Casagrande | Schatten. Unsere Väter in der Waffen-SS | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 200 Seiten

Casagrande Schatten. Unsere Väter in der Waffen-SS


1. Auflage 2024
ISBN: 978-88-7283-954-6
Verlag: Edition Raetia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 200 Seiten

ISBN: 978-88-7283-954-6
Verlag: Edition Raetia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



SS-Männer und ihre Kinder Die einen verherrlichten Krieg und Soldatentum, die anderen verstummten - nicht ohne Folgen auf das Familienleben der Nachkriegsgeneration in Südtirol und in Deutschland. Wie prägend ist der lange Schatten des Krieges für die Nachkommen? In Gesprächen mit Söhnen, Töchtern und Enkeln von Angehörigen der Waffen-SS werden die erlittenen Verletzungen, die Erfahrungen mit Gewalt und die noch immer aktuellen Spuren der Geschichte sichtbar. •Einführung in das Thema Traumata und Erinnerung •acht Täterbiografien sowie tiefgreifende Dialoge mit den Nachkommen •Fokus: Waffen-SS

Thomas Casagrande: Politologe und Autor, ehemals stellvertretender Direktor der Schulen des Deutschen Buchhandels, wohnhaft in Frankfurt. Sein Vater, Otto Casagrande (1919-1990), war Aktivist der illegalen NS-Bewegung in Südtirol und Mitglied der SS. Veröffentlichungen: 'Die volksdeutsche SS-Division 'Prinz Eugen'. Die Banater Schwaben und die nationalsozialistischen Kriegsverbrechen' (Campus Verlag, 2003); 'Südtiroler in der Waffen-SS: Vorbildliche Haltung, fanatische Überzeugung' (Raetia, 2015).
Casagrande Schatten. Unsere Väter in der Waffen-SS jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


„The past is never dead.
It isn’t even past.“


Seit dem Erscheinen meines Buches über die „Südtiroler in der Waffen-SS“ bei Edition Raetia 2015 habe ich Vorträge zu diesem Thema in Bibliotheken, Universitäten und Schulen gehalten. Anfangs sprach ich im Allgemeinen zur Geschichte der Waffen-SS in Südtirol und erzählte von meinem Vater Otto Casagrande als Beispiel für eine Südtiroler SS-Biografie. Mit der Zeit veränderte sich der Fokus. Ich sprach nun hauptsächlich vor Maturaklassen, und bei der Vorbereitung eines Vortrags an der Wirtschaftsfachoberschule „Franz Kafka“ in Meran schlug die Professorin Carmen Steiner vor, mich ganz auf die Biografie meines Vaters zu konzentrieren. Sie war der Meinung, dass sich ihre Schülerinnen und Schüler besonders für das Beispiel meines Vaters interessieren würden. Wie recht sie hatte!

Bald stand auch an den anderen Schulen die Geschichte meines Vaters im Mittelpunkt meiner Vorträge. Mit seiner Person konnte ich Südtiroler Geschichte greifbar machen und exemplarisch seine Entwicklung vom jugendlichen Aktivisten bis hin zum SS-Untersturmführer aufzeigen. Die Aufmerksamkeit war groß und ich kam mit den Maturaklassen in intensive Diskussionen, bei denen mir zunehmend eine weitere Veränderung bewusst wurde. Die Fragen und Anmerkungen zu Details der Geschichte, zum Zweiten Weltkrieg im Allgemeinen und zum Werdegang meines Vaters im Besonderen machten regelmäßig den kleineren Teil der spannenden Gespräche aus. Am meisten schien die Schülerinnen und Schüler mein Umgang mit dem Thema zu interessieren. Sie wollten wissen, wie das Zusammenleben mit meinem Vater war. Wie ich über ihn dachte, welche Gefühle seine Geschichte in mir auslöste, welche Konsequenzen und Schlüsse ich aus seiner Geschichte zog.

Als besonders intensiv habe ich die Gespräche vom März 2023 in Erinnerung. Sowohl die Schülerinnen und Schüler als auch ich gingen nach der pandemiebedingten langen Pause sehr motiviert in die Gespräche und mir wurde klar, wie wichtig die Gespräche auch für mich geworden waren. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir wieder bewusst, dass es die Geschichte meines Vaters, mein Verhältnis zu ihm – also unser beider Geschichte – war, die mich zu meinen SS-Forschungen, zu meiner wissenschaftlichen Arbeit gebracht hatten. Als ich im Rahmen einer SS-Historiker-Tagung in Dresden 2010 einen Vortrag über die Volksdeutschen in Jugoslawien und die 7. SS-Division „Prinz Eugen“, mein Dissertationsthema, hielt, wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass ich der einzige Vortragende war, der einen engen familiären Bezug zum Forschungsgegenstand hatte, und ich mich damit von den anderen Historikerinnen und Historikern unterschied. Endgültig deutlich machte dies Franziska Zaugg 2016 in ihrer Rezension zu meinem Buch „Südtiroler in der Waffen-SS“. Sie bringt diesen Zusammenhang so klar auf den Punkt, dass sie hier zitiert werden soll:

„Thomas Casagrandes neueste Publikation lässt Historiker zuerst einmal die Stirn runzeln. Es ist in der Gilde der Geschichtswissenschaftler nicht üblich, sich so offen und so nah an seinem Thema zu präsentieren. Denn die Recherchen, überhaupt seine Auseinandersetzung mit der Waffen-SS, verdankt Casagrande der Vergangenheit seines Vaters. Sein Bekenntnis, auch Persönliches und Familiengeschichtliches aufarbeiten zu wollen, provoziert ein doppelt kritisches Lesen. […] Am Ende des Buches angekommen, ist der Leser positiv überrascht: Casagrande gelingt es in dieser mikrogeschichtlichen Studie nicht nur, die notwendige Distanz zu wahren, sondern wichtige Details herauszuarbeiten, die nicht nur für die Südtiroler Bevölkerung und die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit von Belang sind. […] Gleichzeitig ist es ein Aufruf, sich der Vergangenheit zu stellen und die Vielfalt von Handlungsoptionen, aber auch Handlungszwängen ehemaliger Soldaten der Waffen-SS wahrzunehmen.“1

Franziska Zaugg führt mich mit diesen Worten auf den Kern meiner Auseinandersetzung zurück. Meine Arbeiten zur Geschichte der Volksdeutschen in der Waffen-SS folgen nicht wissenschaftlicher Neugierde oder gar dem Zufall eines frei gewählten wissenschaftlichen Themas. Sie entspringen meiner innersten Beschäftigung damit. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch meine Begegnung mit Ofra Bloch, die für das vorliegende Buch den Epilog geschrieben hat. Ofra Bloch ist gebürtige Israelin und lebt in New York City. Sie interviewte mich für ihren Dokumentarfilm „Afterward“.2 Im Interview ging es um mich als Sohn eines SS-Untersturmführers und nicht um mich als Wissenschaftler, der zur Geschichte der Volksdeutschen in der Waffen-SS forscht. Dies führte anfangs zu einigen Missverständnissen, gar Ärgernissen meinerseits. Ich wollte über die Waffen-SS referieren, und sie interessierte sich für meine persönliche Geschichte. Auch als ich dann im November 2018 in New York City an der Filmpremiere und den anschließenden „Questions & Answers“ teilnahm, war es meine Auseinandersetzung mit meinem Vater, die im Mittelpunkt stand, und nicht meine Expertise als Wissenschaftler. Unvergesslich bleibt mir die Rückmeldung von zwei jüdischen Ehepaaren, die mich auf dem Nachhauseweg ansprachen und sich bei mir für meine Offenheit und für meine Bereitschaft bedankten, mich der Geschichte zu stellen.

Mit dem vorliegenden Buch schließt sich nun der Kreis. Ich kehre an den Beginn meiner Auseinandersetzung zurück. Aber ich mache es nicht allein. Die in diesem Buch zu Wort kommenden Frauen und Männer haben gemeinsam, dass ihre Väter und Großväter bei der Waffen-SS waren. Als Erster ist mein Bruder Roland Casagrande zu nennen. Den meisten anderen Teilnehmern bin ich durch mein Buch zu den Südtirolern in der Waffen-SS begegnet. Manche habe ich noch während der damaligen Recherche kennengelernt, andere haben sich an mich gewandt, nachdem mein Buch erschienen war, weil sie schon seit Längerem auf der Suche nach Informationen zu ihren Vätern waren, gar schon selbst sehr intensiv recherchiert und so weit wie möglich Material gesammelt hatten: Siegfried Frizzi, Klaus Ladurner, Martin Sieder und Giulia Trojer. Über die Jahre ist zwischen uns ein Vertrauensverhältnis entstanden.

Mit Franz Steiner verbindet mich eine enge Freundschaft. Unsere Väter kannten sich seit der Jugend und stammten aus demselben Ort, Neumarkt in Südtirol. Auch die Väter der oben genannten Personen waren Südtiroler. Aber die dem Buch zugrunde liegende Auseinandersetzung mit Vätern, die in der Waffen-SS waren, und die damit verbundene Problematik der transgenerationalen Vermittlung, der Weitergabe von Traumata, von Vorurteilen und Verhaltensweisen, sind nicht alleine ein Südtiroler Thema. Gut neunhunderttausend Männer aus allen Ländern Europas dienten in der Waffen-SS am Ende des Krieges, von denen knapp die Hälfte aus dem Großdeutschen Reich stammte. Stellvertretend ist deswegen die Geschichte von Astrid Wohlgemuth ein wichtiger Bestandteil des Buches. Ich habe sie über einen gemeinsamen Freund kennengelernt, der sie auf meine Forschungen aufmerksam machte.

Auch Enkelkinder werden gehört. Franziska Ladurner nahm voller Spannung und Interesse an den Gesprächen zwischen mir und ihrem Vater Klaus über ihren Großvater Eduard Ladurner teil. Martin Robatscher ist der Neffe von Franz Steiner und forscht intensiv zur Geschichte seines Großvaters Hans Steiner, sodass mich auch mit ihm eine persönliche Beziehung verbindet. Die Brüder Arno, Michael und Peter Senoner sind die Enkel von Karl Nicolussi-Leck. Ich lernte sie erst während der Recherche zu diesem Buch kennen. Ihr Großvater war nicht nur ein Südtiroler NS-Aktivist und Ritterkreuzträger der Waffen-SS, sondern auch nach dem Krieg eine bekannte Person des öffentlichen Lebens und oft Gegenstand von kritischen Untersuchungen zum Werdegang von Nationalsozialisten und SS-Männern nach dem Krieg.

Dass die hier genannten Personen bereit waren, unter ihren Echtnamen über sich und die Geschichte ihrer Väter und Großväter nachzudenken und zu sprechen, ist nicht selbstverständlich. Die meisten Gespräche mit Kindern von NS- oder SS-Mitgliedern wurden anonymisiert veröffentlicht.3 Darüber hinaus habe ich über die Jahre eine Reihe von Kindern von Mitgliedern der Waffen-SS und auch von Wehrmachtssoldaten kennengelernt. Die meisten wussten nichts über den Kriegseinsatz des Vaters. In der Regel bot ich an, während meiner regelmäßigen Archivbesuche nach ihren Vätern zu forschen. Meist bestand kein Interesse an einem kritischen Recherchieren und Nachfragen und mein Angebot wurde dankend abgelehnt. Auch die Geschwister der in diesem Buch zur Sprache kommenden Frauen und Männer hatten kein Interesse an einem Gespräch über ihre Väter.

Geschichtserzählung spiegelt hauptsächlich die der jeweiligen Zeit zugrunde liegenden Machtverhältnisse wider. Das gilt grundsätzlich, aber eben auch für den Nationalsozialismus im Allgemeinen und die Waffen-SS im Besonderen. Es sind die Entscheidungsträger, die meistens im Mittelpunkt der biografischen Aufarbeitung stehen. Der Blick auf die, die ihnen folgten, ist oft ein kollektiver, ein summarischer. Selten sind sie einzeln – mit ihren jeweiligen individuellen Gefühlen, Motivationen, Absichten – im Fokus.

Wie weit ging aber ihre Identifizierung mit den Zielen der „Bewegung“? Waren sie nur unschuldig Verführte oder lebten sie die gleichen Macht- und Größenfantasien wie ihre „Führer“, waren sie vom gleichen Hass durchdrungen, nur auf einer anderen Hierarchieebene? Berühmt wurden die Worte von Robert H. Jackson, US-Chefankläger im Nürnberger Prozess, gegen die...


Casagrande, Thomas
Thomas Casagrande: Politologe und Autor, ehemals stellvertretender Direktor der Schulen des Deutschen Buchhandels, wohnhaft in Frankfurt. Sein Vater, Otto Casagrande (1919–1990), war Aktivist der illegalen NS-Bewegung in Südtirol und Mitglied der SS. Veröffentlichungen: „Die volksdeutsche SS-Division ‚Prinz Eugen‘. Die Banater Schwaben und die nationalsozialistischen Kriegsverbrechen“ (Campus Verlag, 2003); „Südtiroler in der Waffen-SS: Vorbildliche Haltung, fanatische Überzeugung“ (Raetia, 2015).

Bloch, Ofra
Nachwort von Ofra Bloch, Psychoanalytikerin, Traumaexpertin und Filmemacherin („Afterward“), New York.

Böhler, Jochen
Historiker und Direktor des Wiesenthal Instituts für Holocaust-Studien, Wien.

Thomas Casagrande: Politologe und Autor, ehemals stellvertretender Direktor der Schulen des Deutschen Buchhandels, wohnhaft in Frankfurt. Sein Vater, Otto Casagrande (1919–1990), war Aktivist der illegalen NS-Bewegung in Südtirol und Mitglied der SS. Veröffentlichungen: "Die volksdeutsche SS-Division 'Prinz Eugen'. Die Banater Schwaben und die nationalsozialistischen Kriegsverbrechen" (Campus Verlag, 2003); "Südtiroler in der Waffen-SS: Vorbildliche Haltung, fanatische Überzeugung" (Raetia, 2015).



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.