E-Book, Deutsch, 761 Seiten
Bulwer-Lytton Margrave
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7565-3076-2
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die seltsame Geschichte eines schwarzen Magiers
E-Book, Deutsch, 761 Seiten
ISBN: 978-3-7565-3076-2
Verlag: epubli
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Edward George Bulwer-Lytton, 1. Baron Lytton PC (* 25. Mai 1803 in London; ? 18. Januar 1873 in Torquay) war ein englischer Romanautor und Politiker des 19. Jahrhunderts.
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1. Kapitel
Im Jahre 18... begann ich meine Praxis als Arzt in einer der reichsten von unseren großen englischen Städten, die ich nur mit dem Anfangsbuchstaben L… bezeichnen will. Ich war noch jung, hatte mir aber schon einigen Ruf erworben durch ein wissenschaftliches Werk, das, wie ich glaube, noch jetzt in Betreff des behandelten Gegenstandes als eine Autorität gilt. Ich machte meine Studien in Edinburg und Paris und erwarb mir an diesen ausgezeichneten medizinischen Schulen den Beifall meines Lehrers in einem Grade, welcher den Ehrgeiz des Studenten wohl zu der Aussicht aus künftige Auszeichnung berechtigte. Nachdem ich Mitglied des Ärztekollegiums geworden, bereiste ich die Hauptstädte Europas, an deren ausgezeichneten Praktiker ich mit Empfehlungsschreiben versehen war, sammelte mir aus den verschiedenen Theorien und Heilmethoden das Material, um die auf den Universitäten gelegten praktischen Grundlagen umfassend und vorurteilsfrei zu erweitern, und nahm mir vor, schließlich meinen Wohnsitz in London zu nehmen. Ehe ich jedoch meine wissenschaftliche Reise beendigt hatte, trat eines jener unerwarteten Ereignisse ein, welche so oft die selbstständigen Entwürfe des Menschen vereiteln, und bewog mich, meinen Plan zu ändern. Als ich auf dem Weg nach dem nördlichen Italien durch Tirol kam, fand ich in einem kleinen, von ärztlicher Hilfe weit abgelegenen Wirtshaus einen englischen Reisenden, der an einer Lungenentzündung gefährlich erkrankt war. Ich widmete mich ihm Tag und Nacht, und so hatte ich, vielleicht mehr infolge der sorgsamen Pflege, als der angewandten Arzneimittel, das Glück, ihn vollständig wieder hergestellt zu sehen. Der Reisende war selbst ein ausgezeichneter Arzt, Julius Faber, der sich beschieden hatte, seinen Geburtsort, die Provinzialstadt L…, zu seinem Wirkungskreis zu wählen, obschon er als denkender und origineller Pathologe einen weitverbreiteten Ruf besaß, wie denn auch seine Schriften einen nicht unwichtigen Teil meiner Spezialstudien ausgemacht halten. Er war im Begriff, mit erneuerter Kraft von einem kurzen Erholungsausflug wieder heimzukehren, als ihn die erwähnte Heimsuchung traf. Der Patient, der mir so zufällig in den Wurf kam, wurde der Gründer meines Glücks als Arzt. Er fasste eine warme Zuneigung zu mir, vielleicht um so mehr, weil er ein kinderloser Hagestolz war und der Neffe, auf den sein Reichtum übergehen sollte, nichts von dem Wunsche merken ließ, auch in die Mühen einzutreten, durch welche dieser Reichtum errungen worden. Ein Erbe für diesen war vorhanden; nach einem Nachfolger in jenen aber hatte er sich lange vergeblich umgesehen, und er setzte sich nun in den Kopf, denselben in mir gefunden zu haben. Ich musste ihm beim Abschied versprechen, mit ihm einen regelmäßigen Briefwechsel zu unterhalten, und es stand nicht lange an, als er mir schrieb, welche Plan er zu meinen Gunsten vorhabe. Er sei alt, lautete sein Brief, die Praxis überbiete seine Kräfte, und er bedürfe einer Unterstützung; er könne es nicht über sich gewinnen, die Gesundheit seiner Patienten, die ihm wie Kinder nahe ständen, zu einem Gegenstand des Verkaufs zu machen, um so weniger, da er nach dem Geld nicht zu fragen habe; dagegen liege ihm sehr am Herzen, dass der Menschheit, welcher er gedient, und dem Ruf, den er erworben habe, durch die Wahl eines Nachfolgers kein Nachteil erwachse. Kurz, er machte mir den Vorschlag, ich solle ohne Weiteres nach L… kommen und ihm in seiner Praxis an die Hand gehen, nach Ablauf von zwei Jahren aber dieselbe ganz übernehmen, da er nach dieser Frist sich vom Geschäft zurückzuziehen beabsichtige.
Ein so vorteilhafter Antrag bietet sich nicht oft einem jungen Mann dar, der im Begriff ist, in einen übersetzten Beruf einzutreten; und obschon mein Streben nicht so fast auf großen Erwerb, als auf Ruhm und Auszeichnung ging, so galt mir doch der Ruf des Arztes, der mir so großmütig die unschätzbaren Vorteile seiner langjährigen Erfahrung anbot und mich mit solcher Herzlichkeit in die Praxis einzuführen beabsichtigte, als Bürgschaft, dass ein Wohnsitz in der Hauptstadt nicht eben notwendig sei, um sich in die Reihen der Größen zu erheben, welche von der Nation gefeiert werden.
Ich begab mich also nach L…, und noch ehe die zwei Jahre meiner Geschäftsteilhaberschaft zu Ende waren, sah mein wohlwollender Freund, durch das Vertrauen, das ich gewann, und das meine eigenen Erwartungen weit überstieg, seine Wahl gerechtfertigt. Ich war gleich am Anfang so glücklich, einige Kuren zu erzielen, die zum Stadtgespräch wurden, und es fällt bei einem Arzt sehr ins Gewicht, wenn schon bei seinem ersten Auftreten einige bedenklich scheinende Fälle, die ein erfolgreiches Handeln zulassen, ihm das Vertrauen anbahnen, welches die Patienten meist nur der reiferen Erfahrung zu schenken pflegen. Zu dem raschen Aufschwung, den meine Laufbahn nahm, trugen wahrscheinlich auch einige andere Umstände bei, die mit meinem ärztlichen Wissen nichts zu schaffen hatten. Die Zufälligkeiten einer guten Herkunft und eines schönen Privatvermögens schützten mich vor dem Verdacht, dass ich ein medizinischer Abenteurer sei. Ich gehörte einer alten Familie, einem Zweig der ehedem mächtigen Grenzclans der Fenwicke, der seit vielen Generationen ein schönes Gut in der Nähe von Windermere besaß. Diese Besitzung war mit dem Antritt der Volljährigkeit auf mich, als den einzigen Sohn, übergegangen und von mir verkauft worden, um die Schulden meines Vaters abzutragen, welcher für seine Liebhaberei, Altertümer zu sammeln, große Summen aufgewendet hatte. Der Rest des Erlöses sicherte mir, abgesehen von dem Ertrag meiner Praxis, eine bescheidene Unabhängigkeit, und da ich gesetzlich nicht verpflichtet war, die Verbindlichkeiten meines Vaters zu tilgen, so gewann ich durch mein Verhalten den Ruf der Uneigennützigkeit und Rechtschaffenheit, welcher in England das Publikum stets günstig stimmt für die Erfolge, die man durch Talent oder Betriebsamkeit erwirbt. Man gestand mir vielleicht Geschicklichkeit in meinem Beruf um so bereitwilliger zu, weil ich auch die medizinischen Hilfswissenschaften mit Eifer betrieben hatte, mit einem Wort, ich befand mich in der Lage, in der Gesellschaft eine Stellung einzunehmen, die meinem ärztlichen Ruf zu Hilfe kam und großenteils den Neid zum Schweigen brachte, welcher den Erfolg gewöhnlich verbittert und bisweilen sogar hindert.
Doktor Faber zog sich der Übereinkunft gemäß nach Ablauf von zwei Jahren von der Praxis zurück. Er blieb nicht im Land, sondern machte, da er noch eine rüstige Gesundheit und einen forschbegierigen Geist besaß, viele Reisen, während welcher wir anfangs einen fleißigen Briefwechsel unterhielten, der jedoch im Lauf der Zeit flauer wurde und endlich ganz und gar stockte.
Der größte Teil der Praxis, welche sich mein Vorgänger in einer dreißigjährigen Wirksamkeit gesammelt hatte, ging auf mich über. Mein Hauptrival war ein Doktor Lloyd, ein wohlwollender, heißblütiger Mann, — nicht ohne Genie, wenn von Genie die Rede sein kann, wo das Urteil fehlt und nicht ohne Wissen, dem es freilich an Gründlichkeit gebrach; einer von jenen begabten, aber flüchtigen Männern, welche nicht fähig sind, dem Beruf, dem sie sich widmen, die volle Kraft und Glut ihres Geistes zuzuwenden. Derartige Personen verfallen gewöhnlich bald in eine mechanische Routine, weil in der Übung des Berufs, den sie zum Aufhängeschild machen, ihre Fantasie stets zu verlockenderen Gegenständen hingezogen wird. Sie sind daher als Fachmänner selten kühn oder erfinderisch, obschon sie diese Eigenschaften außer ihrem Beruf bisweilen sogar im Übermaß zeigen; taucht aber in Letzterem etwa eine Neuigkeit auf, so sind sie geeignet, dieselbe mit einem Starrsinn zu pflegen und mit einer Leidenschaftlichkeit an ihr festzuhalten, wie sie der ruhige, forschende Geist nicht kennt, welcher die neuen Ideen mit besonnenem nüchternem Blicke prüft, um sie beiseite zu legen, teilweise zu verwenden oder ganz sich anzueignen, je nachdem er sie durch den vergleichenden Versuch bestätigt oder als unstichhaltig erfindet.
Doktor Lloyd hatte sich als gelehrter Naturforscher einen Ruf gewonnen, lang, ehe ihm der eines leidlichen Praktikers zugestanden worden war. Trotz seiner von Haus aus dürftigen Verhältnisse hatte er es sich von Jugend auf angelegen sein lassen, ein zoologisches Kabinett zusammenzubringen, nicht aus lebenden, sondern zum Glück für den Beschauer nur aus ausgestopften und einbalsamierten Tieren. Aus dem Gesagten wird man erkennen, dass Doktor Lloyds frühere Laufbahn eben keine glänzende war; in späteren Jahren aber hatte er sich in das ärztliche Ansehen eher hineingealtert als gearbeitet, welches die seit einer durchaus achtbaren Persönlichkeit zu verschaffen pflegt, die man allgemein gern hat und die zu beneiden sich niemand veranlasst sieht.
Nun gab es in L… zwei geschiedene gesellschaftliche Kreise — den der reichen Kauf- und Gewerbsleute und den einer kleinen Anzahl privilegierter Familien, welche den sogenannten Abteiberg, einen von den Märkten und dem Gewühl des geschäftlichen Verkehrs abgesonderten Stadtteil, bewohnten. Diese stolzen Areopagiten übten über die Frauen und Töchter der niederen Klasse, welcher mit Ausnahme des Abteiberges alle Stadtangehörigen ihren Wohlstand verdankten, denselben geheimnisvollen Einfluss aus, den man unter ähnlichen Verhältnissen in allen großen und kleinen Städten wahrnehmen kann.
Der Abteiberg war nicht reich, aber mächtig, da er seine Hilfsquellen in allen Arten von Gönnerschaft geltend machte. Er hatte seine eigene Putzmacherin, seine eigene Modewarenhandlung, seinen eigenen Konditor, Schlächter, Bäcker und Spezereihändler, und der Schutz- des Abteiberges war wie der, den der Hof in seinen Titeln erteilt, weniger einträglich an...