E-Book, Deutsch, 420 Seiten
Bui Thi Selbstlernen mit einem Online-Sprachlernprogramm
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8233-0345-9
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine empirische Untersuchung zum Lernverhalten von DaF-Lernenden auf Niveaustufe A1 beim Umgang mit Duolingo
E-Book, Deutsch, 420 Seiten
Reihe: Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik
ISBN: 978-3-8233-0345-9
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In diesem Buch steht eine qualitative Studie im Mittelpunkt, die den Umgang von vietnamesischen DaF-Lernenden auf Niveaustufe A1 mit dem Online-Sprachlernprogramm Duolingo zum selbstständigen Erwerb der deutschen Sprache im grammatischen, lexikalischen und phonetischen Bereich untersucht. Dabei wurden ihr Erstkontakt mit dem Programm, ihre Nutzungsweisen und ihre Lernhandlungen sowie ihr Lernverhalten beobachtet. Anhand der Auswertungsmethode der qualitativen Inhaltsanalyse mithilfe der Software MAXQDA wurden Daten aus Interviews, Fragebögen und Bildschirmaufzeichnungen analysiert. Danach wurden Ergebnisse zu verschiedenen Aspekten wie z. B. zum Lernverhalten bei der ersten Begegnung mit Duolingo, zum Umgang mit Duolingo beim DaF-Erwerb, zu Einflussfaktoren auf die Unterbrechung sowie das Weiterlernen und fünf Typen bei der Nutzung von Duolingo ermittelt.
Dr. Thi Thanh Hien Bui ist Inhaberin des Lehrstuhls für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Hanoi in Vietnam.
Autoren/Hrsg.
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2.1 Selbstlernen von Fremdsprachen
In Vietnam wird das Selbstlernen von Fremdsprachen mit einer bekannten Persönlichkeit – dem Präsidenten Ho Chi Minh – verbunden. Während seiner Auslandsaufenthalte versuchte er immer, selbst Fremdsprachen zu lernen (vgl. Doan 2018). Dass das Selbstlernen von Fremdsprachen keine neue Lernform ist, bestätigt auch Nandorf (2003, 36). Allerdings wird es in der Tat oft mit anderen Begriffen gleichgesetzt. Demzufolge wird im Folgenden der Begriff Selbstlernen im Vergleich mit synonymen Begriffen genauer betrachtet. Darüber hinaus werden verschiedene den Selbstlernprozess beeinflussende Merkmale wie Motivation, Lernstile, Lernstrategien und Lerntypen dargestellt. 2.1.1 Der Begriff Selbstlernen
Da es in der vorliegenden Arbeit um das Selbstlernen mit einem Online-Sprachlernprogramm namens Duolingo geht, ist es äußerst wichtig, den Begriff Selbstlernen zu verdeutlichen. In der Literatur wird der Begriff Selbstlernen mit den zwei Begriffen selbstgesteuertes Lernen und Lernerautonomie in Verbindung gebracht. Aus diesem Grund wird der Begriff Selbstlernen im Folgenden genauer definiert, indem die Unterschiede zwischen diesen drei Begriffen erläutert werden. Dickinson (1987) betrachtet self-instruction (Selbstlernen) als einen neutralen Oberbegriff für Situationen, in denen die Lernenden ohne direkte Kontrolle der Lehrenden lernen: „This is a neutral term referring generally to situations in which learners are working without the direct control of the teacher“ (ebd., 11). Diese Definition bleibt sehr offen für unterschiedliche Lernformen und Deutungen. Lahaie (1995) definiert den Begriff Selbstlernen auch ähnlich als „eine Form der Wissensvermittlung, die ohne Lehrer […] und ohne Direktunterricht stattfindet“ (ebd., 13). Eine umfassende Definition dieses Begriffs wird von Rösler (1998, 4; 2007, 32; 2012, 116) erläutert, indem er darlegt, dass Selbstlernen im Bereich Fremdsprachenlernen Bezug auf die Organisationsform nimmt: „(E)ntweder der gesamte Lernprozess oder zumindest größere Teile davon finden unabhängig von Lehrern und Institutionen statt“ (Rösler 2012, 116). Das Selbstlernen kann seiner Auffassung nach wie folgt fremdgesteuert oder selbstgesteuert sein: Selbstlernen kann sehr stark fremdgesteuert stattfinden, wenn z.B. ein Lernender strikt den Vorgaben auf einer CD oder in einem gedruckten Selbstlehrwerk folgt. Alternativ dazu würde ein stärker selbstgesteuerter Lernender sich über seinen Lernweg Gedanken machen, er würde sogenannte metakognitive Strategien, mit denen er seinen Lernfortschritt und Lernprozess reflektiert und plant, einsetzen und dem Lernmaterial gegenüber eine eigene Position einnehmen. In seiner Beschreibung der Art der Organisation des Lernens ist Selbstlernen also neutral im Hinblick auf die Art der Steuerung. (Rösler 2007, 32) In diesen Definitionen wird deutlich, dass Selbstlernen als eine Form der Organisation des Lernens, die nicht in Abhängigkeit von Lehrenden und Institutionen stattfindet, betrachtet wird. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit trifft dies in hohem Maße zu, da die Teilnehmenden Deutsch freiwillig selbst lernten, ohne an eine Institution gebunden zu sein. Daher ist dies ein wichtiger Aspekt bei der Abgrenzung von anderen Begriffen. Allerdings hat diese Form des Lernens auch Elemente der „Selbststeuerung“ (Rösler 2007, 33), die durch die Eigenverantwortung für den Lernprozess zu einem möglichst erfolgreichen Selbstlernen führt (vgl. ebd.). Dies scheint der Grund zu sein, warum der Begriff Selbstlernen auch selbstgesteuertes Lernen genannt wird, da eine enge Beziehung zwischen selbstgesteuertem Lernen und erfolgreichem Selbstlernen besteht (vgl. ebd.). Laut Kraft (1999) können verschiedene Formen des selbstgesteuerten Lernens differenziert werden, nämlich Lernorganisation, Lernkoordination, Lernzielbestimmung, Lern(erfolgs)kontrolle und subjektive Interpretation der Lernsituation: Lernorganisation: Der Lernende trifft Entscheidungen über Lernorte, Zeitpunkte, Lerntempo, Ressourcen, Verteilung und Gliederung des Lernstoffs, Lernpartner. Lernkoordination: Der Lernende übernimmt die Abstimmung des Lernens mit anderen Tätigkeiten/Anforderungen in Beruf und Familie. Lernzielbestimmung: Der Lernende wählt die Lerninhalte selbst aus und legt die Lernziele fest. Lern(erfolgs)kontrolle: Der Lernende kontrolliert selbst den Fortschritt seines Lernens und seinen Lernerfolg. Subjektive Interpretation der Lernsituation: Der Lernende sieht, definiert und empfindet sich als selbständig im Lernprozeß. (Kraft 1999, 835) In Bezug auf die vorliegende Studie sind diese Formen auch relevant, da sie bei den Teilnehmenden im Selbstlernprozess zu beobachten sind. Beispielsweise entschieden sie sich bei der Lernorganisation für ihr Lerntempo (s. Kap. 7.2.1.5) oder ihre Ressourcen (s. Kap. 6.2) und bei der Lernkoordination übernahmen sie die Abstimmung mit anderen Tätigkeiten wie z.B. Arbeit, Studium und sozialen Aktivitäten (s. Kap. 7.2.3, 7.2.4.1). Durch verschiedene Definitionen können die beiden Begriffe unterschieden werden, da selbstgesteuertes Lernen „kein einheitlich und präzise definierter wissenschaftlicher Begriff“ ist (Lahaie 1995, 22) und „in der Fachliteratur sehr unterschiedlich definiert“ wird (ebd.). Dickinson (1987) definiert self-direction (Selbststeuerung) als Einstellung zum Lernen, wobei „the learner accepts responsibility for his learning, but he does not necessarily carry out courses of action independently in connection with it“ (ebd., 11). In diesem Sinne ist der Begriff nach Lahaie (1995) die Bereitschaft der Lernenden, in unterschiedlichem Umfang Eigenverantwortung für ihr Lernen zu übernehmen, auch wenn sie die Hilfestellung einer Lehrperson brauchen (vgl. ebd., 23). Im Kontext des Selbstlernens mit Lernsoftware versteht Nandorf (2004) selbstgesteuertes Lernen als eine Lernform, bei der sich die Lernenden selbst für ihre Lernorganisation und ihren Lernprozess entscheiden und Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess übernehmen, aber nicht unbedingt über eine bewusste Beziehung dazu und kritische Reflexionsfähigkeit verfügen (vgl. ebd., 17). Rösler (2007) erwähnt in seiner Definition auch den Aspekt der Eigenverantwortung und betont, dass die Lernenden in der Lage sind, unabhängig von Zeit und Raum zu sein und selbstbestimmt mit dem Lernstoff umzugehen. Die notwendigen Eigenschaften der Lernenden dafür sind Disziplin, Selbstverantwortung und Organisationsfähigkeit (vgl. ebd., 34). Nach Schmenk (2016) wird unter Selbststeuerung „nicht mehr nur das individuell gesteuerte und strategiegeleitete (Selbst-)Lernen verstanden, sondern auch das gemeinsame Lernen in virtuellen oder realen Lernumgebungen, das gemeinsame Planungs-, Durchführungs- sowie Evaluationsprozesse erfordert“ (ebd., 370). Durch die oben genannten Definitionen wird der Unterschied zwischen Selbstlernen und selbstgesteuertem Lernen angedeutet, indem unter Selbstlernen eine Organisationsform des Lernens und unter selbstgesteuertem Lernen die Einstellung zum Lernen und Eigenverantwortung für den eigenen Lernprozess verstanden wird. Da es in dieser Arbeit um den Umgang der Selbstlernenden mit einem Online-Sprachlernprogramm geht, treffen die von Dickinson (1987), Lahaie (1995) und Schmenk (2016) eingeführten Definitionen nicht auf die in dieser Arbeit analysierte Lernsituation zu, weil die Lernenden in dieser Studie eigenständig Handlungsoptionen durchführen konnten und keine Lehrperson bzw. keine Lernpartner*innen zur Verfügung hatten. Jedoch werden die Merkmale des selbstgesteuerten Lernens, die von Nandorf (2004) und Rösler (2007) genannt werden, als wichtig bei der Bestimmung des Begriffs Selbstlernen im Rahmen dieser Arbeit gesehen. Im Zusammenhang mit Selbstlernen wird auch der Begriff Autonomie erwähnt, indem Selbstlernen nach Holec (1979) mit Halbautonomie verglichen wird (vgl. Lahaie 2007, 413). Aufgrund dessen ist es äußerst wichtig, den Begriff Lernerautonomie genauer zu betrachten. Dickinson (1987) definiert Lernerautonomie wie folgt: This term describes the situation in which the learner is totally responsible for all the decisions concerned with his learning and the implementation of those decisions. In full autonomy there is no involvement of a teacher or an institution. And the learner is also independent of specially prepared materials. (Dickinson 1987, 11) Während Dickinson betont, dass es bei der Vollautonomie keine...