Chi-ha Blütenneid
2. Auflage 2010
ISBN: 978-3-8353-0704-9
Verlag: Wallstein Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Gedichte
E-Book, Deutsch, 80 Seiten
ISBN: 978-3-8353-0704-9
Verlag: Wallstein Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Kim Chi-ha, geboren 1941 in der Hafenstadt Mokpo (Provinz Süd-Chulla), geriet schon als zwanzigjähriger Student in Konflikt mit der Syngman-Rhee-Diktatur. 1971 organisierte er die große Demonstration der Katholiken in Wonju, in deren Folge die Notstandserklärung erlassen wurde. 1981 wurde er auf Grund massiver Proteste aus dem In- und Ausland (u.a. organisiert von Heinrich Böll, Willy Brandt, Jean-Paul Sartre, Noam Chomsky) nach sechsjähriger Einzelhaft entlassen. Sein Werk ist in viele Sprachen übersetzt (deutsch: Die gelbe Erde, 1983); in Japan gibt es eine Gesamtausgabe seines Schaffens.
Weitere Infos & Material
1;Herberge;5
2;Fünfzig;7
3;Auslöschung;8
4;In der Psychiatrie;9
5;Wundersame Geburt;10
6;Früher;11
7;Alle gehen;12
8;Regen;13
9;In einem fernen Universum;14
10;Abendspaziergang;15
11;Winterpsalm;16
12;Neuer Frühling 1;17
13;Neuer Frühling 2;18
14;Neuer Frühling 3;19
15;Neuer Frühling 4;20
16;Neuer Frühling 5;21
17;Neuer Frühling 6;22
18;Ilsan Gedichte 1;23
19;Ilsan Gedichte 2;24
20;Ilsan Gedichte 3;25
21;Ilsan Gedichte 4;26
22;Ilsan Gedichte 5;27
23;Erinnerung;28
24;Leiden der Mitte;29
25;Blütenneid 1;30
26;Blütenneid 2;31
27;Blütenneid 3;32
28;Gast;33
29;Frühling;34
30;Berge;35
31;Gerede;36
32;Tränen;37
33;Unterhalb des Chöng-bal Berges;38
34;Lücke;39
35;Ehrfurcht;40
36;Neue Kirche;41
37;Nichts;42
38;Nun ich;43
39;Liebe;44
40;Kahle Zweige;45
41;Anfang der Zeiten;46
42;Meine Heimat;47
43;Neuerdings;48
44;Alter;49
45;Spätherbst;50
46;Kehre;51
47;Herbstabendrot;52
48;Grillen;53
49;Einsamkeit;54
50;Leeres Zimmer;55
51;In den Westen;56
52;Heidetraum;57
53;So;58
54;Das Ende des Tages;59
55;Am Leben;60
56;Frühlingsmühen;61
57;Der Tag;62
58;Früher einmal;63
59;Moor;65
60;Anmerkungen;66
61;Nachwort;71
62;Zeittafel;76
63;Inhalt;79
(S. 7)
Liegt es am Alter?
Die Augen sind trüb, die Augen ein Seelennetz, die Seele ist dunkel.
Die Morgendämmerung ist wie Abenddämmerung,
das dämmrige Zimmer stets hungrig
und das erwartete Scherenschnappen läßt auf sich warten.
Eine Küchenschabe nähert sich mir und sitzt still.
Liegt draußen Raureif?
Ich friere an den Zähnen, die Fäden durchbeißen.
Eingehüllt in die Wärme der knopflosen Jacke vom letzten Jahr,
höre ich Schritte.
Draußen kehrt meine Frau mit den feinen Augen heim.
Oder ist es das Scherenschnappen?
Auslöschung
Mit zwanzig wäre auch ich vielleicht den falschen Weg gegangen
und hätte bereut.
Komm in meine Arme,
ich werde dir ein altes Lied pfeifen.
3 Uhr nachts auf der Pfingstrose.
Empfange den ersten Tau,
überquere den Samdo-Fluß leicht, ohne Zögern.
In der Psychiatrie
Zwischen der Station 52,
in der ich bin,
und der Station 53, in der Kye-hwa wohnt,
die Aktivistin der Demokratiebewegung,
die sich beide Arme verbrannte,
befindet sich eine Leichenhalle.
Beerdigungen Tag und Nacht.
Tagsüber atmet ein Schmetterling mit schwarzen Flecken
auf den roten Blüten des Seidenbaums am Eingang zur Station 53.
»Weil ich die Reichen nicht leiden kann!«
sagt Kye-hwa, die im Völkerball gewann und zu mir:
»Ich kenne Sie«, lächelt dabei.
Wundersame Geburt
Im Abendleib gehen blaue Sterne auf.
Im Gesäß, auf der Brust,
am Bauchnabel, auch im Gehirn gehen sie auf.
Der Baum, an dem ich verbrannte, wächst in mir.
Ich sterbe und gehe als Sichelmond über dem Baum wieder auf.
Liebe, verrate mir die wundersame Zeit der Geburt.
Ich will die Schale sprengen, hinausgehen,
rausstürmen, das Universum sein, wiederauferstehen.
Früher
Früher war ich reich an Gedanken,
nun fällt spurlos der Schatten eines dürren Baums auf den leeren Platz.
Vogel, setz dich her, sing mir ein neues Lied.
Ein Lied von Gerstensprossen, die um so grüner erscheinen,
je tiefer der Winter ist, Lieder von Pflaumenblüten und von knallroten Kamelien.
Mein Lied, nicht ich, das eben in mir wieder geboren.