E-Book, Deutsch, Band 3, 429 Seiten
Reihe: Shadow of Light
Carol Shadow of Light 3: Gefährliche Krone
19001. Auflage 2019
ISBN: 978-3-646-60534-1
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Royale Fantasy Romance
E-Book, Deutsch, Band 3, 429 Seiten
Reihe: Shadow of Light
ISBN: 978-3-646-60534-1
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alexandra Carol lebt mit ihrer Familie (dazu gehören auch die Vierbeiner) in einer kleinen Gemeinde im Sauerland. Schon seit der Schulzeit ist die Leidenschaft zur Schreiberei stets ein Teil von ihr gewesen, auch wenn es lange Zeit nur bei dem Traum vom Autorendasein blieb. Die Geschichten, die sie gern mit ihren Lesern teilen möchte, handeln von Romantik und der großen Liebe.
Autoren/Hrsg.
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Königin Naliessa
Anna
»Die nächste links.«
Ich konzentrierte mich auf die Straße vor mir und versuchte schnell genug zu fahren, damit wir nicht schon wieder hier mitten in der Stadt von einem anderen Wagen überholt wurden. Aber bei dem Kommando stieg ich abrupt auf die Bremse. »Das geht nicht! Das ist eine Einbahnstraße!«, wetterte ich und starrte auf das blaue Schild mit der deutlichen weißen Schrift.
»Herrgott«, schimpfte mein Fahrlehrer, während hinter uns schon alles hupte. »Ich sagte links!«
Oh! Ja! Da bemerkte auch ich endlich, dass die Einbahnstraße rechts abging. Noch nie war ich sonderlich gut darin gewesen, rechts und links voneinander zu unterscheiden. Bei den Fahrstunden machte sich das nun leider ganz deutlich bemerkbar.
Voller Reue, mit knallrotem Kopf, setzte ich den Blinker links und bog ab, nachdem uns mindestens drei Autos überholt hatten. Das mit dem Anfahren und Schalten klappte doch wenigstens schon ganz gut.
»Die nächste Straße auf drei Uhr«, zog er mich nun auf.
Sehr witzig! Na ja, zumindest funktionierte es – fast ohne nachzudenken, setzte ich den Blinker rechts. Der Parkplatz des Bankhauptgebäudes war zum Glück so gut wie leer. Es bereitete mir keinerlei Schwierigkeiten, eine Lücke zu finden, die groß genug für meine Fahrkünste war. Erleichtert drehte ich den Zündschlüssel.
Mein Fahrlehrer öffnete die Tür und betrachtete den weißen Streifen, der rechts von uns mindestens eineinhalb Meter entfernt die Parklücke markierte.
»Na ja«, brummte er. »Das mit dem Parken üben wir dann beim nächsten Mal.«
Ich wusste, er meinte auch das übernächste Mal. Ganz sicher. Mein Magen war schon ganz flau bei dem Gedanken daran.
»Okay, dann also bis Dienstag«, erwiderte ich kleinlaut und bedankte mich auch noch brav dafür, dass er mich hatte hierhin fahren lassen. Dann stieg ich aus und zog den Reißverschluss meiner olivgrünen Daunenjacke bis ganz nach oben. Meine Nase versteckte ich hinter dem Kragen. Es war schon März, aber in diesen Tagen war der Winter noch einmal mit Macht über uns hereingebrochen – mit viel Schnee und eisigem Wind. Wahrscheinlich war es die Retourkutsche für den herrlich warmen Herbst, den wir in dieser Welt im letzten Jahr erlebt hatten.
Ich stapfte mit gewisser Neugierde auf den gläsernen Eingang des Bankgebäudes zu.
In den letzten Wochen und Monaten hatte ich viel über Domino erfahren, wie er lebte, wie er war. Dabei hatte ich auch eine ganze Reihe der Späher kennengelernt, die in der Burg von Naradon ein- und ausgingen. Besonders Denido, einer von Dominos besten Freunden und vor allem mittlerweile Kajas Ein und Alles. Sie waren ein schönes Paar. Die Kriegerin und der Späher. Und sie erinnerten mich sehr an mich selbst.
Domino war den Spähern so ähnlich, es konnte nicht sein, dass die Geschichte von der traurigen Königin, die mir Karas am Fluss ihrer Tränen erzählt hatte, nur ein Mythos war. Vielleicht stimmten die Legenden und einer seiner Vorfahren war einer von ihnen gewesen. Wenn ich etwas darüber erfahren würde, dann aus dem magischen Buch. Es war gerade mal zwei Monate her, dass Marco und ich es zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hatten. In der Welt des Lichts nannten wir es das Buch der Bücher und hier eher das allwissende oder das magische Buch, in dem die Geschichten all unserer Könige geschrieben standen.
Damals hatten wir es wieder ordentlich in dem Schließfach verstaut, in dem es mein Vater schon vor meiner Geburt für mich hinterlassen hatte, damit ich es bekam, wenn ich volljährig war. Zu meiner Erbschaft zählte außerdem eine Menge Geld, das er für mich angelegt hatte. Und in dem Schließfach hatten wir sogar einen Brief gefunden, der an mich gerichtet war, sowie einige Seiten seines Tagebuchs, das er an manchen Tagen nur in dieser Welt verfasst hatte.
Als wir an meinem achtzehnten Geburtstag hier gewesen waren, hatten wir nur unsere eigene Geschichte gelesen und waren zu der Erkenntnis gekommen, dass wir von Anfang an füreinander bestimmt gewesen waren.
Der Fairness halber hatte ich bei meiner Bank auch Marco und seinem Vater eine Vollmacht für mein Schließfach erteilt. So hatten auch sie uneingeschränkten Zugang ebenso wie ich zu ihrem Buch der Fürsten.
Obwohl mich ein wenig das schlechte Gewissen plagte, weil ich schon einige Tausender von dem Nachlass meines Vaters verbraucht hatte, ging ich zielstrebig zu meinem Sachbearbeiter, der mich trotzdem nach wie vor mit überschwänglicher Freundlichkeit begrüßte.
Das Erste, was ich von dem Geld bezahlt hatte, war eine neue Couchgarnitur für Mama gewesen und ein Wäschetrockner. Auch wenn sie sich mit Händen und Füßen zu wehren versucht und gemeint hatte, die Wäsche würde viel besser riechen, wenn sie an der Luft trocknete. Bei unserem Meter-mal-Meter-Balkon, der dazu noch zur Straße hinausragte, hielt ich das allerdings für eine ganz blöde Ausrede.
Natürlich bezahlte ich auch gerade meine Fahrschule mit dem Geld, und bei meinem Talent konnte das teuer werden.
Über ein Auto dachte ich schon allein deshalb noch nicht nach, auch wenn Marco mir ständig von niedlichen, kleinen Zweisitzern vorschwärmte, die gut zu mir passen würden. Allerdings fuhr auch er jetzt während der Winterzeit nicht seinen roten Porsche, sondern einen wuchtigen schwarzen Geländewagen, bei dem einen das Gefühl nicht losließ, dass er jeden Kleinwagen einfach überrollen könnte.
Mein Sachbearbeiter brachte den Metallkasten aus meinem Schließfach in einen kleinen Raum, den ich beliebig hinter ihm abschließen konnte, was ich auch tat, sobald er die Tür hinter sich ins Schloss gezogen hatte. Ich setzte mich auf den einzigen Stuhl im Raum vor den Tisch und entledigte mich mühsam im Sitzen meiner dicken Jacke. Dann kramte ich den kleinen Schlüssel aus meiner Jeans, öffnete den Kasten und zog das Buch heraus.
Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass alle Geschichten unserer Könige von Jahrhunderten in dieses Buch passen sollten.
Und doch war es so. Die erste Geschichte handelte von einer jungen Königin namens Naliessa im achtzehnten Jahrhundert. Ihre Eltern waren beide an der Grippe gestorben, als sie sechzehn Jahre alt gewesen war. Und die wahre Geschichte war tatsächlich so, wie die Legende sie erzählte. Sie verliebte sich in einen Späher, in den Anblick seiner Augen, in alles, was ihn ausmachte. Etwa ein halbes Jahr verbrachte sie mit ihm in der Gegend, wo heute Karanot lag, ganz in der Nähe des Flusses … Nur das Ende war ein wenig anders als in der Geschichte, die Karas damals zu berichten wusste.
Ich las:
Es stand fest. Sie musste zurück nach Naradon, um den Fürsten zu heiraten, dem sie versprochen war. Den Gedanken daran ertrugen sie beide nicht. Sie liebten sich sehr, sie konnten einander nicht verlassen.
Oben am Rand der Klippen standen sie sich gegenüber, genau dort, wo unten der reißende Fluss tobte. Sein kalter Blick war rasend vor Wut, bei dem Gedanken, Naliessa zu verlieren. Dabei wollte sie nichts lieber als bei ihm bleiben. Sie wusste, sie müsste gehen, denn erst, wenn sie tot wäre, würde man aufhören, nach ihr oder nach ihm zu suchen. Sie würden ihn töten, damit Naliessa endlich ihren Platz als Königin einnahm – an der Seite eines Mannes, der ihrer würdig war.
»Wenn ich durch deinen Blick den Tod fände, wäre dies ein Ende, das ich ersehne.« Ihre Worte waren flehend. Ihrem Geliebten war gar nicht mehr klar, was ihn wütender machte. War es ihr Wunsch zu sterben? War es ihre Sorge um ihn? All seine Beherrschung war dahin. Sein eiskalter Blick traf sie. Traf sie schonungslos. Sie krümmte sich, sank erst auf die Knie, dann ging sie ganz zu Boden. In nur wenigen Sekunden war ihr Körper zu tiefstem Eis gefroren. Und doch hatte sie ihm in die Augen gesehen, bis zuletzt. Nicht erschrocken, nicht so, wie wenn jemand kurz davor ist zu sterben. Nicht mit weit aufgerissenen Augen, angstverzerrtem Gesicht. Nein, sie sah dankbar aus. Voller Liebe zu ihm. Wie viele waren durch seinen Blick schon gestorben? Und nun sie. Sein Leben.
Sie lag im Gras, so friedlich. So schön. Auch wenn er ihren Anblick kaum ertrug, wusste er, er hatte das einzig Richtige getan. Er hatte sie erlöst, und nun wollte er nur noch eines. Selbst Erlösung finden.
Doch sie war nicht tot. Es war, wie wenn eine Narkose langsam wirkte. Wenn man noch hören konnte und fühlen, aber nichts mehr bewegen.
Kalte Tränen berührten ihr Gesicht, als sie da lag. »Wir werden zusammen sein auf ewig, Liebste, süße Naliessa. Im Jenseits werden unsere Seelen niemals getrennt sein. Deine Schönheit, deinen makellosen Körper, das Jadegrün deiner Augen, all das präge ich mir ein, damit ich es nicht vergesse.«
Sie wollte sagen, dass sie lebte, wollte es hinausschreien: Ich bin nicht tot. Ich sehe dich und ich höre dir zu, Liebster. Aber ihre Augen starrten wie die einer Toten geradeaus.
Wie vielen Leichen hatte er schon ins Gesicht gesehen, in das vom Eis erstarrte Entsetzen ihrer Augen, bevor er mit einer einzigen, leichten Bewegung seiner Hand ihre Körper in Tausende Splitter zerspringen ließ? Doch in Naliessas Augen war kein Entsetzen, kein Schmerz. Nur diese unendliche Dankbarkeit.
Ein sanfter Kuss strich über ihre kalten Lippen. Dann hörte sie, wie er zum Rande der Klippen ging. Sie wollte schreien, sie wollte sich winden, aufspringen, wenigstens eine Hand bewegen. Aber es ging nicht.
Ihr Herz war gefroren, und doch zog es sich schmerzhaft zusammen, als sie mit anhören musste, wie die Luft ihn umschloss und mit willigem Zischen in die Tiefe gleiten...