E-Book, Deutsch, 465 Seiten
Reihe: Fischer Klassik Plus
Choderlos de Laclos Schlimme Liebschaften
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-10-401978-9
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 465 Seiten
Reihe: Fischer Klassik Plus
ISBN: 978-3-10-401978-9
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Heinrich Mann, 1871 in Lübeck geboren, begann nach dem Abgang vom Gymnasium eine Buchhhandelslehre, 1891/92 volontierte er im S. Fischer Verlag. Heinrich Mann hat Romane, Erzählungen, Essays und Schauspiele geschrieben. 1933 emigrierte er nach Frankreich, später in die USA. 1949 nahm er die Berufung zum Präsidenten der neu gegründeten Akademie der Künste in Ost-Berlin an, starb aber 1950 noch in Santa Monica/Kalifornien.
Weitere Infos & Material
Zehnter Brief Die Marquise von Merteuil an den Vicomte von Valmont
Schmollen Sie mit mir, Vicomte? Oder aber sind Sie tot? Oder, was dem sehr ähnlich sähe, leben Sie nur noch für Ihre Präsidentin? Diese Frau, die Ihnen ›den holden Wahn der Jugend‹ wiedergegeben hat, wird Ihnen bald auch die lächerlichen Vorurteile der Jugend wiedergeben. Schon sind Sie schüchtern und unterwürfig; geradesogut könnten Sie verliebt sein. Sie verzichten ›auf Ihre glücklichen Verwegenheiten‹. So führen Sie sich denn nun also ohne Grundsätze auf, überlassen alles dem Zufall, oder vielmehr der Laune. Denken Sie nicht mehr daran, daß die Liebe, wie die Medizin, ist? Sie sehen, ich schlage Sie mit Ihren eigenen Waffen: aber ich werde mir nichts darauf einbilden; denn hier wird ja nur ein Mann geschlagen, der schon am Boden liegt. ›Sie muß sich mir geben‹, sagen Sie. Na ganz gewiß muß Sie das; drum wird sie sich auch hingeben wie die andern, mit dem Unterschied, daß sie es ungern tun wird. Aber dafür, daß sie sich schließlich gibt, ist das beste Mittel, daß man sie sich erst einmal nimmt. Diese lächerliche Unterscheidung ist wirklich eine Faselei, recht wie sie der Liebe eigen ist! Ich sage der Liebe: denn Sie sind verliebt. Anders zu Ihnen reden hieße treulos an Ihnen handeln; hieß Ihnen Ihre Krankheit verheimlichen. Sagen Sie mal, schmachtender Liebhaber: die Frauen, die Sie gehabt haben, glauben Sie, daß Sie die vergewaltigt haben? Lieber Gott, wenn man noch so große Lust hat, sich zu ergeben, und es noch so eilig hat – einen Vorwand braucht man doch; und gibt es einen bequemeren für uns als den, der uns den Schein gibt, als wichen wir der Gewalt? Für mich, ich gestehe es, gehört zum Schmeichelhaftesten ein lebhafter, gut ausgeführter Angriff, bei dem alles geordnet obwohl rasch erfolgt; der uns nie in peinliche Verlegenheit setzt, daß wir selber eine Ungeschicklichkeit wieder gutmachen müssen, aus der wir im Gegenteil hätten Gewinn ziehen sollen; der uns den Schein der Vergewaltigung noch bei dem läßt, was wir bewilligen, und uns unsere zwei Lieblingsleidenschaften zu kitzeln erlaubt: den Stolz auf unsere Verteidigung und das Vergnügen an unserer Niederlage. Ich gebe zu, dieses Talent, das seltener ist, als man glaubt, hat mir stets Vergnügen gemacht, selbst dann, wenn es nicht verführt hat, und es ist mir manchmal vorgekommen, daß ich mich einzig zur Belohnung ergeben habe. So überreichte bei unsern früheren Turnieren die Schönheit der Tapferkeit und Geschicklichkeit den Preis.
Sie aber, der Sie nicht mehr Sie sind, Sie führen sich auf, als wäre Ihnen bange vor dem Gelingen. Also bitte, seit wann rücken Sie in kleinen Tagesmärschen vor und auf Querwegen? Lieber Freund, wenn man hinkommen will: Postpferde und die Landstraße! Doch lassen wir diese Sache, die mich um so mehr verstimmt, als sie mich des Vergnügens beraubt, Sie zu sehen.
Wenigstens schreiben Sie mir öfter als bisher und halten Sie mich über Ihre Fortschritte auf dem laufenden. Wissen Sie, daß dies lächerliche Abenteuer Sie jetzt schon über vierzehn Tage lang beschäftigt und daß Sie sich um keinen Menschen kümmern?
Bei ›sich nicht kümmern‹ fällt mir ein: Sie sind wie die Leute, die regelmäßig bei ihren kranken Freunden nach dem Befinden fragen lassen, sich die Antwort aber nie sagen lassen. Am Schluß Ihres vorigen Briefes fragen Sie mich, ob der Ritter tot ist. Ich antworte nicht, und Sie beunruhigen sich weiter nicht darüber. Wissen Sie nicht mehr, daß mein Liebhaber Ihr geborener Freund ist? Doch beruhigen Sie sich, er ist nicht tot, oder wenn schon, wäre er’s nur aus übergroßer Freude. Der arme Ritter, wie er zärtlich ist! Wie er für die Liebe geschaffen ist! Wie er lebhaft fühlen kann! Ich werde ganz verliebt davon. Im Ernst, das vollkommene Glück, das für ihn darin liegt, von mir geliebt zu werden, verbindet mich ihm wirklich.
Am selben Tag, da ich Ihnen schrieb, ich würde am Bruch unserer Beziehungen arbeiten – wie glücklich machte ich ihn da! Ich sann gleichwohl allen Ernstes über die Mittel nach, ihn zur Verzweiflung zubringen, da meldete man ihn. Sei’s aus Laune oder mit Grund, aber nie schien er mir so gut auszusehen. Indes empfing ich ihn ungnädig. Er hoffte mit mir zwei Stunden hinzubringen, vor Beginn derjenigen, zu der meine Tür sich allen öffnen sollte. Ich sagte ihm, ich gehe aus; er fragte, wohin ich ginge; ich verweigerte ihm die Auskunft. Er bestand darauf. »Wo Sie nicht sind«, sagte ich scharf. Zum Glück für ihn stand er nach dieser Antwort wie versteint, denn hätte er ein Wort geäußert, wäre unfehlbar ein Auftritt daraus gefolgt, der den von mir geplanten Bruch herbeigeführt hätte. Über sein Stillschweigen verwundert, wandte ich ihm den Blick zu, ohne andere Absicht, schwöre ich Ihnen, als mir seine Miene anzusehen. Ich fand wieder auf diesem bezaubernden Gesicht die zugleich tiefe und zärtliche Traurigkeit, der nach Ihrem eigenen Zugeständnis so schwer zu widerstehen ist. Dieselbe Ursache brachte dieselbe Wirkung hervor; ich ward zum zweitenmal besiegt. Von dem Augenblick an sann ich nur noch auf die Mittel, zu vermeiden, daß er mir ein Unrecht vorwerfen könne. »Ich gehe wegen eines Geschäftes aus«, sagte ich etwas milder; »und es betrifft sogar Sie; aber fragen Sie mich nicht. Ich soupiere zu Hause; kommen Sie wieder und Sie erfahren es.« Da fand er die Sprache wieder; doch erlaubte ich ihm nicht, davon Gebrauch zu machen. »Ich bin sehr eilig«, fuhr ich fort. »Lassen Sie mich. Auf heute Abend.« Er küßte mir die Hand und ging.
Sogleich entschließe ich mit zu seiner Entschädigung und vielleicht zu meiner, ihn mit meinem kleinen Hause bekannt zu machen, von dem er keine Ahnung hat. Ich rufe meine getreue Victoire. Ich habe meine Kopfschmerzen, ich gehe für alle meine Leute zu Bett – und wie ich endlich mit ›der Wahren‹ allein geblieben bin und sie sich als Lakai verkleidet, ziehe ich mich wie eine Kammerfrau an. Darauf läßt sie eine Droschke an die Gartentür kommen, und schon sind wir unterwegs. Bei der Ankunft in dem Liebestempel wähle ich das galanteste Hauskleid. Das ist entzückend; es ist meine Erfindung: es läßt nichts sehen und doch alles ahnen. Ich verspreche Ihnen das Modell für Ihre Präsidentin, wenn Sie sie erst würdig gemacht haben, es zu tragen.
Nach diesen Vorbereitungen und während Victoire sich mit den andern Einzelheiten befaßte, lese ich ein Kapitel aus dem ›Sofa‹, einen Brief Heloisens und zwei Geschichten von La Fontaine, um mir die verschiedenen Töne zu wiederholen, die ich annehmen wollte. Indes langt mein Ritter, mit seiner gewöhnlichen Beflissenheit, vor der Tür an. Mein Schweizer läßt ihn nicht ein und teilt ihm mit, ich sei krank: erster Zwischenfall. Gleichzeitig übergibt er ihm ein Billet von mir, doch nicht in meiner Schrift, nach meiner vorsichtigen Regel. Er öffnet es und findet darin von Victoires Hand: ›Punkt neun Uhr auf den Boulevards vor den Cafés.‹ Er verfügt sich hin; und dort kommt ein kleiner Lakai, den er nicht kennt, den er wenigstens nicht zu kennen meint, denn es war wieder Victoire, und meldet ihm, daß er den Wagen wegschicken und mit ihm gehen muß. Der ganze romantische Weg erhitzte ihm beträchtlich den Kopf, und ein erhitzter Kopf kann nicht schaden. Schließlich langt er an, und Überraschung und Liebe machten, daß er wahrhaft bezaubert war. Damit er Zeit hat, sich zu erholen, gehen wir einen Augenblick im Boskett spazieren; dann führe ich ihn wieder auf das Haus zu. Er sieht erst zwei Bestecke aufgelegt, dann ein gemachtes Bett. Wir gehen weiter bis ins Boudoir, das in seinem ganzen Staat war. Da – halb war’s überlegt und halb gefühlt – legte ich den Arm um ihn und ließ mich vor ihm auf die Knie nieder. »O lieber Freund«, sagte ich, »weil ich dir die Überraschung dieses Augenblicks aufsparen wollte, muß ich mir nun vorwerfen, dich durch den Schein übler Laune betrübt und eine Minute lang mein Herz wohl vor deinen Blicken verschleiert zu haben. Verzeihe mir meine Verfehlungen: ich will sie abbüßen mit lauter Liebe.« Die Wirkung dieser gefühlvollen Rede können Sie sich denken. Der glückliche Ritter hob mich auf, und die Verzeihung ward auf derselben Ottomane besiegelt, wo Sie und ich so fröhlich und auf die gleiche Art unsere ewige Trennung besiegelten.
Da wir sechs Stunden zusammen zu verleben hatten und ich beschlossen hatte, daß die ganze Zeit gleich köstlich für ihn sein sollte, schränkte ich seine Verzückungen ein, und liebenswürdige Koketterie löste die Zärtlichkeit ab. Ich glaube nicht, daß ich mir je so viel Mühe gegeben habe, zu gefallen, noch daß ich je so zufrieden war mit mir. Nachdem Souper war ich abwechselnd kindlich und verständig, ausgelassen und gefühlvoll, manchmal sogar liederlich, und gefiel mir darin, ihn als Sultan inmitten seines Serails anzusehen, dessen verschiedene Favoritinnen ich abwechselnd vorstellte. Und wirklich wurden seine mehrmals wiederholten Huldigungen zwar von derselben Frau, aber immer von einer neuen Geliebten entgegengenommen.
Schließlich bei Tagesanbruch mußten wir uns trennen; und was er auch sagte, was er sogar tat, um mir das Gegenteil zu beweisen – er bedurfte der Ruhe, so wenig Lust er auch danach verspürte. Im Augenblick, wie wir hinausgingen und als letztes Lebewohl, nahm ich den Schlüssel zu dem glücklichen Aufenthalt und legte ihn in seine Hände. »Ich habe ihn nur für Sie eingerichtet«, sagte ich; »Sie müssen hier gerechterweise der Herr sein; dem Opferpriester steht die Verfügung über den Tempel zu.« Durch diese Geschicklichkeit habe ich den Erwägungen vorgebeugt, die der stets verdächtige Besitz eines kleinen Hauses ihm hätte zeigen...