Carlino | Dieser eine Augenblick | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Carlino Dieser eine Augenblick

Roman
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7325-7786-6
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-7325-7786-6
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Als Charlotte auf Adam trifft, ist es, als würden sie sich schon ewig kennen. Sie verbringen eine wunderbare Nacht zusammen, am nächsten Morgen jedoch ist er wie verwandelt und zeigt ihr die kalte Schulter. Aber Charlotte kann den mysteriösen Fremden nicht vergessen, der ihr in nur einer Nacht das Herz gebrochen hat. Sie macht sich auf die Suche nach ihm, um endlich Klarheit zu bekommen. Doch sie ahnt nicht, dass Adam ein Geheimnis hat, das ihr Leben für immer verändern wird.



Renée Carlino ist Drehbuchautorin und Bestsellerautorin von zahlreichen Liebesromanen. Sie lebt mit ihrem Mann, den beiden Söhnen und einem niedlichen Hund namens John Snow Cash im sonnigen Süden Kaliforniens. Sie ist eine Leseratte, liebt Livemusik und ist ganz versessen auf dunkle Schokolade.
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1. Kleine Fahnen


Im Blackbird’s Café waren Dienstage Tortillasuppentage. Dann gab es Suppe satt für lausige vier fünfundneunzig. Toll, wenn man Tortillasuppe liebte. Aber ziemlich übel, wenn man dort als Kellnerin arbeitete.

Der Trick dabei war, dass die Suppenteller zwar groß, aber flach waren, sodass der Gast den Eindruck bekam, er hätte eine Riesenmenge suppiger Köstlichkeit bekommen, obwohl jede Portion tatsächlich nur aus einigen wenigen, gut verteilten Unzen bestand. Das Problem mit besagten Tellern war, dass man sie auf einem Tablett nicht transportieren konnte; jedes Mal, wenn man aus der Küche zum Tisch des Gastes latschte, schwappte die Suppe erwartungsgemäß von einer Seite zur anderen und ergoss sich über den Tellerrand, auch wenn man noch so ruhige Hände hatte. Jack, der Eigentümer, und sein fetter kleiner Bruder, der auf den Namen Jon-Jon hörte (idiotisch, ich weiß), bestanden darauf, dass wir die Tabletts über unsere Köpfe hielten, so wie die Kellnerinnen auf Rollerskates in einem gottverdammten Drive-in. Das gehört zum Ambiente, sagten sie. Meiner Ansicht nach diente das Wort Ambiente ihnen vorwiegend dazu, die veraltete Innenausstattung zu rechtfertigen.

Bestellte man Tortillasuppe »bis zum Abwinken«, musste man eine Minifahne an einem Minifahnenmast hissen, der an die Tischkante geschraubt war. Eine scheußlich peinliche Prozedur, die jedoch die von Jack und Jon-Jon gewünschte Wirkung erzielte: Niemand, nicht einmal ein Dreihundert-Pfund-Mann mit einer Leidenschaft für Texmex, würde dieses Fähnchen je mehr als zweimal hissen; das war einfach zu demütigend.

Bedauerlicherweise war diese Methode, Leute in den Laden zu locken, ohne dabei draufzuzahlen, nicht dazu angetan, eine Klientel anzuziehen, die sich in Bezug auf Trinkgelder besonders großzügig zeigte, wodurch der Dienstag für die Kellnerinnen im Blackbird’s eine einzige Pleite war. Wir verdienten nichts und gingen jedes Mal mit einer gesunden Portion Tortillasuppe auf unseren weißen Smokinghemden nach Hause. (Ja, wir mussten in einer besseren Frittenbude Smokinghemd und Fliege tragen; ich nehme an, das trägt auch zum Ambiente bei.)

Aber dieser spezielle Dienstag war schlimmer als alle anderen.

»Ich komme mir vor, als wäre ich in der Hölle gelandet. Hast du den Typ an Tisch dreiundzwanzig gesehen?«, fragte mich Helen, meine beste Freundin, Mitbewohnerin und Kollegin, hinten im Servicebereich.

Ich lugte um die Wand herum und entdeckte einen grauhaarigen Mann, der allein aß. »Ja. Was ist mit ihm?«

»Er hat nach einer Avocado al dente verlangt. Wer zum Teufel sagt ›al dente‹, wenn er eine Avocado beschreiben will?«

»Du weißt aber, was er meint, oder?« Ich lachte, aber Helen blieb ernst.

»Ja, aber wir sind hier nicht im Spago. Der kann von Glück reden, wenn er hier grüne Avocados bekommt.«

»So schlimm ist es nun auch nicht«, erwiderte ich und füllte einen Plastikbecher mit Coke. Der Getränkedispenser fing an zu keuchen und die Luft in kleinen Portionen auszuhusten. »Verdammter Mist, die Kohlensäure geht aus. Kannst du Jon-Jon Bescheid geben?«

»Sorry, muss erst die Bestellung von einundzwanzig erledigen.« Helen verließ den Servicebereich, und ich sah zu, wie ihre Hüften von einer Seite zur anderen schaukelten, während sie in den Gastraum tänzelte. Helen wusste, dass sie eine gute Figur hatte und die Männer sie angafften, und sie bewegte sich so langsam und rhythmisch, dass ich annahm, die Aufmerksamkeit gefiel ihr.

Ich dagegen ließ die Schultern hängen und hielt den Kopf gesenkt, wo immer ich auch hinging. Die Leute sagten immer zu mir: »Du bist ein hübsches Mädchen, Charlotte. Warum gehst du wie ein alter Mann?« Meine Antwort lautete meist: »Keine Ahnung, ich gehe halt so«, oder so ähnlich. Lahm, ich weiß, aber ich machte mir eben nicht viele Gedanken darüber, wie ich von anderen wahrgenommen werde. Wahrscheinlich, weil das Einzige, was ich an meinem Äußeren wirklich mochte, mein langes rotbraunes Haar war. Ich hatte große braune Augen, die mein Bruder als »kackfarben« bezeichnete, und Sommersprossen, die mit zunehmendem Alter glücklicherweise allmählich blasser wurden. Trotzdem würde ich mich, wenn ich ein Selbstporträt malen sollte, automatisch mit Sommersprossen abbilden. Das ist wie mit dieser Freudschen Theorie, die so ungefähr besagt, dass man im Kopf immer auch irgendwie Kind bleibt.

»Habe ich da gerade meinen Namen gehört?« Plötzlich, ich bin gerade dabei, die große CO2-Flasche abzuschrauben, steht Jon-Jon unangemessen dicht hinter mir.

»Kannst du das machen?« Ich stand vorgebeugt da, den Hintern in die Luft gestreckt.

»Du scheinst das doch ganz gut hinzukriegen.«

Ruckartig richtete ich mich auf. »Musst du immer so pervers sein? Irgendwann verklagt dich jemand.« Wäre ich in diesem Jahr nicht schon aus zwei Jobs geflogen, würde ich mich ganz bestimmt nicht mit Jon-Jons Mist herumschlagen, aber ich brauchte das Geld und konnte es mir nicht leisten, noch einen Job zu verlieren. Ich glaube, ich muss nicht extra betonen, dass Kellnerin nicht mein Traumberuf war, auch wenn das nicht mein größtes Problem war. Ich hatte einen Abschluss in Ernährungswissenschaften und eine Maklerlizenz, und ich war staatlich geprüfte Massagetherapeutin. Sie sehen ein Muster? Irgendwann hatte ich mir sogar ernsthaft eingebildet, Jockey wäre ein toller Beruf für mich. Ich hatte zwar noch nie auf einem Pferd gesessen, aber ich musste nur ein paarmal Seabiscuit sehen, um vollends überzeugt zu sein.

»Entspann dich, Charlotte, und geh mir aus dem Weg.« Jon-Jon schob seinen zu kurz geratenen rundlichen Leib vor mich und nahm mir den Austausch der Flasche ab.

Ich warf einen Blick in den Gastraum und sah gehisste Flaggen auf drei meiner Tische. Zeit für ein bisschen Genialität. Unter dem Geschirrspüler fand ich einen großen Krug. »Kann ich den nehmen?«, fragte ich und hielt ihn einem der Hilfskellner vor die Nase.

»Klar, Gutterfoot«, sagte er. Habe ich schon erwähnt, dass mich jeder im Blackbird’s Gutterfoot nannte? Direkt unter den großen Metalltabletts, auf denen wir das schmutzige Geschirr stapelten, gab es einen dreißig mal dreißig Zentimeter großen Abfluss, in den wir all das eklige Essen warfen, das wir von den benutzten Tellern kratzten. Manchmal war er verstopft, und ganz selten trat auch eine Kellnerin hinein. An einem beschissenen Dienstag, als ich in Eile gewesen war, war ich diese Kellnerin, und das verdammte Ding ist mehr oder minder übergelaufen mit etwas, das aussah wie Erbrochenes. Natürlich war es keine Kotze, aber wenn Sie je etwas benötigen, das genauso aussieht, dann dürfte die Mischung aus Suppe, Hackbratenresten, Kuchen, Limonade und Bier der Sache am nächsten kommen. Die Brühe ging mir bis zur Mitte der rechten Wade, aber ich zog einfach den Fuß raus und lächelte und schickte einen kurzen Dank auf eine höhere Ebene. An jedem anderen Tag der Woche wäre ich wütend gewesen, aber es war eben ein Dienstag. Ich war überzeugt, man würde mich von meinen Pflichten als Suppenschubse befreien und nach Hause schicken. Ich lag falsch. Jack sagte, es sei zu viel los, also musste ich bleiben und mit einem klatschnassen Bein und Schuhen voll gammelndem Speisebrei Tortillasuppe bis zum Abwinken servieren. Logisch, dass mir das den Spitznamen Gutterfoot einbrachte.

Ich schnappte mir den Krug und fing an, Tortillasuppe hineinzuschöpfen, als Jon-Jon mich ertappte. »Charlotte? Was machst du da?«, fragte er.

»Ich habe einen Haufen Teller nachzufüllen. So geht es schneller und einfacher.«

»Du weißt schon, dass du dich seit der Kapriole mit der Wäschekammer auf ziemlich dünnem Eis bewegst, oder? Wir servieren unsere Suppe nicht aus dem Krug«, wies mich Jon-Jon zurecht.

»Ich bin nur rational! Und außerdem, das mit der Kammer war Helens Werk.« Wir wurden immer für die Missgriffe der anderen gerügt, weil wir so unzertrennlich waren. Vor ein paar Wochen, als in unserer Schicht kaum noch was los war, hatte sie mich gebeten, Jon-Jon zu suchen und ihn zu fragen, ob er die Tür zur Wäschekammer repariert habe. Ich wusste, sie führte etwas im Schilde.

Als Jon-Jon die Tür öffnete, sprang Helen heraus und schrie »Wah!«, woraufhin er prompt zu Boden stürzte und seine Hand in die Brust krallte; ein so kleiner Mann mit einem so plumpen Körper war definitiv ein Kandidat für einen plötzlichen Herzstillstand. Glücklicherweise hatten wir uns die Verantwortung für sein vorzeitiges Ableben trotzdem nicht auf unser Gewissen geladen … bisher, jedenfalls.

»Du hast mitgespielt«, sagte er.

»Nein, wirklich nicht.«

Helen hüpfte durch die Küche. »Süße, du hast so ziemlich auf jedem deiner Tische gehisste Flaggen. Die Leute haben einfach keine Würde.«

»Ich komm ja schon.«

Jon-Jon hatte recht, Tortillasuppe sollte nicht aus dem Krug serviert werden, aber sollte mich jemand fragen, würde ich sagen, das gehöre zum Ambiente im Blackbird’s.

Als es endlich ruhiger wurde, leistete ich mir selbst eine kleine Kapriole mit der Wäschekammer. Ich wusste, dass Helen, wenn sie Pause machte, dort öfter mit Luc herummachte. Die beiden schleckten sich schon seit ungefähr sechs Monaten gegenseitig das Gesicht ab. Er war Franzose und aus irgendeiner Schickimicki-Konditorschule in Frankreich rausgeflogen, und nun saß er im Blackbird’s fest und produzierte massentaugliches Gebäck. Eigentlich war er erstaunlich stolz auf seinen Job, und das, obwohl er nicht mehr als den...



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