E-Book, Deutsch, Band 10, 360 Seiten
Reihe: Drachenzähmen leicht gemacht
Cowell Drachenzähmen leicht gemacht (10). Suche nach dem Drachenjuwel
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-401-80690-7
Verlag: Arena Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Original-Bücher zur abenteuerlichen Drachen-Saga ab 10
E-Book, Deutsch, Band 10, 360 Seiten
Reihe: Drachenzähmen leicht gemacht
ISBN: 978-3-401-80690-7
Verlag: Arena Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Cressida Cowell verbrachte ihre Kindheit in London und auf einer kleinen unbewohnten Insel an der Schottischen Westküste. Neben der Aufzeichnung von Hicks' berühmten Memoiren hat sie mehrere Bilderbücher geschrieben und illustriert. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Hammersmith, England.
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1. DER KRIEGER
In einer kalten mondhellen Winternacht saß ein gigantischer Krieger wie ein grausamer Todesengel hoch oben im Geäst eines Baums im Vergessenen Wald.
Der Krieger war auf der Jagd. Seit vielen Tagen folgte er der Spur des Verbannten. Und er war entschlossen, den Verbannten, diesen Feind des Wilderwest, zu töten.
Das Visier hatte er heruntergeklappt. Das Schwert lag in seiner Hand, bereit für den Todeshieb. Er saß still wie eine Statue, nur die hellen blauen Augen blickten aufmerksam auf den Pfad hinab, der sich weit unter ihm durch den Wald schlängelte.
Es war eine Zeit, in der Drachen und Menschen gegeneinander Krieg führten, deshalb war es den Menschen streng untersagt, auf Drachen zu reiten. Doch dieser Krieger saß erstaunlicherweise auf dem Rücken eines Drachen, der sich faul, aber höchst aufmerksam auf der gesamten Länge des Astes ausgestreckt hatte. Der Drache war ein Luftdrache mit Hautschuppen wie aus reinstem Silber. Er war sehr, sehr selten. Und sehr, sehr gefährlich.
Auch er blickte auf den verschneiten Pfad hinunter, nur seine Schwanzspitze bewegte sich langsam und rhythmisch wie der Schwanz einer lauernden Katze.
Es herrschte völlige Stille. Erst nach einer Weile waren leise Geräusche zu hören. Der Krieger hatte die Augen geschlossen, aber jetzt, tief hinter dem geschlossenen dunklen Visier, flogen sie plötzlich auf.
Irgendwo in der Ferne stapfte ein Mensch auf dem Waldpfad daher. Dieser Mensch war »Der Verbannte« und genau die Person, auf die der Krieger wartete.
Der Krieger grunzte zufrieden und setzte sich aufrecht.
Wenn man sich diesen Verbannten aus der Nähe anschaute (was der Krieger nicht tun konnte, jedenfalls nicht aus dieser Entfernung), musste man zugeben: Er sah nun wirklich nicht aus, wie man sich einen Verbannten vorstellte. Und im Moment sah er auch ganz anders aus als der selbstbewusste, clevere Junge, der er noch vor zwei Stunden gewesen war, als er direkt unter den Nasen der Westgrobiane ein paar Drachen befreit hatte.
Er war ungefähr dreizehn Jahre alt und hieß Hicks der Hartnäckige vom Hauenstein der Dritte, ein sehr magerer und völlig gewöhnlich aussehender Junge, mit einer Narbe, die die Menschen »Sklavenmal« nannten – ein S-förmiges Brandmal, das ein wenig an die Umrisse eines Drachen erinnerte und sich dunkelviolett über eine Seite seiner Stirn zog.
Seit vielen Monaten hatte Hicks nur noch im Freien geschlafen, in Baumwipfeln oder in Höhlen, und alles, was er in dieser Zeit zu essen bekommen hatte, waren Beeren und Nüsse und die wenigen Essensreste, die er voller Angst aus den Dörfern gestohlen hatte, wenn alle Bewohner schliefen.
Jeden Tag setzte er sein Leben aufs Spiel – wenn er die Drachenfallen zerstörte, die die Wikinger aufgestellt hatten, und wenn er vor den Menschen und vor den Jagddrachen des Roten Zorns floh. Das alles hatte ihn völlig entkräftet.
Und deshalb sah er hier, im Mondlicht, genau so aus, wie er sich fühlte: einsam. Halb verhungert. Und voller Angst.
Hicks trug einen feuerfesten Anzug aus Drachenleder, der ihn von Kopf bis Fuß schützte, aber leider von Dornen und Ästen an vielen Stellen zerrissen war. Er war schmutzig und verdreckt und seine Augenlider zuckten nervös. Steif vor Kälte, Angst und Anstrengung schleppte er sich den Waldpfad entlang. Eines seiner Augen war blau unterlaufen; er hinkte ziemlich stark, wie auch der Reitdrache, der neben ihm ging. Der Espenlaubler war völlig erschöpft, weshalb Hicks nicht auf ihm ritt, und stieß müde Dampfwolken in die kalte Luft.
Um Hicks’ Kopf flatterten zwei kleine Jagddrachen. Der eine, der Wotansfang, war sehr, sehr alt, und seine Flügel ziemlich zerschlissen. Der andere, Ohnezahn, war sehr jung, grasgrün – und der unartigste Drache im ganzen Archipel.
Hicks und die beiden kleinen Drachen redeten leise auf Drachenesisch miteinander.
»Ich sage dir doch, Hicks«, sagte der Wotansfang mit seiner brüchigen, alten Stimme, »deine Suche ist eigentlich ganz einfach. Du musst nur das Drachenjuwel finden, und wenn du es hast, gehst du zur Insel des Neuen Tages und lässt dich zum König krönen. Danach werden dir die Wächter der Insel das Geheimnis des Drachenjuwels verraten und dann kannst du diesen dummen Krieg endlich beenden und die Drachen und die Menschen vor ihrem Untergang bewahren.«
»Ha-ha-hast du mich gesehen?«, quiekte Ohnezahn. »Ha-ha-hast du meinen Sturzflugangriff auf diesen blöden Westgrobian gesehen? War ich nicht clever? B-b-brillant? Ei-ei-einfach sagenhaft?«
»Ja, du warst ganz wunderbar, Ohnezahn. Aber könntest du vielleicht ein bisschen leiser reden? In diesem Wald halten die Walddrachen ihren Winterschlaf und die wollen wir wirklich nicht aufwecken.«
Hicks rieb sich den Nacken und seufzte, weil ihm seine Familie und seine Freunde so sehr fehlten. Ein Verbannter zu sein war doch eine sehr, sehr einsame Angelegenheit.
»Es ist nämlich so, Wotansfang, dass nichts ganz einfach ist. Die Stämme müssen mich erst mal als König haben wollen, mich, einen Sklaven! Wer König werden will, braucht also viele menschliche Gefolgsleute, nicht nur drei Drachen. Außerdem habe ich alle Verlorenen Dinge verloren und Alwin der Verräter besitzt jetzt schon acht davon.«
»Mi-mi-mich hast du aber noch!«, quiekte Ohnezahn und landete auf Hicks’ Arm. »Ich bin auch eines von den Verlorenen D-D-Dingen und außerdem das aller-aller-allerbeste!«
»Benimm dich anständig!«, mahnte der Espenlaubler milde. »Vergiss nicht, Ohnezahn, dass du nicht prahlen sollst!«
»Okay«, murmelte Ohnezahn und runzelte die Stirn. »Aber kann Ohnezahn wenigstens das … Beste sein, bi-bi-bitte?«
»Die Karte sagt, dass sich das Juwel in den Bernstein-Sklavenlanden befindet», sagte der Wotansfang. »Warum gehen wir nicht einfach dorthin?«
»Weil mir meine Instinkte sagen, dass das Juwel nicht dort ist«, antwortete Hicks.
»Das ist nur, weil dein Herz nicht bei der Suche ist«, sagte der Wotansfang ernst, »sondern auf einer ganz anderen Suche, nämlich der Suche nach deinem Vater und nach Fischbein. Gib es zu, das ist der Grund, warum wir hier sind.«
Und tatsächlich war das der Grund, warum sie hier waren. Gerüchten zufolge sollten sich die Raufbolde hier in dieser Gegend versteckt halten, nachdem ihr Dorf auf der Heimatinsel Berk vom Drachen Wildwut vollständig niedergebrannt worden war.
»Okay«, gab Hicks zu. »Ich mache mir Sorgen um Fischbein. Er hat sich immer auf mich verlassen …«
Fischbein war ein so genannter »Kümmerling«, der vor dreizehn Jahren als Säugling am Strand von Berk angespült worden war. Er hatte keine Eltern und so war es gekommen, dass sich Hicks um ihn gekümmert und dafür gesorgt hatte, dass ihn die anderen Raufbolde nicht ständig quälten und schikanierten.
»Und diese Suche kommt der anderen Suche in die Quere«, unterbrach ihn der Wotansfang, »nämlich der Suche nach dem Juwel.«
»Nicht ganz«, widersprach Hicks, »weil ich nämlich nicht glaube, dass sich das Drachenjuwel in den Bernstein-Sklavenlanden befindet, egal was die Karte sagt.«
Inzwischen waren sie sehr lange marschiert und hielten nun an, um sich ein wenig auszuruhen – genau unter dem Baum, auf dem der Krieger saß. Hicks holte die Karte heraus.
Die Karte war ganz schön kompliziert! Auf ihr war ein Bild von den Bernstein-Sklavenlanden zu sehen, mit einem Labyrinth aus Spiegeln und der Kerkerburg Düsterherz, und mittendrin hatte Grimmbart das Drachenjuwel eingezeichnet und netterweise sogar einen Pfeil dazugemalt und in Großbuchstaben »DRACHENJUWEL« darübergeschrieben.
Die drei Drachen schauten Hicks über die Schulter. Und genau das taten auch der Krieger und sein silberner Reitdrache, die hoch über Hicks drohend im Baum lauerten.
»Schaut doch, hier«, sagte Hicks und deutete auf einen Fisch, der am oberen Rand der Karte eingezeichnet war – so groß, dass er sich von der linken zur rechten Ecke erstreckte. »Was soll das sein?«
Man kann sich immer darauf verlassen, dass Wikinger und ihre Drachen, die ständig auf und über dem Meer unterwegs sind, sämtliche Fischarten genau kannten.
»Dieser Fisch gehört zur Familie der Heringe«, erklärte der Wotansfang.
»Aber welche Fischart ist es genau?«
»Eine Finte!«, krähte Ohnezahn triumphierend. »Frag mich noch mal was! Ich kenne nämlich a-a-alle Fische!«, vertraute er dem Wotansfang an.
»Eine Finte, genau!«, sagte Hicks. »Und eine Finte bedeutet bei den Menschen auch, dass man auf eine falsche Fährte geführt wird! Und nach allem, was ich über Grimmbart den Abscheulichen...




