De Marchi | Baron Santafusca und der Priester aus Neapel | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 449, 376 Seiten

Reihe: Die Andere Bibliothek

De Marchi Baron Santafusca und der Priester aus Neapel

Ein Kriminalroman
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8412-3254-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Kriminalroman

E-Book, Deutsch, Band 449, 376 Seiten

Reihe: Die Andere Bibliothek

ISBN: 978-3-8412-3254-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Die Kunst ist eine göttliche Angelegenheit, aber hin und wieder empfiehlt es sich, auch für die Leser zu schreiben.' - Emilio De Marchi (1851-1901)

Der eine ist ein Lebemann, ein großer Spieler: Baron Carlo Coriolano, letzter Nachfahre aus dem neapolitanischen Geschlecht Di Santafusca. Im Taumel der italienischen Einigungskriege spielte er noch eine glänzende Rolle, jetzt, in den 1880er-Jahren des neuen Italien, ist der 45-Jährige vor den Augen aller ruiniert. Der andere ist ein Priester, zerfressen von Habgier und Geiz: Don Cirillo, der den Armen die Gewinn-Nummern der Lotterie weissagt.

Beide treffen beim Verkauf des verfallenden Landguts der Santafuscas aufeinander. Der eine will dadurch dem Gefängnis entgehen, der andere wittert das Geschäft seines Lebens. Doch im Baron Santafusca steckt ein Raskolnikow - er will den Priester in eine Falle locken.

Noch am letzten Tag vor seinem plötzlichen Verschwinden aus Neapel hat Don Cirillo einem Hutmacher zu einem fulminanten Lotteriegewinn verholfen - danach ward er nie mehr gesehen. Doch wie ein quälender Dämon taucht sein Hut mit dem leuchtenden Seidenband immer wieder auf und treibt den vermeintlichen Übermenschen Di Santafusca in den Abgrund des Wahnsinns: 'Der Priester war stärker als er.'

Emilio De Marchi gelang mit seinem 1887 veröffentlichten Experiment eines realistisch abgründigen Feuilletonromans voller literarischer Anspielungen ein enormer Erfolg mit vielen Übersetzungen in Europa. Tomasi di Lampedusa mit seinem und Alessandro Manzoni mit seinen kommen dem zeitgenössischen Leser gleich in den Sinn. Und Neapel war schon damals en vogue. In Italien gilt Baron Santafusca und der Priester aus Neapel heute als einer der ersten Kriminalromane.

Gleichzeitig zeichnet Emilio De Marchi ein atmosphärisches Bild der damaligen neapolitanischen Gesellschaft voller genrehafter Szenen.



Emilio De Marchi (1851-1901, Mailand), Schriftsteller, Dichter und Übersetzer, war einer der wichtigsten Erzähler Italiens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit begründete er in Italien die Gattung des 'romanzo noir'.

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DIE FALLE


Baron di Santafusca zerbrach sich nach diesem Gespräch den Kopf darüber, wie er es Don Cirillo, der dreist Gewinn aus seiner Misere ziehen wollte, mit gleicher Münze heimzahlen und etwas aus der Raffgier des Priesters für sich herausschlagen könnte. Etliche Ideen waberten durch seinen Kopf, doch war da eine, die schälte sich schwarz aus dem Grau heraus.

Zunächst verscheuchte er auch sie. Als sie indes zurückkehrte, nahm er sie näher in Augenschein. Es war eine Idee ganz in Schwarz, also wie geschaffen für den Priester.

Was hatte Don Cirillo eben zu ihm gesagt?

Er wolle Neapel verlassen, ja im Grunde klammheimlich fliehen. Und wenn er ihn am Donnerstag, an diesem 4. des Monats, auf dem Anwesen aufsuche, dann bringe er das Geld mit, sodass sie umgehend den Vertrag im Beisein des Notars würden unterzeichnen können. Anschließend wolle er auf gar keinen Fall nach Neapel zurückkehren, denn dort würde dieses Gesindel lauern, das, erpicht auf die Zahlen für das Lotto, beständig sein Leben bedrohe.

Genau das hatte er gesagt, dieser Priester.

Schon einmal hätte sich eine Bande von Ganoven seiner Wenigkeit bemächtigt, und damals hätte der Schwarzrock durchaus den Tod finden können, wären ihm Gott und Heiliger Geist nicht rechtzeitig zur Seite gesprungen.

Aus diesen Elementen musste sich doch, gab man Skrupeln und Vorurteilen nicht nach, ein grandioser Plan aushecken lassen.

Nun wollte der Baron dringlichst seine Gedanken ordnen, weshalb er glühend vor Hoffnung und wilden Phantasien nach Hause eilte.

Seit einigen Jahren schon lebte er in einer kleinen Wohnung mit nur wenigen Zimmern in der Via Speranzella, zusammen mit jener Alten, die in Tagen, da die Santafuscas noch etwas galten, seine Hauslehrerin gewesen war.

In den stürmischen Zeiten des Schiffbruchs hielt Maddalena dann in Todesangst zu dem letzten Spross dieser ruhmreichen Familie, klammerte sich an ihn wie an einen blanken Felsen, um ja nicht unterzugehen. Obwohl ihr bei einem solch blanken Felsen zwar auch nichts anderes übrig blieb, als den Hungertod zu sterben, zog sie ein längeres Leid dem sofortigen Tod unbedingt vor.

Der Baron besaß weder den Mut, diese bemitleidenswerte Frau, die ihm nun den Haushalt führte, von sich zu stoßen, noch die Entschlossenheit, Salvatore, einen lahmenden Greis von rund siebzig Jahren, den Alter und Gebrechen schon halb dahingerafft hatten, aus Santafusca zu vertreiben, wo er ein wenig nach dem Rechten sah.

Die zwei, Maddalena und Salvatore, waren das Einzige, was dem Baron vom einstigen Prunk geblieben war, alles Übrige hatte er verkaufen oder mit Hypotheken belasten müssen. Lohn erhielten sie beide nicht, sie lebten und darbten bei dem, was das mit jedem Tag stärker verfallende Haus noch abwarf.

Maddalena hatte Don Coriolano in ihrer demütigen Herzensgüte bereits ihre sämtlichen Ersparnisse anvertraut, woraufhin er in einer einzigen Nacht verspielt hatte, was die arme Frau in über vierzig Jahren in ihrer sparsamen und bescheidenen Art beiseitegelegt hatte. Nun stand sie völlig mittellos da und musste ihren Herrn und Gebieter Tag um Tag anflehen, er möge sie nicht hungers sterben lassen. Es waren Bitten ohne jeden Vorwurf, ein ehrfürchtiges und verhaltenes Gemurmel nur, voller Demut und getränkt von der vorbehaltlosen Liebe einer zärtlichen Mutter gegenüber ihrem verwöhnten Sohn, ihrem Ein und Alles. Und was auch immer Don Coriolano tat, galt der schlichten Frau als gut und schön, als wert, gelobt oder notfalls verziehen zu werden.

Der Gerechtigkeit halber sei erwähnt, dass auch der Baron für seine alte Lehrerin noch immer eine Zuneigung hegte, die weder die Zeit noch seine Laster hatten tilgen können.

Allein die tränenerstickte Stimme Maddalenas besaß daher die Kraft, selbst bei ihm, der sich sonst gegen jegliche Sentimentalität gefeit zeigte, an dem hart verschalten Gewissen zu rühren. Ein zärtliches und frommes Echo hielt sich noch in dem alten, verfallenen Gebäude seines Gewissens versteckt, sodass Maddalena sicher war, nie vergebens zu ihm zu sprechen.

Was war er bloß für ein schlechter Mensch!, so ging er mit sich ins Gericht. Gehörte er nicht an den Galgen, wenn er dieser armen Alten ihr Geld stahl und sie in Hunger und Einsamkeit sterben ließ?

Noch auf dem Heimweg von Don Cirillo stellte er die geschundene Maddalena, die sich einzig von ihren Seufzern nährte, in Gedanken dem Priester gegenüber, der auf einem Strohsack voller Geld schlief.

Maddalena hatte ihr Schicksal vor über vierzig Jahren mit dem seines altehrwürdigen Hauses verbunden und war, genau wie dieses, Stein für Stein, langsam in sich zusammengefallen, ohne je darüber zu wehklagen, es sei denn, der Hunger gewann Oberhand über ihre Nachsicht. Obendrein war sie stets gewillt, die Fahne der Ehre bis zu ihrem letzten Atemzug hochzuhalten. Don Cirillo dagegen, dieser Priester, drohte, bis zum Äußersten zu gehen und seinen Ruin herbeizuführen, ja er trachtete danach, ihm, einem Santafusca, die Luft zum Atmen abzuschnüren.

Maddalena hat meiner armen Mamma die Augen geschlossen, dachte Santafusca, während er die Stufen zu seiner Wohnung hinaufstieg, und ich lasse sie nun im Stich. Wenn ich ins Gefängnis wandere, stirbt sie ohne Dach über dem Kopf elendig des Hungers.

In den Adern der Santafuscas floss, wie die Familienchronik behauptete, das Blut normannischer Könige. Deshalb durfte der letzte Baron bei seinem Tod zwar im Ruch stehen, ein Brigant zu sein, deshalb durfte dann in seinem Leib durchaus eine Kugel stecken – aber nie und nimmer durfte er die Schmach erleiden, einem Blutsauger zum Opfer zu fallen.

Während sich sein aufgewühlter Geist die Spindel dieser Grübeleien hinaufwand, fasste der Baron frischen Mut und schöpfte neue Hoffnung.

Glaubte dieses verhuschte Priesterlein allen Ernstes, es mit ihm aufnehmen zu können?

Der Gottesmann würde mit prallen Taschen auf dem Anwesen eintreffen und vielleicht sogar eine Aufstellung der Schätze mitbringen, die in seinem Strohsack versteckt waren.

Das Haus war im Grunde ausgestorben, Salvatore halb taub, halb schwachsinnig.

Am Sonntag müsste er dem Sacro Monte das Geld erstatten, tat er das nicht, hieß es: Abmarsch ins Gefängnis!

Maddalena war jetzt schon am Verhungern.

Aber auf der ganzen Welt gab es kein Herz, das aufrichtiger und selbstloser für ihn schlug als das ihre.

Das Anwesen lag etwas abseits, und seit rund zehn Jahren hatte sich kein Gast dorthin verirrt.

Immer hatte das Geld gefehlt, um das Haus gründlich zu überholen, sodass es heute nur noch den Mäusen einen Tummelplatz bot oder auch den Ziegen, die Salvatore in dem alten Garten hielt.

Niemand in Santafusca kannte Don Cirillo.

Niemand in Neapel würde von seinem Aufbruch wissen. Mithin …

»Was bleibt denn von diesem Knochengerippe, das sich als Priester verkleidet, ohne sein Geld übrig? Das ist doch kein Mann, das ist ein Kassenbuch! Ein Geldsäckel! Ich aber würde damit die Ehre meiner Väter bewahren, mich vor dem Gefängnis retten und Maddalena vor dem Hungertod, ich würde meine Schulden begleichen, Brot an alle ausgeben, die es nötig haben, Almosen verteilen und Gerechtigkeit herstellen, kurzum, ich würde der Natur zu ihrem Recht verhelfen!«

Es entzieht sich meiner Kenntnis, wie oft der Baron diese Gedanken in seinem Kopf gewendet hat in diesen wenigen Tagen, die noch zwischen jenem Montag und dem verhängnisvollen Donnerstag, also dem 4. April, lagen.

Für ihn freilich wollte die Zeit einfach nicht vergehen, schon allein deshalb nicht, weil er beinah rund um die Uhr zu Hause hockte, in seinem kleinen Arbeitszimmer, in der Stille seiner toten Wohnung, ständig über dies schmutzige Netz gekrümmt, das er da webte.

Jeden Tag, jede Stunde, ja im Grunde jede Minute redete sich Baron di Santafusca nun ein, dass es für ihn keinen anderen Ausweg gebe, dass ihn eine höhere Gewalt zu diesem Schritt dränge, ihn – wie man heute genau weiß – geradezu zwänge, den Priester in eine Falle zu locken und …

Die einzige Schwierigkeit bestand darin, die Angelegenheit ohne Leidenschaft zu ihrem Ende zu bringen, mit klarem Kopf und kaltem Herzen.

Nur war er, Santafusca, ja ein Mann jenseits aller Vorurteile. Wäre er der Ansicht gewesen, mit dem Mord ein Verbrechen gegen die Natur oder gegen einen ihm klar und unmittelbar übergeordneten Menschen zu begehen, hätte er selbstverständlich die Finger davon gelassen, schon allein um weiterhin ruhig schlafen zu können, schon allein aus Anstand und Respekt.

Aber er war nun einmal felsenfest davon überzeugt, dass der Mensch nichts als eine Handvoll Erde war und Erde zu Erde zurückkehren und sich mit dieser mischen müsse. Das Bewusstsein – so hatte es einst Doktor Panterre formuliert – war eine Hieroglyphe, geschrieben mit weißer Kreide auf eine schwarze Tafel. Es ließ sich ebenso schnell wegwischen wie erstellen. Das Bewusstsein war ein Luxus, war der letzte Chic eines glücklichen Menschen. Und Gott? Gott war eine Stecknadel im Nadelkissen des Himmels …

Um sein Gewissen sorgte sich der Baron also nicht.

Hätte er tatsächlich befürchtet, wie Macbeth zu enden oder um den Schlaf gebracht zu werden wie der alte Aristodemos, dann hätte er niemals Hand an den Priester gelegt. Diese Rollen überließ er mit Freuden Mimen wie Rossi oder Salvini.*

Das ganze Vorhaben barg mithin nur eine einzige Gefahr:...



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