E-Book, Deutsch, Band 12, 390 Seiten
Reihe: Drachenzähmen leicht gemacht
Cowell Drachenzähmen leicht gemacht (12). Der letzte Drachenkönig
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-401-80816-1
Verlag: Arena Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Original-Bücher zur abenteuerlichen Drachen-Saga ab 10
E-Book, Deutsch, Band 12, 390 Seiten
Reihe: Drachenzähmen leicht gemacht
ISBN: 978-3-401-80816-1
Verlag: Arena Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Cressida Cowell verbrachte ihre Kindheit in London und auf einer kleinen unbewohnten Insel an der Schottischen Westküste. Neben der Aufzeichnung von Hicks' berühmten Memoiren hat sie mehrere Bilderbücher geschrieben und illustriert. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Hammersmith, England.
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1. KANN ES NOCH SCHLIMMER KOMMEN?
Am letzten Tag des Julfests lag Hicks der Hartnäckige vom Hauenstein der Dritte bewusstlos auf dem Strand der kleinen Insel Heldenhaftes Ende.
Es war ein bitterkalter Tag, die Sonne kämpfte sich mühsam über den Horizont, während der Winterwind wie hundert Geister heulte, der Morgennebel undurchdringlich über Meer und Land lag und der Rauch des Krieges so dicht über alles waberte, dass man kaum noch die eigene Hand vor Augen hatte.
Doch der Nebel war auch ein Segen, denn er verhüllte die Zerstörung, die ringsum herrschte. Er verbarg die Drachen, die in der Nacht aufgestiegen waren, um unseren Helden zu jagen. Er verhüllte die mächtige Armee des Drachen Wildwut, die nun allmählich erwachte und sich aus ihrem Lager in der Schiffbruchbucht auf die Suche machte.
Und er verbarg den Helden selbst.
Hicks war schon immer ein unauffälliger Junge gewesen, jedenfalls für einen Wikingerhelden; sein Gesicht war so völlig normal, dass es schwer war, sich daran zu erinnern. Aber im Moment bot er einen wahrhaft elenden Anblick – wie eine Vogelscheuche, die jemand versehentlich zertrampelt hatte. Halb lag er noch im Wasser, bedeckt mit Tang, und die Kleider hingen ihm zerfetzt am Leib. Beide Augen waren fast zugeschwollen und blutunterlaufen, das Gesicht zerkratzt von den Krallen der Drachen, der ganze Körper vom Meersalz verkrustet. Der Spiondrache hatte ihn am Tag zuvor in den linken Arm gebissen, der nun angeschwollen war, und auf seiner linken Körperhälfte hatte sich eine üble, unheimliche Rötung ausgebreitet.
Er bot einen seltsamen Anblick, dieser Held, aber wenigstens lebte er noch … ein bisschen jedenfalls.
Auf Hicks’ Brust hockte ein sehr alter Jagddrache namens Wotansfang. Er hatte schon über tausend Jahre auf dem Buckel und war so verrunzelt wie braunes, zerbröselndes Laub.
Der Wotansfang hatte vergeblich versucht, Hicks weiter auf den Strand zu ziehen. Er hatte ihn am Kragen gepackt und mit aller Kraft an ihm gezogen, hatte sich mit seinen altersschwachen Beinen in den Sand gestemmt, aber er war nun mal kaum größer als ein Kaninchen, weshalb er es nicht geschafft hatte, den bewusstlosen Jungen auch nur einen Fingerbreit von der Stelle zu bewegen.
»Ach du meine Güte, ach du meine Güte«, stöhnte der Wotansfang verzweifelt, wärmte Hicks’ Herz mit seiner eigenen Körperwärme und blies ihm warmen Drachenatem ins Gesicht, um ihn aufzuwecken. »Viel schlimmer kann es wirklich nicht mehr kommen … sie werden uns finden, wenn wir nicht bald von hier verschwinden. Und außerdem habe ich Angst, dass die Flut bald kommt und dass du darin ertrinkst. Wach endlich auf, Hicks, wach auf! Du musst aufwachen!«
Und tatsächlich zuckten die Augenlider des Jungen. Voller Verzweiflung spuckte ihm der kleine Drache ein wenig Meereswasser ins Gesicht. Prustend und hustend, drehte der Junge den Kopf weg.
»Danke, ihr mächtigen Himmelsflügel!«, rief der Wotansfang aus und hüpfte vor Begeisterung umher. »Er lebt!«
Der Junge öffnete die Augen. Oder eines davon. Das andere war so zugeschwollen, dass es sich kaum zu einem Schlitz öffnen ließ.
»Oh, Hicks«, seufzte der Wotansfang, »es tut mir so leid, aber du musst so schnell wie möglich aus dem Wasser heraus … die Flut kommt!«
Stöhnend richtete sich Hicks auf, hustete, keuchte, fasste sich an den Kopf, der so sehr schmerzte, als würde Thor mit seinem mächtigen Hammer auf die Schädeldecke einschlagen.
»Wo … wo bin ich?«, flüsterte Hicks benommen, während er um Atem rang.
»Auf der kleinen Insel Heldenhaftes Ende«, erklärte der Wotansfang. »Dein Boot ist gesunken, mitsamt den Verlorenen Dingen, fürchte ich. Aber Alwin hat sie geborgen, und das bedeutet, dass wir es eigentlich ein bisschen eilig haben …«
»Boot? Welches Boot? Und warum war ich auf einem Boot?«, unterbrach ihn Hicks. »Wer ist dieser Alwin? Was sind die Verlorenen Dinge? Wer bist du? Und, was noch wichtiger ist … wer bin ich?«
Der Wotansfang starrte ihn fassungslos an.
»Äh … wie bitte?«
»Wer bin ich?«, wiederholte Hicks.
»Du … du weißt nicht mehr, wer du bist?«, quiekte der Wotansfang entsetzt. »Willst du mir allen Ernstes sagen, dass du nicht weißt, wer du bist?«
Hicks schüttelte den Kopf.
»Ach du meine Güte. Ach du meine Güte«, stöhnte der Wotansfang. »Als wäre alles nicht schon schlimm genug … Kann es wirklich noch schlimmer kommen? Der Junge hat das Gedächtnis verloren!«
Der Wotansfang hatte recht, fürchte ich. Als sein Boot im Meer versank, war der Mast auf Hicks’ Kopf heruntergekracht. Der Schlag hatte ihm das Gedächtnis genommen.
»Tut mir leid«, stieß Hicks zitternd vor Kälte hervor. »Ich kann mich an nichts erinnern – wer ich bin, warum ich hier bin, überhaupt nichts!«
Er versuchte, sich zu erinnern, aber es war, als wäre der dichte, alles erstickende Nebel in seinen Kopf gedrungen und hätte dort heillose Verwirrung gestiftet.
Hicks wusste nur noch eins: dass er entsetzlich fror, dass seine Wunden schmerzten, dass etwas Furchtbares geschehen war und dass er irgendetwas tun musste, das sehr, sehr wichtig war.
»Du meine Güte – das ist eine Katastrophe! Und außerdem eine sehr, sehr lange Geschichte!«, jammerte der Wotansfang und hüpfte vor Angst von einem Bein auf die drei anderen. »Ich kann nur immer wieder betonen, dass wir es sehr eilig haben. Ich bin Wotansfang und du bist Hicks der Hartnäckige vom Hauenstein der Dritte und außerdem bist du ein sehr großer Held!«
»Bin ich das?«, fragte Hicks überrascht und blickte auf seine armselige, zerlumpte Gestalt hinunter. »Kommt mir ein bisschen unwahrscheinlich vor.«
»Du kannst es mir ruhig glauben«, sagte der Wotansfang. »Natürlich siehst du im Moment nicht grad wie ein Held aus, aber du bist einer. Na ja, vielleicht nicht grad der übliche Typ eines Wikingerhelden, aber du bist clever und sprichst Drachenesisch, eine seltene Gabe unter den Menschen. Es ist übrigens sehr seltsam, dass du dich an nichts erinnern kannst, aber immer noch Drachenesisch sprichst …«
»Ja stimmt!«, rief Hicks überrascht, denn tatsächlich hatte er dem Wotansfang auf Drachenesisch geantwortet.
»Du wirst dich konzentrieren müssen«, jammerte der Wotansfang weiter und versuchte, nicht in Panik zu geraten, was ihm allerdings nicht sehr gut gelang. »Wir sind nämlich grade in keiner günstigen Lage. Schau mal, dort! «
Damit deutete der Wotansfang mit zitterndem Drachenflügel nach Nordosten. Hicks konnte mit dem einen Auge nichts sehen, so zugeschwollen, wie es war, deshalb legte er den Kopf ein wenig nach links und schaffte es, mit den Fingern das verschwollene rechte Augenlid zu öffnen, sodass er nun wenigstens etwas erkennen konnte.
»So weit kann ich nicht sehen«, klagte Hicks. Das lag allerdings auch am dichten Nebel, in dem kein Mensch sehr weit sehen konnte.
»Na gut – dann wirst du mir eben glauben müssen«, quiekte der Wotansfang. »DORT DRÜBEN, im Mordsgebirge, hat der Drache Wildwut ein Heer von Drachen versammelt, ein so riesiges Heer, wie es die Welt noch nie gesehen hat. Er hat eine Unmenge Drachen zusammengerufen, mit einem einzigen Ziel. Und dieses Ziel ist … die Vernichtung der gesamten Menschheit!«
Danach herrschte eine Weile bedrücktes Schweigen.
Hicks schluckte heftig, während ringsum der Nebel waberte, ihm in die Nase stieg und einen neuen Hustenanfall auslöste. Das eiskalte Meereswasser war ihm bis in die Knochen gedrungen, weshalb er nun unbeherrschbar zitterte und das Herz bis zum Hals pochen hörte: bumm, bumm, bumm.
»Julfest …«, flüsterte Hicks, während ihm nun allmählich wieder Erinnerungsfetzen einfielen und die grauenhafte Wahrheit heraufdämmerte, so grausam wie der Anblick einer Haiwurmflosse, die durch das Wasser schnitt und wieder verschwand. »Julfest – der letzte Tag des Julfests … die letzte große Schlacht zwischen Menschen und Drachen.«
Unsicher starrte Hicks in den Nebel. »Bist du dir sicher?«
»Absolut sicher«, stotterte der Wotansfang. »Und du, Hicks der Hartnäckige vom Hauenstein der Dritte, bist die einzige und letzte Hoffnung der Menschen und der Drachen.«
»Bin ich das?«, stammelte Hicks. »Ich?«
Er stieß ein ungläubiges Lachen aus und blickte noch einmal an sich hinunter: auf seine Beine, so dünn wie Bohnenstroh, der rechte Arm mager wie ein Hähnchenflügelknochen, während der linke von etwas angegriffen worden sein musste, denn er war auf die doppelte Größe angeschwollen. Und er war auch sehr stark gerötet, genau wie seine ganze linke Körperhälfte.
»Helden müssen mit dem Schwert kämpfen und Streitäxte schwingen und Speere werfen und so weiter. Was kann ich schon gegen eine ganze Drachenarmee ausrichten, so wie ich aussehe?«, fragte Hicks verzweifelt.
»Also, eigentlich bist du ein erstaunlich guter Schwertkämpfer.«
Hicks wedelte mit einem Arm. »Aber im Moment eben nicht! Ich könnte das Schwert nicht einmal halten! Was soll ich machen – soll ich mit den Armen flattern, bis die Feinde tot umfallen? Ich könnte ihnen höchstens ins Gesicht niesen, vielleicht kriegen...




