E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Burstein / Menasse Generation Delta
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-903441-45-3
Verlag: Amalthea Signum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jenseits von Jung und Alt
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-903441-45-3
Verlag: Amalthea Signum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fabian Burstein, geboren 1982 in Wien, Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaft. Verfasser von Romanen und Sachbüchern. Biograf der österreichischen New-Wave-Legende Hansi Lang. Mehr als 10 Jahren vorwiegend in Deutschland Leiter von Kulturinstitutionen, Festivals und diversen künstlerischen Formaten. Seit 2025 Intendant von »Globart«. Host des Podcasts »Bühneneingang«. Peter Menasse, geboren 1947 in Wien, studierte Betriebs- und Sozialwissenschaften. Leitende Tätigkeit im Energiebereich, Ministersprecher, Gesellschafter zweier PR-Agenturen. Kolumnist beim »Falter«, Verfasser und Herausgeber von Sachbüchern, Chefredakteur des jüdischen Kulturmagazins »NU«, kaufmännischer Leiter des Jüdischen Museums Wien, Mitbegründer des Kunstvereins Eisenstadt. Vorsitzender des Aufsichtsrats des Museumsquartiers Wien. Gastgeber bei www.menassetreff.at in Eisenstadt.
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FABIAN BURSTEIN: Hast du heute einen Mittagsschlaf gehalten?
PETER MENASSE: Selbstverständlich. Ich halte fast täglich einen Mittagsschlaf. Wünsch dir nicht, dass du mich an einem Nachmittag ohne vorheriges Nickerchen erlebst. Ich wäre unausgeschlafen, unkonzentriert, grantig.
FABIAN BURSTEIN: Welche Bedeutung hat der Mittagsschlaf für dich?
PETER MENASSE: »Bedeutung« ist ein etwas großes Wort für ein Thema wie den Mittagsschlaf. Ich bin körperlich einfach nicht mehr ganz so fit wie ein 40-Jähriger. Meine Mutter ist fast 100 geworden – die Mittagsschläfchen waren ihr stets heilig. Offensichtlich wurde das Bedürfnis nach einer mittäglichen Erholungsphase genetisch an mich weitergegeben.
FABIAN BURSTEIN: Würdest du sagen, dass dieses Bedürfnis eine Alterserscheinung ist?
PETER MENASSE: Natürlich. In jungen Jahren bin ich in der Mittagszeit im Büro gesessen. An Hinlegen war da nicht zu denken. Mittlerweile habe ich das Pensionsalter bei Weitem überschritten. Es gibt zwei entscheidende Unterschiede: Ich arbeite nicht mehr ganz so viel. Und ich brauche längere Ruhephasen.
FABIAN BURSTEIN: Seit unserem letzten Treffen hat sich auch bei mir etwas altersbedingt verändert. Ich habe meine erste Lesebrille.
PETER MENASSE: Das ist der Klassiker bei Menschen rund um die 40. Aufgrund meiner starken Kurzsichtigkeit trage ich seit dem zwölften Lebensjahr Brille. Paradoxerweise bin ich heute wesentlich besser dran als damals. Das verdanke ich einer Alterserscheinung namens grauer Star. Ich hatte eine Operation, bei der man mir Kunstlinsen eingesetzt hat. Auf diese Weise sind Kurz- und Weitsichtigkeit verschwunden. Aber das verschlechtert sich schon wieder – ich brauche bald wieder zusätzlich eine Brille.
FABIAN BURSTEIN: Jetzt sind wir mittendrin in den Klischees des Älterwerdens. Wir unterhalten uns über Wehwehchen. Das ist eigentlich untypisch für unsere Gespräche. Dein fortschreitendes Alter hat sich nie in ausufernden Erzählungen über körperliche Leiden bemerkbar gemacht.
PETER MENASSE: Es ist ja auch sinnlos und zudem mäßig spannend. Natürlich tut mir im Gegensatz zu früher vieles weh. Aber darüber rede ich nicht. Es gibt jedoch ein Zitat meines Vaters, das ich mir immer öfter vergegenwärtige. Er sagte schmunzelnd »Ich bin Patient der gesamten Heilkunde.«
Twentysomethings
FABIAN BURSTEIN: Mich treibt eine scheinbar paradoxe Beobachtung um. Bei Twentysomethings hat das Reden über Unpässlichkeiten Hochkonjunktur. Nahrungsmittelunverträglichkeiten, diverse Überforderungen, Probleme mit dem Bewegungsapparat – das alles nimmt ziemlich viel Raum ein. Einerseits ist das toll, weil es von einer Enttabuisierung zeugt. Anderseits ist es schon befremdlich, dass ich mit Jüngeren wesentlich häufiger über ihre Beschwerden spreche als mit dir. Im Berufsleben ist das ein allgegenwärtiges Phänomen. Junge Kolleg:innen achten sehr genau darauf, dass sie ihre physischen und psychischen Grenzen nicht überschreiten. Im Kern finde ich das gut – nur das Ausmaß verstört mich hie und da. Die Nachwehen der Coronapandemie, kriegerische Auseinandersetzungen und die schlechten Wirtschaftsdaten machen die Lage unübersichtlich. Es besteht eine klare wissenschaftliche Evidenz, dass die seelische Gesundheit junger Menschen in den letzten Jahren gelitten hat. Zusätzlich müssen wir mit einem völlig neuen Phänomen namens Long Covid umgehen. Gleichzeitig gibt es aber auch ein Phänomen, von dem ich im Studium im Rahmen einer Psychologievorlesung gehört habe, nämlich den sogenannten Krankheitsgewinn. Das Phänomen beschreibt positive soziale »Nebenwirkungen« von Krankheiten, zum Beispiel mehr Zuneigung und Unterstützung durch Angehörige, das Entbundensein von lästigen Pflichten oder die Schonung durch Kollegen. Es ist auch ein eskapistisches Phänomen: Ich habe einen gesellschaftlich akzeptierten Grund, um unangenehmen Situationen und Konflikten aus dem Weg zu gehen. Das Entscheidende am »Krankheitsgewinn« ist: Er entfaltet seine Wirkung sowohl bei tatsächlich als auch bei vermeintlich Erkrankten. Wobei sich bei den vermeintlich Erkrankten natürlich die Frage stellt: Wie schlimm muss erst der Leidensdruck im »Normalbetrieb« sein, dass ich aus der Rolle des Kranken so einen Mehrwert ziehe. Wie sagte schon der ehemalige Bundeskanzler Fred Sinowatz: »Das klingt alles sehr kompliziert.« Diese Komplexität entbindet uns aber leider nicht von der Aufgabe, die Zukunft zu gestalten.
PETER MENASSE: Ich lese natürlich dauernd über die Befindlichkeiten der Jungen, habe dazu aber keinen tiefergehenden Zustand. Wenn wir ehrlich sind: Dieses Phänomen, das du beschreibst, kann sich ja nur eine Oberschichtpopulation leisten. Es handelt sich um eine Art Einzelkindsyndrom, bei dem Wohlstand zu einem stetigen Kreisen um sich selbst und die eigenen Bedürfnisse geführt hat. Es gibt aber ganz viele junge Menschen, die sich solche Allüren gar nicht leisten können, weil sie reinbeißen und hackeln müssen. Wir sollten aufpassen, dass wir anekdotenhafte Erlebnisse nicht mit echten gesellschaftlichen Phänomenen verwechseln.
FABIAN BURSTEIN: Und wie, bitteschön, verarbeiten Menschen, die »reinbeißen und hackln müssen«, die Verunsicherungen unserer krisenhaften Gegenwart?
PETER MENASSE: So wie sie es bereits in der Nachkriegszeit, in der Ölpreiskrise der 1970er-Jahre, während der Hochblüte des Kalten Krieges oder während des Jugoslawienkrieges gehandhabt haben: Sie machen weiter und arbeiten an einer besseren Zukunft. Dass ihnen dafür natürlich kein perfektes, aber ein wesentlich verbessertes Gesundheits- und Sozialsystem zur Verfügung steht, ist doch ein großer Fortschritt.
FABIAN BURSTEIN: Ich bin ehrlich gesagt kein Freund des »Reißts-euch-g’fälligst-z’samm«-Dogmas. Laut meiner Frau, eine sehr fähige und liebenswürdige Psychotherapeutin, ist das eine kontraproduktive Haltung. Ich will aber nicht verhehlen, dass ich deinen harten Formulierungen etwas abgewinnen kann. Den Referenzrahmen von der eigenen Befindlichkeit auf ein größeres Ganzes auszuweiten, hat noch nie geschadet. Übrigens: Das von dir ersonnene Einzelkindsyndrom erinnert mich an eine Episode aus meinem Berufsleben. Ich war mal im Zuge einer Tagungsorganisation ständig mit den veganen Essgewohnheiten meiner jungen Mitarbeiter:innen befasst. Sie hatten mir mitgeteilt, dass sie nicht »nur Beilagen« essen wollen. Diese selbstverständliche Forderungshaltung hat mich tierisch aufgeregt …
PETER MENASSE: Veganer, die einen tierisch aufregen: sehr schön.
FABIAN BURSTEIN: … Mach dich nicht lustig. Ich will mit dir eine große Erkenntnis teilen. Bei einem Führungskräfte-Coaching hat mir eine sehr kluge Psychologin nahegelegt, mich nicht an solchen Themen abzuarbeiten. Es sei als Chef nicht meine Aufgabe, Menschen zu ändern. Meine Aufgabe bestehe darin, das Beste aus dem Istzustand herauszuholen. Das sei Teil der »Dienstleistung«, die ich in meiner Funktion anbiete. Diese Einordnung hat mich wirklich geerdet. In ihr steckt viel Potenzial für ein unaufgeregteres Miteinander zwischen den Generationen.
PETER MENASSE: Apropos vegan. Unter meinen Kindern gibt es auch Veganer und Vegetarier. Ich habe damit kein Problem. Ich verstehe gut, dass man Mitleid mit Tieren hat und sie deshalb nicht essen will. Ich würde diesen Übergang aber einfach nicht mehr schaffen, obwohl ich auch kaum mehr Fleisch esse.
FABIAN BURSTEIN: Ich bin ja selber seit zwölf Jahren Vegetarier. Mir ging es bei meiner Anekdote aber nicht um das grundsätzliche Bedürfnis nach einer fleischlosen Alternative, sondern um die despektierliche Behandlung des Themas »Beilagen« …
PETER MENASSE: Ja, ja, das habe ich schon verstanden. Ich wollte uns nur aus der Managementratgeber-Ecke holen.
Freundschaft
FABIAN BURSTEIN: O. k., ich habe verstanden. Dann nutze ich den Moment, um zum eigentlichen Thema dieses Buches vorzudringen. Es geht um unsere Freundschaft. Unlängst hat mich deine Frau gefragt, wie wir uns eigentlich kennengelernt haben. Du kannst dich scheinbar nicht mehr daran erinnern.
PETER MENASSE: Vergesslichkeit … Ich darf mich auf mein Alter ausreden. Das ist analog zu dem von...




