E-Book, Deutsch, 175 Seiten
Couperus Das schwebende Schachbrett
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-0356-4
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 175 Seiten
ISBN: 978-3-8496-0356-4
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie 'Märchen der Welt'. Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: 'Märchen der Welt' bietet Ihnen stundenlange Abwechslung. Ein fantastischer Roman rund um König Artus und seine Tafelrunde.
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Gawein erinnerte sich ... Dies war die gleiche Stelle, wo er vor zehn Jahren durch Zauber und Magie, von denen er selber nichts ahnte, eingedrungen und dann eingeschlossen gewesen war. Der hohle Berg war geräumig wie ein endloses Gewölbe, und durch einen engen Spalt schien hie und da des Tages Leuchten, nicht heller denn Sternenflimmer. Und da hatte er dann in dieser düsteren, nur matt erleuchteten labyrinthartigen Grotte Lindwürmer gesehen: eine entsetzliche Drachenmutter mit vier Jungen, und erst hatte er die greuliche Brut bekämpft. Das Höllengezücht hatte die Schweife um ihn geringelt und mit den Flügeln geschlagen. Gringolette hatte sie freilich mit ihren Hufen zertreten, während Gawein mit seinem Schwert Hieb und Stich nach links und rechts ausgeteilt hatte. Er hatte ihnen die breiten Pfoten abgehauen, den spitzen Stahl in die flammenden, Schwefel speienden Mäuler gebohrt, bis sie wie ein blutig durchstochenes Knäuel voll Abscheu erregender Entsetzlichkeit leblos im Neste lagen, bis der letzte Phosphorglanz in ihren Augen mit dem Tode langsam erlosch. Nun aber hatte sich die Drachenmutter fauchend durch die dunklen Gänge herangeschoben, die draußen Aas und Fraß für ihre Jungen geholt hatte. In wildem Grimme über Gawein war sie, Feuer und Flammen speiend und erstickenden Odem ausstoßend, in der düsteren Höhle über ihn hergefallen und hatte ihn mit Klauen und Zähnen angegriffen, mit dem langen Schweif umklammert, während ihre breiten Flügel sich wie die eines Teufels spreiteten und ihre scharfen Schuppen ununterbrochen rasselten. Gawein war in ihrer tödlichen Umarmung vom Rosse herabgeglitten, und Gringolette war entwichen und hatte sich durch die felsigen Mauern, an denen sie sich wund stieß, einen Ausweg gesucht. Von dem Schweif der Schlange schier erdrückt, hatte der wackere Degen Gawein erst mit dem Schwert und dann, als ihm das entfallen, mit seinem letzten Heil, dem guten breiten Dolch, Stich auf Stich geführt, bis das Tier endlich tot umsank und sein siedend heißes Blut aus hundert Wunden über Gawein ergoß ... Und jetzt wartete der Held ab, ob wiederum ... Warum sollte nicht von neuem eine Drachenmutter ihre höllische Brut in dieser Höhle geworfen haben? Warum sollte nicht von neuem Phosphorglanz gleißen und glühen? Warum sollte es nicht von neuem Kämpfe zu bestehen geben? Gawein, der von Gringolette abgestiegen war und das Roß am Zügel führte, spähte im behutsamen Weiterschreiten um sich, ob nicht plötzlich ... bis er aus dem düsteren Gang in Bergestiefe an eine breitere Stelle gelangte und sich erinnerte und sogar noch sah: hier hatte er die jungen Drachen erschlagen ... dort ihre Mutter ... Und da erschrak Gawein mehr als er über den Anblick eines neuen Drachen erschrocken sein würde, wie er nun im Sternenmatten Tagesschein, der durch die Spalten drang, die Gerippe der jungen Schlangen erkannte, die weißen Wirbelknochen und die fleischlosen Rippen, die gebleichten Schädel und die blanken Knochenringe der langen Schweife. – Und in kurzer Entfernung spukte wie das Skelett eines Leviathans aus den ewigkeitsfernen Tagen, da es weder Christen noch Heiden gab, das entsetzliche Gerippe der Drachenmutter und versperrte den Weg durch den Berg. Weitgähnend klaffte noch der einst so weit dräuende Rachen, hohl war es unter den weißen Rippen, da sich einst der Bauch gebläht hatte wie ein feuriger Herd, der nun erloschen war, und wie die Haut der hochaufgerichteten Flügel verdorrt und zerfetzt an den Knochen herabhing und ihnen das Aussehen von Schwingen einer riesengroßen Fledermaus gab: das wirkte weit entsetzlicher, weil gespenstischer, als wenn ein neues Untier herangebraust sein würde ... Und Gawein klagte schon in seinem Gemüte darüber, daß er nur die tote Vergangenheit wiederschaute und sie nicht zu neuem Leben erstehen sah. Er gab sich das Wort, wenn er jemals wohlbehalten mit dem Schachbrett nach Camelot zurückkehrte, dieser verblichenen Überreste auch nicht mit einem einzigen Wort Erwähnung zu tun; er fürchtete den beißenden Spott des Herrn Keye. Und mit seinem Schwert hieb er auf das Gerippe ein, das ihm links und rechts den Weg versperrte. Die Knochen rasselten durcheinander, die Flügel zerfielen zu Staub, und hinweg über das, was so gespenstisch geschreckt hatte, zog er sein Roß mit sich, das scheute und sich bäumte, als empfände es noch jetzt vor diesem schaudererregenden Skelett die Schrecken der längst vergangenen Tage und ihrer Kämpfe. Allein sein Herr, der sich des schmalen Pfades durch den hohlen Berg wohl entsann, sah endlich das Licht heller erstrahlen und erkannte die Öffnung wieder, durch die er auch dazumal hinausgeschritten war ... Ja, auch draußen war alles gleichgeblieben. Der Berg erhob sich wie einst über einem unabsehbar breiten Flusse, die aufeinandergestapelten Felsklötze gaben ihm das Ansehen einer riesengroßen Kirche, die mitten im tiefen Strom auf einer Insel erbaut war. Und Gawein erinnerte sich, daß er mit Gringolette vom hohen Ufer in die tiefe Flut gesprungen war, auf einer Landzunge ein wenig geruht hatte und dann weitergeschwommen war, bis er endlich vor sich eine Burg gesehen hatte, deren zahllose Türme wie Gold geglänzt hatten. Und dort in jener Burg hatte er damals den König Mirakel angetroffen und Alydrisonder, seinen Sohn, und zwischen ihnen beiden hatte, o Wunder, das Schachbrett gestanden, und der König hatte gelobt, daß er es Gawein lassen wolle, wenn der ihm ein Schwert brächte – das Zauberschwert mit den zwei Ringen ...
Dieses Schwert gehörte dem König Amoraen, und der wiederum wollte es Gawein nur abtreten, falls er ihm Ysabel, die schöne Tochter des Königs Assentijn zuführe. Und Gawein hatte Ysabel gewonnen, aber er hatte sie auch liebgewonnen, die Schöne, und als er sie nun, sein Ritterwort zu erfüllen, dem Amoraen dennoch zugeführt hatte, da war dieser bereits – welch Glück! – Todes verblichen, und so hatte Gawein das junge Weib für sich selber wahren dürfen, wenngleich er das Schwert dem König Mirakel hatte geben können, um damit das Schachbrett für König Artur zu erlangen.
Und mit Ysabel und dem Schachbrett war er dann nach Camelot zurückgekehrt, und Keye hatte keinen Grund zu Hohn und Spott gehabt.
Doch wie würde alles jetzt ablaufen? Warum hatte sich dieses gleiche Abenteuer wiederholt? Nun Gawein darüber nachdachte und an das Ufer des breiten Stromes gestiegen war und in der ruhig dahinströmenden Wassertiefe wie in einem Zukunftsspiegel zu lesen versuchte, legte er sich immer wieder die eine Frage vor: warum sich das nämliche Abenteuer wiederholt, warum nicht lieber ein neues gewinkt hatte. Es ist ermattend und nicht ermutigend, an Stelle von eben ausgebrütetem oder geworfenem Drachengezücht – ob ausgebrütet oder geworfen, wußte eigentlich niemand, da ein Drachenei noch nicht gefunden worden war! – die Gerippe der vor Jahren erlegten Untiere wiederzufinden. Dereinst war Gawein mit Drachenblut bespritzt worden, und während des Kampfes war ihm der Waffenrock zerrissen, der Halsberg war ihm gelöst, sein Schild in der feurigen Drachenglut beinahe geschmolzen und sein Schwert war schartig geworden und verbogen. Und er hatte dereinst dort im Grase geruht und seine Wunden mit Wasser aus dem Flusse gewaschen, er hatte Gringolette mit seinen kräftigen Händen die zitternden Flanken gerieben, sorglicher und liebevoller fürwahr als irgendein Stallbursche das Roß mit Striegel und Bürste hätte pflegen können! Während nun Gawein in das Wasser starrte und sich all dessen bewußt war, kam ihn fast Zorn darüber an, daß er nicht verwundet und mit Drachenblut bespritzt war. Gringolette war durchaus nicht müde. Doch würde das treue Roß jetzt noch imstande sein, so lange in der Wassertiefe gegen den Strom zu schwimmen? Gawein klopfte mit der gepanzerten Hand dem Roß den noch seidenweichen Nacken, und es erschauerte selig unter der wohlbekannten, wenn auch im Panzerhandschuh etwas unsanften Liebkosung. Gawein glaubte, es wagen zu dürfen, da Gringolette noch nicht gar so alt war, und so drängte er denn das treue Tier, dem er die Sporen in die Seiten preßte, zum Ansetzen und nach kurzem Zaudern tat es den Sprung in die Abgrundtiefe. Das ruhig dahinfließende Wasser brauste schäumend hoch auf, und Gringolette hob leicht keuchend den Kopf empor und blickte mit etwas entsetzten Augen auf die starke Strömung, gegen die es nun anzukämpfen galt ...
Da erklang lautes Lachen. Erstaunt sah Gawein empor und erschaute am Ufer des Flusses, wo er herabgesprungen war, einen jungen Hirten inmitten seiner Schafe. Die Sonne sank über der Ebene, die sich wie ein Purpurtal dehnte, und glühte noch golden zwischen den geballten weißen Wolkenmassen hervor, als wollte sie die mit sich hinabziehen, und auf die wollenen Rücken der blökenden Schafe fiel letzter goldener Schein. Über den einer Kathedrale gleichenden Berg, aus dessen Höhlung Gawein entwichen war, flossen violette Tinten, und mattviolett spiegelte er sich in dem dahinströmenden Flusse, der fast wie ein Meer schien, da das jenseitige Ufer der weiten Wasser in fahlweiß aufsteigenden Nebeln nicht zu erschauen war. Als Gawein den Hirten entdeckte, wurde er zornig. Allein er beherrschte sich auch so geringem Manne gegenüber und rief daher ruhig zu dem hohen Abhang empor:
"Darf ich dich, du junger Fant, fragen, warum du dort oben an dem sicheren hohen Ufer so fröhlich lachst, dieweil hier unten ein Ritter mühsam sein gutes Roß gegen den Strom zu der dort in der Ferne gelegenen Burg zwingen muß?"
...