E-Book, Deutsch, Band 2, 544 Seiten
Reihe: Feuerfalken-Saga
Caruso Sturmschwingen
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7325-7830-6
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 544 Seiten
Reihe: Feuerfalken-Saga
ISBN: 978-3-7325-7830-6
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die eine ist ein Straßenkind. Die andere Erbin der mächtigsten Adelsfamilie des Stadtstaats Raverra. Zusammen bilden Zaira und Amalia als magiebegabte Falkin und magiebändigende Falknerin ein eingespieltes Duo. Deshalb werden sie mit einem Auftrag höchster Dringlichkeit bedacht. Denn immer mehr Falken verschwinden an der Grenze zu Vaskandar, das offen Truppen zusammenzieht. Plant das Nachbarland eine Invasion? Und hängt das Verschwinden der Falken damit zusammen? Amalia und Zaira sollen die Lage klären und die verschollenen Falken aufspüren. Doch die Mission führt sie direkt in die Arme des Feindes ...
Melissa Caruso bezeichnet sich selbst als Fantasyautorin, Teetrinkerin, Geek und Mutter - nicht unbedingt in der Reihenfolge. Nach einem Studium in Creative Writing an der Brown University, das sie mit Auszeichnung bestand, schloss sie einen Master of Fine Arts an der University of Massachusetts an. Melissa Caruso lebt mit ihrem Ehemann und ihren Töchtern in Massachusetts.
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KAPITEL ZWEI
Betroffenheit hing wie ein Leichentuch über unserem Tisch bei Dama Auricas Abendgesellschaft. Marcello sprach kaum ein Wort, und die Dienstboten räumten die Teller der ersten beiden von vierzehn geplanten Gängen an seinem Platz beinahe unberührt ab. Zaira hingegen fiel noch ergrimmter als sonst über ihr Essen her. Marcellos Schwester Istrella beugte sich über einen kleinen Haufen fummeliger Artefaktionsstücke, die sie in ihrer seidenen Tasche mitgebracht hatte. Mit sorgenvollem Stirnrunzeln verdrehte sie ein Stück Draht. Eine alte Matrone am Nebentisch rümpfte die Nase ob dieses Benehmens und bedachte sie mit einem tadelnden Seitenblick. Aber das war eben Istrella, wie sie leibte und lebte.
Ich wagte nicht einmal den Versuch, selbst eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Ich hatte den ermordeten Falkner und seinen wahrscheinlich ebenfalls toten Falken gerade gut genug gekannt, um ihren Namen Gesichter zuordnen zu können. Anthon hatte sich einen Bart stehen lassen, den er ständig rieb, wenn er sprach. Namira war so alt gewesen wie meine Mutter und hatte leuchtende, scharfe Augen und kurze, eisengraue krause Locken gehabt. Doch sowenig ich sie auch gekannt hatte, kam es mir doch falsch vor, gerade einen Tag nachdem wir die Leiche gefunden hatten, einem Fest beizuwohnen.
Die Bediensteten trugen einen Zwischengang mit Nüssen auf, eine reichliche Ernte diverser Sorten, kunstvoll mit Blumen und Grün auf einer silbernen Platte angerichtet. Zaira zupfte eine Walnuss heraus; das harsche Knirschen, als sie die Schale knackte, zerrte so sehr an meinen Nerven, dass ich die Stille nicht länger ertrug.
»Gibt es schon einen Verdacht, wer das getan haben könnte?«, fragte ich Marcello.
Er blickte auf. Die dunklen Schatten unter seinen Augen deuteten darauf hin, dass er nicht viel geschlafen hatte. Ich hasste es, die sonst so klaren Züge so müde und ausgezehrt vor mir zu sehen, und ich wünschte, ich könnte einfach die Hand ausstrecken und die Sorgenfalten von seiner Stirn streichen.
»Nein«, sagte er. »Es ergibt keinen Sinn. Namira war Artefaktorin. Sie hat Schutzbanne entworfen und neue Falken unterrichtet. Es gibt keinen Grund, warum irgendjemand ihren Tod oder den des armen Anthon gewollt haben könnte.«
Zaira starrte finster auf ihren Teller. »Den Mistkerl, der das getan hat, würde ich zu gern in die Finger kriegen. Namira war in Ordnung.« Ein scharfes Knacken unterstrich ihre Worte, und sie warf sich eine weitere Nuss in den Mund.
»Meine Mutter verdächtigt Vaskandar.« Ich warf einen Blick zu dem vaskandrischen Botschafter, der drei Tische weiter sein Glas erhob und zwei wohlhabenden Importeuren zuprostete. »Schon weil sie immer noch ihre Truppen an unsere Grenze verlagern, obwohl der Herbst bevorsteht. Das bedeutet, dass sie eindeutig irgendetwas im Schilde führen.«
»Ich begreife nicht, welchen Vorteil es ihnen einbringen könnte, eine einzelne Artefaktorin und ihren Falkner umzubringen«, bemerkte Marcello mit nachdenklicher Miene.
»Namira war eine sehr begabte Entwicklerin und auf Runenartefaktion spezialisiert«, stellte ich fest. »Vielleicht hat sie an einem Projekt gearbeitet, das Vaskandar Sorgen bereitet hat, möglicherweise eine neuartige Waffe oder eine Falle für das Schlachtfeld. Wir sollten ihre Notizen nach Hinweisen durchsuchen.«
»Du hast stets so gute Ideen, Amalia.« Marcello lächelte wehmütig. »Das ist eines der Dinge, die ich an dir liebe.«
Die Worte trafen mich trotz seines beiläufigen Tons wie ein Blitzschlag. Liebe.
Er hatte es seit jenem Moment in Ardence, als ich wegen eines Gifts im Sterben lag und wir uns verabschiedeten und kaum Hoffnung hatten, einander noch einmal zu sehen, nicht mehr ausgesprochen. Ich glaube, ich könnte dich lieben. Ich hatte versucht, das zu vergessen; die Umstände waren schließlich erdrückend gewesen. Und es wäre närrisch, bei der Frage zu verweilen, ob er mich liebte oder ob ich ihn liebte, nachdem ich die politische Entscheidung getroffen hatte, ungebunden zu bleiben, zumindest vorerst.
Was mich zu einer Närrin machte, denn natürlich dachte ich seither an beinahe jedem Tag in der Woche daran.
»Namira arbeitete gerade an einigen von diesen wundervollen Spiralrunen, die man in den Mauerbildern alter Gruften in Osta finden kann. Sie wollte sie modifizieren«, warf Istrella überraschend ein. »Sie hatte vor, weitere Nachforschungen in Osta anzustellen. Ich war ziemlich neidisch; irgendwann will ich mir dort die artefaktischen Filigranarbeiten aus Draht im königlichen Palast ansehen.«
»Vielleicht können wir gemeinsam hinfahren«, schlug ich vor, und Istrella schenkte mir ein Lächeln.
»Ich hätte wissen müssen, dass sie verschwunden waren.« Marcello sprach so leise, dass ich ihn kaum hören konnte. »Sie hätten schon vor Tagen in Osta eintreffen sollen. Aber weil Namira beurlaubt war, habe ich nicht erwartet, dass sie sich melden.« Er schüttelte den Kopf und presste die Lippen zu einer erbitterten Linie zusammen.
»Du darfst dir keine Schuld geben«, sagte ich und bemühte mich um einen Ton, der vielleicht sanfter war, als klug gewesen wäre.
»Wer sagt, ich würde mir die Schuld geben?« Er versuchte sich an einem wenig überzeugenden Lächeln.
»Jeder, der dich kennt.«
»Für die Sicherheit der Falken bin ich verantwortlich.« Er rieb sich die Stirn. »Besonders nach meiner Beförderung.«
»Beförderung! Du hast mir gar nicht erzählt, dass du befördert wurdest.« Mir waren ein paar zusätzliche Litzen an seinem Kragen aufgefallen und noblere Falkenkopfknöpfe, aber ich hatte angenommen, er trüge lediglich eine neue Paradeuniform.
Er hatte es mir nicht erzählt. Diese Erkenntnis versetzte mir einen Stich und bohrte sich in meinen Brustkorb. Vielleicht war er nur zu beschäftigt gewesen, aber vielleicht hielt er mich auch auf Distanz.
Strahlend vor Stolz blickte Istrella von dem Draht auf, den sie wickelte. »Ja, er ist nun Hauptmann Verdi. In den Stallungen ist er damit nur noch Oberst Vasante unterstellt. Er kann jetzt die Mittel für meine Projekte selbst bewilligen! Das finde ich wunderbar. Er stellt nicht zu viele Fragen wegen der Sicherheitsvorkehrungen.«
Marcellos Augenbrauen zuckten alarmiert in die Höhe. »Das sollte ich vielleicht ändern.«
»Meinen Glückwunsch«, sagte ich und hob mein Glas, fest entschlossen, die Kränkung nicht in meinem Lächeln durchscheinen zu lassen. »Ich weiß, du hast schon länger darauf hingearbeitet.«
Marcello zuckte mit den Schultern und zupfte verlegen an den Litzen seines Kragens. »Danke. Allerdings musste ich jetzt schon feststellen, dass das nicht so ist, wie ich es mir vorgestellt hatte.«
»So?« Ich zog fragend eine Braue hoch. »Mehr Arbeit? Mehr Politik?«
»Mehr Schuld.« Er verzog das Gesicht. »Oberst Vasante ist anscheinend der Meinung, unser Umgang mit der Lage in Ardence hätte gezeigt, dass ich bereit bin, größere Verantwortung zu übernehmen. Aber ich fürchte, ich enttäusche sie schon jetzt. Nun, da Vaskandar sich auf einen Krieg vorbereitet, hätte ich zusätzliche Gardisten für alle Falken, die außerhalb der Stallungen unterwegs sind, abstellen müssen.«
»Tritt dir ruhig selbst in die Weichteile, wenn du unbedingt willst, aber ich wäre eher dafür, seiner Öligen Exzellenz hier die Schuld zuzuweisen«, grollte Zaira und deutete mit einer Kopfbewegung auf den vaskandrischen Botschafter, der sich gerade erhoben hatte, um eine Landsmännin zu begrüßen, und dabei liebenswürdig mit dem Kopf nickte. »Er verschwindet immer wieder in einem Nebenraum, um mit irgendwelchen Leuten zu reden.«
»Tatsächlich?« Ich verdrehte mir den Hals, um einen Blick auf ihn zu werfen. Die Grazien wissen, dass ich ihn auch hätte im Auge behalten müssen, statt mir die Aufmerksamkeit von Erinnerungen an den Tod und verwesende Leiber vernebeln zu lassen.
Er war ein Mann in mittleren Jahren, der aussah, als hätte er einmal Muskeln besessen, sie aber verkommen lassen. Ein kräftiger Bart bildete einen Kontrapunkt zu der kahlen Stelle, die jedes Mal aufblitzte, wenn er den Kopf beugte. Selbst seine Garderobe wirkte wie ein Kompromiss: eine Brokatjacke im raverranischen Stil in vaskandrischem Waldgrün. Ich suchte in meinem Gedächtnis nach seinem Namen und kramte ihn schließlich aus einer Erinnerung an meinen letzten Besuch in der Botschaft hervor, als ich an einer wahrlich zermürbenden Festivität mit Prinz Ruven hatte teilnehmen müssen: Botschafter Varnir.
Zaira hatte recht; Varnir deutete auf eine Tür auf der anderen Seite von Dama Auricas Speisesaal, und gleich darauf bahnte er sich mit seiner Begleiterin – eine große, elegante Dame in einem langen Ledermantel mit einer kantigen vaskandrischen Stickerei – einen Weg zwischen den Tischen hindurch.
»Ich würde einiges darum geben, mit anzuhören, worüber die reden«, bekundete ich.
Istrella blickte ruckartig von ihrer Arbeit auf. Marcello hatte sie überzeugt, ihre artefaktische Brille daheim zu lassen, und das Magiermal in ihren Augen trat leuchtend golden hervor und verlieh ihnen einen fiebrigen Glanz. »Oh! Wirklich? Lass mich mal sehen, was ich tun kann.«
Summend zog sie eine kleine Zange hervor und fing an, Draht um ihren Dessertlöffel zu wickeln. Marcello und ich wechselten einen warmherzigen Blick; wenn man ein Problem zu lösen hatte, war auf Istrella immer Verlass. Sie steckte ein paar Perlen auf den Draht, zog eine Nadel aus ihrem widerspenstigen Haarwust und tauchte sie in ein Tintenfässchen aus ihrer Tasche ein. Binnen weniger...