Callihan The Darkest London - Winterflammen
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8025-9648-3
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 03, 420 Seiten
Reihe: Darkest-London-Reihe
ISBN: 978-3-8025-9648-3
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Poppy Lane besitzt eine besondere Gabe, die sie vor den Menschen in ihrem Umfeld geheim hält. Doch dann wird ihr Gemahl Winston von einem Werwolf angegriffen, und Poppys ungewöhnliche Fähigkeiten kommen ans Tageslicht. Winstons Vertrauen in sie ist schwer erschüttert. Kann es ihr gelingen, seine Liebe zurückzugewinnen?
Weitere Infos & Material
Prolog
Und nun, ihr lieben Kinderlein, die dieses lesen in der Nacht:
Vor unnütz schönen Worten, die locken gar … habt fein acht.
Verschließt Aug’ und Herz und Ohr vor der schmeichelnden Intrige.
Hört, was ich erzähle von der Spinne und der Fliege.
»Die Spinne und die Fliege«
Mary Howitt
London, 1869, Victoria Station – Ein verheißungsvoller Anfang
Winston Lane konnte sich später nicht mehr daran erinnern, was ihn dazu veranlasst hatte, die Enge seines Erste-Klasse-Abteils zu verlassen und wieder nach draußen auf den Bahnsteig zu treten. Der lange, hohe Pfiff hatte angezeigt, dass der Zug bald abfahren würde. Und trotzdem war da irgendein innerer Drang gewesen, dem er nachgegeben hatte. Vielleicht um noch einmal an seiner Pfeife zu ziehen? Weil er ein bisschen frische Luft brauchte? Seine Erinnerung an den damaligen Moment konnte man allenfalls als verschwommen bezeichnen. Von dem Augenblick an, als er aus dem Zug gestiegen war, hatte sein Leben sich völlig verändert. Und alles wegen einer Frau.
Das, was dann passiert war, stand ihm mit der Deutlichkeit eines schönen Ölgemäldes vor Augen. Dicke weiße Dampfwolken waren über den Bahnsteig gezogen, in denen die wenigen Bahnangestellten, die vor der Abfahrt letzte Aufgaben erledigten, kaum zu erkennen waren und deren Bewegungen etwas von der Schemenhaftigkeit von Gespenstern hatten. Müßig und wie immer interessiert an den Tätigkeiten des einfachen Mannes beobachtete er die Männer, als sie aus den Nebelschwaden auftauchte. Der Szene hätte vielleicht etwas Romantisches anhaften können, wäre sie voller Anmut herangeschwebt, doch nein, diese Frau marschierte. Sie hatte etwas männlich Bestimmtes an sich, als würde ihr der ganze Bahnhof gehören. Und obwohl Winston von Haus aus gelernt hatte, Damen zu schätzen, die ausgesprochen weiblich waren, und jene zu meiden, die keine derartige Ausstrahlung besaßen, erregte ihr Anblick doch sofort seine Aufmerksamkeit.
Sie war groß, fast so groß wie er, diese selbstbewusste Dame, und mit irgendeinem tristen Kleid angetan, welches mit dem schwindenden Licht verschmolz. Einzig das volle, strahlend rote Haar, das sie am Hinterkopf zu einer Art Krone hochgesteckt hatte, stach an ihr hervor. Es war so rot, dass es einem wie eine Boje sofort ins Auge fiel. Ein Blick, und er wusste, dass er sie haben musste. Das war ziemlich ungewöhnlich, da er keiner war, der zu plötzlichen Anwandlungen oder Gefühlsausbrüchen neigte. Und schon gar nicht bei Frauen. Rein theoretisch waren sie natürlich sehr wohl interessant, aber eigentlich war eine wie die andere. Im Alter von neunzehn Jahren hatte er bereits etwas Gesetztes an sich: Ordnungsliebend, auf Bücher versessen und vernünftig. Nur dass der Schlag, der ihn traf, als sie vorüberging und ihre dunklen Augen unter den schönen geschwungenen Augenbrauen blitzten, mit Vernunft nicht zu erklären war.
Die Pfeife entglitt Winstons Fingern und fiel auf den Boden, während er wie gebannt dastand und sich mit offen stehendem Mund bestimmt zum Narren machte. Sie schien ihn gar nicht bemerkt zu haben, sondern ging einfach weiter, wobei ihre langen Beine sie schnell an ihm vorbeitrugen und sie zu entschwinden drohte. Das konnte er nicht zulassen. Sofort setzte er ihr nach.
Er lief schon fast, um sie einzuholen. Aber das war es wert. Der Duft von ledergebundenen Büchern und Zitronen hüllte sie ein, und ihm schwirrte der Kopf. Der Geruch von Büchern und einer gepflegten Frau. Hatte Gott jemals ein himmlischeres Parfüm kreiert? Sie war jung. Vielleicht sogar jünger als er selbst. Ihre helle Haut glatt, faltenlos und ohne Makel bis auf die winzigen Sommersprossen kurz über dem Ohrläppchen. Er verspürte den schier überwältigenden Drang, in dieses Ohrläppchen zu beißen.
Sie behielt ihren raschen Schritt bei und warf ihm nur einen Seitenblick zu, als wollte sie ihn warnen. Er machte ihr keinen Vorwurf daraus. Es war wirklich ausgesprochen unhöflich von ihm, sich der jungen Dame in dieser Weise zu nähern, ohne ihr vorgestellt worden zu sein. Andererseits waren sie die Einzigen, die sich auf dem Bahnsteig befanden, und er war nicht so dumm, sie aus den Augen zu verlieren.
»Verzeihung«, sagte er etwas atemlos, denn diese Frau war wirklich schnell unterwegs, »mir ist klar, dass es ziemlich dreist ist, und normalerweise würde ich nie …«
»Nie was?«, unterbrach sie ihn … ihr Tonfall so kühl und beißend wie frisch gefallener Schnee. »Nie junge Damen in ungehöriger Form ansprechen, die die Kühnheit besitzen, sich ohne Begleitung in der Öffentlichkeit zu zeigen?«
Tja, wenn er genauer darüber nachdachte, sollte sie wirklich jemanden bei sich haben, der über sie wachte. Sie schien nicht aus wohlhabendem Hause zu sein, deshalb erwartete er keine Zofe, aber eine Schwester oder vielleicht eine Tante? Oder einen Ehemann. Ein Schaudern ging durch seinen Körper bei dem Gedanken, dass sie verheiratet sein könnte. Er gab sich innerlich einen Ruck, denn er merkte, dass er sie anstarrte und sich dabei die gerade Nase und den anmutigen Schwung ihres Kieferknochens einprägte.
»Ich würde mir niemals die Freiheit erlauben, Sie in ungehöriger Weise anzusprechen, Ms. Es wäre mir sogar ein Vergnügen, den Schurken, der es wagt, sich Ihnen in dieser Form zu nähern, in seine Schranken zu weisen.« Jetzt klang er doch tatsächlich wie ein selbstgefälliger Pedant und Heuchler.
Sie grinste. »Dann lassen Sie mich raten. Sie sind Mitglied in der Gesellschaft zum Schutze junger Damen und Unschuldslämmer und wollen dafür sorgen, dass ich mir der Gefahren bewusst werde, die auf mich lauern, wenn ich allein unterwegs bin.« Die kühlen braunen Augen glitzerten, als sie ihn ansah, und Winstons Magen, der sich ohnehin schon krampfhaft zusammengezogen hatte, fing jetzt an zu schmerzen. »Oder vielleicht wollen Sie ja auch nur eine Spende?«
Er konnte nicht anders … er musste grinsen. »Und wenn es so wäre, würden Sie mir dann Gehör schenken?«
Sie schob die weichen, rosigen Lippen vor. Ob nun aus Verärgerung oder Erheiterung konnte er nicht sagen. Es war ihm aber auch egal. Er wollte mit seiner Zunge über sie fahren, sodass sie sich wieder entspannten. Die Vorstellung ließ ihn innerlich zusammenzucken. Er hatte doch sonst nicht solch zudringliche Gedanken. Doch sich mit ihr zu unterhalten fühlte sich so natürlich an, als hätte er das schon tausendmal getan.
»Ich weiß nicht … würde es sich denn lohnen?«
Im Handumdrehen war er hart wie Stahl. Seine Stimme bekam einen rauen Unterton. »Ich bin wohl zweifellos in der Lage, meine Tugenden in erhebender Weise darzustellen, es gibt für Sie aber nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob es wirklich stimmt, was ich sage.«
Als sie errötete, überzog ein dunkles Rosa ihre Gesichtszüge, was für einen wundervollen Zusammenprall mit ihrer Haarfarbe sorgte. »Nun, Sie sind auf jeden Fall redegewandt«, murmelte sie, und sein Lächeln wurde breiter.
Sie näherten sich dem Ende des Bahnsteigs. Hinter ihnen stieß die Lokomotive einen letzten, lauten Pfiff aus.
Sein keckes Fräulein zog eine ihrer Augenbrauen hoch. »Sie verpassen Ihren Zug, Sir.«
»Manche Dinge sind es wert, dass man sie verpasst, andere nicht.«
Als sie die Treppe erreichten, blieb sie stehen und sah ihn an. Als sie wieder sprach, war ihr Tonfall hart und unnachgiebig. »Was wollen Sie eigentlich?«
Sie. »Ihren Namen wissen, sodass ich Ihnen einen Besuch in gebührender Form abstatten kann.« Er machte einen Kratzfuß, der so übertrieben war wie jener, den er letztens bei Hofe vollführt hatte. »Winston Lane zu Ihren Diensten, Madam.«
Und wenn es um sein Leben gegangen wäre, hätte er nicht sagen können, warum er ihr nicht seinen vollen Namen gesagt hatte. Er schämte sich für die Lüge und wollte den Fehler schon korrigieren, als diese rosigen Lippen wieder zuckten und alle guten Vorsätze seinem Verstand entfleuchten. Was würde sie dazu bringen, richtig zu lächeln? Wie würde sie von Leidenschaft gerötet aussehen? Ihm wurde heiß.
Ihr Blick ging über seine Schulter hinweg. »Ihr Zug fährt ab.«
Der Bahnsteig zitterte unter seinen Füßen, als der Zug stöhnend den Bahnhof verließ. Er drehte noch nicht einmal den Kopf. »Ich merke«, sagte er und ließ ihr herrlich strenges Antlitz nicht aus den Augen, »dass ich London gar nicht mehr verlassen will.«
Wie nicht anders zu erwarten, hielt sie seinem Blick stand, ohne zu erröten oder die schüchterne Miene aufzusetzen, die bei den jungen Damen, mit denen er es sonst zu tun hatte, so normal war. »Führen Sie sich immer wie ein Narr auf?«
Nie. Aber er brauchte es nicht auszusprechen. Sie durchschaute ihn, und plötzlich sah er ihre Augen zustimmend aufleuchten. Langsam streckte sie die Hand aus, sodass er sie nehmen konnte. »Ms Poppy Ann Ellis.«
Poppy … Mohn. Wegen ihres Haars, nahm er an. Aber für ihn war sie Boudicca, Athene, eine Göttin.
Es gelang ihm gerade noch, sich zurückzuhalten und nicht ganz dicht an sie heranzutreten, um seinen Mund auf ihre Lippen zu legen. Stattdessen nahm er ihre Hand mit der angemessenen Höflichkeit. Seine Finger, die in einem Handschuh steckten, legten sich um ihre, und in seinem Innern kam etwas zur Ruhe. Er zitterte nur ganz leicht, als er ihre Hand an seine Lippen zog. »Ms Ellis, zu Ihren Diensten.« Immer.
Doch noch während er sprach, verschwor sich das Schicksal gegen ihn, um ihn zum...