? in unserem Denken und Handeln zu ignorieren, aufzulösen oder achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen. Wir halten uns selbst auch für ehrliche und aufrichtige Menschen, und das ändert sich nicht, wenn gelegentlich eine kleine Notlüge notwendig wird (»Sorry für die Verspätung, ich stand im Stau …«, »Dieser Kuchen schmeckt trotzdem gut …«, »Och, ihr habt so ein süßes Baby …« – Sie kennen das). Aus logischer Sicht wirkt es paradox, wenn wir uns selbst für ehrlich halten und in aller
Ehrlichkeit? zugeben, gelegentlich zu lügen. Es scheint, als wären viele Menschen gleichzeitig ehrlich und unehrlich, und ich nehme mich selbst hier nicht aus. Aus Sicht der Psychologie sind solche Widersprüche aber nichts Überraschendes. Kleinere Lügen machen das soziale Leben um einiges erträglicher und konfliktärmer und wenn man für eine Lüge einen guten Grund hat, wird das eigene positive
Selbstbild? als ehrlicher Mensch davon nicht besonders beeinträchtigt. Darüber hinaus ist ein positives Selbstbild der eigenen Seelengesundheit durchaus zuträglich. Sich selbst für einen guten Menschen zu halten, geht mit deutlich mehr Wohlbefinden einher, als sich selbst für einen schlechten Menschen, einen schamlosen Lügner oder eine skrupellose Betrügerin zu halten. Bei kleineren Abweichungen von diesem Ehrlichkeitsideal kann man ruhig ein Auge zudrücken. Auch bei gröberen Abweichungen findet man in der Regel gute Entschuldigungen, warum das mühsam aufgebaute Lügenkonstrukt notwendig war und gute Erklärungen dafür, warum man im Großen und Ganzen doch ein guter Mensch ist.
Dieses
Paradoxon kennen wir auch in Bezug auf Klimafreundlichkeit. Es scheitert nicht an den guten
?Einstellungen? und guten
Absichten?. Unsere klimafreundlichen Einstellungen und guten Absichten führen aber leider viel zu selten zu klimafreundlichen Entscheidungen; zwischen unseren Einstellungen und Verhaltensweisen klafft mitunter eine größere Lücke als zwischen den Versprechen einer Partei vor der Wahl und dem tatsächlichen umgesetzten Regierungsprogramm nach der Wahl. Zumindest sind wir sehr geschickt darin, Entschuldigungen und Ausreden zu finden, warum es mit unseren persönlichen Klimaschutzbemühungen nicht so gut klappt. Zwar haben wir anders als Regierungsparteien keine Koalitionspartner, denen wir die Schuld am Schlamassel geben können, aber geeignete Sündenböcke finden wir trotzdem. Die abgehobenen Politikerinnen
*) zum Beispiel, das System oder einfach die Supermächte China und USA. Unser positives
?Selbstbild? als klimafreundlich eingestellte Menschen können wir mit Verweisen auf andere und mit weiteren Ausreden behalten.
Ziel des Buchs
Individuelle Entscheidungen sind oft alles andere als klimafreundlich
1. Für unsere klimaschädlichen
2 Verhaltensweisen gibt es jedoch Gründe oder, wenn man es etwas zugespitzter formulieren möchte, Ausreden. Viele dieser Ausreden sind in psychologischen Mechanismen verortet und für manche von ihnen gibt es eine mehr oder weniger legitime Basis.
In diesem Buch setze ich mich mit den vielen Ausreden für mangelnde Klimafreundlichkeit auseinander. Auf diesem Weg möchte ich Ihnen Erkenntnisse aus der Klimapsychologie näherbringen und dabei vor allem auf die Frage eingehen, wo die psychologischen Barrieren für die notwendigen Änderungen in
?Einstellungen? UND Verhalten liegen. Verschiedene Konzepte aus Psychologie und
Verhaltensökonomie? erklären einerseits unser klimafreundliches Entscheidungsverhalten, bieten andererseits aber auch eine wunderbare Grundlage, um Ausreden für klimaschädliche Entscheidungen zu finden. Zur Veranschaulichung verwende ich zahlreiche Anekdoten und Beispiele. Am Ende der meisten Kapitel finden Sie außerdem Kästen mit Zusammenfassungen oder zusätzlichen Hintergrundinformationen. Eines der Kapitel widmet sich auch dem Thema
Klimaangst?. Psychologische Studien, die sich mit Themen wie Auswirkungen der Klimakrise auf die mentale Gesundheit oder mit klimawandelbedingten Angststörungen beschäftigen, lasse ich aber weitgehend außen vor. Vielmehr geht es in diesem Buch um klimarelevante Entscheidungen, die Sie selbst oder auch die Menschen in Ihrem Freundes- und Familienkreis im täglichen Leben treffen. Das Buch bietet verschiedene Blickwinkel und erklärt die psychologischen Mechanismen, mit denen wir trotz wenig klimafreundlicher Lebensweisen ein positives
?Selbstbild? beibehalten.
Es obliegt Ihnen selbst, was Sie mit den hier angebotenen Ausreden für unsere kleinen Klimasünden machen: Eine naheliegende Möglichkeit ist, dass Sie Ihr Repertoire an
Selbstbetrugs-Skills erweitern und Ihre Fertigkeiten in der Kunst der Ausrede perfektionieren. Dank der Lektüre dieses Buchs werden Sie für jede erdenkliche Entscheidung einen perfekten Vorwand parat haben (bitte, gern geschehen). Eine weitere Möglichkeit ist, die angeblichen »Klimafreunde« in Ihrem Freundeskreis direkt zu konfrontieren und ihnen besserwisserisch ihre Ausreden vorzuhalten. Davor warne ich ausdrücklich. Am vernünftigsten ist es wahrscheinlich, auf beide dieser Optionen zu verzichten. Für mich sind die beschriebenen Ausreden Mittel zum Zweck, verschiedene Aspekte der Klimapsychologie zu erläutern. Anhand der vorgestellten psychologischen Mechanismen können Sie mehr Verständnis für Ihre eigenen Entscheidungen und die Entscheidungen anderer aufbringen. Wenn das auch zu Selbstreflexion und klimafreundlicheren Entscheidungen anregt, freue ich mich.
Natürlich möchte ich mich in diesem Buch nicht nur auf die Ausreden und Barrieren fixieren.
?Verhaltensökonomie? und Psychologie geben uns auch Hinweise darauf, wie klimafreundliches Verhalten gelingen kann und welche Voraussetzungen und
Rahmenbedingungen? dafür gegeben sein müssen. Gegenwärtig liegt es auch an bestehenden
Strukturen? und Systemen, die uns klimafreundliches Handeln erschweren. Manche von uns haben keine realistische Möglichkeit, klimafreundlichere Entscheidungen zu treffen, also beispielsweise vom Auto auf Öffis umzusteigen oder teures Biogemüse zu kaufen. Die
Verantwortung? alleine auf uns Bürgerinnen oder auf uns Konsumenten abzuschieben, ist zu billig. Auch politische Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen, Interessensvertretungen und nicht zuletzt Unternehmen stehen in der Pflicht, die entsprechenden Voraussetzungen, also Strukturen für ein klimafreundliches Leben, zu schaffen. Der letzte Teil des Buchs widmet sich demnach einem Ausblick in eine Zukunft, in der es uns leichter fällt, klimafreundliche Entscheidungen zu treffen.
Aber zurück in die Gegenwart und zum Status quo: In dem Kasten am Ende des Kapitels finden Sie eine kurze Zusammenfassung der Klimawandelproblematik, für den Fall, dass Sie damit noch nicht vertraut sind. Details lasse ich bewusst aus, denn dafür gibt es geeignetere Quellen, zum Beispiel das Buch
Klimawandel – Fakten gegen Fake & Fiction von Marcus Wadsak
3 oder
Klimawandel kompakt von Christian Schönwiese.
4 Einen kompakten Einstieg liefern David Nelles und Christian Serrer mit ihrem...