Dalos Gorbatschow
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-406-61341-8
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mensch und Macht
E-Book, Deutsch, Band 6021, 288 Seiten
Reihe: Beck'sche Reihe
ISBN: 978-3-406-61341-8
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
György Dalos, 1943 in Budapest geboren, lebt heute als freier Schriftsteller in Berlin. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter 1995 der «Adelbert-von-Chamisso-Preis», 2000 die «Goldene Plakette der Republik Ungarn» und 2010 der «Preis der Leipziger Buchmesse zur Europäischen Verständigung».
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Geschichte einzelner Länder Europäische Länder
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politikwissenschaft Allgemein Politische Geschichte
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- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtswissenschaft Allgemein Biographien & Autobiographien: Historisch, Politisch, Militärisch
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politikwissenschaft Allgemein Politik: Sachbuch, Politikerveröffentlichungen
Weitere Infos & Material
1;Cover;1
2;Titel;2
3;Zum Buch;3
4;Über den Autor;3
5;Impressum;4
6;Inhalt;5
7;1. Prolog;9
8;2. Ante portas;23
8.1;Moskau – Stawropol – Moskau;23
8.2;Dynastische Geheimnisse;24
8.3;Die Geförderten;26
8.4;Lehrjahre;29
8.5;Die Freundschaft;30
8.6;Liebe und Ehe;31
8.7;Am Scheideweg;33
8.8;Die langsame Ankunft;35
8.9;Frühe Zweifel;37
8.10;Lehr- und Meisterjahre;39
8.11;Die Macht und ihre Grenzen;41
8.12;Weder Asket noch Epikureer;45
8.13;Die Patienten des Doktor Tschasow;49
8.14;Agonie und Hoffnung;54
9;3. Der Aufbruch;55
9.1;Der Hoffnungsträger;55
9.2;Die wirtschaftliche Erbmasse;58
9.3;Unerwartete Schwierigkeiten;61
9.4;Die Antialkoholkampagne: eine vergeigte Ouvertüre;63
9.5;Friedenssignale;68
9.6;Gipfel in Genf;72
9.7;Der Weg nach Reykjavík und weiter;74
9.8;Entstehung eines Images;79
9.9;Schachzüge;81
10;4. Am Scheideweg;86
10.1;Tschernobyl – Fragen nach der Katastrophe;86
10.2;Die Rückkehr eines Verbannten;93
10.3;Altlasten;98
10.4;Die Last der Verbündeten;103
10.5;Die Militärs;108
10.6;Tagesordnungspunkt Sonstiges;110
11;5. Prozes poschjol – der Prozess ist in Gang gekommen;118
11.1;Dilemma um ein Jubiläum;118
11.2;Risse in der Fassade;121
11.3;Jelzin – ein unbeschriebenes Blatt;125
11.4;Mathias Rust – ein Geschenk des Himmels;132
11.5;Glasnost – Untergang der Zensur;136
11.6;Gorbatschows Geister;142
12;6. Der gordische Knoten;150
12.1;Eine frühe Überraschung;150
12.2;Entstehung eines Flächenbrands;155
12.3;Der kaukasische Kreidekreis;160
12.4;Unterwegs zwischen Inland und Ausland;166
12.5;Schattenboxen um die Partei;172
13;7. Das Jahr der Wende;181
13.1;Pluralismus – aber mit wem?;181
13.2;Das Pluralisierungswerk;192
13.3;Weg von den Satelliten;197
13.4;Denkzettel für Prag;200
13.5;Das Desaster von Bukarest;202
13.6;Kádárs Sturz;204
13.7;Nichteinmischung als Einmischung;207
13.8;Noch ein Dominostein: Bulgarien;212
13.9;Das deutsche Finale;212
14;8. Die einsame Supermacht;219
14.1;Das Elend rückt näher;219
14.2;Massaker in Tiflis;222
14.3;Die Tragödie von Baku;224
14.4;Die Sezession des Baltikums;226
14.5;Die russische Karte;230
14.6;Stilübungen um eine Machtabgabe;232
14.7;Boris Jelzin oder Der Beginn einer Doppelherrschaft;236
14.8;Vilnius: der Tiefpunkt;240
15;9. Zwischen Amt und Würde – ein Abgang;247
15.1;Ein Volk mit zwei Präsidenten;247
15.2;Geldnot und Brotmangel;250
15.3;Die Partei;253
15.4;Auf Geldsuche;255
15.5;Die Befreiung aus Foros;262
15.6;Der Weg in die Ohnmacht;264
16;10. Epilog;274
17;Zeittafel;277
18;Literaturverzeichnis;280
19;Namensregister;282
1. Prolog
Als Michail Gorbatschow mit seiner Familie im Jahr 1988 die neue staatliche Datscha auf der Halbinsel Krim bezog, an der Küste des Schwarzen Meeres, ein paar Kilometer entfernt von der Ortschaft Foros, reagierte die damals bereits freie sowjetische Öffentlichkeit auf diese Nachricht deutlich gereizt, wenn nicht geradezu empört. Man erinnerte den Parteichef nicht nur daran, dass er bereits ein ähnliches Sommerhaus in der Nähe Moskaus zur Verfügung hatte, sondern munkelte auch darüber, welche Rolle Raissa Gorbatschowa bei der Wahl des Ortes wohl gespielt habe. Die Fama meinte zu wissen, dass die anspruchsvolle Gattin sich in keinem Fall mit Leonid Breschnews ehemaliger hübscher Villa im nahe gelegenen Oreanda zufriedengeben wollte, und das luxuriöse Bauwerk nahe Foros, von Militärs erbaut, habe sie vor der Einweihung einer peinlichen Qualitätsprüfung unterworfen. Auch blieben vor allem in der Regenbogenpresse alle früheren «Sünden» der First Lady nicht unerwähnt, namentlich ihre ausgiebigen Einkaufstouren in London, Paris und anderen Städten, wohin sie ihren Mann bei Staatsbesuchen begleitet hatte. Die Kampagne wurde von den politischen Gegnern gestartet – Öl ins Feuer einer ohnehin unzufriedenen, immer labiler werdenden Gesellschaft.
Dabei weckte die Prachtvilla auf der Krim auch im engen Umfeld Gorbatschows mancherlei Zweifel. Die in eine Felswand hineingebaute einstöckige Residenz war von weiteren Gebäuden und Anlagen umgeben: Es gab ein Gästehaus, Wohnungen für das Personal, daneben Tennisplatz, Billardraum, Schwimmbad, Sauna und einen Kinosaal. Zum Anwesen gehörte noch ein Hubschrauber, der das Präsidentenpaar jederzeit zum Flughafen «Belbek» befördern konnte. Der treue Gorbatschow-Berater Anatolij Tschernjajew bezeichnete die Erholungsgewohnheiten seines Chefs als dessen «Achillesferse». Seinen Tagebuchaufzeichnungen zufolge wollte er bereits im Herbst 1988 gegenüber Gorbatschow die spitze Bemerkung gemacht haben:
Bei aller Süffisanz, die diesen Sätzen eigen ist, scheinen sie einem wichtigen Umstand nicht gebührend Rechnung zu tragen: Die Nummer eins der UdSSR und des Weltkommunismus hatte sich inzwischen auf zahlreichen Reisen davon überzeugen können, dass auch die Herren der freien Welt, selbst waschechte Demokraten, nicht eben in Lehmhütten wohnten. Macht wird auch ausgeübt, indem man sie repräsentiert. Die an die Amtszeit gebundene staatliche Datscha auf Foros dient bis heute ähnlichen Zwecken. Als der Autor dieser Zeilen sie im Sommer 2001 besichtigen wollte, versperrte ihm eine massive Tafel den Weg mit der Aufschrift: «Ukrainisches Grenzgebiet. Zufahrt verboten.» Gorbatschows einstige Sommerresidenz gehörte nun dem ukrainischen Präsidialamt und beherbergte Leonid Kutschmas Staatsgäste – zu jenem Zeitpunkt gerade den mazedonischen Staatschef.
Außer moralischen und politischen Vorbehalten bereitete das Landhaus am Kap Foros auch der Abteilung 9 des KGB, die für die Unterbringung von hochgestellten Personen zuständig war, so manches logistische Kopfzerbrechen. Das «Objekt Morgenröte» – diesen Tarnnamen hatte die Staatssicherheit dem kleinen Ferienparadies verpasst – liegt zwischen dem Schwarzen Meer und einem waldbedeckten Hügel, etwa zweieinhalb Kilometer von der Landstraße entfernt, die von Jalta nach Sewastopol führt und die hoch frequentierte Hauptverkehrsader der Halbinsel in Ost-West-Richtung ist. Dies bedeutete, dass Gorbatschows Erholungsort zwar von mehreren Seiten gut beobachtet, aber nur von der Wasserseite aus relativ unauffällig geschützt werden konnte – ein eindeutiges Manko, wenn es darum ging, äußere Bedrohungen effektiv abzuwehren. Jedenfalls brauchte man ein sorgfältig gestaffeltes System der Überwachung des «Objekts Morgenröte» und entsprechende Kommunikationskanäle. So lesen wir in einer zeitgenössischen Schilderung:
Gorbatschow selbst verfügte auf der Krim über direkte Telefon-, Funk- und Satellitenverbindungen, mit denen er jederzeit den Kontakt zur Moskauer Zentrale und notfalls auch zu ausländischen Staats- und Regierungschefs herstellen konnte. Außerdem erholten sich seine wichtigsten Helfer in den nahe gelegenen Datschen oder Erholungsheimen, um in greifbarer Nähe ihres Chefs sein zu können.
Von glücklichen Ferien in mediterraner Idylle konnte im siebten Jahr seiner Herrschaft für Gorbatschow noch weniger die Rede sein als zuvor. Er regierte ein krisengeschütteltes Land mit zerstörter Ökonomie, enormen sozialen Spannungen und offenen, oft blutigen nationalen Konflikten. Immerhin erschien im August 1991 ein kleines Licht am Ende des Tunnels: Die führenden Politiker der Moskauer Zentrale und der meisten Republiken einigten sich nach zähen Verhandlungen auf ein Bündnis, das durch einen Bundesvertrag «Union der Souveränen Staaten» abgesichert wurde. Zwar entsprach dieses Projekt keineswegs der Variante, für die 73 Prozent der Wähler bei dem Referendum vom März desselben Jahres votiert hatten und das im Wesentlichen eindeutig die Beibehaltung der UdSSR vorsah. Dennoch hatten die potenziellen Unterzeichner des Aktes versucht, von der ehemaligen UdSSR wenigstens das zu retten, was noch zu retten war: eine gemeinsame Verteidigungs- und Außenpolitik sowie einen gemeinsamen Wirtschaftsraum mit einheitlicher Währung, eine Konföderation mit Moskau als Hauptstadt und Russisch als offizieller Sprache. Daneben wurde den Teilrepubliken statt der früheren Autonomie ihre vollständige Souveränität zugesprochen.
Dieser historische Kompromiss beruhte hauptsächlich auf der Einigung zwischen dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow und seinem Kontrahenten, dem russischen Staatschef Boris Jelzin. Zumindest dem Schein nach wurde vorerst das Kampfbeil begraben. Zum Beweis der ernsthaften Absichten der künftigen Unterzeichner veröffentlichte die «Prawda» den Volltext des Bundesvertrages. Noch bevor Michail Gorbatschow am 4. August seinen Urlaub antrat, beauftragte er eine ebenfalls auf der Krim weilende Arbeitsgruppe unter der Leitung des Beraters Georgij Schachnasarow mit der Vorbereitung der Zeremonie, die sich am 20. August im Georgssaal des Großen Kremlpalastes ereignen sollte.
Als Urlaubsagenda hatte sich der Präsident das Schreiben der Eröffnungsrede für den Festakt vorgenommen. An diesem arbeitete er gemeinsam mit seinem Berater...




