E-Book, Deutsch, Low German, Low Saxon, 548 Seiten
Bürger Sauerländische Mundart-Anthologie III
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7412-4328-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Plattdeutsche Prosa 1890 - 1918
E-Book, Deutsch, Low German, Low Saxon, 548 Seiten
ISBN: 978-3-7412-4328-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Reihe 'Sauerländische Mundart-Anthologie' erschließt Regionalliteratur aus dem Kreis Olpe, dem Hochsauerlandkreis, dem Märkischen Kreis, dem Kreis Soest und der nahen Grenznachbarschaft. Dieser dritte Band versammelt plattdeutsche Prosa des Zeitraums 1890 - 1918. Das literarische Spektrum umfasst u.a. Sagen, Legenden und Schwänke aus dem Leuteleben, ein sozialgeschichtlich sehr aufschlussreiches Schelmenbuch, drei südwestfälische Städtechroniken, einen historischen Roman, eine 'Dorfgeschichte', eine Romanze aus der Gründungszeit des Sauerländischen Gebirgsvereins und erstaunlich viele Erzählungen mit ernster Tendenz. Das neue Editionsprojekt aus dem Christine Koch-Mundartarchiv am Museum Eslohe entwickelt sich zu einer repräsentativen Bibliothek, nicht nur für Fachleute und Liebhaber des Plattdeutschen. Auch 'Anfänger' können sich mit Hilfe von Wörterbüchern auf eine Lesereise durch die Sprach- und Kulturgeschichte Südwestfalens begeben.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort zu diesem Band
In früheren Jahrhunderten sorgten oft schon die Grenzen der Kirchspiele dafür, dass sich bestimmte sprachliche Eigentümlichkeiten in Kleinräumen festigen und erhalten konnten. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat die Revolution des Eisenbahnwesens stärker als jede andere Neuerung jene unsichtbaren Mauern durchbrochen, die einstmals gerade auch die Landschaftsteile des Sauerlandes umschlossen. Zeitnah beschreibt schon FRIEDRICH WILHELM GRIMME dieses Geschehen in seinem humoristischen Prosatext (1872) als Auftakt zu einer regelrechten Globalisierung! Franz-Josef Keite, Mitarbeiter des Esloher Museums, vermisst dieses bedeutsame Mundartzeugnis im zweiten Band der Anthologie-Reihe. Mit Vergnügen greife ich seinen sehr berechtigten Hinweis auf. Die Zeit wird noch einmal um zwei Jahrzehnte zurückgedreht. GRIMMES weitsichtige Vision von einem sauerländischen Weltbürgertum steht jetzt am Anfang der hier vorgelegten Sammlung.
Hintergründe, Inhaltsangaben, ideologiekritische Beobachtungen und Deutungen zu den in diesem Anthologie-Band erschlossenen Werken werden – von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen – ausführlich in der „Fortschreibung der sauerländischen Mundartliteraturgeschichte bis zum Ende des ersten Weltkrieges“3 dargeboten. Diese Publikation, die nicht zuletzt auch als Studie zur regionalen Sozial- und Mentalitätsgeschichte angelegt ist, zeigt z.B. konfessionell bedingte Unterschiede bei den plattdeutschen Produktionen auf. Im evangelischen Landschaftsteil stoßen wir früher auf ausgesprochen militär- und preußenfreundliche Texte4; die kurkölnische Nachbarschaft findet hier erst nach 1900 den unrühmlichen „Anschluss“. Im katholischen Sauerland spielen hingegen Religion und konfessionelles Milieu durchgehend eine viel größere Rolle; leider ist dort auch die judenfeindliche Tendenz bei Schwank-Autoren ungleich stärker ausgeprägt.
In der Auswahl dieses Bandes konnten mit gleichmäßiger Gewichtung Mundartzeugnisse aus allen „niederdeutschen“ Kreisgebieten Südwestfalens (Kreis Olpe, Hochsauerlandkreis, Märkischer Kreis, Kreis Soest) berücksichtigt werden. Den Auftakt bildet – ohne Kürzungen – das Werk , das um 1880 geschrieben worden sein soll und vielleicht um 1890 in Neheim veröffentlicht worden ist. Meine besondere Wertschätzung dieses lange nicht auffindbaren Textes habe ich u.a. durch eine umfangreiche sozialgeschichtliche und psychologische Deutung zum Ausdruck gebracht.5
Über einige beispielhafte Kapitel werden die drei plattdeutschen Städtechroniken von Soest (1896), Iserlohn (1896) und Hamm (1903/ 1904) vorgestellt, die erwartungsgemäß eine bildungsbürgerliche Prägung aufweisen. Der in Soest geborene EDUARD RAABE, Verfasser der zweibändigen Stadtchronik von Hamm, hat mit seinem Buch (1893) auch ein literarisches Zeugnis zum bürgerlichen Wander- und Heimatkult der Kaiserzeit vorgelegt. Einen historischen Mundartroman (1898) verdanken wir dem Iserlohner CARL HÜLTER. Der Literaturgattung „Dorfgeschichte“ lässt sich am ehesten das – sprachlich wie inhaltlich ansprechende – Büchlein (1903) von JOSEPH WESTEMEYER aus Rhynern bei Hamm zuordnen; der Vater des Autors war Sauerländer.
Neben der Bearbeitung von Leuteüberlieferungen (Sagen, Legenden, Spukgeschichten) wird das humoristische Schwank-Genre sehr eifrig fortgeführt. Hier fühlen sich z.B. die Bödefelder JOHANN HENGESBACH und GOTTFRIED HEINE in ihrem Element. HENGESBACH, ein finsterer Reaktionär mit unverkennbarem Erzähltalent, möchte mit seinem zweiten Buch (1905) allerdings eine zusammenhängende Geschichte gestalten, nämlich die Reise von zwei Junggesellen zur Düsseldorfer Ausstellung. Gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es freilich kein Übergewicht der „lustegen Saken“! Schwankautoren wie THEODOR SCHRÖDER, JOST HENNECKE und später FRANZ ANTON MÖNIG wollen ihre Leserschaft – mit kurzen oder langen Texten – auch nachdenklich stimmen. MÖNIG schreibt im Weltkrieg u.a. plattdeutsche Seelsorge- bzw. Pfarrnachrichten aus der Heimat für Soldaten; das ist etwas Neues. Bei HENNECKE, der sich aufgrund von Stammbaumforschung seiner „freiheitsliebenden“ Vorfahren aus dem Musikantengewerbe bewusst ist, gibt es eine Entwicklung. Im Erstlingswerk „Heididdeldei“ von 1908 findet man u.a. ein besonders hässliches Beispiel für die – in kleinbürgerlich geprägten Mundartbüchern durchaus nicht seltene – Verächtlichmachung von unterstützungsbedürftigen Armen (). In der nachfolgenden Sammlung „Wille Diuwen“ (1911) stoßen wir dann auf einen sehr sympathischen Schwank der Sorte „Sozialer Aufstieg“ () und auf den Prosatext , in dem der Autor deutlicher als jeder andere Zeitgenosse gegen die Ausgrenzung der Nachfahren von „Kötten“6 Stellung bezieht.
In seinem Band (1906) wartet LUDWIG SCHRÖDER aus Soest fast ausschließlich mit ernsten Erzählungen auf. Ausgewählt habe ich daraus eine „Novelle“ wider die Diskriminierung aufgrund unehelicher Geburt und eine Geschichte, in der der jüdische Nachbar einem Christen hilft, sich gegen den egoistischen Materialismus in dessen Familie kreativ zur Wehr zu setzen. Der Verfasser hat Ideen, mit denen er sein u.a. in Rezensionen skizziertes Literaturideal verwirklichen möchte. Zur eigenen Sprachaneignung in der Familie von Freunden seiner Eltern wird er 1921 rückblickend schreiben: „Ick was joa ’n Stadtkind un konn kein Woart Platt kuiern, as ick no Schmidts henkam.“
Im Zusammenhang mit den ‚ernsten Tendenzen‘ muss unbedingt die Lüdenscheiderin EMMA CRAMER-CRUMMENERL genannt werden. Ihre in die vorliegende Anthologie aufgenommene plattdeutsche Prosa ist im hochdeutschen Buchtitel „Vom Herzens-Überfluss“ [1915] gleichsam versteckt und deshalb von mir bislang übersehen worden. Die Autorin lenkt den Blick auf die Heiratsaussichten von jungen Frauen aus der sogenannten Unterschicht () und empfiehlt im Einzelfall z.B. geduldige Gewöhnung an den Alkoholkonsum eines Gatten (). Die gastronomischen Genüsse der Landschaft für Wanderfreunde sind mitunter zweifelhafter Natur (). Im Münsterland will ein Sauerländer eine Bauerntochter als Magd anwerben, wird hierbei jedoch als Hochzeitsfreier eingeschätzt (). Die militärfreundliche Tendenz der Lüdenscheiderin kommt auch in einigen plattdeutschen Prosatexten zum Zuge, allerdings weniger aufdringlich als in ihrer Lyrik (). Die Beleuchtung sozialer Verhältnisse fällt bei der Darbietung des Gesprächs zwischen einem eifrigen jungen Theologen und einem schicksalserprobten Achtzigjährigen besonders überzeugend aus ().
Abwegig ist es freilich, ernste und humoristische Texte gegeneinander auszuspielen. Moralisierende oder sentimentale Erzählungen können bekanntlich sehr flach ausfallen. Besonders hochgesteckte Ansprüche und lange Schachtelsätze tragen selten zum plattdeutschen Lesegenuß bei. Ein wie auf leichten Füßen daherkommender Schwank kann andererseits von wacher Wahrnehmung sozialer Verhältnisse zeugen und sehr tiefgründig sein. Schließlich gibt es Texte, die sich den üblichen Klassifizierungen widersetzen. Der Drolshagener JOSEPH BÖRSCH versammelt in seinem Band „Min Draulzen“ (1917) plattdeutsche Geschichtsschreibung, Leutegut, Legenden, Sagen und Schwänke. Wohin nun stecken wir aber sein wunderliches Stück ?
In technischer Hinsicht unterstützt mich seit Anfang dieses Jahres Wolf-Dieter Grün (Wenden) bei neuen Texterfassungen für das Projekt „Sauerländische Mundart-Anthologie“. Seine uneigennützige Hilfe, für die mir aus mehreren Jahrzehnten regionaler Kulturarbeit kein Vergleich einfällt, ist zugleich eine starke – menschliche – Ermutigung.
Gewidmet sei die Herausgabe dieses Bandes Jupp Balkenhol vom Möhnesee, dem wohl hartnäckigsten Mundartschreiber der Region.
Düsseldorf, im Mai 2016 Peter Bürger
Titelblatt der Originalausgabe „Hiärmen Slaumayers Liäwensläup“ im Germanistischen Institut der Universität Münster; handschriftlicher Vermerk „geschrieben um 1880“ (Reproduktion: Kommission für Mundart- und Namenforschung Westfalens).
3 Liäwensläup...




