Dax | »Was ich sah, war die freie Welt« | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Dax »Was ich sah, war die freie Welt«

24 Gespräche über die Vorstellungskraft
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98568-030-6
Verlag: Kanon Verlag Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

24 Gespräche über die Vorstellungskraft

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-98568-030-6
Verlag: Kanon Verlag Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Anstiftung zur Inspiration.Was ist Kreativität? Wie entsteht sie? Wie wollen wir leben? Max Dax verführt 24 weltberühmte und prägende Künstler:innen unserer Zeit zu den überraschendsten Antworten.»Weint die Erde, wenn ein Vulkan ausbricht?«, fragt Max Dax die Sängerin Björk. Diese antwortet: »Das ist eine lustige Frage. Wir sind einfach unglaublich stolz darauf, dass sich die Erde ausgerechnet bei uns auf Island meldet.« In seinen Interviews sucht Max Dax die Routine aufzubrechen und das Gespräch als Spiel zu eröffnen. So entstehen witzige, kluge und zum Teil aufsehenerregende Wortwechsel. Ob mit Quincy Jones, Isabella Rosselini oder Nina Hagen, ob mit Yoko Ono, Hans Ulrich Obrist oder Tony Bennett - jedes Gegenüber belohnt seine Aufschläge. »Was ich sah, war die freie Welt« ist ein Spiegelbild der jüngeren Gegenwart, indem es ihre Spannungspole offenlegt: zwischen Tradition und Avantgarde, Identität und Projektion, Introspektion und Glamour.»Seine Interviews sind wie Kurzgeschichten, im Sinne Hemingways, dessen Kurzgeschichten fast alle dialogisch sind. Ihre Dialoge zeichnen sich durch Präzision aus, durch Weglassungen ebenso wie durch präzise Wörter.« Klaus Theweleit»Max Dax ist ein Magier des Interviews: Wenn er fragt, beginnen seine Gesprächspartner nach den verschütteten Geschichten zu suchen, die sie noch keinem erzählt haben.«Sarah Connor

Max Dax ist Kurator, Journalist, Musiker und Schriftsteller. Er entwickelte die Show »Hyper - A Journey into Art and Music «in den Hamburger Deichtorhallen, war Chefredakteur der Magazine Alert, Spex und Electronic Beats und schrieb Bücher über die Einstürzenden Neubauten, CAN und Scooter. 2021 erschien sein Roman »Dissonanz«.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1.


Rindsgulasch Brooklyn


Horst Scheuer


2021, Wien

Ich sitze an Tisch 13. Wenn Sie das Berger & Lohn betreten und an der Bar nach links in den großen Speiseraum blicken, dann ist es gleich der zweite Tisch links. Ich sitze am Fenster.

Ein Glas Sauvignon.

Kennen Sie das Musso & Frank in Los Angeles?

.

Nun, das Berger & Lohn ist in gewisser Hinsicht meine Version des Musso & Frank. Man stelle sich umgekehrt vor, das Berger & Lohn hätte seinen Sitz in New York oder Los Angeles. Dort könnte es nicht ganz so sein wie hier. Aber es wäre mit Sicherheit der Versuch einer größtmöglichen Annäherung an Wien. Und diese Annäherung an ein Wien im Exil, diese Beschwörung eines Alten Europa in der transatlantischen Ferne, die gibt es jetzt genau hier als Umkehrschluss im 18. Bezirk. Ich sehe es immer wieder an Reisenden, die mein Restaurant besuchen, die lieben diesen Twist ganz besonders. Die erkennen dieses Spiel, das der Ort und sein Konzept mit ihnen spielen, oft sehr schnell und geradezu intuitiv. Sie begreifen, dass ich hier am Abend eine Stimmung zu erreichen versuche, wie meine Gäste sie vielleicht auch in einem wienerischen Restaurant eines Wiener Exilanten in Manhattan erleben würden.

Es gibt ein weiteres Vorbild. Das ist der Philosoph und Wiener Aktionist Oswald Wiener, der in den Siebzigerjahren als Staatsfeind aus Österreich flüchten musste, und in Westberlin das Restaurant Exil am Paul-Lincke-Ufer eröffnete. Und dieses Restaurant war das traditionsvollste wienerische Restaurant, das ich mir hätte ausmalen können. Nur dass es eben in Westberlin lag und nicht in Wien. Und meine Idee ist eben, ein solches Restaurant aus der Diaspora zurück ins Wien der Gegenwart zu verpflanzen. Es ist auch bezeichnend, dass die ganzen Kellner, die im Exil gearbeitet haben, heute fast alle ihre eigenen Restaurants aufgemacht haben, oder wie Bruno Brunnet in Berlin die Galerie Contemporary Fine Arts, CFA. Mein Partner, der Michi Lohn, war früher der Jungkellner im Exil. Und Attila Corbaci betreibt jetzt das Corbaci im Wiener Museumsquartier. Und Michel Würthle machte nach dem Exil mit der Paris Bar in Berlin weiter. Und dann ist da ja auch noch Ingrid Wieners Tochter Sarah. Es zeugt von einer unglaublichen Qualität, wenn die Crew nach dem Ende eines Restaurants auf einem derart hohen Niveau weitermacht. Sie alle wurden von Oswald Wiener und seiner Frau Ingrid auf eine Fährte gebracht und sind alle auf ihre Weise erfolgreich geworden. Und mehr noch: Sie bewahren nicht bloß, sie führen eine Idee weiter. Oswald Wiener hatte einen guten Draht zu seinen Kellnern. Er nahm sie selbstverständlich mit auf Ausstellungseröffnungen und auf Kunstmessen. Und das führte dazu, dass auch die Kellner mit der Zeit ein Kunstverständnis entwickelten und – nur als Beispiel – nicht nur David Bowie und Iggy Pop gut behandelten, sondern auch die manchmal unscheinbaren, oft mittellosen Künstler oder auch den amerikanischen Kunstsammler, der gerade ein paar Hunderttausend Mark für einen Cy Twombly ausgegeben hatte. Es gibt Legionen von Kellnern, die sich über den Kunsthändler hinter dessen Rücken lustig gemacht hätten. Oswald Wiener und seine Crew hatten dagegen ein anderes Verständnis und einen anderen Horizont.

Ja. Er war zwei Mal hier und ist stets bis in die Nacht geblieben. Ihn bewirten zu dürfen war mir schon eine besondere Ehre.

Ich habe drei Jahre in New York gelebt und dort auch gearbeitet. Das war die härteste und zugleich die schönste Zeit meines Lebens. Auf unserer nächsten Karte wird übrigens wieder ein Rindsgulasch stehen, das ganz klassisch serviert wird. Es wird aber »Rindsgulasch Brooklyn« heißen, weil ich einen Eingriff vornehmen werde, den ich genau so in Brooklyn habe erleben dürfen, als ich dort in einem wienerischen Restaurant gearbeitet habe. Dazu muss man wissen: Jedes zweite ernsthafte Restaurant in New York hat einen mexikanischen Küchenchef. In Mexiko gibt es zwei Kochschulen: die französische Küche und die italienische Küche. Mexiko stand für eine kurze Zeit aber auch unter österreichischer Herrschaft, zwischen 1864 und 1867 – da hatte Mexiko für drei Jahre mit Maximilian I. einen österreichischen Kaiser. Der wurde zwar anschließend an die Wand gestellt und erschossen, aber diese drei Jahre haben offenbar gereicht, dass es das eine oder andere österreichische Nationalgericht auch in Mexiko gibt, wenn auch in einer mit der Zeit vielleicht verwässerten oder angepassten Form. Und unser mexikanischer Küchenchef in Brooklyn hat damals ein ganz tolles Wiener Saftgulasch gekocht, wenngleich mit Modifikationen. Traditionell wird das Saftgulasch mit nicht so edlem Fleisch gekocht. Es hat Sehnen und ist durchaus flachsig. Die Sehnen und die gelierten Teile sind aber sehr wichtig für die Konsistenz des Saftes. Will man dieses Gericht also aufwerten, kocht man es mit besagtem flachsigen Fleisch, um den Saft aufzubauen, nimmt es anschließend raus und gibt stattdessen magereres Fleisch von der Schulter hinzu.

Er hat den Saft mit Kakaobohnen und schwarzer Schokolade, mit Zimt, Rohrzucker und Cayennepfeffer verändert. Das Gericht wurde durch die Schokolade viel dunkler, und durch die beigefügten Gewürze entwickelten sich im Zusammenspiel mit dem mageren Fleisch unglaubliche, nie zuvor geschmeckte, mollige Nuancen im Gaumen. Für mich, der ich dachte, jede Darreichungsform von Gulasch zu kennen, war das als Sensation kaum zu toppen.

Nein, aber die Messlatte hier liegt hoch. In jeder Beisl gibt es ein Gulasch, und überall schmeckt es ein bisserl anders. Und von daher ist es grundsätzlich also auch erlaubt, beim »Rindsgulasch Brooklyn« mit einer Nuance dunkler Schokolade zu arbeiten, zumal der Gast ohnehin nie auf die Idee käme, dass diese Geschmacksexplosion auf Schokolade und Zimt zurückzuführen ist.

Darum geht es! Auch ich hatte einmal einen solchen Moment, als ich in ein Brötchen gebissen habe. Da war er wieder, dieser Geschmack aus der Kindheit! Da hat die Kruste so eine leichte karamellartige Süße, die einfach unnachahmlich ist. Diese Sensation habe ich in Zürich erlebt mit einem Schweizer Bürli – am Stern-Wurststand am Zürcher See.

.

Ja, aber es waren die Bürli, die mich in meine Kindheit zurückkatapultiert haben. Es handelt sich übrigens um die gleichen Bürlis, die auch in der Kronenhalle serviert werden. Ich will damit sagen: Wenn man ein Produkt auf den Punkt bringt, dann kann man es nicht mehr verbessern. Das gilt für ein Brötchen genauso wie für hochkomplexe Saucen. Und jetzt kommt die Pointe: Wir wollten die Zürcher Bürlis auch im Berger & Lohn backen. Wir haben es sechs Wochen lang jeden Tag versucht. Wir haben Buch geführt über kleinste Änderungen, die wir am Rezept vorgenommen haben, um unseren Prozess nachvollziehen zu können. Aber nach diesen sechs Wochen haben wir es aufgegeben, obwohl ich sogar das identische Mehl aus der Schweiz hatte kommen lassen. Lag es am Wiener Wasser oder am Luftdruck? Ich weiß es nicht. Wir bekamen es einfach nicht auf demselben hohen Niveau hin.

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Kennen Sie das Buch »Heat!« von Bill Buford? Das ist ein ehemaliger...


Dax, Max
Max Dax ist Kurator, Journalist, Musiker und Schriftsteller. Er entwickelte die Show »Hyper – A Journey into Art and Music «in den Hamburger Deichtorhallen, war Chefredakteur der Magazine Alert, Spex und Electronic Beats und schrieb Bücher über die Einstürzenden Neubauten, CAN und Scooter. 2021 erschien sein Roman »Dissonanz«.

Max Dax ist Kurator, Journalist, Musiker und Schriftsteller. Er entwickelte die Show »Hyper – A Journey into Art and Music «in den Hamburger Deichtorhallen, war Chefredakteur der Magazine Alert, Spex und Electronic Beats und schrieb Bücher über die Einstürzenden Neubauten, CAN und Scooter. 2021 erschien sein Roman »Dissonanz«.



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