Crombie | Alles wird gut | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 304 Seiten

Reihe: Die Kincaid-James-Romane

Crombie Alles wird gut

Roman
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-641-10747-5
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 2, 304 Seiten

Reihe: Die Kincaid-James-Romane

ISBN: 978-3-641-10747-5
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als die schwerkranke Jasmine Dent stirbt, wundert sich niemand über ihren Tod - bis auf ihren Nachbarn, Superintendent Duncan Kincaid. Er ordnet eine Obduktion an, die eine Überdosis Morphium als Todesursache ergibt. Selbstmord, Sterbehilfe oder gar Mord? Zusammen mit seiner Assistentin Sergeant Gemma James nimmt Kincaid die Ermittlungen auf und stößt schnell auf eine ganze Reihe von Verdächtigen ...

Der zweite Roman um Superintendent Duncan Kincaid und Inspector Gemma James.

Deborah Crombies höchst erfolgreiche Romane um Superintendent Duncan Kincaid und Inspector Gemma James von Scotland Yard wurden mit dem 'Macavity Award' ausgezeichnet und für den 'Agatha Award' und den 'Edgar Award' nominiert. Die Autorin lebt mit ihrer Familie im Norden von Texas, verbringt aber viel Zeit in England, wo ihre Romane angesiedelt sind.

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1


Jasmine Dent ließ sich in die Kissen zurücksinken und schloß die Augen. Morphium umhüllt das Bewußtsein wie der Flaum einen Pfirsich, dachte sie schläfrig und lächelte ein wenig über ihre Metapher. Eine Weile schwebte sie zwischen Wachen und Schlafen, nahm die gedämpften Geräusche wahr, die durch das offene Fenster hereindrangen, und das Sonnenlicht, das auf dem Fußende ihres Betts lag, war jedoch unfähig, sich aus der Benommenheit zu befreien.

Ihre frühesten Erinnerungen hatten mit Hitze und Staub zu tun, und der ungewöhnlich warme Aprilnachmittag beschwor Gerüche und Geräusche herauf, die ihr durch das Gedächtnis spukten wie die Geister lang vergessener Verstorbener. Jasmine fragte sich, ob die Erinnerung an die langen, sich träge dahinschleppenden Stunden ihrer Kindheit irgendwo in den Zellen ihres Gehirns eingeschlossen war und nur darauf wartete, in ihr Bewußtsein einzubrechen, mit dieser besonderen Luzidität, die den Erinnerungen Sterbender zugeschrieben wird.

Sie war in Indien geboren, in Mayapore, in einer Zeit, als die britische Herrschaft über Indien ihr Ende fand. Ihr Vater, ein kleiner Beamter, hatte den Krieg in irgendeiner obskuren Behörde ausgesessen. 1947 hatte er sich dafür entschieden, in Indien zu bleiben und sich mit seiner Pension recht kümmerlich durchgeschlagen.

An ihre Mutter hatte sie kaum Erinnerungen. Fünf Jahre nachdem sie Jasmine zur Welt gebracht hatte, war sie bei Theos Geburt gestorben, im Sterben so zurückhaltend und bescheiden wie im Leben. Hinterlassen hatte sie nichts als einen schwachen Duft nach englischen Rosen, der sich in Jasmines Bewußtsein mit dem Klappern geschlossener Fensterläden und dem Summen von Insekten vermischte.

Eine leichte Erschütterung des Betts riß Jasmine aus ihren Fantasien. Sie hob ihre Hand und schob ihre Finger in Sidhis flauschiges Fell. Einen Moment öffnete sie die Augen und starrte auf ihre Finger, deren geschwollene Gelenke von fragilen Brücken aus Haut und Muskeln zusammengehalten wurden. Der Körper der Katze, ein schwarzer Farbklecks auf dem Orangerot der Bettdecke, schmiegte sich pulsierend an ihre Hüfte.

Nach einer Weile strich sie der Katze ein letztes Mal über den seidenglatten Kopf, dann richtete sie sich mühsam auf, um sich auf die Bettkante zu setzen. Automatisch griff sie prüfend an den Katheter in ihrer Brust. Seit sie das Krankenhausbett in ihr Wohnzimmer hatte stellen lassen, war sie den klaustrophobischen Gefühlen entronnen, die sich ihrer bemächtigt hatten, als sie über immer längere Zeiträume an ihr kleines Schlafzimmer gefesselt wurde. So, von ihren persönlichen Dingen umgeben und mit den zum Garten geöffneten Fenstern, durch die das Sonnenlicht herein konnte, erschien ihr das Schrumpfen ihrer Welt erträglicher.

Zuerst eine Tasse Tee, dann ein paar Bissen von dem Abendessen, das Meg ihr gebracht hatte, soviel sie eben hinunterbringen konnte, und danach konnte sie es sich für den Abend vor dem Fernsehapparat bequem machen. In kleinen Schritten planen, jedem Vorgang den gleichen Stellenwert geben – das war die Technik, die sie sich angeeignet hatte, um jeden neuen Tag zu meistern.

Sie stemmte sich vom Bett in die Höhe und schlurfte, in einen indischen Seidenkaftan in leuchtenden Farben gehüllt, in die Küche. Gedeckter britischer Flanell war nie ihre Sache gewesen; jetzt allerdings hing der Kaftan so lose an ihr wie ein Stück Wäsche auf der Leine. Einem genetischen Zufall hatte sie es zu verdanken, daß sie exotischer aussah, als bei ihrer rein englischen Herkunft zu erwarten gewesen wäre – zierlich und dunkel, mit schwarzen Augen und schwarzem Haar. Den in Kalkutta verbliebenen englischen Schulkameradinnen war sie eine Zielscheibe des Spotts gewesen. Jetzt, mit dem knabenhaft kurzen dunklen Haar und den übergroß wirkenden Augen in dem mageren Gesicht, wirkte sie ätherisch und trotz ihrer Krankheit jünger als sie war.

Sie setzte den Wasserkessel auf und stieß, an die Küchenspüle gelehnt, das Fenster auf, um in den Garten hinauszublicken.

Sie wurde nicht enttäuscht. Der Major patrouillierte in seiner Uniform – ausgeleierte graue Wolljacke und alte Flanellhose  – mit der Gartenschere in der Hand durch das kleine Hintergärtchen, bereit, jedem aufmüpfigen Zweiglein sofort den Garaus zu machen. Er sah zu ihr hinauf und hob grüßend die Schere. Jasmine rief: »Tee?«, und als er zustimmend nickte, kehrte sie an den Herd zurück und widmete sich mit ganzer Aufmerksamkeit dem Ritual der Teezubereitung.

Sie trug die Tassen zur Treppe, die von ihrer Wohnung in den Garten hinunterführte. Der Major hatte die Souterrainwohnung und betrachtete den Garten als seine Domäne. Sie und Duncan, der über ihr wohnte, waren nur privilegierte Außenseiter. Die Holzdielen der obersten Stufe drückten hart gegen ihre Knochen, als sie sich vorsichtig niedersetzte.

Der Major kam die Stufen herauf und setzte sich neben sie. Mit einem Brummen nahm er seine Tasse in Empfang.

»Herrlicher Tag«, sagte er anstelle eines Dankesworts. »Wäre schön, wenn es eine Weile so bliebe.« Er trank von seinem Tee. »Geht’s Ihnen gut heute?« Er sah sie nur eine Sekunde lang an, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf Narzissen und Tulpen richtete.

»Ja«, antwortete Jasmine lächelnd.

Der Major war nun einmal kein gesprächiger Mensch. Diese lakonischen Bemerkungen waren seine Art des Monologs, und diese immer gleiche Frage war die einzige Anspielung, die er je auf ihre Krankheit machte.

Sie tranken schweigend. Der Tee und die Spätnachmittagssonne wärmten sie beide. Schließlich sagte Jasmine: »Ich glaube, ich habe den Garten nie so schön gesehen wie in diesem Frühjahr, Major. Kommt das daher, daß ich jetzt alles bewußter wahrnehme, oder ist er dieses Jahr wirklich schöner?«

»Hm«, brummte er in seine Tasse und räusperte sich dann in Vorbereitung auf das schwierige Geschäft des Antwortgebens. »Könnte sein. Das Wetter war ja wirklich gut.« Stirnrunzelnd zog er seine Finger über die Spitzen der Gartenschere, um zu prüfen, ob sich irgendwo Rost festgesetzt hatte. »Aber die Tulpen sind fast verblüht.« Und die Tulpen durften auch nicht über die Hochzeit ihrer Blüte hinaus verweilen. Beim ersten gefallenen Blütenblatt würde ihnen der Major mit einem schnellen gnädigen Schnitt den Kopf vom Stengel trennen.

Jasmines Mund zuckte bei dem Gedanken – zu schade, daß ihr niemand einen solchen Dienst erweisen konnte. Sie selbst war vor ihrem letzten Entschluß zurückgeschreckt – ob aus Kleinmütigkeit oder Mut hätte sie nicht sagen können. Und Meg – es war zuviel verlangt gewesen, sie hatte nicht das Recht gehabt, sie darum zu bitten. Jasmine verstand jetzt nicht mehr, wie sie überhaupt auf einen solchen Gedanken hatte kommen können.

Als Meg heute gekommen war, hatte sie noch verhuschter ausgesehen als sonst, und ihre breite Stirn war von Sorgenfalten durchfurcht gewesen. Jasmine hatte ihre ganze Kraft gebraucht, um Meg davon zu überzeugen, daß sie es sich anders überlegt hatte, und dabei hatte sie ständig das Ironische der Situation gesehen. Sie war diejenige, die sterben mußte; aber Meg brauchte den Trost.

Sie konnte Meg nicht erklären, was in der Nacht mit ihr vorgegangen war. Sie wußte nur, daß sie bei ihrer schnellen Annäherung an den Tod einen Meridian überschritten hatte. Die Schmerzen machten ihr keine Angst mehr. Mit dem Annehmen ging die Fähigkeit einher, jeden Moment bewußt zu erleben und auszukosten, und eine ganz neue innere Zufriedenheit.

Die Sonne ging hinter dem behäbigen viktorianischen Haus jenseits des Gärtchens unter, und innerhalb eines Augenblicks wurde der goldene Schimmer seiner Mauern von kaltem Grau verdrängt. Die Luft lag plötzlich kühl auf Jasmines Haus, und sie hörte gedämpft den Verkehrslärm vom Rosslyn Hill, Zeugnis, daß noch immer betriebsames Leben sie umgab.

Der Major stand ächzend auf. »Ich mache besser weiter. Es wird bald dunkel sein.« Er neigte sich zu Jasmine herunter und half ihr so mühelos auf die Beine, als hätte sie überhaupt kein Gewicht. »Hinein mit Ihnen. Nicht daß Sie sich eine Erkältung holen.«

Jasmine hätte beinahe gelacht über die Absurdität der Vorstellung, daß sie an einer Erkältung erkranken könnte; als ließe sich irgendein äußerer Umstand mit den Verwüstungen vergleichen, die sich von innen in ihrem Körper ausbreiteten. Doch sie gestattete ihm, sie ins Haus zu führen und die Tassen abzuspülen.

Als er gegangen war, sperrte sie die Tür zum Garten ab und schloß die Fenster, zögerte jedoch einige Minuten, ehe sie die Jalousien herunterließ. Das Licht über den Dächern begann zu schwinden, und die Blätter der Birke im Garten fröstelten im Abendwind. Von Duncans Terrasse aus hätte sie sehen können, wie die Sonne hinter West-London unterging. Er zahlte einen hohen Preis für dieses Privileg und war so nett gewesen, sie einige Male daran teilhaben zu lassen, ehe ihr das Treppensteigen zuviel geworden war.

Duncan – hm, das war auch so etwas, das sie Meg nicht erklären konnte, zumindest nicht, ohne sie zu verletzen. Sie hatte nicht gewollt, daß Meg ihn kennenlernte; sie hatte ihn von ihrem übrigen Leben, von ihrer Krankheit getrennt halten wollen. Meg kümmerte sich mit solchem Eifer um sie, verfolgte die Entwicklung eines jeden Symptoms, überwachte ihre Pflege und die Verabreichung der Medikamente mit solcher Gewissenhaftigkeit, als sei Jasmines Krankheit ihre ganz persönliche Verantwortung. Duncan brachte ihr die Außenwelt, scharf und beißend, und wenn er auch mit dem Tod zu tun hatte, so war dieser Tod doch weit entfernt von ihrem...


Crombie, Deborah
Deborah Crombies höchst erfolgreiche Romane um Superintendent Duncan Kincaid und Inspector Gemma James von Scotland Yard wurden mit dem »Macavity Award« ausgezeichnet und für den »Agatha Award« und den »Edgar Award« nominiert. Die Autorin lebt mit ihrer Familie im Norden von Texas, verbringt aber viel Zeit in England, wo ihre Romane angesiedelt sind.



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