E-Book, Deutsch, Band 3, 345 Seiten
Reihe: Nyxa
Müller-Braun Nyxa 3: Die Rache der Nemesis
19001. Auflage 2019
ISBN: 978-3-646-60503-7
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Drachen-Fantasy für Fans von "Pan" und "Elya"
E-Book, Deutsch, Band 3, 345 Seiten
Reihe: Nyxa
ISBN: 978-3-646-60503-7
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dana Müller-Braun wurde Silvester '89 in Bad Soden im Taunus geboren. Geschichten erfunden hat sie schon immer - mit 14 Jahren fing sie schließlich an ihre Fantasie in Worte zu fassen. Als das Schreiben immer mehr zur Leidenschaft wurde, begann sie Germanistik, Geschichte und Philosophie zu studieren. Wenn sie mal nicht schreibt, baut sie Möbel aus alten Bohlen, spielt Gitarre oder verbringt Zeit mit Freunden und ihrem Hund.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Nyxa
»Er muss nach Atlantis.«
Ich starre stumm zu Eryt, der sich mir vorsichtig nähert. Genauso wie Terrys. Damals, als wir Night in Avalon zurückgelassen haben. Es hat sich nichts verändert. Night, der unausstehliche Pirat, von dem ich nie wirklich wusste, ob er gut oder böse ist, hat sich für uns geopfert. Für mich.
»Nein«, gebe ich kühl und gelassen zurück. Aber wir beide wissen, würde er sich noch einen Schritt nähern, ich würde ihn all meine Wut spüren lassen.
»Du kannst nicht die ganze Zeit hier in Erytheia herumsitzen und seine Statue … ihn bewachen wie ein bissiger Hund, Nyxa!«, knurrt er mich an.
Er versucht an meinen Verstand zu appellieren. Ein Verstand, den ich so nicht mehr besitze, seit Night direkt vor meinen Augen versteinert ist. Ich kann nicht. Kann ihn nicht nach Atlantis bringen, wo er hingehört.
»Sein Opfer ist umsonst, solange er nicht …«
»Ich weiß!«, schreie ich ihn an und sehe im Augenwinkel, wie auch Terrys sich dem Sessel nähert, in dem ich sitze. Auf meinen Beinen ruht das Logbuch des Captains, in das Night das Gedicht geschrieben hat.
»Und wenn ich tausend Leben hätte, sie alle wären mit dir«, lese ich so leise, dass ich es selbst kaum hören kann.
Es ist an der Zeit, dass nun ich ihm helfe.
»Was macht ihr hier?!«, faucht Apate, als sie aus der Küche tritt und die beiden wütend mustert. »Lasst sie gefälligst in Ruhe!«
»Apate, verdammt!«, flucht Eryt und geht nun auf sie zu.
Sie hebt nur gelangweilt ihre Brauen. »Sie trauert. Lasst sie noch ein wenig trauern.«
»Nein«, sagt nun Terrys. Terrys, der ebenfalls trauert. Ich sehe es in seiner Haltung und höre es in seiner Stimme. Aber vor allem seine Augen sind nicht mehr die, die sie einmal waren. Night hat auch ihm viel bedeutet.
»Er muss hier weggebracht werden. Das wissen wir alle. Er ist versteinert, Nyxa! Sein Herz schlägt nicht mehr. Seine Haut ist eisig und hart. Er ist …«
»Sprich es nicht aus!«, sage ich voller Bitterkeit.
Seit vier Wochen warte ich darauf, dass sich etwas in ihm regt. Dass sein Herz zu schlagen beginnt. Dass er wieder zurückkommt und irgendeinen dummen Spruch von sich gibt. Und ich werde noch Jahre warten, wenn es nötig ist.
»Wie auch immer. Wir können nicht hierbleiben. Es ist viel zu gefährlich. Da draußen tobt ein scheiß Bandenkrieg, seitdem die Piraten von Erytheia wissen, dass Night nicht mehr da ist. Sie machen, was sie wollen. Plündern Läden, die Night aufgebaut hat, und erheben Zölle auf die Schiffe, die hier ankern. Wir müssen etwas unternehmen!«
»Dann unternehmt doch etwas!«, schreie ich ihn an. Schreie sie beide an und sehe immer wieder vom einen zum anderen. Die Verbindung, die ich zu ihnen spüre, ist so stark. So verdammt stark, dass es mir beinahe das Herz bricht. Aber diesen einen Teil meiner Seele verstehen sie nicht. Können ihn nicht verstehen. Denn das kann nur Night.
»Wir können nichts unternehmen, Nyxa! Das musst du tun!«
»Ich?!«, hake ich hysterisch nach und lache herablassend. »Warum sollte ich etwas tun können?!«
»Du bist die Herrscherin von Avalon und Erytheia, Nyxa. Das haben wir dir bereits gesagt.«
Terrys tritt näher und legt den Kopf ein wenig schief.
»Das bin ich nicht.«
»Du weißt, dass es so ist. Black hat es so aufschreiben und besiegeln lassen. Du bist seine Nachfolgerin, sollte ihm etwas zustoßen.«
Ich schließe meine Augen und bemühe mich ruhig zu atmen. Es gab eine Zeit, da habe ich Night dafür gehasst, dass er mir meine Herrschaft über Avalon wegnehmen wollte. Und jetzt, da er sie mir übertragen hat, weiß ich einfach nicht, was ich tun soll. Vielleicht war ich immer nur das Mädchen, das Herrscherin sein sollte, aber nie eine von der guten Sorte geworden wäre. Vielleicht haben all die Prophezeiungen und Bestimmungen unseres Lebens versagt. Ja, sie müssen versagt haben. Denn ich bin keine geborene Herrscherin. Das war Night. Obwohl er so viele Jahre ein Sklave und dann ein Pirat war.
»Die Welten gehen vor die Hunde, wenn du so weitermachst«, brummt Eryt und lässt sich gegenüber von mir resigniert auf das Sofa sinken.
»Das geht sie doch sowieso.«
»Nicht, wenn du deine Herrschaft endlich anerkennst, Nyxi. Du bist damit eine der mächtigsten Herrscher der Welten. Durch die Verbindung mit Terrys herrschst du über Terreia, du bist die Regentin von Acaris, die Herrscherin von Avalon und nun auch die Königin von Erytheia.«
»Einer Pirateninsel«, lache ich und schüttle den Kopf, bevor ich wieder auf das Buch hinabsehe und sanft über den Einband streiche.
»Ich habe Myr informiert«, gibt Eryt plötzlich kleinlaut zu. »Und weißt du, was zurückkam? Sie kämpfen gerade. Für den Erhalt der menschlichen Welt, denn da geht etwas ganz schön schief. Und was machst du währenddessen? Hier sitzen, schmollen und einen Versteinerten bewachen? Black hat das für dich getan. Und du … du trittst sein Geschenk mit Füßen.«
»Er kann es ja wohl kaum mitbekommen, um es mir übel zu nehmen. Meinst du nicht?«
Er hebt seine Brauen und sieht dann hilfesuchend zu Apate.
Meine Schwester seufzt, kommt dann auf mich zu und legt mir eine Hand auf die Schulter. »Es ist Zeit.«
Ich beiße meine Zähne zusammen, bis mein Kiefer pochend schmerzt.
»Du weißt, wo er hingehört. Und du weißt auch, dass er dort am sichersten ist.«
Ich nicke, ohne es wirklich zu begreifen. Dann werfe ich einen Blick auf Night. Auf das, was noch von ihm übrig ist. Ich sehe den Rubin in seiner Hand. Den starken Blick, der keinerlei Angst in sich trägt. Im Gegenteil. Und sein letzter Blick galt mir.
Ich weiß schon eine ganze Weile, dass ich ihn gehen lassen muss. Dass es schon immer so war. Unsere Schicksale sind ineinander verwoben, aber nicht dazu bestimmt, verbunden zu sein. Und dennoch weiß ich auch, dass ich ihn niemals gehen lassen werde. Nicht vollständig, denn er hat einen Teil in mir, meiner Seele und meines Herzens berührt, von dem ich nichts wusste. Nicht wusste, dass er existiert. Und dieser Teil wird immer ihm gehören.
Ich nicke Apate zu und erhebe mich. Eryt und Terrys starren uns beinahe fassungslos an. Aber ich hatte eine Vereinbarung mit ihr. Sie hat mir diesen Monat gegeben. Einen Monat, um zu hoffen, zu beten, die Hoffnung zu verlieren, wütend zu werden und schließlich Abschied zu nehmen. Doch ein Leben hätte nicht gereicht. Wie sollte es also dieser dumme Monat?
Ich gehe einen Schritt auf Night zu und berühre seine Wange. »Ich werde dich finden«, flüstere ich. »Und wenn es erst im tausendsten Leben sein wird.«
Mit diesen Worten nicke ich Apate zu. Sie tritt näher.
»Ich werde Custos jetzt nach Atlantis bringen, damit er dort als Wächter das Göttliche vor den Sterblichen schützen kann«, sagt sie, als wäre es ein Gebet. Als würden ihre Worte die Wunde heilen können, die sich in mein Herz gerissen hat. Das können sie nicht.
Ich presse meine Lippen zusammen. Sie nennt ihn bei seinem wahren Namen. Nicht bei dem Namen, den Terrys ihm einst gab, als Night als namenloser Sklavenjunge zu ihnen kam. Sie nennt ihn bei dem Namen, den die Götter ihm gaben. Custos, was Wächter bedeutet. Ihn zu hören lässt mein Herz noch schwerer werden.
»Wie willst du das allein schaffen?«, hakt Eryt nach und steht auf. Beinahe so, als wolle er sich hier und jetzt freiwillig melden, um Night auf seinen Schultern nach Atlantis zu tragen.
»Der Trug … meine Kraft, Menschen und auch Drachen Dinge sehen zu lassen … ist so stark, Erytas. Das Göttliche ist es. Also vertrau mir. Und kümmert ihr euch zusammen mit eurer Königin darum, dass Custos mit seinem Opfer nicht auch sein Lebenswerk verloren hat.«
Mit diesen Worten verschwindet sie zusammen mit Night. Es bleibt nur schwarzer Nebel zurück. Den Urdrachen, also meinen Geschwistern, ist es erlaubt, nach Atlantis zu wandern, genauso wie alle anderen Drachen es hier oben können. Mein Herz fühlt sich taub an und mein Atem erinnert mich unangenehm daran, dass ich noch lebe.
»Was soll ich tun?«, frage ich in die eingetretene Stille und sehe mich um.
»Die Piraten von Erytheia wieder einen. Regeln aufstellen. Blacks Regeln.«
Ich schließe meine Augen, nicke dann aber. Es ist an der Zeit, mir zu beweisen, dass ich es kann.
Ein letztes Mal erlaube ich mir eine unsichere, trauernde Geste und beiße mir auf meine Lippe, bevor ich die Augen öffne und tief Luft hole. »Gibt es hier Drachen, denen ihr vertraut?«
Eryt und Terrys sehen sich unsicher an, nicken dann aber.
»Ruft sie zusammen. Teilt euch auf und sorgt für Ordnung in den Straßen. Zeigt ganz deutlich, dass jeder, der sich weiterhin wie ein Barbar verhält, bitter bestraft wird.«
Sie nicken erneut, während ich auf sie zugehe und ihnen einen liebevollen Blick zuwerfe. »Und wir gehen aus, damit ich mich mal wieder zeige.«
»Wirklich?« Eryt hebt belustigt eine Braue.
»Natürlich«, sage ich sicher und gehe zur Tür.
»Du willst echt so da raus, Nyxa?«
Er mustert mich von oben bis unten. Ich trage eine enge schwarze Hose und ein Top, also nichts, woran er etwas auszusetzen haben könnte. Außer er erwartet, dass ich mich in ein majestätisches Kleid werfe. Aber wir wissen beide, dass er darauf lange warten könnte.
Als ich in die kleine Gasse vor Nights Haus trete, atme ich die kühle Luft ein und lausche den ungewohnten Geräuschen. Lärm huscht durch die Gassen zu uns. Aber nicht der Lärm von feiernden und glücklichen Menschen wie sonst. Nein. Es ist ein aggressiver Lärm, der mir eine Gänsehaut über die Arme...