E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Cooper Die Ansiedler
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-945667-94-1
Verlag: RUTHebooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-945667-94-1
Verlag: RUTHebooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Erstes Kapitel
Thomson
Fast im Herzen des Staates Neu-York liegt ein ausgedehnter Landstrich, dessen Fläche durch eine Reihe von Bergen und Tälern gebildet wird. In diesem Gebirgslande nimmt der Delaware seinen Ursprung; und aus den silberklaren Seen, wie aus den tausend Quellen dieser Gegend, schlängeln sich die zahlreichen Quellen des Susquehannah durch die Täler, bis sie durch die Bereinigung ihrer Wasser einen der stolzesten Ströme der nordamerikanischen Freistaaten bilden. Die Berge sind fast allgemein bis zu den Spitzen in begangbarem Stande, obgleich nicht selten an ihren Seiten Felsenpartien hervorspringen, welchen die Gegend ihren in so hohem Grade romantischen und malerischen Charakter verdankt. Durch die schmalen, üppigen und urbar gemachten Täler zieht sich fast immer ein Flüßchen oder ein Bach, während schöne, blühende Dörfer zerstreut an den kleinen Seen oder an jenen Punkten der Wasserströmung liegen, die sich vorteilhaft für Mannfakturen benützen lassen. Man findet allenthalben durch die Täler bis zu den Spitzen der Berge hinan hübsche und bequeme Meiereien mit allen Abzeichen des Wohlstandes; und in jeder Richtung begegnet man Wegen, die von den ebenen, anmutigen Talgründen bis zu den höchsten und verwickeltsten Gebirgsketten hinanführen. Akademien und niedere Bildungsanstalten begegnen dem Auge des Fremden, der durch das unebene Gebiet seinen Weg sucht, alle Paar Meilen; und in der Menge der Orte, welche der Gottesverehrung geweiht sind, bekundet sich eben so sehr der denkende und sittliche Charakter des Volkes, als sich in der Mannigfaltigkeit ihrer Formen und des um dieselbe waltenden Geistes die unbedingte Gewissensfreiheit ausspricht. Kurz, der ganze Distrikt ist der sprechendste Beleg, wie viel sich selbst in einem wenig kultivierten und rauen Landstriche, unter der Herrschaft milder Gesetze tun läßt, sobald der Einzelne für das Wohl des Ganzen; von dem er ein Teil zu sein sich bewußt ist, ein unmittelbares Interesse fühlt. Den Bemühungen des Ansiedlers, die Wildnis zu lichten, folgte der unermüdliche Fleiß des Grundbesitzers, das mit saurem Schweiß Errungene zu verbessern, ein Umstand, der wohl den Wunsch rege machen kann, seiner Zeit unter dem Rasen, den man bebaute, zu schlummern, oder nicht minder den im Lande geborenen Sohn zu veranlassen vermag, aus kindlich frommem Sinne dem Grabe des Vaters nahe zu bleiben. Vor etwa vierzig Jahren noch war das ganze Gebiet eine Wildnis.
Bald nach der durch den Frieden von 1783 anerkannten Unabhängigkeit der vereinigten Staaten richtete sich der Unternehmungsgeist ihrer Bürger auf eine Untersuchung der natürlichen Vorteile ihres weitausgedehnten Gebiets. Vor dem Revolutionskriege beschränkten sich die bewohnten Teile der Kolonie Neu-York nur auf ein Zehntel ihres Gesamtumfangs. Ein schmaler Landgürtel, der sich auf beiden Seiten des Hudson hinzog, mit einem ähnlichen, der etwa 50 Meilen weit den Ufern des Mohawk folgte, nebst den Inseln Nassau und Staten, und einige abgeschlossene Ansiedlungen auf besonders gutem Boden längs der Flußränder, bildeten das ganze Land, welches damals nicht einmal zweimalhunderttausend Seelen barg. In dem erwähnten kurzen Zeitraume hat sich die Bevölkerung über fünf Breiten- und sieben Längengrade ausgedehnt, und ist zu anderthalb Millionen Einwohnern angeschwollen, die behaglich von ihrem Besitze leben, und in Jahrhunderten nicht zu besorgen haben, daß der Ertrag des Bodens in ein ungünstiges Missverhältnis mit ihren Bedürfnissen treten könnte.
Unsere Erzählung beginnt mit dem Jahre 1793, ungefähr sieben Jahre nach dem Entstehen einer der frühesten jener Niederlassungen, welche den erwähnten fast mährchenhaften Umschwung in der Macht und dem ganzen Zustande des Landes herbeiführen halfen.
An einem schönen, kalten Dezembertage um die Zeit des Sonnenuntergangs bewegte sich in dem beschriebenen Distrikte ein Sleigh langsam den Abhang eines Berges hinan. Der Tag war für die Jahreszeit schön gewesen und nur zwei oder drei große Wolken, welche in dem Lichte, das von den die Erde bedeckenden Schneemassen wiederstrahlte, blendend weiß erschienen, segelten in dem reinen Blau des Himmels dahin. Der Weg wand sich längs eines Absturzes um den Gipfel eines Felsen hin, und wurde auf der einen Seite durch über einander geschichtete Holzstämme geschützt, während man auf der andern den Felsen so weit ausgesprengt hatte, um dem Straßenzug die für die gewöhnliche Fuhrwerke der damaligen Zeit nötige Breite zu geben. Aber Holzstämme, Felsenaussprengung, kurz alles, was nicht mindestens etliche Fuß Höhe hatte, lag unter dem Schnee begraben. Eine einzige Fährte, kaum weit genug, um den Sleigh aufzunehmen, bezeichnete den Zug der Landstraße, die fast mit einer ellenhohen Schneeschichte bedeckt war. In dem um etliche hundert Fuß tiefer gelegenen Thale bemerkte man eine sogenannte Lichtung und die gewöhnlichen Vorkehrungen zu einer neuen Niederlassung, welche sich sogar bergan bis zu einem Punkte erstreckten, wo der Weg nach einem auf dem Gipfel des Berges liegenden Flachlande abbeugte, während weiter oben Alles Wald war. Die Atmosphäre glitzerte, als wäre sie mit Myriaden von Lichtkörperchen erfüllt, und die edlen Rosse vor dem Sleigh waren fast ganz von einer Reifschichte bedeckt. Man sah den Dampf ihrer Nüstern wie Rauch aufsteigen, und jeder im Gesichtskreise liegende Gegenstand, wie auch die Vorkehrungen der Reisenden ließen auf die Strenge des Winters im Gebirge schließen. Das trübe, tiefschwarze Pferdegeschirr, welches sich allerdings sehr von den glänzend gefirnisten unserer Tage unterschied, war mit ungeheuren Platten und Schnallen von Messing verziert, die in den flüchtigen Sonnenstrahlen, welche ihren Weg schräg durch die Baumgipfel fanden, wie blankes Gold erglänzten. Gewaltige, mit Nägeln beschlagene und durch Schabraken unterlegte Sättel trugen vier hohe viereckige Türmchen, durch welche die starken Zügel nach der Hand des Lenkers, eines Negers von ungefähr zwanzig Jahren, liesen. Sein Gesicht, das die Natur mit einem glänzenden Schwarz ausgestattet hatte, war jetzt scheckicht vor Kälte, und in seinen großen leuchtenden Augen glänzten Tränen, ein Zoll, welchen die schneidenden Fröste dieser Gegenden den Söhnen der afrikanischen Sonne nie abzupressen versäumen. Demungeachtet aber lag ein lächelnder Ausdruck der Heiterkeit in seinem glücklichen Gesicht, welcher wohl seinen Grund in dem Gedanken an die nahe Heimat und an die Belustigungen eines Christabends in einem warmen Stübchen haben mochte.
Der Sleigh war eines jener geräumigen, bequemen, altmodischen Fuhrwerke, die eine ganze Familie in ihrem Bauche versorgen können, obgleich er in dem gegenwärtigen Augenblicke außer dem vorerwähnten Schwarzen nur zwei Personen enthielt. Die Farbe war außen bescheiden grün, innen feurig rot, letzteres vielleicht, um in dem kalten Klima doch wenigstens dem Auge eine Glut vorzuführen. Große Büffelhäute, an den Rändern mit guirlandenartig geschnittenem rotem Tuch verziert, lagen in dem Sleigh und umhüllten die Füße der Reisenden, eines Mannes in den mittleren Jahren und eines Mädchens in der ersten Blüte der weiblichen Entwickelung. Der erstere war, soviel sich aus den Vorkehrungen, welche er zu Ausschließung der Kälte getroffen hatte, von kräftigen Umrissen. Ein verschwenderisch mit Pelzwerk verbrämter Überrock umschloß seinen ganzen Körper mit Ausnahme des Kopfs, welcher durch eine Marderfellmütze, mit Maroquin ausgekleidet und so geformt, daß sich die Seitenklappen über die Ohren herunterschlagen und durch ein schwarzes Band unter dem Kinn zusammenknüpfen ließen, geschützt wurde. Der obere Teil der Mütze war mit einer Art Quaste verziert, die aus dem Schwanze des Tieres, welches das übrige Material geliefert hatte, bestand und nicht unzierlich hinten einige Zolle über den Nacken hinunter hing. Unter dieser Vermummung sah man teilweise ein schönes Männergesicht, zumal ein Paar ausdrucksvoller, großer, blauer Augen, die einen hellen Verstand, gemütliche Heiterkeit und einen wohlwollenden Sinn verkündigten. Die Gestalt seiner Begleiterin war buchstäblich in den Kleidern, welche sie trug, begraben. Aus einem dicht mit Flanell wattierten, großen Camelotmantel, welcher dem Schnitt und der Weite nach offenbar einem männlichen Körper angehörte, sah ein mit Pelz ausgelegter seidener Überrock hervor. Eine ungeheuere, mit Daunen gefütterte, schwarzseidene Kaputze verbarg Kopf und Gesicht bis auf eine kleine Öffnung, durch welche man Atem holen konnte, obgleich hin und wieder auch ein Paar lebhafter, beerschwarzer Augen hervorfunkelten.
Aber Vater und Tochter (denn in dieser Verwandtschaftsbeziehung standen die beiden Reisenden) waren zusehr mit ihren Betrachtungen beschäftigt, um durch den Ton ihrer Stimme eine Stille zu unterbrechen, welche durch das leichte Dahingleiten des Sleigh selten oder nie gestört wurde. Der Erstere dachte an das Weib, welches sein Kind, das einzige, zum letzten Male an ihre Brust gedrückt hatte, als sie vier Jahre früher mit widerstrebendem Herzen ihre Zustimmung geben mußte, der Gesellschaft ihrer Tochter zu entsagen, damit sich dieselbe jener Vorteile der Erziehung erfreuen möchte, welche zu der Zeit nur die Stadt New-York zu geben im Stande war. Wenige Monate nachher hatte ihn der Tod dieser treuen Genossin seiner Einsamkeit beraubt. Er liebte jedoch sein Kind zu aufrichtig, um sie nach der verhältnismäßigen Wildnis, wo er wohnte, zurückzuholen, ehe die Zeit, welche zu ihrer völligen...