E-Book, Deutsch, 204 Seiten
Bürger Friedenslandschaft Sauerland
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7412-1561-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Antimilitarismus und Pazifismus in einer katholischen Region
E-Book, Deutsch, 204 Seiten
ISBN: 978-3-7412-1561-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Peter Bürger, geboren 1961 in Eslohe (Sauerland) studierte katholische Theologie und arbeitet als freier Publizist. Seine Studien zur massenkulturellen Kriegspropaganda wurden 2006 mit dem Bertha-von-Suttner-Preis (Kunst und Medien) ausgezeichnet. 1987 Initiator des Christine-Koch-Mundartarchivs (Museum Eslohe). Zahlreiche Publikationen zur südwestfälischen Regionalkultur, darunter eine mehrbändige Mundartliteraturgeschichte und das Buch 'Fang dir ein Lied an! Selbsterfinder, Lebenskünstler und Minderheiten im Sauerland' (2013). LWL-Förderpreis für westfälische Landeskunde (2010) und Johannes-Saß-Preis der Bevensen-Tagung (2014) für die Arbeiten zum Niederdeutschen.
Autoren/Hrsg.
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I. Vorab: Auf der Suche nach Friedensspuren im „katholischen Sauerland“
„Ich habe oft von Männern, die am Christus-Ekel kränkeln, den Einwurf gehört: was denn doch die Religion Jesu viele nütze und genützt habe? Die europäischen oder christlichen Nationen seien ja doch in Ansehung ihrer sittlichen Vervollkommnung um keinen Grad besser, als von jeher auch andere gebildete Völker gewesen sind. – Im Ganzen genommen ist freilich etwas dran: die Staatspolitik ist noch immer eben so pfiffig [...], und unsere Kriege haben durchgehends so wenig Christliches, daß man eine europäische Armee wohl schwerlich von Nebukadnezars oder Alexanders Heeren [...] würde unterscheiden können.“ : „Auch eine heilige Familie“ (vor 1795)
„Niu lot us ower men gau maken, dat vyi wiägkummet, süs [...] könn et us äuk wuol gohn, ärr’ diän’, dai do ligget.“ 1
Die mit „Globalisierung“ verbundene Technologie könnte Nachbarschaft, Austausch und Zusammenarbeit auf unserem Planeten befördern, doch sie dient stattdessen vornehmlich der Beherrschung und Kontrolle von immer mehr Lebensräumen. (Kriegsdenken und Bewegungen der Freiheit sind eben zwei unterschiedliche, einander ausschließende Erscheinungen.) Die digitale Kommunikation, basierend auf Ergebnissen der Militärforschung, hat gleichzeitig zu einer Militarisierung unserer Alltagskultur geführt, wie es sie so wirkungsvoll noch nie in der Geschichte gegeben hat. Schlagzeilen zur Rechtfertigung der nächsten Luftangriffe gelangen per Mobilfunk ohne Zeitverzögerung zu allen Menschen, die „vernetzt“ sind. Unterhaltungsindustrielle Produkte lehren die zumeist jungen Konsumenten, alles, was ihnen in die Quere kommt, mit dem Ego-Shooter (Waffen-Ich) über den Haufen zu schießen. Die höchste Aktivität vor den Bildschirmen besteht für andere Nutzer darin, über Sensoren anspruchsvolle, „saubere“ Militärsimulationen zu bedienen – stundenlang.
Schlimm ist nicht, in diesen Zusammenhängen Gewalt dargestellt wird, denn Gewalt ist ein Teil der Welt, in der wir leben. Skandalös ist vielmehr, die virtuellen Gewaltszenarien eine Heiligsprechung des Programms „Krieg“ in allen Lebensbereichen betreiben und die Mordopfer in fernen Ländern je nach Bedarf unsichtbar machen: „Gerühmt seien die Rücksichtslosen, denn sie werden den Profit einfahren. Selig die Bewaffneten, denn sie werden das Land und den ganzen Erdkreis beherrschen.“ Der Aufstand gegen diese zerstörerische Massenkultur und die durch sie bewirkten Beschädigungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens bleibt aus. Allein dies beweist, dass es Konservative, die diesen Namen verdienen, nicht mehr gibt. Wir merken nicht einmal mehr, dass die uns vorgeführten „Ungeheuer“ aus sogenannten fremden Kulturkreisen Spiegelbilder des ganz gewöhnlichen, kommerziellen Kulturangebots auf „unserer Seite“ sind.
Der Krieg gehört zu einem aggressiven Wirtschaftssystem, wie der Bruder Papst in Rom zutreffend diagnostiziert. Argumente oder Erfolgskontrolle braucht man nicht mehr, auch wenn der Bankrott des militärischen Aberglaubens offen zutage liegt. Vielmehr verlegt sich das digitale Konzert der Verblödung 70 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges darauf, Pazifisten und Kriegsgegner verächtlich zu machen. Wer sich der Diktatur des Militärdenkens im Bann einer über Leichen gehenden Geldvermehrungsmaschine nicht unterwirft, so bemerkt , wird als „Weichei“ gebrandmarkt. Wer Friedenswissenschaften und Friedensindustrien oder „Brot statt Rüstung“ einfordert, gilt als verrückt. Wer sich gegen die gigantischen Kriegswaffenexporte unseres Landes stellt und gegen weitere Bombeneinsätze, die noch mehr Millionen Menschen zur Flucht zwingen, wird unverdrossen als „realitätsferner Träumer“ abgetan. Wenn junge Menschen, die für die Einheit der ganzen Menschenfamilie auf unserem Planeten einstehen, ihre Anliegen gewaltfrei und intelligent in die Öffentlichkeit tragen, rücken einige Konzernmedien Grüppchen von militanten Abenteurern ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Für den Kartoffelsalat auf Bildschirmen braucht man harte Eier.
Umso phantasievoller sollten all jene ihre Suche gestalten, die an der zivilisatorischen Ächtung des Krieges durch die Charta der Vereinten Nationen festhalten. Schon 1517 meinte : „Alle müssen sich gegen den Krieg verschwören und ihn gemeinsam verlästern.“ Die „Heldengestalten“ in sämtlichen Genres der Unterhaltungsindustrie haben wahrlich einen Grad der Lächerlichkeit erreicht, dass uns der Bauch vor Lachen platzen müsste.
Zu allen Zeiten sind es die Feiglinge, die Drückeberger, die Dummen und die , die das große Mitläufer-Heer der irrationalen Kriegsapparatur stellen und sich dem „von oben“ Vorgegebenen willenlos einfügen. Dies ist der bequeme Weg. Die mutigen und wirklich einsatzbereiten Menschen stehen auf der Gegenseite. Sie können ihre Angst überwinden und singen dann wider den Höllenlärm der Bomben ein anderes, neues Lied. Um „moralistischen Aktivismus“ geht es hierbei nicht. Die Kraft der Gewaltfreiheit wurzelt in einer inneren Zärtlichkeit, die ein Höchstmaß an ermöglicht. Deshalb ist in der Bergpredigt Jesu wörtlich die Rede von (griechisch: eirênopoioi; lateinisch: pacifici): „Glücklich die Friedensstifter, denn sie werden Söhne [und Töchter] Gottes heißen.“ (Matthäus-Evangelium 5,9)
Die allgegenwärtige Remilitarisierung kann auf ökonomische, politische und massenkulturelle Aufrüstungen zurückgreifen, bleibt jedoch im Inneren hohl. Es ist die Befähigung zum Frieden, die konkrete Lebensräume zur von Menschen werden lässt und darüber hinaus unserer Gattung eine Zukunft auf der Erde eröffnet. Ein im Internet frei abrufbarer Sammelband „Friedenslandschaft Sauerland“2 und das hier unter gleichem Titel vorgelegte Buch stellen einen Versuch dar, den Nebel des Kriegsdenkens auch durch Beiträge zum und die Erinnerung an „nahe Vorbilder“ zu durchbrechen.3 Im Vordergrund steht das Ermutigende, doch Abwege und Abgründiges gehören mit zum Gesamtbild.
Unter der Überschrift „Friedenslandschaft Sauerland“ der eigenen Herkunftsregion eine besondere Immunität gegenüber der Kriegsreligion und den Heilsversprechen des Militarismus zu bescheinigen, das wäre freilich verlockend. Indessen halten Heimatpatrioten jedweder Schattierung allzu leicht ihre Wunschbilder schon für historische Wirklichkeiten und merken nicht mehr, wenn sie im Netz der eigenen Konstruktionen festhängen. Gewiss, die allermeisten Menschen zu allen Zeiten wollen aus naheliegenden Gründen keinen Krieg. Ausgesprochene Antimilitaristen und Pazifisten, die das Übel der Menschenschlächterei nicht für ein unvermeidliches Naturereignis halten, sind im katholischen Teil des Sauerlandes – wie anderswo – jedoch immer eine geblieben! Auch nach zwei Weltkriegen bekamen Mitläufer und Kollaborateure des Militärapparates viel eher eine Chance, im Scheinwerferlicht des öffentlichen Geschichtsgedächtnisses zu stehen, als jene, die sich verweigert hatten.
So stellt sich, um einen Buchtitel von Dieter Riesenberger aufzugreifen, zunächst die Herausforderung einer regionalen „Geschichtsschreibung im Dienste des Friedens“ – und gegen das Vergessen. Die Überschrift „Friedenslandschaft“ markiert also noch kein besonderes Gütesiegel, sondern steht für eine bestimmte Blickrichtung.4 Es ergeht die Einladung zu Erkundigungen über geschichtliche, soziale und kulturelle Kontexte sowie zu Persönlichkeiten und Initiativen, die der menschlichen Gesellschaft jenseits des selbstmörderischen Programms „Krieg“ Lebensperspektiven eröffnen.5
Die Taufe Jesu, Buchmalerei aus dem Evangeliar der Äbtissin Hitda von Meschede (entstanden vor einem Jahrtausend). https://commons.wikimedia.org
1 (Hauptgestalt eines sauerländischen Mundartbuches) 1864 im preußischen Krieg gegen die Dänen, angesichts der Leichen auf dem Schlachtfeld (zitiert nach Bürger 2012, S. 269-270); übersetzt: „Nun lass uns aber zusehen, dass wir hier wegkommen, sonst könnte es uns auch wohl so ergehen wie denen, die da liegen.“
2 daunlots nr. 77* (Beiträge von 18 Autorinnen und Autoren; 525 Seiten).
3 Die Arbeit an beiden Publikationen widme ich einem ehemaligen Soldaten aus dem Sauerland, der mich wegen der Friedenstaube an meiner Jacke angesprochen und seine Geschichte unter bitteren Tränen erzählt hat. Bewaffnet hatte man ihn in Afghanistan in ein Gebäude geschickt. Bewaffnete, Feinde wären darin – hatte man gesagt ... Es folgten mehrere Monate Aufenthalt in einer Psychiatrie ... Die öffentliche Debatte über den neuen Kriegswahn im 21. Jahrhundert, der seit dem US-amerikanischen Angriffskrieg gegen den Irak im Jahr 2003 unaufhörlich neue Brandherde produziert, hat noch gar nicht begonnen. Die Soldaten wissen mehr. 4 Als positives Beispiel für ein entsprechendes Augenmerk in der Regionalforschung ist die ökumenische „Kirchengeschichte am Oberrhein“ zu nennen, die ein stattliches Kapitel „Friedensbemühungen“ enthält: Henze 2013; vgl. auch ein aktuelles Ausstellungprojekt: pax christi Essen 2015*.
5 Ich greife im Folgenden für die Zeit bis 1919 auf meine älteren Forschungsarbeiten zurück, ohne dies immer durch Anführungszeichen kenntlich zu machen. Besonders ausführlich sind jene...