Chopin | Das Erwachen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 216 Seiten

Reihe: edition fünf

Chopin Das Erwachen


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-942374-76-7
Verlag: edition fünf
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 2, 216 Seiten

Reihe: edition fünf

ISBN: 978-3-942374-76-7
Verlag: edition fünf
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sommerfrische am Meer, Ende des 19. Jahrhunderts: Mit 28 Jahren ist Edna Pontellier längst Ehefrau und Mutter. Ihre Ehe scheint harmonisch, das Leben geordnet. Doch dann leistet ihr der aufmerksame Robert Gesellschaft, und Edna verliebt sich. Als die beiden ihre Gefühle füreinander entdecken, flieht der junge Mann erschrocken auf eine Geschäftsreise. Edna wartet vergeblich auf Post. Alleingelassen kehrt sie in die Stadt zurück und lässt alle gesellschaftlichen Konventionen hinter sich - mit fatalen Folgen ...

Kate Chopin (1850-1904) wuchs in St. Louis, Missouri auf. Sie heiratete und bekam sechs Kinder. Erst spät begann sie Erzählungen zu schreiben und feierte große Erfolge, bis 1899 »Das Erwachen' erschien und für einen Skandal sorgte. Fünf Jahre später starb sie von der Kritik geächtet und geriet jahrzehntelang in Vergessenheit. Heute kennt in den USA jede Literaturstudentin die fesselnde Geschichte eines Aufbruchs gegen alle Widerstände. »Das Erwachen' gilt als Klassiker der frühen Frauenbewegung und liest sich spannend wie ein Schmöker.
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7—Mrs Pontellier war keine Frau, die sich anderen anvertraute, das hatte bislang ihrem Wesen widerstrebt. Schon als Kind hatte sie ihr kleines Leben ganz und gar für sich behalten. Schon früh hatte sie ein Gespür für die Dualität des Lebens entwickelt – die äußere Existenz, die sich anpasst, das innere Leben, das Zweifel anmeldet.

In diesem Sommer auf Grand Isle begann sie, die Hülle der Zurückhaltung, die sie immer umgeben hatte, ein wenig zu lockern. Möglicherweise, ja gewiss gab es Einflüsse, verborgene und offensichtliche, die sie je auf ihre Weise zu einer solchen Öffnung bewegten; am offensichtlichsten jedoch war der Einfluss von Adèle Ratignolle. Als Erstes hatte sie der außerordentliche körperliche Reiz der Kreolin angezogen, denn Edna war empfänglich für Schönheit. Dazu kam die Offenheit ihres Wesens, in dem jeder lesen konnte wie in einem aufgeschlagenen Buch. Möglicherweise hatte der krasse Gegensatz zu Ednas gewohnter Zurückhaltung den Anstoß gegeben. Wer kann sagen, aus welchem Metall die Götter das zarte Band schmieden, das wir Sympathie nennen – und genauso gut Liebe nennen könnten.

Eines Morgens gingen die beiden Frauen gemeinsam zum Strand, Arm in Arm, unter einem riesigen weißen Sonnenschirm. Edna hatte Madame Ratignolle dazu überreden können, die Kinder zurückzulassen, nicht jedoch, eine winzige aufgerollte Näharbeit preiszugeben, die Adèle bat, in den Tiefen ihrer Tasche mitnehmen zu dürfen. Durch einen unerklärlichen Zufall waren sie Robert entkommen.

Der Spaziergang zum Strand war nicht unanstrengend: ein langer, sandiger Pfad, hier und da begrenzt von wild wucherndem Gesträuch, das häufig unversehens weit in den Weg hinein ragte. Zu beiden Seiten erstreckten sich große Felder gelber Kamille. Dahinter lagen üppige Gemüsegärten und kleine Orangen- und Zitronenbaumpflanzungen. Wie dunkelgrüne Tupfen schimmerten sie von ferne in der Sonne.

Die Frauen waren beide recht groß, wobei Madame Ratignolle die weiblichere und mütterlichere Figur besaß. Vom Liebreiz Edna Pontelliers wurde man eher unmerklich ergriffen. Die Linien ihres Körpers waren lang, klar und ebenmäßig; dann und wann hatte ihre Haltung etwas Großartiges; nichts an ihr erinnerte an aufgeputzte gängige Modefiguren. Ein zufälliger Passant hätte ihrer Gestalt vielleicht keinen zweiten Blick geschenkt. Aber mit ein wenig mehr Geschmacksempfinden hätte er die edle Schönheit, die anmutige Strenge in Haltung und Gesten erkannt, durch die sich Edna Pontellier von der Menge abhob.

An diesem Morgen trug sie ein luftiges Musselinkleid – weiß, mit einem braunen wellenförmigen Längsstreifen von oben bis unten; dazu einen weißen Leinenkragen und den großen Strohhut, den sie vom Haken an der Haustür genommen hatte. Der Hut saß wie immer gut auf ihrem leicht gewellten goldbraunen Haar, das ihr schwer und dicht am Kopf lag.

Madame Ratignolle, die strenger auf ihre Gesichtsfarbe achtete, hatte sich einen Gazeschleier um den Kopf geschlungen. Zum Schutz ihrer Gelenke trug sie hundslederne Handschuhe mit Stulpen. Sie war ganz in Weiß gekleidet, mit lockeren Rüschen, die ihr gut standen. Falten und wehende Verzierungen kleideten ihre reiche, üppige Schönheit besser als strengere Linien es getan hätten.

Am Strand standen mehrere Badehütten, einfach, jedoch solide gebaut, mit kleinen, dem Meer zugewandten Veranden. Jede Hütte bestand aus zwei Räumen, und sämtliche Gastfamilien der Lebruns besaßen eine eigene Kabine, ausgestattet mit den notwendigen Badeutensilien und allen anderen Annehmlichkeiten, die sich die Besitzer wünschen mochten. Die beiden Frauen hatten nicht vor zu baden; sie hatten den Spaziergang zum Meer nur unternommen, um für sich und am Wasser zu sein. Die Kabinen der Pontelliers und der Ratignolles lagen nebeneinander unter einem Dach.

Mrs Pontellier hatte aus schierer Gewohnheit ihren Schlüssel eingesteckt. Sie schloss die Tür ihrer Badekabine auf, ging hinein und tauchte bald wieder mit einer Decke auf, die sie auf dem Boden der Veranda ausbreitete, und zwei großen, leinenbezogenen Rosshaarkissen, die sie gegen die Hauswand lehnte. Die beiden Frauen setzten sich Seite an Seite in den Schatten des Vordachs, den Rücken an die Kissen gelehnt und die Beine ausgestreckt. Madame Ratignolle entfernte ihren Schleier, wischte ihr Gesicht mit einem hauchzarten Taschentuch und fächelte sich mit einem Fächer, den sie immer an einem schmalen Schleifenband trug. Edna befreite sich von ihrem Kragen und öffnete den obersten Knopf ihres Kleides. Dann übernahm sie den Fächer von Madame Ratignolle und begann, sich selbst und ihrer Begleiterin Luft zuzufächeln. Es war sehr warm, und eine Weile saßen sie untätig und wechselten nur einige Bemerkungen über die Hitze, die Sonne und das grelle Licht. Bald kam Wind auf, starker böiger Wind, der auf dem Wasser Schaumkronen schlug. Er ließ die Röcke der beiden Frauen flattern und hielt sie eine Weile damit beschäftigt, ihre Kleider festzuhalten, zurechtzuziehen, zu ordnen, sowie Haar und Hutnadeln festzustecken. In einiger Entfernung tummelten sich ein paar Leute im Wasser. Am Strand herrschte zu dieser Stunde eine Ruhe, die nur selten von menschlichen Stimmen unterbrochen wurde. Auf der Veranda der Nachbarhütte las die Dame in Schwarz ihre morgendliche Andacht. Zwei Jungverliebte beichteten sich im Kinderzelt, welches sie unbesetzt gefunden hatten, ihre Herzenswünsche. Edna Pontellier ließ ihren Blick schweifen und schließlich auf dem Meer ruhen. Der Tag war klar und eröffnete eine Sicht, soweit der blaue Himmel reichte; am Horizont hingen verstreut ein paar weiße Wölkchen. Vor Cat Island war ein Lateinersegel zu erkennen, und andere Boote weiter südlich wirkten in der großen Entfernung, als würden sie sich kaum bewegen.

»An wen – an was denken Sie?«, fragte Adèle, die ihre Freundin mit leicht amüsierter Aufmerksamkeit beobachtet hatte. Der selbstvergessene Ausdruck, der Ednas Gesicht starr wie das einer Statue erschienen ließ, weckte ihre Neugier.

»An nichts«, erwiderte Mrs Pontellier aufschreckend und fügte sofort hinzu: »Wie dumm! Aber mir scheint, dass wir eine solche Frage instinktiv so beantworten. Warten Sie«, fuhr sie fort, warf den Kopf zurück und kniff ihre schönen Augen zusammen, so dass sie wie zwei lebhafte Lichtpunkte erschienen. »Lassen Sie mich überlegen. Ich habe wirklich nicht bewusst an irgendetwas gedacht, aber vielleicht kann ich meinen Gedanken rekonstruieren.«

»Schon gut!«, lachte Madame Ratignolle. »So streng bin ich gar nicht. Ich erlasse Ihnen diesmal die Antwort. Es ist wirklich zu heiß zum Denken, und erst recht, um über das Denken nachzudenken.«

»Nur zum Spaß«, beharrte Edna. »Zunächst einmal bot der Anblick des Wassers in seiner unendlichen Weite und mit den reglosen Segeln vor dem blauen Himmel ein so herrliches Bild, dass ich einfach nur sitzen und hinschauen wollte. Durch den heißen Wind, der mir ins Gesicht wehte, sah ich plötzlich – ohne jeden erkennbaren Zusammenhang – einen Sommertag in Kentucky vor mir und ein kleines Mädchen, das durch beinahe schulterhohes Gras über eine Wiese lief, die ihr vorkam wie ein Ozean. Im Gehen streckte sie ihre Arme vor, um das hohe Gras zu teilen, wie man es beim Schwimmen im Wasser macht. Ach, jetzt sehe ich auch die Verbindung!«

»Wohin wollten Sie, als Sie damals in Kentucky durchs Gras liefen?«

»Das weiß ich nicht mehr. Ich lief einfach quer über ein großes Feld. Mein Sonnenhut versperrte mir die Sicht. Ich konnte nur das Stück Grün vor mir sehen und fühlte mich, als ob ich ewig weitergehen müsste, ohne je ans Ende zu kommen. Ich weiß nicht mehr, ob ich mich fürchtete oder es genoss. Aber es muss mich beschäftigt haben.

Wahrscheinlich war es ein Sonntag«, lachte sie, »und ich war vom Gebet weggelaufen, vom presbyterianischen Gottesdienst, den mein Vater immer so düster gestaltete, dass mir noch jetzt ganz kalt wird, wenn ich daran denke.«

»Und sind Sie von da an immer vom Gottesdienst weggelaufen, ma chère?«, fragte Madame Ratignolle amüsiert.

»Nein! O nein!«, beeilte sich Edna zu sagen. »Ich war damals ein unbedachtes kleines Kind, das fraglos einem irreführenden Impuls folgte. Ganz im Gegenteil, es gab eine Phase in meinem Leben, in der mich die Religion fest im Griff hatte; von zwölf an und bis – bis – nun, ich glaube, beinahe bis heute, obwohl ich nie viel darüber nachgedacht habe, sondern einfach der Gewohnheit gefolgt bin. Aber wissen Sie –«, sie unterbrach sich, richtete ihre lebhaften Augen auf Madame Ratignolle und lehnte sich vor, um ihr Gesicht ganz nah an das ihrer Freundin zu bringen, »diesen Sommer fühle ich mich zuweilen, als ob ich wieder über die grüne Wiese liefe, von nichts...


Kate Chopin (1850-1904) wuchs in St. Louis, Missouri auf. Sie heiratete und bekam sechs Kinder. Erst spät begann sie Erzählungen zu schreiben und feierte große Erfolge, bis 1899 »Das Erwachen" erschien und für einen Skandal sorgte. Fünf Jahre später starb sie von der Kritik geächtet und geriet jahrzehntelang in Vergessenheit. Heute kennt in den USA jede Literaturstudentin die fesselnde Geschichte eines Aufbruchs gegen alle Widerstände. »Das Erwachen" gilt als Klassiker der frühen Frauenbewegung und liest sich spannend wie ein Schmöker.



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