E-Book, Deutsch, Band 2, 224 Seiten
Reihe: Ricki und Rosa
Chidolue Ricki und Rosa und der Räuberdieb
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-10-402259-8
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 2, 224 Seiten
Reihe: Ricki und Rosa
ISBN: 978-3-10-402259-8
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dagmar Chidolue, 1944 in Sensburg, Ostpreußen, geboren, zählt zu den namhaftesten Kinder- und Jugendbuchautorinnen Deutschlands und wurde bereits mehrfach, u.a. mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis, ausgezeichnet.
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Bärchen, Lämmlein und Herr Maus
Erst vor einer Weile ist Ricki umgezogen. Mit Papa, Mama und seiner Schwester Rosa wohnt er jetzt in der neuen Umgebung, direkt am Dreiecksplatz. Schön ist es hier. Der Platz ist von hohen Bäumen umgeben. Oft hopsen Eichhörnchen durch das Geäst. Mama meint, die Bäume seien Linden. Jetzt, im späten Herbst, tragen sie allerdings nur noch wenige buntverfärbte Blätter. Deswegen ist sie sich nicht ganz sicher. Mamas müssen viel, aber auch nicht alles wissen.
In der kurzen Zeit, in der sie hier wohnen, ist schon viel passiert. Zum Beispiel das mit der Hexe Drudine, die bis vor ein paar Tagen im Haus nebenan gewohnt hat und jetzt in einem Heim lebt. Ihretwegen war Ricki letzte Woche für einen kurzen Moment ein richtiger Held. Und beinahe hätten sie auch einen Hund gehabt. Den Lausehund von der Hexe Drudine. Aber dafür braucht man gutes Wetter und Zeit. Zeit hat niemand in der Familie, weil immer so viel los ist, Arbeit und Schule und noch so was alles. Wer sollte dann mit dem Lausehund Gassi gehen?
Das Haus von der Hexe steht nun leer. Aber vielleicht wird es auch von der bunten Katze bewohnt. Die hat ihren Stammplatz auf der Mauer zwischen beiden Häusern. Trotzdem muss sie ja irgendwo ein Zuhause haben. Oder die Katze ist eine gute Mäusefängerin. Obwohl sie nur ein Auge hat!
Auf dem Dreiecksplatz vor dem Haus gibt es einen Spielplatz, und der ist nachmittags der Treffpunkt für Ricki und seine Freunde aus der zweiten Klasse. Na ja, es kommen hin und wieder auch die Knilche aus der dritten Klasse dazu. Das ist die Clique von Rosa.
Rickis Freunde sind Selina, Jaro, Socke und Leonie Himbeer. Es wäre schön, wenn er Leonie als seine beste Freundin bezeichnen dürfte. Sie ist sehr süß, jedoch außerordentlich schüchtern. Und wenn Ricki ehrlich sein soll … in Gegenwart von Leonie Himbeer ist er meistens ebenso stumm. Ricki freut sich aber auch immer, wenn er die kleine Lin sieht, die eigentlich zu seinem früheren Leben in seiner alten Schule gehört.
Die Knilche aus der dritten Klasse heißen Deywitt und Beule. Beule … häh, häh … den Namen hat Ricki ihm verpasst.
Leider hat Rosa für ihren Bruder auch einen Spitznamen parat und die dämliche Angewohnheit, ihn oft so zu nennen. Vor allen Leuten! Wegen seiner etwas schmal zulaufenden Ohrmuscheln nennt sie ihn Ricki Spitzohr! Zum Glück hat das noch niemand übernommen.
Heute treffen sich alle erstmal auf dem Schulhof in der großen Pause. Sie haben immer viel zu erzählen und abzusprechen, und es geht ziemlich durcheinander. Es dauert, bis sie geklärt haben, ob sie sich am Wochenende sehen können. Heute ist Freitag. Freitags hat Deywitt nachmittags Geigenunterricht.
Und Beule?
»Ich mach Jiu-Jitsu.«
Noch jemand interessiert sich neuerdings für dieses Jiu-Jupsi.
Rosa!
Rickis Schwester, die bloß ein Jahr älter ist als er, hat nicht nur eine große Klappe, sondern will auch sonst noch groß und stark sein.
Das mit dem stimmt noch zwei Wochen lang. Ab dann ist sie leider zwei Jahre älter als Ricki. Aber nur für neun Monate!
»Wir können uns ja heute Nachmittag auf unserem Platz treffen«, schlägt Jaro vor. Der hat noch nicht geschnallt, dass der Freitagnachmittag nie geht. Nicht mit allen zusammen.
Jaro hat zusammengewachsene Augenbrauen, das sieht witzig aus. Das sieht aus wie bei Bert. Bert von .
»Nee, ich habe ja Geigenunterricht«, wirft Deywitt ein.
Und Beule hat Sport.
»Und morgen? Am Samstag?«
»Samstag geht nicht«, sagt Selina. »Ich helfe Papa.«
Ihr Vater hat den Obststand in der Einkaufsstraße, und Selina begleitet ihn an den Samstagen schon früh zum Großmarkt. Und danach hilft sie ihm am Stand beim Einpacken der Orangen oder so.
»Frierst du dir am Stand nicht die Flossen ab?«, fragt Socke.
»Nee«, sagt Selina. »Wärmepilz.«
Ach, so ’n Heizstrahler?
Selina redet nicht viel. Sie isst lieber. Am liebsten süßes Honiggebäck. Manche würden sagen, Selina ist dick. Macht nichts. Sie stellt was dar. Wenn sie spricht, kann sie es in zwei Sprachen. Selina hat nachmittags zweimal in der Woche muttersprachlichen Unterricht. Auch freitags.
Also gibt es heute kein Treffen. Deshalb wird Ricki mit zu … wie heißt das noch mal? … zu Jiu-Jupsi gehen. Mal gucken, wie Rosa auf die Matte knallt.
Jetzt haben sie sich auf dem Schulhof aber verschnattert. Frau Perez und auch Rosas Lehrer, Herr Augsburger, stehen bereits ungeduldig auf der Treppe zum Haupteingang.
»Na, hört mal …«, sagt Rickis Lehrerin und macht ein gequältes Gesicht. Dabei ist sie gar nicht so. Sie ist sehr, sehr nett. Sie schauspielert jetzt. Sie verdreht dabei ihre dunklen Murmelaugen, als wäre sie über ihre Schüler entsetzt.
Nun flitzen aber alle los und die Stufen hinauf.
»Erster!«, ruft Beule, als wäre es ein Wettlauf.
Herr Augsburger schüttelt den Kopf. »Meine lieben Freunde …« Auch er lässt den Satz in der Luft hängen.
Inzwischen wissen alle, dass Herr Augsburger ständig verliebt ist. Ricki und Rosa haben ihn schon mal in einem Restaurant mit einer Frau erwischt. Er hat mit ihr Händchen gehalten, quer über den Tisch, und das kann ja gar nicht seine Frau gewesen sein. Mann und Frau verheiratet brauchen nicht Händchen zu halten. Die kennen sich ja schon.
Jetzt holt ihn manchmal eine andere Frau am Schultor ab. Sie gehen fünf Schritte die Straße hinunter, und dann küssen sie sich, aber lange, lange! Wenn man geheiratet hat, dann küsst man sich draußen nicht lange, nur ein Mal, so … schmatz. Das weiß Ricki ganz genau!
Rosa und die Knilche aus der dritten Klasse müssen nun ein Stockwerk höher. Ricki und seine Freunde haben ihren Raum unten im Erdgeschoss.
Keine Zeit, nach dem Gerenne am Ende der Pause richtig zu verpusten. Frau Perez legt nämlich gleich los mit den Stöpselkarten. Ricki schaut vorsichtshalber noch auf die alten Arbeitsblätter.
Puh:
Und was ist Obst oder Gemüse?
Stöpsel das mal richtig ein, Ricki Spitzohr!
Bei der Stöpselei hat Selina gewonnen. Mann, die weiß wirklich alles über Obst und Gemüse!
Klasse!
Ricki muss bei den Tomaten passen. Keine Ahnung, wozu die gehören. Wäre es ein Fehler, die Tomaten einfach wegzulassen, Frau Perez?
Tatsächlich?
Scheibenkleister!
Und Zwiebeln können eigentlich kein Gemüse sein. Oder? Zwiebeln sind ja zum Heulen!
Dann ist aber endlich Schulschluss.
Juhu! Wochenende!
Soll Ricki nun auf seine Schwester warten, damit sie zusammen nach Hause gehen können?
Ach, da ist sie schon.
»Tschau, tschau, Baby«, ruft Beule ihr nach.
Was? Tschau, tschau, Baby?
Der hat sie wohl nicht alle!
Lässt Rosa sich das gefallen?
Ja.
Die hat sie wohl nicht alle!
Herr Augsburger hat mit den Schülern das Schulgebäude verlassen. Am Tor wartet wieder diese Frau auf ihn.
»Hallo, Bärchen«, sagt sie und will ihn küssen.
»Hallo, Lämmlein«, sagt er und schaut sich um. Ob auch keiner guckt. Aber alle gucken. Da bietet er ihr nur seine Wange an. Schämt er sich inzwischen? Küssen ist doch nicht verboten, küssen ist nur doof. Socke sagt im Vorübergehen: »Die Rose riecht, die Liebe sticht, Vergissmeinnicht!«
Ey, das ist cool!
Aber Herr Augsburger, das Bärchen, hat es wohl nicht gehört. Und so trotten Ricki und Rosa jetzt nach Hause. Ist nicht weit. Zweimal über die grüne Fußgängerampel, rechts am Dreiecksplatz vorbei … da ist schon ihr gelbes Haus.
Beide kämpfen ein wenig, wer es schafft, die Klingel zu drücken. Es ist nicht ganz klar, wessen Finger unten oder oben ist. Egal. Mama fragt gar nicht, wer da ist. Sie weiß, dass die Schule aus ist und ihre Kinder hungrig nach Hause kommen.
Im Treppenhaus kommt ihnen von oben Herr Mi-Ma-Mause-Maus entgegen. Er nimmt immer zwei oder drei Stufen auf einmal.
»Guten Tag, Herr Maus.«
»Guten Tag, Ricki, guten Tag, Rosa.« Und schon ist er mit wenigen Sätzen aus dem Haus und verschwunden.
Herr Mi-Ma-Mause-Maus ist sehr sportlich. Der kann gar nicht langsam laufen. Er gehört nämlich zum Eff-Zeh-Eintracht-Bayern oder so. Bundesprimaliga! Da ist er bestimmt Stürmer oder Torschießer oder beides zusammen.
Mama steht schon oben an der Wohnungstür und wartet. Sie hat ihre Arbeit nur kurz unterbrochen, denn ihre PC-Kiste ist noch an.
Mama ist von Beruf Stuhlhocker. Sie sitzt nämlich immer am Schreibtisch und kann von dort aus am Computer arbeiten. Sie nennt den PC . Und mit der Kiste kann sie das, was sie vormittags geschafft hat, wegschicken. Ohne Postmann. Online. heißt das!
Manchmal erhebt sich Mama aber von ihrem Stuhl. Wenn sie, bevor Ricki und Rosa nach Hause kommen, eine Suppe warm macht oder eine Handvoll Nudeln kocht. Richtig gegessen, also mit allem Drum und Dran, mit Salat und Gemüse, wird immer abends. Wenn Papa da ist. Dann geht’s richtig rund, mampf, mampf.
Heute gibt es Erbsensuppe. Ricki wird also den Speck rausfischen müssen. Und die Zwiebeln. Das weiß er jetzt schon.
Die Erbsensuppe ist aber lecker, und Ricki findet auch nur ein kleines Stückchen Speck, das er an den Tellerrand legt. Die Zwiebeln sind zerkocht.
»Hast du viele Hausaufgaben zu machen, Hasilein?«, will Mama von Ricki wissen.
Hasilein!
»Gar keine«, sagt Ricki.
»Und du, Rosaschätzchen?«
Rickis Schwester stöhnt. »Mami! Übers Wochenende gibt es doch nie was...