Canetti / Lauer / Wachinger | Briefe an Georges | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 353 Seiten

Canetti / Lauer / Wachinger Briefe an Georges


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-446-25341-4
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 353 Seiten

ISBN: 978-3-446-25341-4
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Veza und Elias Canetti fliehen 1938 nach London. Dort führen sie ein ärmliches Emigranten- und ein hochkompliziertes Eheleben, über das sich beide mit Elias Canettis in Paris lebendem Bruder Georges austauschen. Der hebt die Briefe - aus dem Wien der dreißiger, aus dem London der vierziger Jahre - sorgfältig auf. Lange nach seinem Tod werden sie 2003 in einem feuchten Keller in Paris aufgefunden. Sie sind nicht nur ein bewegendes Dokument, sondern ein veritables Stu?ck Literatur: der Briefroman einer Dreiecksgeschichte.

Veza Canetti, geboren 1897 in Wien, wurde als Jüdin und Sozialistin von den Nazis mit Berufsverbot belegt und flüchtete 1938 mit ihrem Mann Elias Canetti nach England, wo sie 1963 starb.
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Veza an Georges, 13. April? 1938

13. IV.

Liebster Georg!

Ich muss Ihnen nochmals betonen, dass Sie mich unbedingt in die Kritik mit Photo aufnehmen müssen, sonst hat der Murkl nichts davon, er will nicht dass ich zurücksteh u. wie ich dachte, gehts nicht.

Lieber Knabe, wenn ich komm so nur um Sie endlich zu sehen. Aber was mich betrifft werden Sie wohl noch lang zerrissen herumlaufen, denn ich denk nicht dran Ihnen was zu nähen. Ich würde nur um Sie zu sehen durchfahren und begebe mich dann in die Obhut meines Bruders. Ich reiss Ihnen noch einen Knopf ab. (Gern.) Ich bleib einige Tage. Der Murkl ist meinem Bruder willkommen, doch er will nicht hin.

Sie können sich schwerlich vorstellen, wie dankbar wir Ihnen sind. Wenn wir nur mehr reisten, wir unternehmen hier nichts, denn alles kostet enorm viel Geld und ist unsicher.

Die Spinne hats gut, denn ihr machts nichts, wenn der Faden abreisst an dem sie hängt. Aber wir!

Ich bin sehr betrübt, dass Ihre Tante Sie so enttäuscht hat. Nun, dafür komm ich (hoffentlich, touch wood, unberufen) und wir bringen ein schönes Gemälde mit, das Merkel von mir gemalt hat. Der Murkl liebt es mehr als mich. Es wird gut sein, wenn Sie auch mal etwas Schönes sehen, denn Ihre Mutter hatte alle Schönheit gepachtet, Sie haben sie geerbt und für ihre Familie ist nicht viel geblieben. Ich rette sozusagen die Schönheit in der Familie (aber nur mehr auf dem Bild von Merkel).

Über uns kann ich nichts sagen. Ich kann nicht.

Leben Sie recht wohl, nicht einmal küssen werd ich Sie, so ernst bin ich geworden.

Werd ich Sie sehen?

Türmchen

Veza an Georges, 23. Mai 1939

23. V.

Süsser Georg!

So viele aufregende Dinge mit so viel bakteriologischer Ruhe geschrieben! Hast Du Schaden genommen bei der Fahrt??? Schickst Du mir die 19 Druckseiten?? Ich werde jedes Wort drei Mal lesen und heb das Heft gut für Dich auf. Bitte! Sei nicht so hochnäsig, Schönnäsiger. Ich bewundere Dich schrecklich, denn Du hast die Gepflogenheit, im Gegensatz zu Deinem Bruder, so gar kein Wesens aus Dir zu machen und lässt Dich nicht einmal erraten. Ist das schön!

Bei allem Reichtum aber ein miserabler Charakter, »Du niederträchtiger Schuft!« (Zitat) Wär uns nicht Samstag der glückliche Gedanke gekommen Tante und Cousine anzurufen, wir wären vor Angst gestorben.

Der Murkl ist jetzt fest entschlossen die Einladung der Vandsburger anzunehmen und allein zu fahren. Er kommt jetzt in eine gute Zeit hinein und es wäre günstig dies auszunützen. Schreib also sofort wann er fahren soll und ob er allein auch willkommen ist. Er ist jetzt wirklich bereit.

Dass Du gekommen bist, werd ich Dir nie vergessen, dass Du weggefahren bist werd ich nicht verwinden, aber dass Du nicht sofort sofort geschrieben hast – werd ich rächen.

Liest Du den Dante, diese »göttliche Komödie«? Es fehlen einige schöne Seiten, der Murkl kann sie auswendig.

Vom Scherchen kam wieder eine Einladung, der Murkl liess mich nicht einmal danken und bewachte mich scharf. Ich weiss nicht wo er sich augenblicklich aufhält, wenn Dus in der Zeitung liest und zwischen zwei Herden in zwei Lungen, Zeit hast, schreib ihm eine Dankeskarte für uns. Sehr viel verlangen wir von Dir, aber ich werd Dirs lohnen.

Bitte nochmals ausdrücklich zu schreiben, ob ich mitfahren muss, er fährt lieber allein, und ich, oh wie froh wär ich. Schreib auch die Adresse von Tante Vandsburger und eventuel auch ein billiges Hotel im Zentrum der Stadt.

Ich träumte, meine Mutter trug mich auf den Armen aus einem finsteren Zimmer und stellte mich vor eine Tür. Ich war unbeschreiblich glücklich und erwachte und dachte an – Dich.

Bitte schreib unbedingt wie es Dir mit der Gesundheit geht, zu allem dazu noch die Gesundheit in Gefahr, es macht die Romantik voll, schöner Ritter. (der warst Du wirklich)

Deine Feindin.

Veza

Veza an Georges, 18. Mai 1940

19 South Hill Park Grds NW3

Samstag, den 18. Mai 1940

Liebster Georg,

ich werd mit meiner Übersetzung Mitte Juni fertig sein und wollte darum, daß Du erst in 4 Wochen kommst. Aber in Anbetracht Deiner zerrütteten Gesundheit beschwör ich Dich, komm sofort und genieße die frische Luft. Unsere Wohnung ist ebenso schön gelegen wie die von vor 3 Jahren, und die Zimmer sind hübsch und gemütlich. Du sollst mein Zimmer haben und die herrliche Luft, die von der Hampstead Heath herüberweht. Ich versprech’s Dir, es gibt also diesmal nichts zu fürchten.

Ich schreib im Bett, denn es hat mich ganz krank gemacht, heut von Dir zu lesen, daß Du hustest. Ich bin schrecklich besorgt. Also bitte komm in dieses schöne Land und zu den zwei Menschen, die dich lieber haben als irgend jemand sonst auf der Welt. Ums Essen mußt Du Dich nicht sorgen: Ich hab eine elektrische Küche und werd mit der Friedl für Dich kochen. Anna kommt uns täglich besuchen. Sie liebt Dich. Kae ist unsere englische Freundin – zu sagen, sie ist einem Bild von van Eyck entsprungen, den »Singenden Engeln«, hieße ihr Unrecht tun. Sie ist mehr als das. Sie wohnt uns gegenüber; Du wirst die nettesten Menschen um Dich haben. Bitte komm, ich schreibs deinethalben. Was mich selbst betrifft: Kennst Du »La parure« par Maupassant? Ich bin Madame Loisel an ihrem Lebensende.

Der Murkl sorgt sich um Dich und hat Deine Provokation nicht verdient. Ich will, dass Ihr zwei in Frieden lebt und einander gern habt. Ich werd Euch nicht auseinanderbringen. Ich bin zu abgelenkt durch Gedanken und Rätsel, die mir keiner lösen kann.

Es ist furchtbar lieb von Dir, dass Du mir wieder hilfst. Ich hoff, Du hast den Brief an mein neues Logis geschickt, wenn nicht, lass es mich wissen und auch den Namen der zweiten Person. Wenns der Deines Bruders ist, dann ist es gut. Ich muss jeden einzelnen Vornamen und nicht nur den Nachnamen jedes Absenders wissen. Ich brauch diese Deine Hilfe dringend und bin Dir überaus dankbar. Aber wenn Du mir Geld schickst, ohne sofort zu schreiben, dann ist das, wie einer Mutter, der das Kind gestorben ist, einen goldenen Ring zu schenken. Ich bin Madame Loisel, aber warum es mich spüren lassen? All my love.,

Veza

Ich wiederhole nochmals: Seit dem letzten Jahr bin ich um zehn Jahre älter geworden, und die Begeisterung hat mich ganz verlassen. Wenn ich Dich also bitte, sei mein Gast, so weiß ich, was ich sage. Ausgaben wirst du nur für Dein Abendessen haben. Sonst nichts. Wir haben es die ganze Zeit geschafft zu leben, und nun kann alles so nett und einfach sein in dieser schönen Umgebung. Ich hab eine elektrische Küche. Wir lieben Dich so sehr, bitte komm sofort.

V.

Wie geht es Nissim?

Veza und Elias an Georges, 27. Oktober 1944

Dr. Georges Canetti

21 Boulevard Jourdan

Paris 14e

Canetti

Durris

Stubbs Wood

Chesham Bois (Bucks)

27. Okt.

Lieber Georg

Wir haben gerade erfahren, dass Du gut beisammen bist, hätten aber gern direkte Nachricht an obige Adresse. Wir waren außer uns vor Freude. Much love, bitte schreib sofort. Uns geht es gut.

Elias’ Buch wird bald auf Englisch erscheinen. Schreib über Dich und all unsere Verwandten.

Herzlichst

Veza und Elias

Veza an Georges, 6. Januar 1945

Mrs Canetti 1, Grimsdells Corner Amersham, Bucks, England

6. Jänner 1945

Liebster Georg,

bisher haben wir zwei Karten erhalten, eine vom Nov. und eine vom Dez. Wir sind sehr stolz auf Dich und Deine Arbeit mitten in einer chaotischen Atmosphäre. Das sieht Dir ähnlich. Und von nun an werd ich Dich Big Ben nennen.

Dein Bruder sehnt den Tag herbei, an dem er Dir sagen kann, wie sehr er Dich bewundert und liebt. Er hat Deine erste Karte entzwei gerissen und eine Hälfte in seiner Brieftasche aufbewahrt, und die andere bekam ich geschenkt. Sie traf am Weihnachtstag ein – wenn das kein Weihnachtsgeschenk war! Er war nicht faul und wird Dir selbst über seine Arbeit schreiben. Wir haben keine Geldsorgen und werden auch keine haben. Ich wohn an der obigen Adresse, die jetzt für Briefe sicherer ist, Dein Bruder wohnt zehn Minuten von hier, denn wir finden keine Wohnung, die groß genug ist für zwei, obwohl wir einen horrenden Zins zahlen. Wie geht es Nissim und Edith??? Wir sind sehr besorgt um sie. Antworte sofort und schreib viel über Dich.

Vor zwei Jahren hab ich einen Roman auf Englisch geschrieben. Natürlich warst Du der Held, und natürlich warst Du ein berühmter Arzt, und natürlich hast Du Hunderte Leben gerettet, und natürlich waren die Frauen alle hinter Dir her. Trotz oder wegen dieser imposanten Persönlichkeit war der Roman nicht ganz gelungen, und ich hab ihn nicht mehr korrigiert. Ich arbeite gerade an einem Stück (auf Englisch), das Elias leicht wird unterbringen können, denn sein Einfluß wächst. Das Problem ist – ich werd’s nicht beenden können. Ich bin sehr krank. Was meine physische Erscheinung anlangt, so würdest Du mich auf der Straße nicht wiedererkennen, aber was meine psychische Disposition betrifft, so hat sie sich verschlimmert, und ich war letzten Monat zweimal in einem Londoner Spital. Die letzten sechs Jahre waren zuviel für mich,...


Canetti, Veza
Veza Canetti, geboren 1897 in Wien, wurde als Jüdin und Sozialistin von den Nazis mit Berufsverbot belegt und flüchtete 1938 mit ihrem Mann Elias Canetti nach England, wo sie 1963 starb.

Canetti, Elias
Elias Canetti wurde 1905 in Rustschuk/Bulgarien geboren und wuchs in Manchester, Zürich, Frankfurt und Wien auf. 1929 promovierte er in Wien zum Dr. rer. nat. 1930/31 erfolgte die Niederschrift seines Romans Die Blendung, der 1935 erschien. 1938 emigrierte Canetti nach London, wo er anthropologische und sozialhistorische Studien zu Masse und Macht (1960) aufnahm. Ab den 1970er Jahren lebte er vorwiegend in der Schweiz und erlangte weiterreichende Berühmtheit mit seinen Theaterstücken, den Aufzeichnungen und den autobiographischen Büchern, darunter Die gerettete Zunge. 1981 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. 1994 starb er in Zürich.

Wachinger, Kristian
Kristian Wachinger, Lektor und Übersetzer, seit 2003 (Mit-)Herausgeber mehrerer Editionen aus dem Nachlass von Elias Canetti, Stiftungsrat der Canetti Stiftung in Zürich.



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