E-Book, Deutsch, 528 Seiten
Bruyn Als Poesie gut
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-10-401283-4
Verlag: S. Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Schicksale aus Berlins Kunstepoche 1786 bis 1807
E-Book, Deutsch, 528 Seiten
ISBN: 978-3-10-401283-4
Verlag: S. Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Günter de Bruyn wurde am 1. November 1926 in Berlin geboren und lebte seit 1969 im brandenburgischen Görsdorf bei Beeskow als freier Schriftsteller. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Heinrich-Böll-Preis, dem Thomas-Mann-Preis, dem Nationalpreis der Deutschen Nationalstiftung, dem Eichendorff-Literaturpreis und dem Johann-Heinrich-Merck-Preis. Zu seinen bedeutendsten Werken gehören u.a. die beiden kulturgeschichtlichen Essays »Als Poesie gut« und »Die Zeit der schweren Not«, die autobiographischen Bände »Zwischenbilanz« und »Vierzig Jahre« sowie die Romane »Buridans Esel« und »Neue Herrlichkeit«. Zuletzt erschien bei S. Fischer der Titel »Der neunzigste Geburtstag« (2018). Günter de Bruyn starb am 4. Oktober 2020 in Bad Saarow. Literaturpreise: Heinrich-Mann-Preis (1964) Lion-Feuchtwanger-Preis (1982) Ehrengabe des Kulturkreises des Bundesverbandes der deutschen Industrie (1987) Thomas-Mann-Preis der Stadt Lübeck (1989) Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln (1990) Ehrendoktor der Universität Freiburg (1990) Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der schönen Künste (1993) Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung (1996) Brandenburgischer Literaturpreis (1996) Jean-Paul-Preis (1997) Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität, Berlin (1998) Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik (2000) Friedrich-Schiedel-Literaturpreis (2000) Nationalpreis der Deutschen Nationalstiftung (2002) Jacob-Grimm-Preis für Deutsche Sprache (2006) Hanns Martin Schleyer-Preis (2007) Hoffmann-von-Fallersleben-Preis (2008) Preis für deutsche und europäische Verständigung der Deutschen Gesellschaft e.V. (2010) Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay (2011)
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Kultur- und Ideengeschichte
- Geisteswissenschaften Kunst Kunstgeschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Deutsche Geschichte Deutsche Geschichte: Regional- & Stadtgeschichte
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Krieg und Frieden
Drei Jahre nach dem Tod Friedrichs des Großen begann in Frankreich die Revolution, die mit ihren Folgeerscheinungen Europa fünfundzwanzig Jahre lang in Kriege verwickelte und einen geistigen, wirtschaftlichen, politischen und militärischen Umwälzungsprozeß in Gang setzte, dem kein Staat sich entziehen konnte, auch Preußen nicht.
Friedrichs Staat war zeitweilig der modernste Europas gewesen, doch hatte er sich schon in den letzten Lebensjahren des Königs in Teilen als veränderungsbedürftig erwiesen, und Einsichtige hatten das auch erkannt. Starrsinnig hatte der alte König am absolutistischen Regierungssystem, an der strengen Ständeordnung und dem merkantilistischen Wirtschaftssystem mit seinen staatlichen Monopolen festgehalten, und die klassizistische französische Bildung, die ihn in der Jugend kulturell geprägt hatte, blieb bis an sein Lebensende Maßstab für ihn. Die deutsche Literatur und Kunst dagegen, die sich seit der Jahrhundertmitte kräftig entwickelt hatte, war ihm so fremd geblieben wie das damit zusammenhängende Nationalbewußtsein der gebildeten jüngeren Generation. Blamiert hatte sich Friedrich sechs Jahre vor seinem Tode mit einer Schmähung der deutschen Literatur, die er kaum kannte. Auf seine 1780 in französischer Sprache veröffentlichte Schrift mit dem anmaßenden Titel »Über die deutsche Literatur, die Mängel, die man ihr vorwerfen kann, die Ursachen derselben und die Mittel, sie zu verbessern« reagierten die deutschen Autoren selbstbewußt, teils auch polemisch. Mit Recht galt Friedrich hier als inkompetent.
Bei aller Verehrung, die man Friedrich auch im Alter entgegengebracht hatte, war bei seinem Tod aber nicht nur Trauer, sondern auch Erleichterung zu spüren, weil man sich von seinem Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., mancherlei Änderungen versprach. Doch fehlte dem wohlbeleibten Mann, der alle Welt um einen Kopf überragte, zur Durchsetzung wirklicher Reformen die nötige Charakterstärke. Er war sehr liebebedürftig und deshalb leicht zu beeinflussen, hielt sich Mätressen, zeugte uneheliche Kinder, verbrauchte in sinnlosen Feldzügen den Staatsschatz, den Friedrich angehäuft hatte, und erwies sich teilweise als ein Gegner der Aufklärung, der christliche Frömmigkeit in eigenartiger Weise mit Okkultismus verband. Er war Miträuber bei den Teilungen Polens, durch die Preußen sich kurzzeitig bis nach Warschau erstreckte. Er war aber auch ein Freund und Förderer der Künste, dem Potsdam das Marmorpalais und Berlin das Brandenburger Tor verdankte, und er schloß 1795 den Frieden von Basel, der Norddeutschland ein Friedensjahrzehnt bescherte, das man berechtigterweise auch das große Jahrzehnt der deutschen Literatur genannt hat.
Glanzzeiten Preußens kann man die elf Regierungsjahre Friedrich Wilhelms II. weder in außen- noch in innenpolitischer Hinsicht nennen, aber für die Kultur begann in diesen Jahren eine Periode, in der Preußen für Deutschland bedeutsam wurde und Berlin sich zu einem geistigen Zentrum entwickelte, das dem in Weimar gleichwertig und ihm vielfach verbunden war.
Die Koalitions-, Interventions- oder Revolutionskriege, die in Preußen meist Rheinfeldzüge hießen und von Goethe »Kampagne in Frankreich« genannt wurden, zogen sich mit Unterbrechungen von 1792 bis 1794 hin. Eine Koalition von Österreichern, Preußen und kleineren Reichsfürsten kämpfte hier, unterstützt von französischen Emigranten und gefördert durch englische Hilfsgelder, gegen die Armee des revolutionären Frankreich. Doch wurde der Krieg, da die Verbündeten sich gegenseitig mißtrauten und Preußen auch Truppen in Polen brauchte, nur halbherzig geführt.
Kein Krieg war in Preußen so unpopulär wie dieser, und zwar nicht nur bei der Bevölkerung und den Soldaten, die besonders unter ihm litten, sondern auch bei Ministern und Generälen, die fast alle noch aus der friderizianischen Schule kamen, in Österreich, dem sie nun Hilfsdienste leisten mußten, noch immer den Hauptgegner sahen und richtig erkannten, daß selbst im Falle eines Sieges für Preußen aus diesem Krieg kein Vorteil zu ziehen war. Hinzu kamen die traditionellen Sympathien für Frankreich, die trotz der Revolution noch vorhanden oder durch diese verstärkt worden waren. Goethe berichtet in seiner »Kampagne«, unter dem 26. Mai 1793, von preußischen Offizieren, die abends beim Marketender Champagner trinken und sich von den Hoboisten »Ça ira« und die Marseillaise vorspielen lassen, und Fouqué, der im Kürassierregiment »Herzog von Weimar« diente, in dem als Chef Goethes Mäzen Carl August fungierte, erzählt von einer kurz nach dem Krieg in einem westfälischen Gasthaus spielenden Szene, in der Offiziere des Regiments, veranlaßt durch die »wachsende Teilnahme für Frankreich« und »die Irrmeinung, Preußen und Frankreich seien eigentlich natürliche Verbündete«, begeistert die »Marseiller Hymne« anstimmten, wobei der Kornett Fouqué ihr Vorsänger war.
Auch der spätere Feldmarschall Hermann von Boyen, der zu dieser Zeit als junger Soldat in Polen kämpfte, weiß in seinen »Erinnerungen« von Sympathien für das revolutionäre Frankreich zu berichten, die man nicht als Widerspruch zum preußischen Patriotismus empfand. Boyen bedauert, daß sich der König durch Österreich und die französischen Emigranten zu diesem »Prinzipienkriege« habe verführen lassen, um, »wie unklugerweise angekündigt wurde«, »alle Mißbräuche, welche die Revolution abgeschafft hatte, wiederherstellen zu wollen«; und er nennt das nicht nur »eine Verhöhnung von Vernunft und Moral«, sondern auch »einen indirekten Vorwurf gegen den Entwicklungsgang des preußischen Staates, dessen große Könige ja einen bedeutenden Teil der Mißbräuche, von denen sich die Franzosen jetzt befreiten, nach und nach abgeschafft hatten«.
Ähnlich dachte auch der Leutnant Karl Friedrich von Knesebeck aus Karwe bei Neuruppin, der ein eifriges Mitglied der Halberstädter Literarischen Gesellschaft war. In seinen Briefen vom Rheinfeldzug klingt der Widerwille, mit dem dieser Krieg von ihm geführt wurde, immer wieder durch. Als seine Truppe sich über den Rhein zurückziehen muß, sieht er darin nichts als Friedenshoffnungen, und sein schlichtgereimtes Gedicht »An die Franzosen«, das er den Vereinsbrüdern nach Halberstadt sendet, preist Frankreichs Reichtum, Kraft und Mut und endet mit den Versen: »Und willig reichen wir die Hand/Dir hin zum brüderlichen Band.«
Karl Friedrich Klöden, der spätere Direktor der ersten Berliner Gewerbeschule, ein Soldatenkind, in einer Berliner Kaserne geboren, hat als Sechsjähriger sowohl die franzosenfreundliche Stimmung der Soldaten als auch das vom Krieg verursachte Elend miterlebt. Er berichtet in seiner Autobiographie darüber, »daß auch in Berlin das gewaltige Ereignis« der Französischen Revolution »große Teilnahme erregte« und die »meisten jungen Männer sich offen zugunsten der Revolution« aussprachen, bis die Ermordung Ludwigs XVI. die Stimmung umschlagen ließ. Er erzählt davon, daß der Vater, ein Unteroffizier, die in der Kaserne wohnende Familie nur notdürftig ernähren konnte und daß die Armut zum Elend wurde, als es den Vater mit der Armee an den Rhein verschlug. Die Stickarbeiten der Mutter, mit denen sie vor dem Krieg ein wenig dazuverdient hatte, brachten nichts mehr ein, als der Krieg die allgemeine wirtschaftliche Lage verschlechterte. »Wie oft sind wir, zumal die Mutter, hungrig zu Bett gegangen; wie oft hat sie allein gehungert, nur um uns Kinder satt zu machen. Dazu aber kam noch, daß mein Vater sie guter Hoffnung zurückgelassen hatte. Unter solchen Umständen den Lebensmut aufrechtzuerhalten, war schwer.«
Dorothea Veit, geborene Mendelssohn, die spätere Frau Friedrich Schlegels, bekundete ihre Sympathien für das revolutionäre Frankreich, als sie in Rheinsberg preußisches Elend sah. In einem Brief an Rahel Levin beschreibt sie im September 1792 den Reichtum des vom Prinzen Heinrich bewohnten Schlößchens und setzt das Elend dagegen, das zwei Straßen weiter herrscht. »Verdammte Aristokratie! Konnte ich mir nicht erwehren auszurufen. Es ward sehr lebendig in mir, wie ein ganzes Volk mit einem Male sich gegen die schwelgenden Tyrannen auflehnen kann.« Diese ließen sich, so heißt es weiter, »Symphonien vorspielen, um das Geschrei des Elends nicht hören« zu müssen. Und da sie gerade die Oper des Prinzen besucht hatte, fiel ihr ein, daß sich mit den Kosten einer einzigen Aufführung eines der »eingefallenen Häuschen wieder aufbauen« ließe. »Ich dachte mir ganz Frankreich so, und nun verstand ich die Franzosen.«
Wenn der Gefreitenkorporal Heinrich von Kleist von seiner Stellung am Rhein her in einem Brief vom 25. Februar 1795 an seine Schwester Ulrike die Hoffnung auf einen baldigen Frieden äußert, damit »wir die Zeit, die wir hier so unmoralisch töten, mit menschenfreundlicheren Taten bezahlen« können, so kann das wohl kaum als frühe Ankündigung seines späteren Abscheus vor der »Tyrannei« des Militärs verstanden werden; wahrscheinlicher ist, daß der Heranwachsende hier nur wiedergab, was in seiner Umgebung dauernd zu hören war.
Die Truppe, die hier fern der preußischen Grenzen an Vaterlandsverteidigung nicht glauben konnte und keinen Haß auf die Franzosen spürte, war des Krieges ebenso müde wie die Minister, die den Staatsschatz schwinden sahen. Die Feldzüge kosteten den Staat mehr Geld, als er hatte. Im Gegensatz zu den...




