Bruno / edition | Politische Novelle | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 120 Seiten

Bruno / edition Politische Novelle

Neu bearbeitete Ausgabe (Klassiker der ofd edition)
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8370-1330-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Neu bearbeitete Ausgabe (Klassiker der ofd edition)

E-Book, Deutsch, 120 Seiten

ISBN: 978-3-8370-1330-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Bruno Franks Novelle, die das Scheitern und den Untergang der bürgerlichen Welt angesichts des aufstrebenden Faschismus und Nationalsozialismus thematisiert, ist heute nicht nur als spannendes Zeitdokument lesenswert. Sein konservatives Plädoyer für Humanität und gegen totalitäre Bestrebungen bleibt aktuell - vor allem in Zeiten, in denen zentrale Werte der abendländischen Kultur, wie etwa die selbstbestimmte Individualität, die Menschenrechte, die Meinungs- und Religionsfreiheit sowie die Würde jedes Einzelnen, von unterschiedlichsten Seiten zur Disposition gestellt werden. Wie bei allen Werken der ofd edition wurde die ursprüngliche Fassung nicht automatisiert kopiert, sondern sorgfältig neu editiert und der aktuellen Rechtschreibung angepasst - die bessere Lesbarkeit und Gestaltung verhilft so zu einem ungetrübten Lesegenuss. Eine Einführung erläutert den historischen Hintergrund und Interpretationsansätze. "Eine ebenso moralisch tapfere und klarsichtige wie poetisch freie, rührend symbolische Dichtung" Thomas Mann

Der in Stuttgart geborene Schriftsteller Bruno Frank (1887 - 1945) verfasste zahlreiche Gedichte, Erzählungen und Bühnenstücke, die das kulturelle Leben in der Weimarer Republik beeinflussten, mittlerweile jedoch weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Zu Franks bekanntesten Werken gehören der historische Roman "Cervantes" sowie das Bühnenstück "Sturm im Wasserglas", das auch mehrmals verfilmt wurde.
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Politische Novelle


I

Der Reisende aus Deutschland, der in der Pension Palumbo die Zimmer 14 und 15 bewohnte, erwachte wie alle Tage pünktlich um halb sieben. Er stand augenblicklich auf, wusch sich, und kaum bekleidet, mit nacktem Oberleib, trat er in den kleinen Wohnraum, der an sein Schlafzimmer stieß. Auch hier standen beide Fenster weit offen, mit voller Flut strömte ihm süditalischer Frühling entgegen. Das Gärtchen unten brannte von Farben, weiterhin in der Tiefe strahlte und rauschte der Golf; aber der Gast vergönnte sich noch keinen Blick, sondern begann unverweilt seine Körperübungen.

Es waren zuerst die herkömmlichen Drehungen des Rumpfes und Beugungen der Knie, durchgeführt nach offenbar vorgezeichneter Ordnung. Dann aber wandte er sich einem Lederball zu, der zwischen senkrecht gespannten elastischen Schnüren in einer Ecke des Gemachs kopfgroß in Kopfhöhe schwebte, und begann diesem Phantom mit kunstgerechten und gewaltigen Fauststößen zu Leibe zu gehen.

Er sah nicht aus wie ein Boxer. Sein Gesicht, schmal und fest, von blasser, wenn auch keineswegs kranker Farbe, wirkte verfeinert, wirkte geistig, und vollends sein Körper schien von der Natur nicht auf brutale Leistung angelegt. Sonderbar fremd, nicht recht zugehörig, wie ertrotzt und erzwungen traten an diesen fast gebrechlich geformten Schultern und Armen Muskelschwellung und starke Sehne hervor.

Er arbeitete still, methodisch; in unermüdlicher Abwechslung schnellten seine Fäuste gegen den Ball. Endlich aber, als der Schläger abließ von ihm, zitterte er nur ganz wenig noch nach und schwebte sogleich unverwandt, Abbild einer stumpfen und toten Masse, der kein Wille, kein Vorstoß der Welt etwas anhaben kann.

Der Reisende nahm nun ein paar Hanteln hervor, Federhanteln, im Innern mit starker Stahlspirale versehen. Abwechselnd presste er sie zusammen in seinen Fäusten und ließ wieder locker. Er endete nach zehn Minuten, kleidete sich an und begab sich über die dunkle Steinstiege des alten Bischofshauses in das Gärtchen.

Er wurde erwartet. Doktor Erlanger stand an die Balustrade gelehnt und blickte über die obst- und weinbepflanzten Terrassen hinunter aufs Meer. Sie nahmen ihre Plätze ein. Vor dem des Gastes von Zimmer 14 lag ein Brief, ein Riesenexemplar von einem Brief, ein wahres Paket in starkem, rotbraunem Umschlag. Solch eine Sendung traf an jedem Morgen hier ein.

Sie frühstückten. Der Aufwärter, bejahrt, in Hemdärmeln und grüner Schürze, ging ab und zu, die Inhaberin des Hauses Palumbo, eine stille Schweizer Dame, kam durch das Gärtchen, grüßte aus kleiner Entfernung und sah mit einem erfahrenen Blick nach dem Rechten. Gäste waren noch nicht zu sehen. Morgenstille. Kein Laut. Kein Vogel sang in dem Garten.

Doktor Erlanger, jung, groß, sehr brünett, mit auffallend engstehenden Augen, frühstückte mit Appetit. Aber der Gast von Zimmer 14 nahm sehr wenig, eine Tasse Tee, eine Scheibe trockenes geröstetes Brot und ein Ei schienen ihm zu genügen.

„Sie essen wieder gar nichts“, sagte sein Gefährte in einem achtungsvollen, dabei fast zärtlichen Ton, „ein Fremder müsste glauben, Sie wollten schlank bleiben.“

„Schlank nicht, Erlanger, aber nüchtern.“ Und mit einem kleinen spöttischen Lächeln hob er das Gestell mit dreierlei süßem Gelee in die Höhe, um es dem Hungrigen hinzureichen. Er setzte es unvermittelt nieder und besah seine Hand.

„Das ist doch erstaunlich“, sagte er. „Diese Übungen mit der Hantel strengen die Muskeln so an, dass sie zuerst nicht das Leichteste bewältigen. Ein Kind könnte einen umbringen.“

„Nun machen Sie auch noch Hantelübungen, Herr Carmer? Warum tun Sie das alles; es verwundert mich immer. Ich weiß doch zu genau, wie Sie über Sport und Sportleidenschaft denken. Mit welchem Hohn haben Sie mir einmal ein Zeitungsblatt vorgewiesen, das in riesigen Lettern die Überschrift trug: ‚Ehrt Eure deutschen Meister‘ – und es waren Fußballmeister gemeint!“

„Da verwechseln Sie zwei Dinge. Sport? Nein, mit Sport hat das gar nichts zu tun. Man muss kräftig sein zu ganz anderen Zwecken.“

„Zu anderen?“

„Nun, es hat jemand ausgesprochen, der Mensch sei ein prügelndes Tier. Danach muss man sich richten.“

„Oh, mich dünkt aber, niemand sei auf solche primitiven Kampfmittel weniger angewiesen als gerade Sie. Zwanzig Worte von Ihnen, eine einzige ironische Pointe, mit Ihrer leisesten Stimme vorgebracht ...“

Der Andere hob seine wenig brutale Hand. „Recht falsch“, sagte er, „recht falsch. Logik ist gut, Erlanger, Vortrag ist brauchbar, Ironie tut ihren Dienst. Aber im Grunde läuft doch alles auf das Körperliche hinaus, die Faust ist letzte Instanz. Politik, Guter, ist keine Sache des Denkens und des geistigen Wettstreits. Seien Sie überzeugend, seien Sie witzig, seien Sie sublim – da unten sitzen die, Leib an Leib, und hören zu mit einem Drittel Bewusstsein, und ihre Körperlichkeit murrt: Dem möchten wir‘s zeigen! Man bändigt sie anders, Erlanger, wenn man sich seines eigenen Leibes sicher fühlt. Es ist lächerlich und beschämend. Aber es ist wahr.“

„Voltaire konnte nicht boxen“, sagte Doktor Erlanger.

„Darum hat ihn der Rittmeister Beauregard auch blutig geschlagen. Lassen Sie Ihre Kinder nur trainieren, Erlanger, wenn Sie einmal welche kriegen. Wenn Ihr Juden einmal alle Bescheid wisst mit Kinnhaken und Uppercuts, dann wird es bald keinen Antisemitismus mehr geben, glauben Sie nur!“ Und er blickte den jungen Mann brüderlich an.

Ihr Frühstück war beendet, der Aufseher mit der Schürze trug ab. Herr Carmer öffnete sein Briefpaket. Es enthielt Aktenstücke, Handschreiben und sehr viele Ausschnitte aus deutschen Tageszeitungen. Doktor Erlanger war hinter ihn getreten, willens offenbar, der Durchsicht stehend beizuwohnen; ein Stuhl wurde für ihn herbeigezogen.

„Das kann nur Tage noch dauern“, sagte der Mitlesende nach einer Weile. Stille dann wiederum. Mit dem Stift wurden kurze Weisungen notiert und das kommentierte Blatt dem Sekretär weitergegeben. Der schichtete es sorgsam zum Übrigen.

„Es kann unmöglich dauern“, sagte er von Neuem. „Die Entschlüsse, die jetzt bevorstehen, werden die Anderen nicht verantworten wollen. Man wird froh sein, vor der Entscheidung die Bürde weiterzugeben. Sie werden sich bereithalten müssen, Herr Carmer!“

Stille. Ein Nicken. Ein Lächeln. Nun blieben die Zeitungsblätter noch übrig. Mit buntem Stift waren viele Stellen angekreuzt oder eingerandet, die nach dem Urteil der Einsender Beachtung verdienten. Mit rasch gleitenden Blicken unterrichtete sich der Geübte.

Gäste betraten den Frühstücksgarten. Die Beiden standen auf, reichten einander die Hand und trennten sich.

II

Carl Ferdinand Carmer war unter der Republik dreimal Minister gewesen, einmal Minister in Preußen und zweimal Minister des Reichs. Seiner Laufbahn nach war er ein Richter. Er entstammte der Familie jenes Freiherrn von Carmer, der als Großkanzler König Friedrichs das Preußische Landrecht schuf, das erste moderne Gesetzbuch Europas und also der Erde. Die Linie des Hauses, der Ferdinand Carmer angehörte, war bürgerlich geblieben, obgleich ihr unter mehreren Königen die Nobilitierung leicht erreichbar gewesen wäre. In diesem Widerstreben sprach sich Selbstgefühl aus, ein Bürger- und Geistesstolz, der in der untadelhaften Verwaltung verantwortungsvoller Ämter sein eigenes, besonderes Patriziat sah und vererbte.

Namentlich Ferdinand Carmers Vater, Justizminister und dann Oberpräsident von Westfalen unter dem ersten Wilhelm, lebte in solcher Gesinnung. Seine Männer waren jene Patrioten, die dem siegreichen Preußenkönig rieten, sich nicht Kaiser, vielmehr Herzog der Deutschen zu nennen, da von äußerem Hoheitsprunk nur Überspannung und Gefahr zu gewärtigen sei. Er hatte auch die lauten Zeiten des Enkels noch erlebt, und Ferdinand Carmer erinnerte sich mit hellster Deutlichkeit eines Tages, da sie miteinander in Berlin einer Denkmalsenthüllung beigewohnt hatten, einer schmetternden und blitzenden Festivität, und wie auf dem Heimweg der Vater an Blüchers Standbild Halt gemacht und mit der weißbekleideten Rechten hinaufgedeutet hatte:

„Dieser Herr da, nicht wahr, hat seinerzeit Preußen gerettet. Außerdem hat er die Welt von Napoleon befreit. Manche missbilligen das, aber Tatsache bleibt es. Nun, dafür hat er sein Denkmal. Aber weißt Du auch, wie es bei so etwas zuging im alten Deutschland, im richtigen Deutschland? Da kamen in der Frühe zwei Arbeiter hierher und nahmen die Hülle herunter. Publikum war auch da, gewiss, drei Männer standen auf diesem Platz morgens um sechs: der Bildhauer Rauch, Hegel und Gneisenau.“

Ferdinand, der Sohn, war mit Hingebung Jurist. Es dünkte ihn schön, mit leisem Scharfsinn das geschriebene Gesetz nach dem Bedürfnis der mächtig sich wandelnden Gegenwart auszulegen und sinnvoll zu erhalten. In der späten Stille seines Arbeitszimmers an den Grundlagen von Staat und Gesellschaft mauernd, war er oft glücklich. Da er Zivilrichter war, blieben seiner Empfindlichkeit Verantwortungsnöte beinahe völlig erspart. Als der Krieg losbrach, war er, ein Fünfunddreißigjähriger, Rat am Kammergericht in Berlin.

Unvermittelt, mit eisernem Zugriff, nahm ihm der Krieg alles Glück. Er nahm ihm, als Erstes, die Frau. Seit einigen Jahren lebte er in einer wahrhaft seligen Ehe mit einer Tochter...



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