Bryant / Rinker | Der Erwerb des Deutschen im Kontext von Mehrsprachigkeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 391 Seiten

Reihe: narr STUDIENBÜCHER

Bryant / Rinker Der Erwerb des Deutschen im Kontext von Mehrsprachigkeit

E-Book, Deutsch, 391 Seiten

Reihe: narr STUDIENBÜCHER

ISBN: 978-3-8233-0324-4
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Für rund ein Drittel der Kinder und Jugendlichen Deutschlands ist Deutsch nicht die Erstsprache bzw. nicht die alleinige Erstsprache und der Bedarf, mehr über Erwerbsspezifika und Unterstützungsmöglichkeiten zu erfahren, wächst im schulischen und vorschulischen Bereich.
Dieses Studienbuch gibt zunächst einen Überblick über verschiedene Erwerbsszenarien und den Erwerbsprozess beeinflussende Faktoren. Es folgen differenzierte Einblicke in die deutsche Sprache aus der Perspektive der Lernenden, um potenzielle Schwierigkeiten sichtbar werden zu lassen und um didaktische Handlungsspielräume aufzuzeigen. Der umfassendste Teil des Lehrbuches präsentiert aktuelle sowie "klassische" Erwerbsstudien für insgesamt sechs zentrale Sprachbereiche, dokumentiert dabei die methodische Breite der Erwerbsforschung und regt zum eigenen wissenschaftlichen Arbeiten an.
Das Buch richtet sich an Studierende, Referendare, Lehrkräfte sowie Aus- und Fortbildende, die über sprachwissenschaftliche Grundkenntnisse verfügen und sich detaillierte Einblicke in den Erwerb des Deutschen im Kontext von Mehrsprachigkeit wünschen, um ihr sprachdiagnostisches und sprachdidaktisches Handeln auf ein solides Fundament zu stellen.
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Weitere Infos & Material


0 Wege in die Mehrsprachigkeit: Ein erster Überblick
Teil I Deutsch aus der Lernendenperspektive: Schwierigkeiten verstehen und überwinden helfen
Einleitung
1 Prosodische und lautliche Aspekte
2 Wortschreibung
3 Wortbildung
4 Flexion
5 Wortstellung
6 Lokalisierungsausdrücke
7 Präposition-Artikel-Verschmelzung (PAV)
Teil II Studien zum Erwerb des Deutschen im Kontext von Mehrsprachigkeit
8 Phonologie
9 Wortschatz
10 Genus
11 Plural
12 Wortstellung
13 Lokalisierungsausdrücke
14 Literatur


0 Wege in die Mehrsprachigkeit: Ein erster Überblick
Aktivierung Versuchen Sie aus den Beschreibungen zu entnehmen, in welchen Kontexten die Kinder ihre Sprachen gebrauchen und wie sie ihre Fähigkeiten in diesen einschätzen. Worin sehen Sie Gemeinsamkeiten und worin Unterschiede in den mehrsprachigen Lebenswelten der drei Kinder? Kasten 1: Drei mehrsprachige Mädchen beschreiben ihren Sprachgebrauch zu Hause und haben hierzu eine Sprachenfigur gestaltet. Mädchen 1 Mädchen 1: „Ich kann Kurdisch, Englisch und Türkisch. In der Familie spreche ich sehr oft Türkisch, nicht so oft Kurdisch. Ich kann die Sprache noch nicht sehr gut. Englisch sprech ich nur im Unterricht, meist oder eher gar nicht zu Hause. Mit meinem Bruder sprech ich zu Hause ganz oft nur Türkisch oder Deutsch. […] In der Schule sprech ich manchmal mit meiner Kusine Türkisch, wenn wir was zusammen sagen wollen. Mit meiner Mama sprech ich immer Türkisch, bisschen Deutsch. Mit meinem Papa soll ich, darf ich, oder was Ähnliches wie muss ich, Kurdisch sprechen, weil ich das noch nicht so gut kann. Ich bin Kurdin und muss diese Sprache können.“   Beschreibung der Sprachenfigur: „Hier oben in den Haaren oder eher im Kopf ist Deutsch, weil ich Deutsch ganz gut kann und irgendwie im Bauch ist Kurdisch, weil ich Kurdin bin. Im rechten Fuß ist Englisch, weil ich das zu Hause nicht mache, nicht extra lerne, sondern in der Schule und Türkisch im linken Fuß, weil ich das einfach nicht mag. Türkisch-Sprache. Und dann noch einen Mund gemalt aus der kurdischen Flagge.“ Mädchen 2 Mädchen 2: „Ich sprech Englisch und Deutsch. Zu Hause sprech ich mit meiner Mama nur Deutsch und mit meinem Papa nur Englisch. Mit meinem Bruder sprech ich manchmal Deutsch und manchmal Englisch. Mit meiner Oma und meinem Opa aus Deutschland sprech ich nur Deutsch, und mit meinen Tanten und meinen Onkeln in Amerika nur Englisch.“   Beschreibung der Sprachenfigur: „In den Kopf und in die Hose und in den Schuh hab ich Deutsch gemacht, weil ich in Deutschland geboren bin, weil ich Deutsch spreche und weil meine Mutter Deutsch spricht. Und ich hab in den Pullover die amerikanische Flagge gemalt, weil ich auch zu 50 % amerikanisch bin wegen meinem Vater, weil der ist in den USA geboren.“ Mädchen 3 Mädchen 3: „Zu Hause sprech ich nur Deutsch und Ukrainisch. Mit meiner Mutter red ich nur Ukrainisch, aber wenn ich was nicht versteh, dann sagt sie es mir auch auf Deutsch. Mit meinem Vater red ich nur Deutsch. Mit meiner Oma mit der red ich Ukrainisch, aber wenn ich was nicht versteh, dann hilft mir Mama.“   Beschreibung der Sprachenfigur: „Ich hab die deutsche Flagge in den Kopf gemalt, da ich die Sprache am besten kann. Und die ukrainische Flagge in die Hände, weil ich nicht so gut Ukrainisch spreche und ich daher auch viel mit den Händen erkläre. Und im Fuß ist die britische Flagge, weil die vom Kopf weit entfernt ist und ich halt noch viel dazu lernen kann bei der Sprache. Aber da bin ich halt auch froh drüber, weil neue Sprachen zu lernen macht Spaß.“     (Mündliche Produktionen, leicht redigiert) *****   Rund 40 % der Kinder unter fünf Jahren in Deutschland haben einen Migrationshintergrund (Stat. Bundesamt 2019). Ein großer Anteil dieser Kinder ist zu Hause mit mindestens einer weiteren Sprache in Kontakt. Wie intensiv beispielsweise Mutter oder Vater ihre Herkunftssprache(n) mit den Kindern nutzen, wie gut und gerne die Kinder diese Sprachen sprechen, welche Sprachen die Geschwister oder die Freunde sprechen, ist allerdings höchst unterschiedlich. Die drei Mädchen, die in Kasten 1 ihre Mehrsprachigkeit beschreiben, können nur einen kleinen Ausschnitt der Vielfalt der Szenarien abbilden, wie Kinder mit verschiedenen Sprachen aufwachsen. Viele Wege führen in die Mehrsprachigkeit: Jedes Elternteil spricht eine oder mehrere Sprachen, die Familiensprache unterscheidet sich von der Umgebungssprache, ein längerer Aufenthalt in einem anderen Land erfolgt, Sprachen werden in der Schule gelernt und so weiter. All diese Umstände und persönliche Entscheidungen können zu Mehrsprachigkeit bei Kindern (und Erwachsenen) führen und hierbei zu jeweils individuellen Erwerbsprofilen. Ungeachtet dessen sucht die Forschung nach interindividuellen Gemeinsamkeiten und Unterschieden, um auf der Basis gewisser Übereinstimmungen spezifische Erwerbs(typ)gruppen zu identifizieren. Der monolinguale Erstspracherwerb der Zielsprache (in diesem Buch des Deutschen) dient hierbei in der Regel als Vergleichsbasis. Man betrachtet verschiedene sprachliche Phänomenbereiche (z. B. Phoneminventar, Nominalflexion, Wortstellung) des Deutschen und vergleicht den diesbezüglichen Erwerbsverlauf, die Erwerbsgeschwindigkeit und den erreichten Endzustand. Da Kinder im ungesteuerten Erwerb einer weiteren Sprache im Allgemeinen erfolgreicher zu sein scheinen als Erwachsene und dieser Erwerbsvorteil nach Erklärungen verlangt (vgl. u.a. Pagonis 2009), lag und liegt ein besonderer Fokus der Spracherwerbsforschung auf dem Alter zu Erwerbsbeginn. Nach der wohl bekanntesten Hypothese der Kritischen Periode (u.a. Lenneberg 1967) schließt sich im Alter von etwa zehn bis zwölf Jahren aufgrund neuronaler Reifungsprozesse das Zeitfenster, in dem die bei Geburt vorhandene Spracherwerbsfähigkeit zur Verfügung steht. Danach sei eine Sprache nicht mehr beiläufig im Kontakt mit Sprechern dieser Sprache zu erwerben, sondern müsse nun bewusst und mit gewissen Anstrengungen erlernt werden. Die Hypothese der Kritischen Periode erfreute sich zwar einer großen Anhängerschaft, konnte aber empirisch nie bestätigt werden. Eine deutlich differenziertere Sicht auf den Zweitspracherwerb bietet das (sich an der Idee der Kritischen Periode anlehnende) Konzept der sensiblen Phasen, demzufolge es für spezifische sprachliche Phänomenbereiche bestimmte Zeitfenster gibt, in denen der L2-Erwerb dem L1-Erwerb (nahezu) gleicht (Meisel 2007). Nach dem Verstreichen des für ein bestimmtes grammatisches Phänomen (z. B. Wortstellung) anzunehmenden optimalen Zeitfensters lassen sich in der Lernersprache Merkmale beobachten, die in dieser Ausprägung im L1-Erwerb nicht vorkommen. So gleicht der Erwerb der Wortstellung (siehe Kapitel 12) im Erwerbsalter von 3-4 Jahren weitgehend dem Erwerb der Wortstellung monolingualer Kinder (Tracy 2007). Sind die Kinder bei L2-Kontakt jedoch schon 6-7 Jahre alt, dann treten im Satzbau zielsprachliche Abweichungen auf, die wir im monolingualen Erwerb deutschsprachiger Kinder so nicht beobachten können und die z.T. auf den Einfluss der Erstsprache zurückzuführen sind (Haberzettl 2005). Mit voranschreitendem Erwerbsalter – so die Annahme – wird die Lernersprache der von Erwachsenen im ungesteuerten Erwerb zunehmend ähnlicher (Meisel 2007). Auf diesem Weg scheinen einige Zeitfenster besonders relevant, die dann auch in der Erwerbsliteratur wiederkehrend zur Klassifizierung von Spracherwerbstypen herangezogen werden. Eine übliche Einteilung mehrsprachiger Kinder basiert somit auf der Chronologie des Erwerbs zweier oder mehrerer Sprachen: Als Erstsprache (= L1) wird die Sprache verstanden, die meist im familiären Kontext von Geburt an erworben wird. Beim simultanen oder doppelten Erstspracherwerb (2L1; manchmal auch bilingualer Erstspracherwerb) erwirbt ein Kind von Geburt an zwei Sprachen. Vom simultanen Erwerb wird der sukzessive Erwerb abgegrenzt, bei dem der Erwerb einer zweiten (bzw. weiteren) Sprache erst dann einsetzt, wenn der Erwerb der ersten Sprache(n) „zumindest in den Grundzügen vollzogen ist“ (Rothweiler 2007: 106). Beim sukzessiven Erwerb unterscheidet man zwischen kindlichem Zweitspracherwerb und Zweitspracherwerb von Jugendlichen und Erwachsenen. Wie in Abb. 0.1 dargestellt, wird in Bezug auf die Kindheit noch eine weitere Differenzierung nach frühem (ab 3-4 Jahren) und spätem (ab 6-7 Jahren) Zweitspracherwerb vorgenommen (siehe u.a. Rothweiler 2007; Schulz & Grimm 2019). Der simultane Erwerb von zwei und mehr Sprachen wird nur allzu oft als Erfolgsgarant beschrieben. So heißt es beispielsweise in Meisel (2007: 97), dass bilingual aufwachsende Kinder „eine grammatische Kompetenz [erreichen], die sich qualitativ nicht von der vergleichbarer Monolingualer unterscheidet“ (Meisel 2007: 97). Hingegen seien bei einem zeitlich später einsetzenden Erwerb einer weiteren Sprache nicht alle Lernenden erfolgreich (Meisel 2007: 99). Spracherwerbstypen der Zwei-/Mehrsprachigkeit in chronologischer Abfolge (eigene Grafik, D.B.). Auf der Zeitachse, die das Erwerbsalter in Jahren darstellt, sind durchgehende und gestrichelte Linien zu sehen. Während in Bezug auf die mit durchgehender Linie markierten Intervalle in der Erwerbsliteratur weitgehende Einigkeit herrscht,...


Prof. Dr. Doreen Bryant ist seit 2011 Inhaberin des Lehrstuhls für Germanistische Linguistik mit dem Schwerpunkt Deutsch als Zweitsprache an der Universität Tübingen.
Prof. Dr. Tanja Rinker ist seit 2019 Inhaberin der Professur für Deutsch als Fremdsprache / Didaktik des Deutschen als Zweitsprache an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.


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