E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Colfer Artemis Fowl - Die verlorene Kolonie
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8437-0155-6
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der fünfte Roman
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0155-6
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eoin Colfer lebt mit seiner Familie in Dublin. Er war Lehrer und hat mehrere Jahre in Saudi-Arabien, Tunesien und Italien unterrichtet, ehe er als Schriftsteller für junge Leser erfolgreich wurde. Neben seiner inzwischen 8-bändigen Artemis-Fowl-Serie, die in 34 Ländern erscheint, hat er zahlreiche weitere Kinder- und Jugendbücher geschrieben. Außerdem ist er als Autor von Hardboiled-Krimis für Erwachsene erfolgreich.
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Kapitel 1
Zeitensprung
Barcelona, Spanien
Fröhlich gehörte nicht zu den Begriffen, mit denen Artemis Fowls Leibwächter für gewöhnlich bezeichnet wurde. Heiter und gelassen ebenso wenig. Schließlich war Butler nicht zu einem der gefährlichsten Männer der Welt geworden, weil er mit jedem, der ihm zufällig über den Weg lief, einen netten Plausch anfing, es sei denn, er wollte etwas über Fluchtwege und verborgene Waffen in Erfahrung bringen.
An diesem Nachmittag befanden sich Butler und Artemis in Spanien, und die Miene des mächtigen Eurasiers war noch verschlossener als sonst. Artemis machte es Butler mal wieder unnötig schwer, seinen Job zu tun. Über eine Stunde beharrte Butlers junger Schützling nun schon darauf, auf dem Gehweg von Barcelonas Passeig de Gràcia herumzustehen, dessen magere Bäume kaum Schutz vor der prallen Nachmittagssonne oder möglichen Feinden boten.
Dies war die vierte Reise, die sie innerhalb von ebenso vielen Monaten ohne jede Erklärung unternahmen. Erst Edinburgh, dann Death Valley im amerikanischen Westen, gefolgt von einer außerordentlich beschwerlichen Tour durch das in mehr als einer Hinsicht unzugängliche Usbekistan. Und jetzt Barcelona. Und das alles nur, um auf einen mysteriösen Besucher zu warten, der sich bisher nicht hatte blicken lassen.
Die beiden gaben auf dem belebten Gehweg ein seltsames Paar ab: ein riesiger, muskelbepackter Mann um die vierzig im Boss-Anzug und mit kahl rasiertem Schädel, daneben ein schmaler, blasser Teenager mit rabenschwarzem Haar und durchdringenden, blauschwarzen Augen.
»Warum müssen Sie ständig um mich herumlaufen?«, fragte Artemis gereizt. Eigentlich kannte er die Antwort, aber der Besucher, auf den er in Barcelona wartete, hatte sich nach seinen Berechnungen bereits um eine Minute verspätet, und so ließ er seinen Ärger an dem Leibwächter aus.
»Das wissen Sie doch ganz genau, Artemis«, erwiderte Butler. »Für den Fall, dass auf einem der Dächer ein Scharfschütze oder jemand mit einem Richtmikrofon hockt. Ich umkreise Sie, um Ihnen größtmögliche Deckung zu bieten.« Artemis verspürte wieder einmal den Drang, seine genialen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Und so befriedigend solche Demonstrationen auch für den vierzehnjährigen irischen Jungen sein mochten, wer immer sie über sich ergehen lassen musste, war weniger begeistert.
»Erstens ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass jemand einen Scharfschützen auf mich angesetzt hat«, dozierte er. »Ich habe mich aus achtzig Prozent meiner illegalen Unternehmungen herausgezogen und das Kapital auf ein überaus lukratives Portfolio verteilt. Zweitens kann jeder Lauscher gleich wieder einpacken und nach Hause fahren, da der dritte Knopf Ihres Jacketts Soliniumwellen aussendet, die jede Art von Aufzeichnung verhindern, ob oberirdischer oder unterirdischer Herkunft.«
Unwillkürlich wanderte Butlers Blick zu einem vorüberschlendernden Paar, das vor Verliebtheit und Begeisterung über die Schönheiten Spaniens förmlich strahlte. Um den Hals des Mannes hing eine Videokamera. Schuldbewusst tastete Butler nach dem Spezialknopf. »Wahrscheinlich haben wir ein paar Flitterwochenvideos ruiniert.«
Artemis zuckte die Achseln. »Ein geringer Preis für den Schutz meiner Privatsphäre.«
»Gibt es noch ein Drittens?«, fragte Butler mit Unschuldsmiene.
»Allerdings«, erwiderte Artemis leicht gereizt. Immer noch zeigte sich keine Spur von dem erwarteten Besucher. »Was ich gerade sagen wollte, ist: Falls sich tatsächlich ein Scharfschütze auf einem der umliegenden Gebäude versteckt haben sollte, dann auf dem hinter uns. Sie sollten also meinen Rücken decken.«
Butler war der Beste in seiner Branche, und selbst er konnte nicht mit absoluter Sicherheit sagen, auf welchem der Dächer ein möglicher Scharfschütze Stellung beziehen würde. »Nur zu, erklären Sie mir bitte, wie Sie darauf kommen. Ich weiß doch, dass Sie es kaum erwarten können.«
»Nun, da Sie schon danach fragen: Kein Scharfschütze würde direkt hier gegenüber auf dem Dach der Casa Milá Position beziehen, weil das Gebäude für den Publikumsverkehr geöffnet ist und er beim Betreten oder Verlassen vermutlich gefilmt würde.«
»Er oder sie«, korrigierte Butler. »Die meisten Killer sind heutzutage Frauen.«
»Meinetwegen«, sagte Artemis. »Die beiden Gebäude zur Rechten sind zum Teil vom Laub der Bäume verdeckt, warum also unnötige Komplikationen in Kauf nehmen?«
»Sehr gut. Und weiter?«
»Die Reihe zu unserer Linken beherbergt Finanzunternehmen. Dort sind Aufkleber von privaten Sicherheitsdiensten an den Fenstern, und ein Profi wird jede Konfrontation vermeiden, für die er nicht bezahlt wird.«
Butler nickte. Das stimmte.
»Und so komme ich zu dem logischen Schluss, dass Ihr Scharfschütze sich für das vierstöckige Gebäude hinter uns entscheiden würde. Es ist ein Wohnhaus, also leicht zu betreten, vom Dach aus hat er – oder sie – eine direkte Schusslinie, und die Sicherheitsvorkehrungen dürften minimal beziehungsweise nicht vorhanden sein.«
Butler schnaubte. Wahrscheinlich lag Artemis mit seinen Überlegungen richtig. Aber beim Personenschutz war wahrscheinlich nicht annähernd so effektiv wie eine kugelsichere Weste. »Da haben Sie vermutlich recht«, gab Butler zu. »Aber nur, wenn der Scharfschütze genauso clever ist wie Sie.«
»Der Punkt geht an Sie«, räumte Artemis ein.
»Außerdem könnten Sie mir garantiert für jedes Gebäude ein überzeugendes Argument liefern. Sie haben dieses nur ausgewählt, damit ich Ihnen nicht vor der Nase stehe, was mich zu der Annahme führt, dass der geheimnisvolle Besucher vor der Casa Milá erscheinen wird.«
Artemis lächelte. »Gut kombiniert, alter Freund.«
Die Casa Milá war ein Wohnhaus vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, entworfen von dem spanischen Jugendstil-Architekten Antonio Gaudí. Die Fassade bestand aus gewölbten Wänden und Balkonen mit verschlungenen schmiedeeisernen Verzierungen. Auf dem Gehweg vor dem Haus drängte sich eine Schar von Touristen, die für die nachmittägliche Besichtigung des spektakulären Hauses anstanden.
»Werden wir unseren Besucher unter all diesen Leuten überhaupt erkennen? Sind Sie sicher, dass er nicht schon hier ist? Und uns beobachtet?«
Artemis lächelte, und seine Augen funkelten. »Glauben Sie mir, er ist nicht hier. Wenn er es wäre, gäbe es ein ziemliches Geschrei.«
Butlers Miene verdüsterte sich. Wenn er doch nur ein einziges Mal sämtliche Fakten erfahren würde, bevor sie ins Flugzeug stiegen. Aber das würde er bei Artemis wohl nicht mehr erleben. Für den genialen jungen Iren war die kunstvolle Präsentation der Lösung des Rätsels stets der wichtigste Teil seiner ausgefuchsten Pläne. »Verraten Sie mir doch wenigstens, ob unser Kontaktmann bewaffnet ist.«
»Das bezweifle ich«, sagte Artemis. »Und selbst wenn, er wird kaum eine Sekunde bei uns sein.«
»Eine Sekunde? Beamt er sich mal eben aus dem All herunter, oder was?«
»Nicht aus dem All, Butler«, sagte Artemis mit Blick auf seine Uhr. »Aus der Zeit.« Der Junge seufzte. »Aber der richtige Moment ist bereits vorbei. Es sieht so aus, als hätte ich uns vergebens hierhergeführt. Unser Besucher ist nicht erschienen. Nun, es bestand ohnehin nur eine geringe Chance. Offenbar war niemand am anderen Ende des Tunnels.«
Butler hatte keine Ahnung, von welchem Tunnel Artemis sprach, er war nur erleichtert, dass sie endlich diesen ungesicherten Ort verlassen konnten. Je eher sie zum Flughafen von Barcelona kamen, desto besser.
Der Leibwächter zog ein Handy aus seiner Tasche und drückte auf eine Kurzwahltaste. Die Person am anderen Ende nahm beim ersten Klingeln ab.
»Maria«, sagte Butler. »Abfahrt, pronto.«
»Sí«, kam die knappe Antwort. Maria arbeitete für einen exklusiven spanischen Chauffeurdienst. Sie war unglaublich hübsch und konnte mit ihrer Stirn einen Ytong-Stein zerschlagen.
»War das Maria?«, fragte Artemis betont beiläufig.
Doch Butler ließ sich nicht täuschen. Artemis Fowl stellte selten beiläufige Fragen. »Ja, das war Maria. Was auf der Hand liegt, da ich sie mit ihrem Namen angesprochen habe. Normalerweise fragen Sie so gut wie nie nach dem Fahrer, und jetzt gleich viermal innerhalb der letzten Viertelstunde. Wird Maria uns abholen? Wo Maria wohl gerade steckt? Was meinen Sie, wie alt Maria ist?«
Artemis massierte sich die Schläfen. »Das liegt an dieser verdammten Pubertät, Butler. Jedes Mal, wenn ich ein hübsches Mädchen sehe, verschwende ich kostbare Gedanken an sie. Zum Beispiel...