Conrad | Was die Isar rauscht | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 433 Seiten

Conrad Was die Isar rauscht


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-0810-1
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 433 Seiten

ISBN: 978-3-8496-0810-1
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



München in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ludwig II. hat die kühnsten Pläne was den Ausbau der Theaterstätten und Straßen in der Stadt angeht. Aber er verkennt die Zeichen, die gegen ihn stehen. Neben dieser das Buch bestimmenden Handlung zeichnet Conrad auch ein Bild des Milieus zu dieser Zeit, der Ethik und Kultur als auch der Finanzwelt. Viele was nach außen hin glänzte war in Wirklichkeit schon sehr morsch ....

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Die Vorstellung im Gärtnerplatztheater war zu Ende. Jung-München lärmte heraus.

Der Schwarm der Besucher hatte sich bis auf wenige Nachzügler im urbajuwarischen Gaslichthalbdunkel der von der Rotunde strahlenförmig auslaufenden, schön langweilig nach der Schnur gebauten Straßen mit allmählich verhallendem Geräusch von Menschenstimmen, Massenschritten und Wagengerassel verloren. Die Kandelaber an der Freitreppe des Theaters wurden gelöscht und die Thüren geschlossen. Die Feuerwehrmänner mit ihren blitzenden Helmen marschierten in militärischem Tempo und kräftigem Absatzaufschlag davon.

Ehrsame Nachtstille lagerte wieder über dem dämmerigen Platz und träumte in den schwarzen Wipfeln der Kastanienbäume, welche die statuengeschmückte Rotunde umsäumen.

Aus dem Seitenausgang des Theaters gegen die Klenzestraße war eine elegant in Kapuze und Mantel gehüllte Dame in eine wartende Droschke gestiegen. Der wohlabgerichtete Kutscher fuhr langsam die Theaterseite hin und zurück, bis endlich behenden Schrittes eine Männergestalt den Platz durchquerte, direkt auf den Wagen zueilte und den Schlag öffnete.

»Aber Max, wie konntest Du mich wieder so lange warten lassen!« erklang zärtlich vorwurfsvoll eine tiefe Frauenstimme aus dem dunklen Wagengehäuse. »Rasch herein!«

»Den alten Weg,« rief der Herr zum Kutscher hinauf und schwang sich zu der vor Ungeduld und verliebtem Begehr fiebernden Dame in die Droschke. Kaum war die Thür geschlossen, so fielen auch schon die Gardinen und das Liebesgespann – nahm den alten Weg. Hü, hot!

»Natürlich war er's wieder, Max v. Drillinger, der Heißbegehrte,« höhnte eine meckernde Baßstimme aus einer Gruppe, die beobachtend im Dunkel der Hausecke den Vorgang verfolgt hatte.

»Kein Zweifel.«

»Die Abfahrt stimmt. Der Rest läßt sich denken.«

»Wie gewöhnlich hat die kluge Dame ihren eigenen Wagen heimgeschickt mit der Erklärung, sie ziehe bei dem schönen Wetter den Spaziergang vor, die Nachtluft werde ihr wohl thun und so weiter.«

»Wird ihr auch wohl thun.«

»Sehr wohl. Der Drillinger versteht sein Metier als patentirter Frauentröster.«

»Wie der brave Gatte in der Quaistraße – sprich auf münchenerisch: G'weih-Straße! – sein Metier als König Menelaus versteht.«

»– Laus der Gute, – Laus der Gute –« spottete der Dritte, den Offenbachschen Refrain aus der »Schönen Helena« summend.

»O, der hat als richtiges Ehe-Trampelthier eine Elephantenhaut. Alle Pfeile des Spottes auf dem letzten Faschingsball im Hoftheater sind wirkungslos abgeprallt.«

»Und es sollte kein Mittel geben, ihm die Augen zu öffnen?«

»Er gehört zu jenen Blinden, die nicht sehen wollen. Und die sind inkurabel.«

»Bah, man müßte ihn nur bei den Ohren nehmen und einmal der Katze die rechten Schellen anhängen.«

»In der Presse?«

»In dem berüchtigten, ›Vaterland der schönen Seelen‹, Organ für sittliche Unterhaltung und Belehrung der Wachtstuben- und Kasernenwanzen?«

»Das ist abgeschmiert. Die kluge Donna ist eine zahlungsfähige Klientin der Revolverpresse unserer königlichen Haupt- und Residenzstadt.«

»Ein Versuch wäre doch zu machen. Aber welcher reinliche Mensch mag sich mit solchen Schmieranten und Preßbanditen einlassen?«

»Ich! Reinlichkeit in Ehren, aber gibt es nicht Zangen, mit denen sich auch das Schmutzigste anfassen läßt? Gibt es nicht Mittelspersonen? Das sind zwar auch Hallunken, aber wenn's einmal nicht anders geht! Dem Drillinger muß endlich ein ordentlicher Prügel zwischen die Beine geworfen werden.«

»Einverstanden. Das wird wenigstens eine Abwechslung sein für seine verehrten Beine. Also überlegen wir das Geschäft!«

»Preis ist Nebensache!« spottete der Dritte.

Die Gruppe entfernte sich durch den dunklen Portikus, überschritt die Reichenbachstraße und trat in das Café Paul, dem Stelldichein der Theaterbummler und Nachtschwärmer des Gärtnerplatz-Viertels.

Auf dem Asphalt unter den Kastanienbäumen promenierten mehrere Studenten, schweigend ihre Zigaretten rauchend und die Pferdebahn erwartend.

»Ich muß sagen, nach der ›Nacht in Venedig‹ mit der entzückenden Straußschen Musik verspreche ich mir wenig von dieser Nacht in München, die Ihr mir zum Besten geben wollt«, nahm eine schlanke Gestalt mit ein paar Schelmenaugen im träumerischen Siegfriedskopfe die Rede auf. »Eine Gondel auf den Lagunen und eine Droschke auf dem Münchener Pflaster – wer weiß mir lächerlichere Gegensätze?«

»Und eine Droschke, die nie zu haben ist, wenn man sie braucht, und zu deren Ersatz man auf eine Trambahn wartet, die nie ankommt.«

»Ihr Norddeutschen könnt eben unser herrliches München nur in kritischer Sauce genießen. Das ist zwar fade für unsern Gaumen, aber wir haben uns daran gewöhnt.«

»Nun hören Sie einmal, Kuglmeier, die Rheinländer sind nicht so norddeutsch, wie Sie glauben und meine Wiege hat bekanntlich in der großen Pfaffengasse am Rhein gestanden,« protestierte der träumerische Siegfriedskopf und schob seinen Arm unter den seines Münchener Kameraden. »Wir Rheinländer wissen zu leben und leben zu lassen. Wir sind die gemütlichsten Kerls.«

»Na, und wir Münchener erst!«

Das brachte der kleine Kuglmeier so drollig heraus, daß alle lachten.

»Na, und diese Luft, direkt aus Italien, von einer Weichheit ...«

»Als ob sie Deine Schwester Flora in Neapel extra für uns präpariert hätte.«

»Also heute nicht raisonnieren!« hob wieder der Rheinländer an. »Nehmen wir Kuglmeiers Münchener Nacht, wie sie ihm Gott beschieden hat; trinken wir noch Eins, scherzen mit hübschen Mädchen womöglich – plaudern, faseln, kannegießern, aber warten wir nicht länger auf diese marode Pferdebahn!«

»Dort kommt sie schon herangekrochen mit müdem Geklingel.«

»Wir haben noch gar kein Vergnügungs-Programm gemacht!«

»Das laßt meine Sorge sein,« rief Kuglmeier.

»Da kann's uns nicht fehlen. Kuglmeier ist die rechte Hand des Zufalls,« bemerkte der Mediziner Stich, der auf den Kneipnamen Hippokrates hörte.

Der einspännige blauweiße Kasten rollte vorüber, die jungen Herren sprangen einer nach dem andern auf die Plattform. Im Innern saßen, beschienen von der gelben Laterne, zwei etwas auffallend geputzte Mädchen, eine stumpfnäsige Brünette und eine langnäsige Blondine, beide mit exzentrischen Hüten aus hochgestülptem, schwarzem Filz und steifen, gespreitzten Federn, wodurch die ermüdeten Gesichter etwas gewaltsam Kühnes und Herausforderndes erhielten. Fest im straffen Korsett sitzend, die Beine übereinander geschlagen, mit den Stiefletten klopfend, die einen kräftigen, aber wohlgeformten Fuß umspannten, wandte sich die Brünette mit einer raschen Bemerkung ans Ohr der Blondine, worauf diese mit einem schmachtenden Blick auf die Plattform antwortete. Als Fortsetzung unterdrückte sie ein Gähnen, hielt die gelbgantierte Hand muschelförmig über den Mund und flüsterte: »Hunger hab' ich.«

»Und ich Durst. Prost Mahlzeit!« kicherte die Brünette und gähnte gleichfalls mit Anstand.

»Wohin fahren die Herren?« fragte der Kondukteur.

»Ja, wohin fahren wir gleich –« meinte Kuglmeier mit komischer Unsicherheit.

»Der rechte Führer! Prädestiniert für den deutschen Generalstab! Du lieber Gott, Damen haben überall den Vortritt: wir fahren den Damen da drinnen nach!« vermittelte lachend der Rheinänder und seine Schelmenaugen umspielten einladend die beiden Mädchen, denen die Geschichte offenbar gar nicht übel gefiel, denn sie stießen sich an, schlugen die Augen...



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