E-Book, Deutsch, 378 Seiten
Cooper Der Bravo
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-0770-8
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 378 Seiten
ISBN: 978-3-8496-0770-8
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Der Bravo' ist ein politischer Roman und spielt in Venedig. Cooper fokussiert dabei speziell auf die Spannungen zwischen der sozialen Elite und der unteren Klasse.
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Eben als die geheimen Audienzen im Palaste Gradenigo beendigt waren, verlor auch der St.-Markus-Platz zum Teil seine Lebendigkeit. In den Kaffeehäusern saßen nur noch einzelne Gesellschaften, die Mittel und Lust hatten, kostbareren Vergnügungen zu frönen, während die übrigen, die ihre Gedanken den Sorgen des nächsten Tages zuwenden mußten, scharenweise zu ihren bescheidenen Wohnungen zurückkehrten. Einer jedoch von der letzteren Klasse blieb zurück an der Stelle, wo die beiden Plätze zusammenstießen, bewegungslos, als wären seine nackten Füße mit dem Stein zusammengewachsen, auf dem er stand. Es war Antonio.
Die Stellung des Fischers brachte seine muskulöse Gestalt und seine starren Züge ganz in die Beleuchtung des Mondes. Er heftete seinen dunkeln, kummervollen Blick fest auf die mildglänzende Scheibe, als wollte er in einer andern Welt den Frieden suchen, den er in dieser nicht gefunden hatte. Sein gebräuntes Gesicht trug den Ausdruck des Leidens. Ein tiefer Seufzer kämpfte sich aus der Brust des alten Mannes hervor, dann strich er sich die wenigen Haare, die ihm die Zeit noch gelassen hatte, hob seine Mütze vom Pflaster auf und wollte fortgehen.
»Du bist spät auf, Antonio«, ertönte eine Stimme dicht neben ihm. »Die Fische müssen hoch im Preise stehen, oder du mußt einen guten Fang getan haben, daß du dich bei deinem Gewerbe noch in dieser späten Stunde in der Piazza zu erlustigen Zeit findest. Du hörst, es schlägt eben die fünfte Stunde der Nacht.«
Der Fischer drehte den Kopf nach der Seite hin und blickte den Redenden, der maskiert war, einen Augenblick gleichgültig an, dann antwortete er: »Da du mich kennst, so weißt du wahrscheinlich auch, daß meiner nur eine leere Wohnung wartet. Wenn ich dir so bekannt bin, so ist dir ja wohl auch die Unbill nicht unbekannt geblieben, die mir widerfahren ist.«
»Wer hat dich beleidigt, guter Fischer, daß du selbst unter den Fenstern des Dogen so kühn davon sprichst?«
»Der Staat.«
»Das ist eine dreiste Rede für das Ohr des heiligen Marco! Zu laut gesprochen, könnte sie den Löwen dort zum Zorne reizen. Wessen klagst du denn die Republik an?«
»Führ mich nur hin zu denen, die dich schicken, so will ich ihnen die Mühe eines Unterhändlers ersparen. Ich bin bereit, selbst dem Dogen mein erlittenes Unrecht zu klagen, ein armer Greis wie ich hat von ihrem Zorne wenig mehr zu fürchten.«
»Du glaubst also, ich sei gesendet, dich zu verraten.«
»Du magst deine Sendung am besten kennen.«
Der andere nahm nun die Maske ab, und im Mondlicht erkannte Antonio seinen Gefährten.
»Jacopo!« rief der Fischer erstaunt. »Ein Mann deines Gewerbes kann mit mir nichts zu schaffen haben.«
Eine Röte, die selbst bei dem schwachen Mondlicht sichtbar war, überflog das Gesicht des Bravo, durch nichts anderes verriet er die Aufwallung seines Gefühls.
»Du irrst dich. Ich habe mit dir zu schaffen.«
»Achtet der Senat einen Fischer von den Lagunen der Mühe wert, daß er durch ein Stilett falle? So stoß denn zu«, sagte er und blickte auf seine braune, entblößte Brust, »hier ist nichts, das dich hindern könnte.«
»Antonio, du tust mir unrecht. Der Senat hat solche Absicht gar nicht. Vielmehr, weil ich gehört habe, daß du Grund zur Unzufriedenheit hast und nun öffentlich auf dem Lido und zwischen den Inseln über Dinge sprichst, die die Patrizier Leuten deines Standes gern aus dem Gesichte rücken, so komm ich als Freund, dich vor den Folgen solcher Unvorsichtigkeit zu warnen, nicht aber, dir Übles zuzufügen.«
»Bist du abgeschickt, mir dies zu sagen?«
»Alter Mann, die Erfahrung deiner Jahre sollte dich gelehrt haben, deine Zunge im Zaume zu halten. Was nützen eitle Klagen über die Republik, oder was für Früchte können sie bringen als Unheil für dich und das Kind, das du lieb hast.«
»Ich weiß nicht – aber wenn das Herz voll ist, so läuft der Mund über. Sie haben meinen Knaben weggenommen und haben mir wenig gelassen, das Wert für mich hätte. Das Leben, dem sie Gefahr drohen, ist zu kurz, um sich drum zu grämen.«
»Du solltest klug sein und deinen Kummer mäßigen. Signore Gradenigo hat sich dir immer freundlich bewiesen, und deine Mutter, hab ich gehört, war seine Amme. Wende dich mit Bitten an ihn, aber höre auf, den Zorn der Republik durch Klagen zu reizen.«
Antonio lauschte seinem Gefährten. Als er aber geendigt hatte, schüttelte er traurig das Haupt, als wollte er ausdrücken, daß auch von jener Seite keine Hoffnung mehr für ihn sei.
»Ich hab ihm alles gesagt, was ein Mann, der auf den Lagunen geboren und erzogen ist, zu sagen Worte hat. Er ist ein Senator, Jacopo! Und hat keinen Sinn für Leiden, die er nicht fühlt.«
»Ist es nicht unrecht, alter Mann, dem, der im Überfluß geboren ist, Hartherzigkeit vorzuwerfen, bloß weil er das Elend nicht fühlt, das auch du, wenn du könntest, gern von dir wiesest? Du hast deine Gondel und deine Netze und bist gesund und geschickt in deinem Handwerk, und so bist du glücklicher als jeder, der auch das entbehrt. – Willst du etwa dein Gewerbe liegenlassen und deinen kleinen Vorrat mit dem Bettler von San Marco teilen, damit euer Vermögen gleich sei?«
»Du magst recht haben in dem, was du über unsere Arbeit und unsere Hilfsmittel sagst, aber was unsere Kinder betrifft, da ist die Natur dieselbige in allen. Ich sehe nicht ein, warum des Patriziers Sohn frei gehen soll und der Sohn des Fischers bluten. Haben die Senatoren nicht Glücks genug an ihren Reichtümern und an ihrer Hoheit, daß sie mir mein Kind rauben?«
»Du weißt, Antonio, daß der Staat bedient sein will, und wollten die Staatsdiener in den Palästen starke Matrosen für die Flotte suchen, meinst du, sie möchten Leute finden, die dem geflügelten Löwen in der Stunde der Not Ehre machen würden? Dein alter Arm ist muskelfest, und dein Fuß wankt nicht auf dem Wasser, und sie suchen solche, die wie du für Schifferarbeit erzogen sind.«
»Du hättest noch hinzufügen können: Und deine alte Brust hat Narben. Ehe du geboren warst, Jacopo, zog ich gegen die Türken, und mein Blut ward für den Staat verschüttet wie Wasser. Aber das haben sie vergessen und haben reiche Marmorsteine in den Kirchen aufgerichtet, die Taten der Edeln zu rühmen, die doch ohne Wunde aus dem Kriege zurückkehrten.«
»Ich hab auch meinen Vater davon erzählen hören«, versetzte der Bravo düster und mit verändertem Ton der Stimme. »Auch er hat geblutet in jenem Kriege, aber es ist vergessen.«
Der Fischer warf einen Blick umher, und da er mehrere Gruppen auf dem Platze ganz in seiner Nähe sich unterhalten sah, bedeutete er seinem Gefährten, ihm zu folgen, und schritt den Kais zu.
»Dein Vater«, sagte er, während sie langsam nebeneinandergingen, »war mein Kamerad und mein Freund. Ich bin alt, Jacopo, und arm; meine Tage gehen hin mit Arbeit auf den Lagunen und meine Nächte mit Erholung und Stärkung für neues Tagwerk. Aber bekümmert hat es mich zu hören, daß der Sohn eines Mannes, den ich lieb hatte und mit dem ich so oft Gutes und Böses, Wohl und Weh geteilt habe, eine Lebensart ergriffen hat, wie die ist, die du dir erwählt haben sollst. Gold, das für Blut bezahlt wird, hat noch niemals Segen gebracht, weder dem Geber noch dem Empfänger.«
Der Bravo hörte schweigend zu, aber sein Gefährte, der ihm in einem anderen Augenblick und weniger aufgeregt als eben jetzt ausgewichen wäre, bemerkte, indem er ihm traurig ins Gesicht sah, daß sich dessen Muskeln leicht bewegten und daß eine Blässe die Wangen überzog, die das Mondlicht gespenstisch machte.
»Deine Armut hat dich zu schwerer Sünde verführt, Jacopo. Aber es ist nimmer zu spät, die Heiligen um Beistand anzurufen und das Stilett beiseite zu legen! Es dient einem Manne in Venedig nicht zum Ruhm, dein Gefährte zu heißen, aber der Freund deines Vaters wird den nicht verlassen, der seine Sünden bereuet. Wirf den Dolch weg und komm mit mir zu den Lagunen. Du wirst die Arbeit leichter zu tragen finden als die Schuld, und obschon du mir niemals das werden kannst, was mir der Junge war, den sie mir genommen haben – denn er war unschuldig wie ein Lamm! –, so wirst du mir immer der Sohn eines alten Kameraden sein. Komm mit mir zu den Lagunen, denn solche Armut und solch Elend, als ich erdulde, können nicht noch verächtlicher werden, auch nicht dadurch, daß du mein Gesell bist.«
»Was sagen denn die Menschen von mir, daß du mich so behandelst?« fragte Jacopo mit leiser, bebender Stimme.
»Ich wollte, sie sagten Unwahrheit! Aber wenige sterben in Venedig eines gewaltsamen Todes, ohne daß man dich nennte.«
»Würden sie denn leiden, daß ein so berüchtigter Mensch frei auf den Kanälen und auf dem Markusplatze umhergehe?«
»Wir kennen nie die Gründe, nach denen der Senat handelt. Einige sagen, deine Stunde sei noch nicht gekommen, andere sagen, dein Einfluß sei zu groß in Venedig, um dich zu richten.«
»Du hältst von der Tätigkeit der...




