E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Burnett Die Liebenden von Palstrey Manor
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-19937-1
Verlag: Manhattan
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-641-19937-1
Verlag: Manhattan
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
eines reichen Lords.
Die 34-jährige Emily Fox-Seton, aus vornehmer, aber längst verarmter Familie, schlägt sich in London durch, indem sie für adelige Herrschaften vertrauliche Aufträge und Besorgungen jeder Art ausführt: von einfachen Näharbeiten bis hin zum Finden eines neuen Butlers. Durch einen Schachzug ihrer Auftraggeberin Lady Maria Bayne lernt sie bei einem Sommerfest auf dem Lande deren Cousin Lord Walderhurst kennen, einen reichen Witwer, der sich prompt in Emily verliebt und um ihre Hand anhält. Mit der Hochzeit erfüllen sich Emilys kühnste Träume, zumal sie dem Lord einige Monate später den lang ersehnten Erben schenken wird. Doch Emilys Glück ruft jede Menge Neider auf den Plan, denn in Lord Walderhursts blasierter Verwandtschaft hat man ganz eigene Pläne mit dem erhofften Erbe … Erstmals auf Deutsch, in liebevoller Ausstattung mit illustriertem Vorsatzpapier und Lesebändchen.
Frances Hodgson Burnett (1849–1924) wurde in Manchester geboren und wanderte nach dem Tod des Vaters mit ihrer Familie 1865 in die USA aus. Nach ersten Kurzgeschichten, die in Zeitschriften veröffentlicht wurden, schrieb sie im Lauf ihres Lebens über 40 Kinder- und Jugendromane. Zu ihren bekanntesten Romanen, die auch mehrfach verfilmt wurden, gehören »Der kleine Lord«, »Eine kleine Prinzessin« und »Der geheime Garten«.
Weitere Infos & Material
ZWEITES KAPITEL
In dem Zug 14 Uhr 30 ab Paddington reisten noch zwei weitere Gäste nach Mallowe Court, die allerdings viel eleganter waren als Miss Fox-Seton und von einem Lakai mit Kokarde und gedecktem langen Mantel in einen Wagen der ersten Klasse gesetzt wurden. Emily, die in Gesellschaft von Arbeitern mit Reisebündeln in der dritten Klasse saß, sah aus dem Fenster, als sie vorüberkamen und hätte vielleicht einen leisen Seufzer ausgestoßen, wäre sie nicht so guter Dinge gewesen. Sie trug ihr leicht aufgepepptes braunes Kleid und eine weiße Leinenbluse mit braunen Punkten. Sie hatte ein elegantes hellbraunes Seidenband unter den frischen Kragen gebunden und trug ihren neuen Matrosenhut. Die Handschuhe waren braun, der Sonnenschirm auch. Sie sah hübsch und fesch und frisch aus in ihren Kleidern, auch wenn man ihnen ansah, dass sie nicht viel gekostet hatten. Wer regelmäßig zum Schlussverkauf ging, um dort den Meter Stoff für drei Pfund elf Schilling oder vier Pfund drei Schilling zu erstehen, hätte die Ausgaben zusammenrechnen und die Gesamtsumme nennen können. Aber Leute, die solche Rechnungen anstellen konnten, würde es in Mallowe nicht geben. Wahrscheinlich verstanden dort nicht einmal die Bediensteten so viel von Preisen wie dieser eine weibliche Gast. Jene Reisegäste, die ein Lakai im schlammgrauen Mantel zum Erste-Klasse-Waggon geleitete, waren Mutter und Tochter. Die Mutter hatte ein kleines Gesicht mit regelmäßigen Zügen, und man hätte sie hübsch nennen können, wäre sie nicht so überaus füllig gewesen. Sie trug ein todschickes Reisekleid und einen Staubmantel aus hauchzarter, pastellfarbener Seide. Sie war keine elegante Person, aber ihre Aufmachung war luxuriös, und man sah ihr an, dass sie sich gern etwas gönnte. Ihre Tochter war hübsch, hatte eine schlanke, biegsame Taille, zartrosa Wangen und einen Schmollmund. Ihr großer Florentinerhut aus blassblauem Stroh, mit Riesentüllschleife und gepressten Rosen, hatte etwas überzogen Pariserisches.
»Ein bisschen sehr herausgeputzt«, dachte Emily, »aber sie sieht reizend darin aus! Wahrscheinlich stand er ihr so gut, dass sie ihn einfach kaufen musste. Der ist sicher von Virot.«
Während sie gerade bewundernde Blicke auf das Mädchen warf, ging am Fenster im Gang ein Mann vorüber. Groß, mit kantigem Gesicht. Er ging dicht an ihr vorbei, starrte aber durch sie hindurch, als wäre sie durchsichtig oder unsichtbar. Dann ging er ins Raucherabteil, das neben dem ihren lag.
Als der Zug in den Bahnhof von Mallowe einfuhr, stieg er als einer der Ersten aus. Zwei von Lady Marias Dienern standen wartend auf dem Bahnsteig. Emily erkannte ihre Livreen. Einer von ihnen ging zu dem großen Mann hin, tippte sich an den Hut, folgte ihm zu einem hohen Pferdewagen, vor den man eine herrliche eisengraue Stute gespannt hatte, die nervös herumtänzelte. Kurz darauf saß der Ankömmling auf dem Kutschersitz, der Lakai dahinter, und die Stute preschte durch die Straße. Miss Fox-Seton folgte dem zweiten Lakaien sowie Mutter und Tochter zu dem Landauer, der vor dem Bahnhof geparkt stand. Der Lakai gab ihnen Geleit, tippte Emily zum Gruß nur kurz an seinen Hut, denn er hatte richtig erkannt, dass sie gut auf sich selbst aufpassen konnte.
Das tat sie auch sogleich, denn sie sah nach ihrem Reisekoffer und fand ihn sicher im Gefährt nach Mallowe verstaut. Als der Landauer kam, saßen die beiden Damen bereits darin. Sie stieg ein und setzte sich höchst zufrieden mit dem Rücken zu den Pferden.
Mutter und Tochter schienen sich eine Weile etwas unbehaglich zu fühlen. Man spürte, dass sie gesellig waren, aber nicht recht wussten, wie sie ein Gespräch anfangen sollten mit einer Dame, die man ihnen noch nicht vorgestellt hatte, die aber in dem gleichen Landhaus wohnen würde, in das auch sie selbst geladen waren.
Emily löste das Problem auf die übliche probate Weise, nämlich mit einem freundlichen, zaghaften Lächeln.
»Ist das nicht ein wundervolles Land?«, sagte sie.
»Es ist vollkommen«, antwortete die Mutter. »Ich bin noch nie in Europa gewesen, und in England ist es auf dem Land einfach herrlich. Wir haben einen Sommersitz in Amerika, nur ist die Landschaft dort so anders.«
Sie sah nett aus und redselig, und mit Emily Fox-Setons freundlicher Hilfe geriet das Gespräch keinen Augenblick ins Stocken. Noch ehe sie die Hälfte der Strecke nach Mallowe hinter sich hatten, war in Erfahrung gebracht, dass sie aus Cincinnati kamen und nach einem Winter in Paris, den sie vor allem mit Besuchen bei Paquin, Doucet und Virot verbracht hatten, für den Sommer ein Haus in Mayfair gemietet hatten. Sie hießen Brooke. Emily erinnerte sich vage an das Gerede, dass sie viel Geld ausgaben und ständig auf Feste gingen, immer in hübschen neuen Kleidern. Das Mädchen war dem amerikanischen Minister vorgestellt worden und hatte einigen Erfolg genossen, weil sie sich so vorzüglich kleidete und tanzte. Sie war die typische amerikanische junge Frau, die sich am Ende durch Heirat einen Adelstitel erwirbt. Sie hatte strahlende Augen und eine zarte kleine Stupsnase. Aber selbst Emily ahnte, dass sie es faustdick hinter den Ohren hatte.
»Sind Sie früher schon einmal in Mallowe Court gewesen?«, fragte sie.
»Nein, aber ich freue mich sehr darauf. Es ist wunderschön.«
»Sind Sie eine gute Bekannte von Lady Maria?«
»Ich kenne sie etwa seit drei Jahren. Sie ist immer unglaublich freundlich zu mir gewesen.«
»Also ich glaube ja nicht, dass sie besonders freundlich ist. Ich finde sie recht bissig.«
Emily lächelte herzlich. »Sie ist so klug«, erwiderte sie.
»Kennen Sie den Marquis von Walderhurst?«, fragte Mrs Brooke.
»Nein«, antwortete Miss Fox-Seton. In diesem Teil des Lebens von Lady Maria, mit all den vielen Marquis und Marquisen unter ihren Cousins und Cousinen, spielte sie nicht die geringste Rolle. Lord Walderhurst kam nie zum Fünf-Uhr-Tee vorbei. Er erschien nur zu besonderen Dinner-Partys.
»Haben Sie den Herrn in der hohen Kutsche wegfahren sehen?«, setzte Mrs Brooke hinzu und gab lebhaftes Interesse zu erkennen. »Cora meinte, das müsse der Marquis gewesen sein. Der Diener, der ihn abholen kam, trug die gleiche Livree wie unsrer hier«, sagte sie mit einem Nicken in Richtung Kutschbock.
»Ein Diener von Lady Maria«, sagte Emily. »Ich hab ihn schon einmal in der South Audley Street gesehen. Und Lord Walderhurst wird auch in Mallowe sein. Lady Maria sprach davon.«
»Siehst du, Mama!«, rief Cora aus.
»Also, wenn er auch eingeladen ist, dann wird es ja sicher interessant«, erwiderte die Mutter, die unverkennbar ein wenig erleichtert klang. Emily fragte sich, ob sie nicht lieber anderswo hinwollte, die Tochter aber fest darauf bestanden hatte, nach Mallowe zu fahren.
»In dieser Saison war in London viel von ihm die Rede«, erläuterte Mrs Brooke weiter.
Miss Cora Brooke lachte auf.
»Es war die Rede davon, dass mindestens ein halbes Dutzend Frauen entschlossen sind, ihn zu heiraten«, bemerkte sie mit einigem Zorn. »Da wird es ihm gewiss gefallen, eine junge Frau kennenzulernen, der das vollkommen gleichgültig ist.«
»Gib dich bloß nicht allzu gleichgültig«, bemerkte ihre Mutter in naiver Leutseligkeit.
Das war ein dummer kleiner Fehler, und ein Leuchten trat in Miss Brookes Augen. Wäre Miss Emily Fox-Seton eine scharfsinnige Frau, so hätte sie bemerkt, dass die Rolle der gleichgültigen und bissigen jungen Frau Lord Walderhurst bei seinem jetzigen Aufenthalt gefährlich werden könnte. Diese Schönheit aus Cincinnati und ihre recht geschwätzige Mutter waren eine Gefahr für den Mann, auch wenn der geschwätzige mütterliche Teil sich letztlich unversehens als sein Schutzengel erweisen könnte.
Aber Emily lachte nur freundlich über diese humorige Bemerkung. Sie war bereit, fast alles mit Humor zu nehmen.
»Er wäre ja nun wirklich für jede junge Frau eine tolle Partie«, sagte sie. »Er ist so reich, wissen Sie? So ungemein reich.«
Sie kamen in Mallowe an, und man führte sie in den Garten. Dort wurde unter ausladenden Bäumen der Tee serviert, und sie stießen auf eine Gruppe von Gästen, die kleine warme Kuchen aßen und Teetassen in den Händen hielten. Es gab einige junge Frauen dort, und eine von ihnen – eine sehr hoch gewachsene, sehr hübsche junge Frau mit großen Augen, blau wie Vergissmeinnicht, und einem lieblichen weichen und langen Rock im gleichen Farbton – war eine der Schönheiten der letzten Saison gewesen. Sie war eine Lady Agatha Slade, und Emily bewunderte sie vom ersten Moment an. Sie schien ihr ein unverhofftes Glück, das ein freundliches Schicksal ihr zugedacht hatte. Es war wundervoll, dass diese Frau an diesem besonderen Hausfest teilnahm – ein so entzückendes Wesen, das sie bislang nur von den Bildern aus den illustrierten Damenzeitschriften kannte. Sollte es ihr einfallen, Marquise von Walderhurst werden zu wollen, wer könnte ihr die Erfüllung ihrer Wünsche verwehren? Lord Walderhurst ganz bestimmt nicht, sofern er ein Mensch war. Sie lehnte zart am Stamm einer Stechpalme, dicht neben ihr stand ein schneeweißer Barsoi, drückte seinen langen zarten Kopf in ihr Kleid und forderte sie auf, ihn mit ihrer schönen Hand zu streicheln. In dieser attraktiven Pose befand sie sich gerade, als Lady Maria sich im Sitzen umdrehte und sagte:
»Da kommt Walderhurst.«
Jener Mann, der sich selbst mit dem Pferdewagen vom Bahnhof bis hierher kutschiert hatte, kam über den Rasen auf sie zu. Er hatte die Lebensmitte schon überschritten und war unscheinbar, aber angenehm groß und mit einer gewissen Ausstrahlung. Dabei...