E-Book, Deutsch, 304 Seiten
de Mendelssohn Der Mann, der sein Leben einem Traum verdankte
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7110-5121-9
Verlag: ecoWing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Traumforscher erzählt
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-7110-5121-9
Verlag: ecoWing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Felix de Mendelssohn (1944 - 2016) war ein weltweit renommierter Psychoanalytiker und Gruppenanalytiker. Er war als Leiter und Lehrbeauftragter für Psychoanalyse und Abteilungsvorstand der psychotherapeutischen Schulen an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien tätig. Seine langjährige Ausbildungstätigkeit für Psychotherapeuten führte ihn u. a. nach Australien, Israel, Japan und Albanien.
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In unserer heutigen elektrifizierten Welt bedeutet Schlaflosigkeit in der Regel, in seinem durchschnittlich achtstündigen Schlaf gestört zu sein. Viele Menschen, die heute unter Schlafstörungen leiden und deswegen mit Medikamenten aller Art behandelt werden, hätten das vor einigen hundert Jahren ganz anders empfunden. In seinem Buch At Day’s Close, einer Geschichte der Nacht in der frühen westlichen Moderne, beschreibt Roger Ekirch, wie die Menschen früher in Phasen („segmentierter Schlaf“) geschlafen haben. Kurz nachdem es dunkel wurde, schliefen sie für den „ersten Schlaf“ ein, dann wachten sie um Mitternacht auf und blieben einige Stunden wach. In dieser Zeit sprachen sie miteinander, beteten, hatten Sex oder gingen auf Diebstouren, dann schliefen sie wieder für eine kürzere Periode ein.
In vielen traditionellen Gesellschaften setzt sich somit die soziale Aktivität in der Nacht fort. Gruppenmitglieder wachen auf, wenn sich etwas Interessantes ereignet, manchmal schlafen sie mitten in einer Unterhaltung ein, um sich einem Streitgespräch höflich zu entziehen.
Der Anthropologe Eduardo Kohn kam in ein kleines Dorf im Amazonasgebiet und sah, wie die meisten Menschen in einer großen offenen Strohhütte gemeinsam schliefen. Sie wachten in der Nacht öfters auf, um Tee zu trinken, weil es kalt war, weil ein Kind gerufen oder ein Tier gebrüllt hatte. „Dank dieser fortwährenden Unterbrechungen“, schrieb er, „können Träume ins Wachleben überlappen und das Wachleben in die Träume einfließen auf eine Weise, die beide Zustände eng miteinander verwebt.“
„Der Schlaf“, sagt der Dalai Lama, „ist für die Tibeter gleichzusetzen mit Nahrung.“
Die verschiedenen Schlafrhythmen bei unterschiedlichen Tierarten scheinen eng verbunden zu sein mit ihrem Bedürfnis nach Nahrung und ihrer Angst davor, selbst als Nahrung für ein anderes Tier zu dienen. So schlafen Elefanten nur vier Stunden, weil sie Zeit für die Nahrungssuche und Nahrungsaufnahme benötigen, Löwen schlafen bis zu 20 Stunden, zumal sie keine Angst haben müssen, im Schlaf von anderen Tieren gefressen zu werden.
Menschen sind hier keine Ausnahme – sie sind Allesfresser und haben im Regelfall keine nächtlichen Überfälle zu befürchten, sie können sich daher einen längeren Schlaf leisten. Die Veränderungen in ihren Schlafrhythmen entsprechen dabei ihren kulturellen, aber auch ihren individuellen Gegebenheiten. Manche Menschen arbeiten zu Hause und können sich ihren Schlaf freier einteilen, andere müssen sich auf den Rhythmus eines achtstündigen Arbeitstages einstellen und sich den dafür nötigen Schlaf in der Nacht holen.
Laborversuche in England haben gezeigt, dass schon eine Nacht ohne Schlaf bei den meisten Menschen eine wesentliche Beeinträchtigung wichtiger Funktionen verursacht, insbesondere ihre Fähigkeiten betreffend, originell und innovativ zu denken oder flexibel in ihrer Entscheidungsfindung zu bleiben. Eine kleine Gruppe aber scheint nach einer schlaflosen Nacht verlässlich bessere Leistungen zu erbringen – was womöglich mit einigen wenigen Genvarianten, welche die Neurotransmitter kodieren, zusammenhängt.
Die Wissenschaft, wohl von wirtschaftlichen wie militärischen Interessen angespornt, ist sehr daran interessiert, das Schlafbedürfnis der Menschen zu reduzieren (im Sinne einer erhöhten Kampfbereitschaft bzw. Produktivität). So gibt es inzwischen Medikamente wie Modafinil und Armodafinil, die diese Beeinträchtigungen ausgleichen können. Wenn man 60 Stunden wach bleibt und alle acht Stunden 400 mg Modafinil einnimmt, werden alle Funktionen wiederhergestellt, sowohl das Durchhaltevermögen für monotone Aufgaben wie auch die Originalität und Flexibilität für komplexe Problemstellungen. Das Medikament schaltet das Risiko der Schläfrigkeit aus und sowohl deklaratives Gedächtnis (Fakten, persönliche Erfahrungen) als auch nicht-deklaratives Gedächtnis (gelernte Fähigkeiten, vorbewusste Assoziationen) funktionieren wieder.
Allerdings kann man den gleichen Effekt wesentlich billiger mit ca. sechs Tassen Kaffee erreichen. Der Haken daran ist, dass wir bislang keine Weckdroge kennen, die nicht den Effekt des übermäßigen Fokussierens oder „tunnellings“ mit sich bringt – d. h., dass dabei die Fähigkeit verloren geht, mit seiner weiteren Umgebung in emotionaler Beziehung zu bleiben und sozial differenzierte Handlungsoptionen zu wählen. Die Mathematik-Prüfung wird man wohl schaffen, aber womöglich an einem unvorhergesehenen Telefongespräch mit einem Familienmitglied kläglich scheitern.
Die Frage, die hier offen bleibt – bislang haben wir von der Wissenschaft dafür keine eindeutige Erklärung bekommen –, ist, wofür wir den Schlaf eigentlich brauchen. Brauchen wir den Schlaf, weil er uns das Träumen ermöglicht, wie manche behaupten, oder ist es umgekehrt, wie Freud meinte, dass der Traum „der Hüter des Schlafs“ sei? Ermöglichen es uns die Träume, in Ruhe weiterzuschlafen, indem sie uns eine nächtliche Abfuhr unserer aufgestauten Impulse und Fantasien erlauben?
In gewissem Sinne sind beide Positionen richtig, denn der Schlaf besteht aus verschiedenen Stufen oder Phasen, die sehr unterschiedlich sind, und wie es scheint, brauchen wir sie alle, da wir in jedem Schlafzyklus alle Stufen mehrmals hin und her durchlaufen müssen. Die eigentlichen Traumzeiten – in denen die Träume, die uns in diesem Buch hauptsächlich beschäftigen werden, auftreten – sind die sogenannten REM-Phasen („Rapid Eye Movements“), die erst 90 bis 120 Minuten nach dem Einschlafen eintreten. Sie wiederholen sich auch alle eineinhalb bis zwei Stunden während der Nacht – dazwischen gleitet man immer wieder in den ruhigen Delta-Schlaf – und werden mehr und stärker am Ende der Nacht, wenn die Dämmerung naht.
In diesem Zustand gibt es auch besondere körperliche Veränderungen. Der gesamte Muskeltonus ist schlaff, der Körper ist wie lahmgelegt, aber die schnellen Augenbewegungen, nach denen diese Phase benannt wurde, zeigen eine heftige Aktivität. Herz- und Atemfrequenz sind erhöht, auch der Blutdruck kann steigen oder auch sehr stark variieren. Männer haben in dieser Phase Erektionen, bei Frauen vergrößert sich die Klitoris und die Vagina wird feucht. Dies alles nennt man den „tonischen“ REM-Schlaf. Beim „phasischen“ REM-Schlaf entstehen dann die Ausbrüche von schnellen Augenbewegungen mit einer Dauer von zwei bis neun Sekunden alle 60 bis 120 Sekunden.
Wenn Versuchspersonen in dieser Phase geweckt werden, berichten sie von Träumen, die oft komplexe Handlungsstrukturen aufweisen, in denen die Personen aktiv sind, sich verändern, die Orte sich abwechseln können und der Träumer in seinem Traum auch selbst eine Aktivität entwickeln kann. Ein amerikanischer Traumforscher ließ sich über ein Jahr lang alle zwei Stunden während des Schlafs aufwecken (also fast immer in REM-Phasen) und konnte oft sechs oder sieben komplexe Träume in einer einzigen Nacht notieren.
Aber die frühere Annahme, dass wir nur während der REM-Phasen träumen, hat sich nicht bestätigt. Die Träume im NREM (Non-REM-Schlaf) sind allerdings anders geartet als die REM-Träume. Dazu müssen wir uns den gesamten Schlafzyklus vor Augen führen.
Im Wachzustand zeigt uns das EEG (Elektroenzephalogramm), wie unser Gehirn im Takt von Beta-Wellen, vermischt mit Alpha-Wellen, arbeitet. Beta-Wellen sind immer mit bewusster kognitiver Arbeit verbunden, während die langsameren Alpha-Wellen stärker bei größerer Entspannung (z. B. Meditation) auftreten.
In der ersten Einschlafphase verschwinden zunächst die Beta-Wellen und nach und nach auch die Alpha-Wellen, die nun von längeren Theta-Wellen ersetzt werden. In dieser Zeit bleibt der Muskeltonus erhalten, die Augen rollen langsam und der Körper kann sich bewegen, um eine andere Liegeposition einzunehmen. Bereits in dieser Phase können sogenannte „kleine Träume“ auftreten, manchmal ganz farbige, bizarre oder auch klar umrissene Vorstellungen von Orten und Gegenständen, aber ohne eine Erzählstruktur, es gibt keine weiterführende Handlung oder Ich-Aktivität des Träumers.
Der Psychoanalytiker Herbert Silberer hat schon zu Freuds Zeiten von solchen „hypnagogen Vorstellungen“ während des Einschlafens berichtet, in denen er eine „Schwellensymbolik“ erkennen konnte, wie wenn diese Bilder mit der Übertretung einer Schwelle verbunden wären – z. B. das Visualisieren einer Brücke, die von einem Ufer zum anderen führt, von einem Zug, der abfährt, oder von einer Tür, die aufgeht. Die Einschlafträume, die Inge Strauch, eine deutsche Psychologin und Traumforscherin, gesammelt hat, sind nicht immer ganz so eindeutig. Beispiele:
Einen Test zusammenstellen, mit Items. Items hab ich zusammenstellen müssen und Leute befragen. So ein Psychotest.
So gelbe Fransen hab ich gesehen, dann Besen, Amerika, dann ist die italienische Flagge darin vorgekommen....