Ceylan | Imame in Deutschland | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Ceylan Imame in Deutschland

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-451-81794-6
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Verkappte Hassprediger oder fürsorgliche religiöse Leitfiguren? Imame sind wichtige Schlüsselpersonen in der muslimischen Community. Ihre politische und religiöse Orientierung, ihre Position in der Gemeinde werden die Eingliederung der Muslime in die deutsche Gesellschaft wesentlich mitbestimmen. Rauf Ceylan geht dem Alltagsleben der Imame auf den Grund. Das Thema Imame in Deutschland hat nach der neuen Islamkonferenz an Bedeutung gewonnen. Wie wird die Bundesregierung in Zukunft mit der Installierung von Imamen umgehen? Wie werden Fragen wie etwa die Finanzierung von Imamen geklärt? Das Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück und mit ihm Rauf Ceylan sind in diesem Prozess entscheidend involviert.
Die überarbeitete und aktualisierte Neuausgabe präsentiert neueste Fakten und aktuelle Forschungsergebnisse.
Ceylan Imame in Deutschland jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Einleitung: Imame sind Schlüsselpersonen
»Islam sells«, müsste es aufgrund der Informationsflut über den Islam in den letzten Jahren heißen. Nahezu uferlos erscheint die Literatur zum Thema Islam, allerdings existiert nach wie vor nur eine geringe Anzahl an Publikationen über Imame. Dabei sind sie mittlerweile zu einem hochgradig aktuellen Thema avanciert. Während sich die Muslime in Deutschland zunehmend integrieren, sogenannte »Hinterhof-Moscheen« sich auflösen und die Muslime durch repräsentative Bauten (mit Kuppel und Minarett) sich in die Mitte der Gesellschaft bewegen, ist über die Imame und ihre Arbeit in Deutschland noch sehr wenig bekannt. Nach wie vor kommen Imame aus dem Ausland, um die deutsch-muslimische Community zu betreuen. Ein Großteil stammt aus nichteuropäischen, weniger säkularisierten Ländern. Ihre Sozialisation hat dort stattgefunden. Die meisten sprechen kaum Deutsch und kennen ihr neues Heimatland nicht. Sie kommen mit vollkommen anderen Erfahrungen und Vorstellungen nach Deutschland. Damit sind viele Konflikte vorprogrammiert. Nicht nur, dass die Imame ihre Brückenfunktion nicht in vollem Umfang wahrnehmen können – das ist die eine Sache. Die andere ist, dass sie diese Position ganz im Gegenteil geradezu kontraproduktiv nutzen können. Davon zeugen die neosalafistischen Hassprediger, die junge deutsche Muslime zu indoktrinieren versuchen. Mit dem Aufstieg des IS u. a. in Syrien und im Irak haben diese Prediger eine Hochkonjunktur erlebt und viele Biographien von jungen Menschen samt ihren Familien zerstört. Mittlerweile ist es etwas leiser geworden um diese Prediger, doch der Schein trügt. Noch immer sind sie aktiv, auch wenn sie gegenwärtig nicht auffallen wollen. Derzeit versucht der IS sich im Irak und Syrien zu reorganisieren. Zudem sind andere, weniger auffällige politisch-islamische Gruppen wie Hizb ut-Tahrir aktiv. Entwicklungen im Ausland spiegeln sich erfahrungsmäßig hierzulande wider. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis alte oder neue fundamentalistische Gruppen wieder an Aktualität gewinnen. Leider werden die Rolle und die Funktion der Imame hierzulande weit unterschätzt. In einem alten türkischen Sprichwort heißt es: »Der halb ausgebildete Imam nimmt den Menschen den Glauben, wie der halb ausgebildete Arzt den Menschen die Gesundheit raubt.« Erst nach fünfzig Jahren muslimischer Migrationsgeschichte begann die Politik in den 2000er Jahren zaghaft damit, sich dem drängenden Thema anzunähern. Vor allem nach dem 11. September 2001 wird die Schlüsselrolle der Imame in der muslimischen Community besser verstanden. In den letzten Jahren wurde daher die Bedeutung der Imame im integrationspolitischen Kontext zunehmend thematisiert. Denn der Islam in Deutschland ist ein Produkt der Arbeitsmigration. Daher werden Integrationsthemen und Islamthemen immer zusammen diskutiert, entsprechend auch die Bedeutung der Imame. Mit dem Beginn der Deutschen Islamkonferenz im Jahr 2006 ändert sich die Situation schlagartig. In zunehmendem Maße werden wichtige Themen wie Islamischer Religionsunterricht und Islamische Theologie in Deutschland öffentlich diskutiert. Das Jahr 2010 stellt einen historischen Wendepunkt dar: Der Wissenschaftsrat empfiehlt die Gründung der Institute für Islamische Theologie, um eben u. a. deutschsprachige Imame für den hiesigen Arbeitsmarkt auszubilden. Seit Beginn der Einwanderung in den 1960er Jahren hat die Zahl der Muslime in Deutschland stetig zugenommen. Mittlerweile leben bis zu fünf Millionen Muslime hier. Vor allem durch den Zuzug von Geflüchteten im Jahr 2015 hat nicht allein deren Zahl zugenommen, sondern auch ihre Heterogenität. Während Frankreich einen maghrebinisch und England einen asiatisch geprägten Islam kennen, ist der Islam in Deutschland – trotz der neuen Einwanderung durch arabischsprachige Muslime – eindeutig rot-weiß gefärbt: Mit nahezu drei Millionen stellen die Türkeistämmigen den größten Teil der Muslime dar. Darunter übrigens auch viele Kurden, die überwiegend aus der Türkei, dem Irak und aus Syrien stammen. Diese Gruppe wird in den Statistiken immer wieder völlig ausgeblendet. Kurdischstämmige Muslime besuchen entweder türkische oder arabische Moscheen oder gründen eigene Gemeinden. Die türkischsprachigen Muslime dominieren das islamische Leben in Deutschland mit ihren zahlreichen religiösen Strukturen und Vereinen – und natürlich mit ihren Imamen. Religion wird in der türkisch-muslimischen Community großgeschrieben. Der Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung konnte in einer Studie belegen, dass sich gut 90 Prozent der Türken als religiös bezeichnen. Über 40 Prozent sogar als hoch religiös. Diese Zahlen sind nicht überraschend, weil der Islam in der Türkei niemals seine Bedeutung verloren hat. Und das, obwohl Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk (»Vater der Türken«) durch fundamentale Reformen – von oben nach unten – die türkische Gesellschaft zu säkularisieren versuchte. Mit der Gründung der türkischen Republik im Jahre 1923 sollte auch schrittweise mit der osmanisch-islamischen Vergangenheit gebrochen werden. Bis heute hat die Türkei ein ambivalentes Verhältnis zu ihrer Geschichte. Zu Recht spricht daher Inga Rogg von der »unfertigen Nation«, da Atatürks Staatsprojekt zugleich die Fundamente für die Konfliktlinien zwischen den unterschiedlichen Ethnien, Konfessionen und Milieus (Konservative, Liberale, Säkulare usw.) gelegt hat. Diese scheinen eine hohe Persistenz zu besitzen. »Der Glaube kann Berge versetzen«, so heißt es in dem bekannten Sprichwort. Ganz in diesem Sinne hat Atatürk in den Jahren des Unabhängigkeitskriegs gegen die europäischen Alliierten (1919–1923) zur Mobilisierung des türkischen Volkes den nationalen Befreiungskampf noch religiös untermauert. Dabei erkannte er das Potenzial der religiösen Gelehrten und Imame zur Mobilisierung des Volkes und setzte sie effizient ein. In seinem Auftrag predigten die Imame von der farîza-i cihadiye (Pflicht zum Kampf), um das islamische Territorium von den europäischen Besatzungsmächten zu befreien. Diese Strategie ging auf. Wie Erich Fromm es formuliert, verkörpert der Märtyrer die größte spirituelle oder, anders ausgedrückt, menschliche Selbstbehauptung. Der Überlebenswunsch wird sekundär, weil das Ziel des Märtyrers wichtiger ist als sein individuelles Leben: »Er verfolgt sein Ziel, ohne sich vom Risiko des Todes, des Schmerzes oder der auch im Kriegsfall möglichen Folter abschrecken zu lassen. Sein Ziel ist ihm wichtiger als sein individuelles Leben, sodass er den normalen Überlebenswunsch durch den heroischen Akt transzendiert.« Siegt er, so kostet er die irdischen Früchte. Stirbt er, so tritt er ohne Umwege in das Paradies ein. Nahezu in allen Religionen wird dem Märtyrer daher die größte Bewunderung zuteil. Ebenso in säkularen, politischen Ideologien wie im Marxismus bzw. Sozialismus wird der Tod für die große Sache nahezu als quasi-religiöse Verpflichtung gepriesen wie im Zitat von Che Guevara deutlich wird: »Man trägt die Revolution nicht auf den Lippen, um von ihr zu reden, sondern im Herzen, um für sie zu sterben.« Mit dieser spirituellen Waffe konnte Atatürk daher die Unabhängigkeit der Türkei forcieren. Der zielstrebige General nahm nach seiner Machtübernahme allerdings einen Kurswechsel vor: Er leitete mehrere radikale Reformen mit dem Ziel der Schaffung eines neuen Nationalbewusstseins und der De-Islamisierung der öffentlichen Sphäre ein. Anders als in Europa, wo seit der philosophischen Aufklärung eine Entwicklung von unten nach oben stattgefunden hat, sollte der türkische Weg die Gesellschaft von oben nach unten transformieren. Europa hatte seit der Aufklärung einen langen intellektuellen, kontroversen und blutigen Weg beschritten, um diesen Wandel zu realisieren. Die Türkei sollte in zwei Jahrzehnten staatlich umerzogen werden. Doch die Realität hatte die junge Republik sehr schnell eingeholt. Die neue politische Elite im Land hatte die Rolle des Islam unterschätzt. Mustafa Kemal Atatürk und seine Gefolgschaft waren Militärs und keine Soziologen, unfähig, den religiösen Faktor zu begreifen. Allein mit rationalen und nationalen Ideen schafft man keine neue Identität. Schließlich wird eine neue Zivilisation nicht mit einigen Reformen von oben konstruiert. Vielmehr hätte die türkische Gesellschaft als Ganzes in diesen Prozess einbezogen werden und diesen Wandel tragen müssen. Die Reformen wurden in der Türkei nur von einer kleinen gesellschaftlichen Elite gestützt. Die Peripherie, der große Teil der konservativen, frommen türkischen Bevölkerung in den ländlichen Gebieten, blieb von der Säkularisierung unbeeindruckt; die anatolisch-türkischen Bauern identifizierten sich noch immer über ihre Religion und nicht über ihre Nationalität. Eindrucksvoll verdeutlicht Jens Peter Laut dieses religiöse Selbstverständnis der Anatolier anhand eines Dialoges zwischen einem kemalistischen Staatsmann und einem anatolischen Bauern in dem zeitgenössischen Roman Der Fremdling: »Ein unter diesen Bauern wirkender kemalistischer Agitator stößt bei ihnen auf wenig Gegenliebe. Auf seine irritierte Frage ›Wenn man Türke ist, wie sollte man da nicht an Kemal Paschas (Atatürk, R. C.) Seite stehen?‹ (Insan Türk olur da, nasil Kemal Pasadan yana olmaz?) folgt der berühmte Dialog: ›Wir sind doch keine Türken, mein Herr!‹ (biz Türk degiliz ki, beyim) – ›Ja, was seid ihr denn?‹ (ya nesiniz?) – ›Wir sind Muslime, Gott sei Dank …‹ (biz Islâmiz, elhamdülillâh).« Aufgrund der tiefen Verwurzelung des Islam in der türkischen Gesellschaft wurde bereits 1924 das...


Dr. Dr. Rauf Ceylan ist Professor für gegenwartsbezogene Islamforschung am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.