E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Christie Dreizehn bei Tisch
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-455-17034-4
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Fall für Poirot
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-455-17034-4
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Agatha Christie begründete den modernen britischen Kriminalroman und avancierte im Laufe ihres Lebens zur bekanntesten Krimiautorin aller Zeiten. Ihre beliebten Helden Hercule Poirot und Miss Marple sind - auch durch die Verfilmungen - einem Millionenpublikum bekannt. 1971 wurde sie in den Adelsstand erhoben. Agatha Christie starb 1976 im Alter von 85 Jahren.
Weitere Infos & Material
Cover
Titelseite
Für Dr und Mrs Campbell [...]
1 Ein Theaterabend
2 Ein Abendessen
3 Der Mann mit dem Goldzahn
4 Eine Unterredung
5 Mord
6 Die Witwe
7 Die Sekretärin
8 Möglichkeiten
9 Der zweite Todesfall
10 Jenny Driver
11 Die Egoistin
12 Die Tochter
13 Der Neffe
14 Fünf Fragen
15 Sir Montagu Corner
16 Hauptsächlich Diskussionen
17 Der Butler
18 Der andere Mann
19 Eine große Lady
20 Der Taxifahrer
21 Ronalds Geschichte
22 Hercule Poirot verhält sich eigenartig
23 Der Brief
24 Neues aus Paris
25 Eine Mittagsgesellschaft
26 Paris?
27 Kneifer
28 Poirot stellt ein paar Fragen
29 Poirot spricht
30 Die Geschichte
31 Ein menschliches Dokument
Über Agatha Christie
Impressum
Skipper-Books
1 Ein Theaterabend
Das Publikum hat ein kurzes Gedächtnis. Schon sind das lebhafte Interesse und die Aufregung um den Mord an George Alfred St Vincent Marsh, dem 4. Baron Edgware, verflogen und vergessen. Neuere Sensationen sind an seine Stelle getreten.
Mein Freund Hercule Poirot wurde nie explizit mit dem Fall in Zusammenhang gebracht. Dies entsprach, wie ich versichern kann, durchaus seinem Wunsch. Er zog es vor, in der Berichterstattung nicht vorzukommen. Die Ehre wurde anderen zuteil – und genau so wünschte er es. Hinzu kam, dass der Fall, aus Poirots persönlicher Sicht, zu seinen Misserfolgen gehörte. Er schwört immer wieder, auf die richtige Fährte habe ihn nur die zufällige Bemerkung eines Unbekannten auf der Straße gebracht.
Wie dem auch sei, es war sein Genie, das die Wahrheit ans Licht brachte. Ohne Hercule Poirot wäre das Verbrechen nach meinem Dafürhalten wohl nie aufgeklärt worden.
Daher glaube ich, dass für mich die Zeit gekommen ist, alles, was ich über die Angelegenheit weiß, zu Papier zu bringen. Ich bin mit dem Fall bestens vertraut, und ich darf hinzufügen, dass ich, indem ich das tue, dem Wunsch einer äußerst faszinierenden Dame entspreche.
Ich habe oft an den Tag in Poirots peinlich sauberem kleinen Wohnzimmer zurückgedacht, an dem mein kleiner Freund uns, einen bestimmten Streifen Teppich auf und ab schreitend, sein meisterhaftes, verblüffendes Resümee des Falles vortrug. Ich werde meine Erzählung dort einsetzen lassen, wo er damals selbst begann – in einem Londoner Theater im Juni vergangenen Jahres.
Damals war Carlotta Adams der Stern am Londoner Theaterhimmel. Im Jahr zuvor hatte sie ein paar Matineen gegeben, die ein rauschender Erfolg gewesen waren. Dieses Jahr hatte sie ein dreiwöchiges Gastspiel absolviert, das mit dem nächsten Abend auslaufen würde.
Carlotta Adams war ein amerikanisches Mädchen mit einem erstaunlichen Talent für Soloszenen, bei denen sie völlig ohne Maske oder Requisiten auskam. Sie schien jede Sprache perfekt zu beherrschen. Ihr Sketch »Ein Abend in einem internationalen Hotel« erregte allgemeine Bewunderung. Nacheinander huschten amerikanische Touristen, deutsche Reisende, brave englische Bürgerfamilien, Damen von zweifelhaftem Ruf, verarmte russische Aristokraten und müde verbindliche Kellner über die Bühne.
Die Stimmung ihrer Szenen wechselte von tragisch zu komisch und wieder zurück. Ihre in einem Krankenhaus sterbende Tschechin schnürte einem die Kehle zu. Eine Minute später bogen wir uns vor Lachen angesichts eines Zahnarztes, der, während er seinem Handwerk nachging, leutselig auf seine Opfer einplauderte.
Ihr Programm endete mit »Einigen Imitationen«.
Auch hier bewies sie eine erstaunliche Begabung. Ohne jegliche Maske schienen ihre Gesichtszüge plötzlich zu zerfließen und sich zu denen eines namhaften Politikers oder einer berühmten Schauspielerin oder einer Schönheit der feinen Welt wieder zusammenzufügen. In jeder Rolle hielt sie eine kurze, charakteristische Ansprache. Diese Monologe waren übrigens bemerkenswert intelligent. Sie schienen jede Schwäche der dargestellten Person auf den Punkt zu bringen.
Eine der letzten Persönlichkeiten, die sie imitierte, war Jane Wilkinson – eine in London sehr bekannte, talentierte junge amerikanische Schauspielerin. Sie machte es wirklich sehr geschickt. Sie gab die größten Plattitüden von sich, doch mit so bedeutungsschwangerem Ausdruck, dass man wider besseres Wissen das Gefühl hatte, tiefsinnige Wahrheiten zu vernehmen. Ihre Stimme, von exquisiter Intonation und rauchiger Tiefe, war berückend. Die beherrschten, aber stets seltsam bedeutungsvollen Gesten, die sich leicht wiegende Gestalt, ja selbst der Eindruck großer physischer Schönheit – wie sie das alles zuwege brachte, ist mir ein Rätsel!
Ich bin von jeher ein Bewunderer der schönen Jane Wilkinson gewesen. Sie hatte mich in ihren sentimentalen Rollen bezaubert, und ich hatte all denen gegenüber, die zwar ihre Schönheit einräumten, aber erklärten, sie sei keine Schauspielerin, stets beteuert, sie besitze beachtliche darstellerische Fähigkeiten.
Es war ein bisschen unheimlich, diese wohlbekannte, leicht rauchige Stimme und die fatalistisch abfallende Satzmelodie, die mich so oft bewegt hatte, zu hören und diese scheinbar schmerzvolle Geste zu sehen, wie sie die Hand langsam ballte und wieder öffnete, und die jähe Bewegung, mit der sie den Kopf in den Nacken warf und dabei das Haar aus dem Gesicht schüttelte, mit der sie, wie mir jetzt aufging, jede dramatische Szene grundsätzlich beendete.
Jane Wilkinson war eine dieser Schauspielerinnen, die nach ihrer Heirat die Bühne verlassen hatten, nur um ein paar Jahre später zu ihr zurückzukehren.
Drei Jahre zuvor hatte sie den wohlhabenden, aber leicht exzentrischen Lord Edgware geheiratet. Einem Gerücht zufolge hatte sie ihn schon kurz darauf verlassen. Jedenfalls drehte sie achtzehn Monate nach der Hochzeit in Amerika einen Film und war in dieser Saison in einem erfolgreichen Bühnenstück in London aufgetreten.
Während ich Carlottas gekonnte, wenn auch möglicherweise leicht boshafte Imitation verfolgte, drängte sich mir die Frage auf, was die jeweiligen Opfer von solchen Nachahmungen wohl halten mochten. Freute es sie, so bekannt zu sein, dass man sie schon imitierte – und sie dadurch noch bekannter wurden? Oder fühlten sie sich bloßgestellt und ärgerten sich darüber? Verhielt sich Carlotta Adams nicht wie ein Zauberkünstler, der über die Darbietung eines Kollegen sagt: »Ach, das ist ein uralter Trick! Kinderleicht. Ich zeige Ihnen, wie das geht!«
Ich entschied, dass ich mich in einer solchen Lage sogar sehr geärgert hätte. Ich hätte meinen Ärger natürlich überspielt, aber gefallen hätte es mir ganz gewiss nicht. Man musste schon sehr tolerant sein und einen ausgeprägten Sinn für Humor haben, um eine so unbarmherzige Bloßstellung würdigen zu können.
Ich war gerade zu dieser Schlussfolgerung gelangt, als das entzückende rauchige Lachen von der Bühne hinter mir widerhallte.
Ich drehte mich abrupt um. Auf dem Platz direkt hinter mir saß, mit leicht geöffneten Lippen und nach vorn gebeugt, der Gegenstand der präsentierten Imitation: Lady Edgware, besser bekannt als Jane Wilkinson.
Ich begriff augenblicklich, dass ich mit meinen Schlussfolgerungen gänzlich auf dem Holzweg gewesen war. Sie lehnte sich nach vorn, in den Augen einen Ausdruck begeisterten Vergnügens.
Als die Nummer endete, spendete sie laut Beifall und wandte sich lachend ihrem Begleiter zu, einem großgewachsenen äußerst gutaussehenden Mann, Typ griechischer Gott, dessen Gesicht das Publikum eher von der Leinwand als von der Bühne her kannte. Es war Bryan Martin, der momentan beliebteste Filmheld überhaupt. Er und Jane hatten in mehreren Hollywood-Produktionen gemeinsam die Hauptrollen gespielt.
»Ist sie nicht wundervoll?«, sagte Lady Edgware.
Er lachte.
»Jane – Sie sind ja ganz aus dem Häuschen!«
»Na ja, sie ist wirklich umwerfend! Um Längen besser, als ich angenommen hatte.«
Bryans belustigte Erwiderung bekam ich nicht mehr mit. Carlotta hatte mit einer neuen Improvisation begonnen.
Was später geschah, wird mir immer als eine kuriose Koinzidenz in Erinnerung bleiben.
Nach dem Theater gingen Poirot und ich zum Souper ins Savoy.
An unserem Nebentisch saßen Lady Edgware, Bryan Martin und zwei weitere Personen, die ich nicht kannte. Gerade als ich Poirot auf sie aufmerksam machte, kam ein anderes Paar herein und nahm wiederum einen Tisch weiter Platz. Das Gesicht der Frau kam mir vertraut vor, trotzdem konnte ich es im ersten Moment seltsamerweise nicht unterbringen.
Dann ging mir plötzlich auf, dass die Frau, die ich anstarrte, Carlotta Adams war! Den Mann kannte ich nicht. Er war gepflegt und hatte ein fröhliches, ziemlich nichtssagendes Gesicht. Nicht die Sorte Mensch, die ich sonderlich schätze.
Carlotta trug ein ausgesprochen unscheinbares schwarzes Kleid. Ihr Gesicht war keines, das einem augenblicklich auffiel oder das man auf Anhieb wiedererkannte. Es war eines dieser wandelbaren, empfindsamen Gesichter, die sich hervorragend für die Kunst der Nachahmung eignen. Es konnte spielend fremde Merkmale annehmen, aber es besaß keinen sehr ausgeprägten eigenen Charakter.
Ich teilte Poirot diese Überlegungen mit. Er hörte, den eiförmigen Kopf leicht zur Seite geneigt, aufmerksam zu, während er die zwei fraglichen Tische mit einem scharfen Blick bedachte.
»Das da ist also Lady Edgware? Ja, ich erinnere mich – ich habe sie spielen sehen. Sie ist eine .«
»Und eine gute Schauspielerin dazu.«
»Möglicherweise.«
»Sie klingen nicht sehr überzeugt.«
»Ich denke, das wäre von der Situation abhängig, mein Freund. Wenn sie der Mittelpunkt des Stücks ist, wenn sich alles um dreht – ja, dann könnte sie ihre Rolle spielen. Ich bezweifle aber, dass sie imstande wäre, eine kleine Rolle – oder selbst das, was man eine Charakterrolle nennt – angemessen zu spielen. Das Stück muss sie und sie geschrieben sein. Sie scheint mir zu der Sorte Frauen zu gehören, die sich ausschließlich für sich selbst interessieren.« Er schwieg kurz und fügte dann ziemlich unerwartet hinzu: »Solche Menschen führen ein Leben in ständiger Gefahr.«
»Gefahr?«, sagte ich verblüfft.
»Ich habe ein Wort gebraucht, das Sie, wie ich sehe, überrascht, . Ja, Gefahr. Denn, verstehen Sie, eine Frau wie diese sieht nur...