Bucay | Komm, ich erzähl dir eine Geschichte | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Bucay Komm, ich erzähl dir eine Geschichte


1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-10-401708-2
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-10-401708-2
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wie begegnet man den Wirrnissen des Lebens? Mit Geschichten, sagt Jorge Bucay. Der angesehene Psychiater und Gestalttherapeut hat die Gabe, das Komplizierte einfach werden zu lassen. Seine zauberhaften Geschichten sind eine Anleitung für alle, die sich selbst helfen wollen, das Leben und sich selbst besser zu verstehen. »Kindern erzählt man Geschichten zum Einschlafen - Erwachsenen, damit sie aufwachen.« Das Leben ist eine komplizierte Angelegenheit. Es stellt uns Fragen, auf die wir alleine keine Antworten finden, es ruft Ängste, Probleme, Sorgen und Unsicherheiten hervor. Nicht so sehr jedoch für Jorge Bucay, der als Psychotherapeut das Schwierige erklären muss. Er weiß, wie er denen helfen kann, die ihm gegenüber sitzen - mit handverlesenen Geschichten: Zen-Weisheiten aus Japan und China, Sagen der klassischen Antike, Märchen aus aller Welt, sephardische Legenden, Sufi-Gleichnisse, selbst Erfundenes. Die packenden und lehrreichen Erzählungen von Jorge Bucay geben Denkanstöße und vermitteln wertvolle Lebensweisheiten für alle, die dem Leben noch einmal und immer wieder neu begegnen wollen. »Jorge Bucays Bücher machen Menschen glücklich, die kleine Prinzen suchen, die ihnen neue Wege durchs unübersichtliche Leben weisen« Die Welt

Jorge Bucay, 1949 in Buenos Aires geboren, ist einer der einflussreichsten Gestalttherapeuten Argentiniens. Mit »Komm, ich erzähl dir eine Geschichte« gelang ihm der internationale Durchbruch als Autor. Bucays Bücher wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt und haben sich weltweit über zehn Millionen Mal verkauft.
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Der Portier des Freudenhauses


Die Hälfte meines Studiums lag hinter mir, und wie viele andere Studenten begann ich plötzlich, meine Entscheidung fürs Studieren zu hinterfragen.

Als ich mit meinem Therapeuten darüber sprach, begriff ich, daß ich selbst derjenige war, der sich unter Druck setzte und sich dazu zwang, das Studium fortzusetzen.

»Das ist das Problem«, sagte der Dicke. »Wenn du weiter glaubst, daß du studieren und den Abschluß machen besteht keine Aussicht darauf, daß du je Freude daran haben wirst. Und wenn es dir nicht die geringste Freude bereitet, werden dir gewisse Teile deiner Persönlichkeit irgendwann einen Streich spielen.« Bis zum Überdruß wiederholte Jorge, daß er nicht an die Anstrengung glaube. Seiner Meinung nach gab es nichts Nützliches, das man mit Anstrengung erreichen konnte. Meiner Meinung nach täuschte er sich hierbei. Zumindest handelte es sich in meinem Fall um die Ausnahme zur Bestätigung der Regel.

»Aber Jorge, ich kann doch mein Studium nicht so einfach an den Nagel hängen«, sagte ich. »Ich wüßte nicht, wie ich in den Kreisen, in denen ich nun einmal leben werde, ohne Titel jemals etwas darstellen sollte. Ein Studium ist da zumindest so etwas wie eine Garantie.«

»Kann sein«, sagte der Dicke. »Kennst du den Talmud?«

»Ja.«

»Im Talmud gibt es eine Geschichte, in der geht es um einen ganz gewöhnlichen Mann. Er ist Portier in einem Freudenhaus.«

Im gesamten Dorf gab es keinen Beruf, der schlechter bezahlt und angesehen war als der des Freudenhausportiers … Aber was hätte dieser Mann denn sonst tun sollen?

Fakt war, daß er nie schreiben oder lesen gelernt und auch nie eine andere Tätigkeit oder einen anderen Beruf ausgeübt hatte. Er war zu dem Posten gekommen, weil auch schon sein Vater Portier dieses Freudenhauses gewesen war, und vor ihm dessen Vater.

Jahrzehntelang war das Freudenhaus von den Händen der Väter in die Hände der Söhne übergegangen, und so auch der Posten des Portiers.

Eines Tages starb der alte Freudenhausbesitzer, und ein ehrgeiziger, kreativer junger Mann mit Unternehmergeist wurde zum neuen Geschäftsführer ernannt. Der Junge hatte vor, den Laden zu modernisieren.

Er renovierte die Zimmer und bestellte anschließend die Belegschaft zu sich, um sie neu einzuweisen.

Dem Portier sagte er: »Ab heute werden Sie neben Ihrer Arbeit an der Tür jede Woche einen Bericht für mich schreiben. Darin notieren Sie die Anzahl der Paare, die uns Tag für Tag besuchen. Jedes fünfte Pärchen fragen Sie, wie es mit seiner Bewirtung zufrieden war und ob es Vorschläge zur Verbesserung hat. Einmal pro Woche legen Sie mir diesen Bericht mit Ihrer Auswertung vor.«

Der Portier zitterte. Noch niemals hatte es ihm an Arbeitswillen gemangelt, jedoch …

»So gern ich Ihnen diesen Wunsch auch erfüllen würde«, stammelte er, »aber ich … ich kann weder lesen noch schreiben.«

»Oh, das ist bedauerlich. Sie werden verstehen, daß ich mir allein für diese Tätigkeit keinen zusätzlichen Angestellten leisten kann, und genausowenig kann ich von Ihnen verlangen, daß Sie schreiben lernen, daher … «

»Aber, Herr Geschäftsführer, Sie können mich nicht einfach auf die Straße setzen. Ich habe mein ganzes Leben lang hier gearbeitet, genau wie vor mir mein Vater und mein Großvater … «

Der Geschäftsführer ließ ihn gar nicht ausreden.

»Ich verstehe Sie ja, aber ich kann leider nichts für Sie tun. Natürlich bekommen Sie eine Abfindung, das heißt, eine Summe, die Ihnen hilft, über die Runden zu kommen, bis Sie eine neue Stelle gefunden haben. Es tut mir sehr leid. Ich wünsche Ihnen alles Gute.«

Und ohne ein weiteres Wort kehrte er ihm den Rücken zu und ging.

Für den Mann brach eine Welt zusammen. Nie hätte er sich träumen lassen, je in eine solche Situation zu geraten. Er kam nach Hause und war das erste Mal in seinem Leben arbeitslos. Was sollte er tun?

Er erinnerte sich daran, wie er manchmal im Freudenhaus, wenn ein Bett kaputtgegangen war oder der Fuß an einem Schrank wackelte, sich der Sache angenommen und sie provisorisch und schnell mit Hammer und Nagel repariert hatte: Das könnte eine vorübergehende Beschäftigung für ihn sein, bis ihm jemand eine neue Stelle anbot.

Im ganzen Haus suchte er nach geeignetem Werkzeug, fand aber nur ein paar rostige Nägel und eine schartige Zange. Er mußte einen kompletten Werkzeugkasten anschaffen, und dafür würde er einen Teil seiner Abfindung einsetzen.

Kurz vor der Haustür fiel ihm ein, daß es in seinem Dorf gar keine Eisenwarenhandlung gab und daß er einen zweitägigen Ritt auf seinem Maultier auf sich nehmen mußte, um in das Dorf zu gelangen, in dem er seine Einkäufe tätigen konnte. ›Was hilft's?‹ dachte er und machte sich auf den Weg.

Bei seiner Rückkehr trug er einen wunderbar sortierten Werkzeugkasten bei sich. Er hatte sich die Stiefel noch nicht ausgezogen, da klingelte es an seiner Haustür: Es war sein Nachbar.

»Ich wollte fragen, ob Sie nicht einen Hammer hätten, den Sie mir eventuell leihen könnten.«

»Nun, ich habe mir gerade einen gekauft, aber den brauch ich selbst, damit ich arbeiten kann, ich habe nämlich meine Stelle verloren.«

»Ich verstehe, aber ich würde ihn gleich morgen früh zurückbringen.«

»Also gut.«

Am nächsten Morgen klingelte der Nachbar wie versprochen an der Tür.

»Hören Sie, ich bräuchte den Hammer noch. Könnten Sie ihn mir nicht verkaufen?«

»Nein, ich brauche ihn selbst, für meine Arbeit, und außerdem ist die nächste Eisenwarenhandlung zwei Tagesreisen mit dem Maultier entfernt.«

»Vielleicht kommen wir ins Geschäft«, sagte der Nachbar. »Ich zahle Ihnen die zwei Tage An- und Abreise plus den Preis für den Hammer. Sie sind doch arbeitslos und haben die nötige Zeit. Was halten Sie davon?«

Er machte sich klar, daß das vier Tage Beschäftigung bedeutete – und nahm den Auftrag an.

Bei seiner Rückkehr wartete ein anderer Nachbar vor seiner Tür.

»Hallo, Herr Nachbar, Sie haben doch unserem Freund einen Hammer geliehen.«

»Ja … «

»Ich brauche ein paar Werkzeuge. Ich bin bereit, Ihnen vier Tagesreisen und eine kleine Gewinnspanne für jedes einzelne Stück zu zahlen. Denn es liegt ja auf der Hand, daß nicht jeder von uns vier Tage Zeit zum Einkaufen hat.«

Der ehemalige Portier öffnete seinen Werkzeugkasten, und sein Nachbar suchte sich eine Schraubzwinge, einen Schraubenzieher, einen Hammer und einen Meißel heraus. Er zahlte und ging.

»Nicht jeder von uns hat vier Tage Zeit zum Einkaufen«, die Worte klangen ihm noch im Ohr.

Wenn das so war, könnte es noch viele andere Menschen geben, denen daran gelegen war, daß er sich auf die Reise machte, um Werkzeug einzukaufen.

Bei seiner nächsten Reise beschloß er, einen Teil seiner Abfindungssumme zu investieren und noch mehr Werkzeug zu erwerben, als er bereits verkauft hatte. So könnte er Reisezeit einsparen.

Es sprach sich bald im Viertel herum, und immer mehr Nachbarn beschlossen, nicht mehr selbst zum Einkaufen ins Nachbardorf zu gehen.

Einmal pro Woche machte sich der frischgebackene Werkzeugverkäufer auf die Reise, um Einkäufe für seine Kunden zu erledigen. Dann wurde ihm klar, daß er, wenn er einen Raum fände, in dem er seine Werkzeuge lagern könnte, noch mehr Reisen einsparen und so noch mehr Geld verdienen würde. Also mietete er einen Laden an.

Er vergrößerte den Geschäftseingang, und ein paar Wochen später fügte er einen Lagerraum hinzu. Auf diese Weise wurde der Laden die erste Eisenwarenhandlung im Dorf.

Alle waren zufrieden und kauften bei ihm ein. Jetzt brauchte er nicht mehr zu reisen: Die Eisenwarenhandlung im Nachbardorf lieferte seine Bestellungen an, denn er war ein guter Geschäftspartner.

Mit der Zeit beschlossen alle Kunden in den umliegenden kleinen Dörfern, ihre Eisenwaren bei ihm zu kaufen und somit die zwei Tagesreisen einzusparen.

Irgendwann hatte er die Idee, daß sein Freund, der Schmied, ihm die Hammerköpfe anfertigen könnte. Und dann, warum nicht?, auch die Zangen, Zwingen und Meißel. Später kamen noch Schrauben und Nägel hinzu.

Um die Geschichte abzukürzen: Innerhalb von zehn Jahren hatte es dieser Mann durch Aufrichtigkeit und Fleiß zum millionenschweren Eisenwarenproduzenten gebracht und war zum einflußreichsten Unternehmer der Region geworden.

So einflußreich war er, daß er eines Tages zu Beginn des Schuljahres beschloß, seinem Dorf eine Schule zu stiften. Neben Lesen und Schreiben unterrichtete man dort die Künste und lehrte die nützlichsten Handwerksberufe.

Der Bürgermeister und der Gemeindevorsteher organisierten ein großes Fest zur Schuleinweihung und ein offizielles Abendessen zu Ehren ihres Stifters.

Beim Nachtisch überreichte der Gemeindevorsteher die Stadtschlüssel, und der Bürgermeister umarmte ihn und sagte:...


Bucay, Jorge
Jorge Bucay, 1949 in Buenos Aires geboren, ist einer der einflussreichsten Gestalttherapeuten Argentiniens. Mit 'Komm, ich erzähl dir eine Geschichte' gelang ihm der internationale Durchbruch als Autor. Bucays Bücher wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt und haben sich weltweit über zehn Millionen Mal verkauft.

Harrach, Stephanie von
Stephanie von Harrach, geb. 1967, war viele Jahre als Lektorin für deutschsprachige und internationale Literatur bei verschiedenen Verlagen tätig. Sie übersetzte u.a. Jorge Bucays 'Komm, ich erzähl dir eine Geschichte', sowie 'Die Kinder der Massai' von Javier Salinas aus dem Spanischen und 'Im Schatten des Banyanbaums' von Vaddey Ratner aus dem Englischen.

Jorge BucayJorge Bucay, 1949 in Buenos Aires geboren, ist einer der einflussreichsten Gestalttherapeuten Argentiniens. Mit 'Komm, ich erzähl dir eine Geschichte' gelang ihm der internationale Durchbruch als Autor. Bucays Bücher wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt und haben sich weltweit über zehn Millionen Mal verkauft.
Stephanie von HarrachStephanie von Harrach, geb. 1967, war viele Jahre als Lektorin für deutschsprachige und internationale Literatur bei verschiedenen Verlagen tätig. Sie übersetzte u.a. Jorge Bucays 'Komm, ich erzähl dir eine Geschichte', sowie 'Die Kinder der Massai' von Javier Salinas aus dem Spanischen und 'Im Schatten des Banyanbaums' von Vaddey Ratner aus dem Englischen.

Jorge Bucay, 1949 in Buenos Aires geboren, ist einer der einflussreichsten Gestalttherapeuten Argentiniens. Mit »Komm, ich erzähl dir eine Geschichte« gelang ihm der internationale Durchbruch als Autor. Bucays Bücher wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt und haben sich weltweit über zehn Millionen Mal verkauft.
Stephanie von Harrach, geb. 1967, war viele Jahre als Lektorin für deutschsprachige und internationale Literatur bei verschiedenen Verlagen tätig. Sie übersetzte u.a. Jorge Bucays »Komm, ich erzähl dir eine Geschichte«, sowie »Die Kinder der Massai« von Javier Salinas aus dem Spanischen und »Im Schatten des Banyanbaums« von Vaddey Ratner aus dem Englischen.



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