Carlino | Nur einen Herzschlag entfernt | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 317 Seiten

Carlino Nur einen Herzschlag entfernt

Roman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7325-8637-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 317 Seiten

ISBN: 978-3-7325-8637-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Als der Debutroman des mysteriösen Autors J. Colby zur literarischen Sensation des Jahres wird, ist die junge Unidozentin Emiline neugierig, was hinter dem Hype steckt.
Doch dann entdeckt sie, dass das Buch ihre eigene unglückliche Kindheit erzählt. Was bedeutet, Jackson muss Jase sein, ihr einst bester Freund und erste große Liebe, den sie seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen hat. Zutiefst verletzt von dem Verrat macht sie sich auf die Suche, um ihn zur Rede zur stellen. Bald muss sie sich fragen, ob sie tatsächlich erfahren will, was damals geschah ...



Renée Carlino ist Drehbuchautorin und lebt mit ihrem Mann, den beiden Söhnen und einem niedlichen Hund namens John Snow Cash im sonnigen Süden Kaliforniens. Sie ist eine Leseratte, liebt Livemusik und ist ganz versessen auf dunkle Schokolade.
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1. Er hat mich gefunden


Im Kurs sagen wir: Das ist ein bisschen zu offensichtlich, wenn jemand eine Geschichte oder eine Szene geschrieben hat, in der exakt das, was man erwartet, tatsächlich auch passiert. Oder wenn alles zu perfekt abläuft oder zu zielgerichtet. Aber im echten Leben fällt es uns schwer, glückliche Zufälle zu erkennen, weil wir uns die Geschichte nicht ausdenken, während wir sie erleben. Es ist kein Märchen – es ist etwas, das uns wirklich begegnet, und wir haben keine Ahnung, wie es ausgehen wird.

Einige von uns werden auf ihr Leben zurückblicken und sich an Ereignisse erinnern, die ein bisschen zu perfekt waren. Aber solange man nicht die ganze Geschichte kennt, ist es unmöglich, die Handschrift des Universums darin zu erkennen oder wenigstens zuzugeben, dass es da etwas gibt, das größer ist als wir und dafür sorgt, dass alles, was passieren soll, tatsächlich auch passiert. Doch wenn man sich der Vorstellung hingibt, dass es einen Plan geben könnte, statt jeden magischen Moment auf bloßen Zufall zu reduzieren, dann wird die Liebe einen finden. Er hat mich gefunden.

»Wow, die Möwen spielen völlig verrückt. Ich glaube, da kommt ein Tsunami auf uns zu«, sagte ich, während ich aus dem Fenster meiner Wohnung im ersten Obergeschoss starrte und zusah, wie sich der Küstennebel über La Jolla Cove verdichtete. Der Dunst bewegte sich schnell auf mein Haus zu, und in der Ferne wirbelten Gewitterwolken über den Himmel.

Trevor lachte. »Typisch San Diego, deine Überreaktion auf das Wetter.« Er saß auf dem Boden, mit dem Rücken an das überteuerte Ledersofa gelehnt, das meine Tanten Cyndi und Sharon mir zum Einzug gekauft hatten.

»Glaubst du, wir brauchen Sandsäcke?«

»Nein, ich glaube, du bist verrückt«, erwiderte er.

»Verrückt oder vorsichtig?«

»Ich würde es neurotisch nennen. Es nieselt ein bisschen. Es ist im Moment immer noch viel zu trocken in Kalifornien.«

Mir fiel auf, dass Trevor nicht mehr die Kurzgeschichte las, die ich geschrieben hatte, sondern stattdessen wieder Angry Birds auf seinem Telefon spielte.

»Trevor …«, mahnte ich.

»Emiline …«, antwortete er, ohne auch nur aufzublicken.

Ich ließ mich einfach auf seinen Schoß fallen und schlang die Arme um seinen Hals. »Ich möchte wirklich, dass du das liest.«

»Hab ich. Ich habe schnell gelesen.«

»So? Und wovon handelt die Geschichte?«

»Sie handelt von einem Mädchen, das eine uralte Formel für kalte Fusion entdeckt.«

»Die Handlung kennst du also. Aber hat sie dir gefallen?«

»Emi …« Er zögerte, und sein Blick huschte durch den Raum. Als er dann schließlich wieder mich anschaute, erkannte ich Mitleid in seinen Zügen. »Sie hat mir sehr gefallen«, sagte er.

»Aber …«

»Ich denke, du solltest über Dinge schreiben, mit denen du dich auskennst. Du bist eine gute Autorin, aber das hier …« Er hielt die Blätter hoch. »… das wirkt ein bisschen albern.«

»Albern? Warum?« Ich spürte, wie der Ärger in mir hochkochte. Trevor war ehrlich – das war einer der Gründe, warum ich ihn so gernhatte –, aber manchmal war er auch so unverblümt, dass es einer Beleidigung nahekam.

»Zunächst mal ist es unrealistisch.«

»Das ist Science-Fiction«, konterte ich.

»Es fehlt an Charakterentwicklung.« Er zuckte mit den Schultern, als läge das, was er sagte, auf der Hand.

»Trevor, bitte fang nicht mit diesem Kreativen-Schreiben-Anfängerkram an. Damit habe ich in meinem Kurs schon mehr als genug zu tun. Ich möchte das machen, was ich den Studenten immer erzähle. Die Regeln vergessen und sich beim Schreiben auf die Intuition verlassen. Sag mir bitte, wie du es findest – aus der Sicht eines Lesers, nicht aus der eines Lehrers.«

»Ich versuche es. Aber ich dachte, das hätte ich schon. Außerdem kommst du damit nicht zurecht, wenn ich deine Arbeit beurteile. Ich habe keinen Zugang zu den Charakteren gefunden, also hatte ich keine Lust, den Rest der Geschichte zu lesen. Ich bin nur ehrlich.«

»Es gibt auch nettere Arten, ehrlich zu sein«, murrte ich.

»Ich habe die Story trotzdem zu Ende gelesen, und jetzt versuche ich, dir zu helfen, aber das willst du offensichtlich nicht. Sag mir doch einfach, was ich sagen soll.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »War das jetzt dein Ernst?«

»Ja.« Abrupt stand er auf, und ich kippte um und fiel auf den Boden.

»Du bist kein Leser. Ich hätte dich gar nicht erst bitten sollen, das zu lesen. Streiten wir uns jetzt wirklich darüber?«

»Über so etwas streiten wir immer«, konterte er. »Und ich finde es beleidigend, dass du sagst, ich wäre kein Leser, als wäre ich eine Art ungebildeter Neandertaler.«

Trevor und ich waren schon seit unserem letzten Jahr in Berkeley zusammen. Daher wusste ich genau, woher seine Unsicherheit kam. Sieben Jahre – eine lange Zeit. Als wir uns kennenlernten, war er ein gefeierter Quarterback auf dem Weg in die NFL, und ich war ein Bücherwurm, der versuchte, eine Autorin zu werden. Er spielte nicht nur in der gleichen Position wie Tom Brady, er war auch genauso attraktiv, weshalb ich mich lange gefragt hatte, was er überhaupt an mir fand. Doch aus irgendeinem Grund hatte sich das am Anfang einfach richtig angefühlt. Wir verstanden uns wunderbar, und unsere Beziehung entwickelte sich geradezu märchenhaft – bis er sich im letzten Spiel der Saison den Wurfarm verletzte. Seine Karriere als Footballprofi war vorbei, ehe sie überhaupt angefangen hatte.

Also machte er ganz unglamourös seinen Abschluss und nahm einen Job als Assistant Offensive Coach an der San Diego State an, damit er näher bei mir war, während ich meinen Master of Fine Arts an der UC San Diego machte. Einen größeren Liebesbeweis hätte er kaum erbringen können, trotzdem hatte ich immer das Gefühl, als wäre ein kleines Licht in ihm erloschen. Er war zwar bei mir in San Diego, aber manchmal kam es mir vor, als wollte er ganz woanders sein.

Eine Beziehung wandelt sich ständig auf subtile Weise, aber in unserem Fall war es zu einer abrupten Veränderung gekommen: Von dem Moment an, in dem er verletzt wurde, war er nicht mehr der Star-Quarterback, der einen streberhaften Bücherwurm betört hatte. Mich hatte das nie gestört, aber ihm machte es eindeutig zu schaffen. Selbst nachdem er mir nach San Diego gefolgt war, lebten wir getrennt, aber wir redeten nicht darüber, selbst dann nicht, als ich meinen MFA in der Tasche hatte. Ich sagte mir, ich würde einfach auf ihn warten, ihm die Möglichkeit geben, die Entscheidung zu treffen, aber wenn ich ehrlich war, wusste ich nicht so recht, ob ich überhaupt mit ihm zusammenziehen wollte.

Also teilte ich mir das Apartment weiter mit meiner Mitbewohnerin Cara, die mit mir Kreatives Schreiben studiert hatte. Sie wollte ein bisschen Geld sparen, während sie ein paar Schreibkurse gab und an ihrem ersten Roman arbeitete, woran ich mich ebenfalls versuchte. Ihr langjähriger Freund Henry war Assistenzarzt der Chirurgie in New York, und sie hatte vor, am Ende des Studienjahrs zu ihm zu ziehen. Ich wusste, bis dahin musste ich mir etwas überlegen, aber Streitereien wie diese weckten in mir den Verdacht, dass Trevor und ich für den nächsten Schritt nicht bereit waren.

»Ich gehe eine Runde laufen«, sagte ich zu Trevor und ging zum Schlafzimmer, um mich umzuziehen.

»Was? In der einen Minute hast du Angst vor einem Tsunami und in der nächsten willst du laufen? Spinnst du?« Er folgte mir. »Emi, irgendwann musst du dich mit deinem Scheiß auseinandersetzen.«

»Meinem Scheiß? Was ist denn mit deinem Scheiß?«, erwiderte ich ausdruckslos, während ich auf dem Boden saß und meine Laufschuhe schnürte, ohne ihn auch nur anzusehen. Ich stand auf und versuchte, an ihm vorbeizukommen. Ich mochte Ballast mit mir herumschleppen, aber davon konnte Trevor sich auch nicht freisprechen.

»Du kannst nicht jedes Mal laufen gehen, wenn ich mit dir über was reden will.«

»Wir reden später«, sagte ich.

»Nein, jetzt«, entgegnete er bestimmt.

Ich schob mich an ihm vorbei zur Schlafzimmertür hinaus und ging in Richtung Küche. Dort beschäftigte ich mich damit, eine Wasserflasche aufzufüllen.

»Wir sind zusammen, seit wir zwanzig waren, Emi.«

»Verdammt, ich habe dich doch nur gebeten, eine Geschichte zu lesen.«

»Es geht nicht um deine Geschichte.«

»Worum geht es dann?«, fragte ich scharf.

Er sah frustriert und geschlagen aus, was ziemlich selten vorkam. Ein Anflug von schlechtem Gewissen sorgte dafür, dass ich wieder etwas ruhiger wurde.

»Trevor, ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber im Moment fällt mir das Schreiben nicht gerade leicht. Ich möchte nicht ewig Hilfsprofessorin für Kreatives Schreiben bleiben. Verstehst du das?«

»Du bist schon Autorin, Emi.« Er wirkte aufrichtig, aber das war nicht so ganz das, was ich hören wollte.

»All die anderen Hilfsprofessoren haben schon was veröffentlicht, nur ich nicht.«

»Cara auch?«

»Zweimal«, flüsterte ich.

Er zögerte, ehe er fortfuhr: »Willst du wissen, was ich denke? Es liegt nicht an einem Mangel an Talent, Emi. Ich glaube nur nicht, dass du dich mit den Dingen auskennst, über die du schreibst. Warum versuchst du nicht mal, über dich zu schreiben? Das zu erkunden, was du in deiner Kindheit durchgemacht...



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