E-Book, Deutsch, 528 Seiten
Demandt Das Attentat in der Geschichte
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8062-3725-2
Verlag: Theiss in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 528 Seiten
ISBN: 978-3-8062-3725-2
Verlag: Theiss in Herder
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Sven Felix Kellerhoff war als Journalist u. a. für die Berliner Zeitung, die Badische Zeitung und den Bayerischen Rundfunk tätig. Seit 1997 arbeitet er bei der WELT, seit 2003 dort als Leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte, seit 2012 zusätzlich als Leiter des History Channel WELTGeschichte. Alexander Demandt, geboren 1937 in Marburg, arbeitete dreißig Jahre an der Freien Universität Berlin als Althistoriker und Kulturwissenschaftler. Zu seinem umfangreichen Werk gehören Bücher über das Römische Reich, wie auch über die Wissenschafts- und Kulturgeschichte. Das von ihm herausgegebene Buch über 'Das Attentat in der Geschichte' gilt als Klassiker der Geschichtsschreibung.
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Darius und der »falsche« Smerdis 522 v. Chr.
Am 28. September 490 v. Chr.1 besiegten die Athener unter Miltiades in der Ebene von Marathon das persische Expeditionsheer. Für das Perserreich war das eine marginale Schlappe, für die Griechen aber ein epochales Ereignis: Sie wahrten damit ihre Freiheit. Das Perserheer war ausgesandt worden von Darius, dem persischen Großkönig, der das Perserreich weit über die von Kyros, dem Reichsgründer, und seinem Sohn Kambyses erreichten Grenzen hinaus erweitert und durch die Provinzialordnung der Satrapien zu einer soliden Verwaltungseinheit zusammengeschmiedet hatte. Diese Strukturreform ersetzte die meisten der zuvor regierenden Vasallenkönige durch Satrapen, Beamte, die rechenschaftspflichtig und auswechselbar waren, sodass an die Stelle der losen Feudalstruktur der älteren Territorialverfassung eine zentralistische und entsprechend handlungsfähige Staatsordnung trat.
In Persepolis2 errichtete Darius die gewaltigste Palastanlage, die das Altertum hervorgebracht hat, dazu eine neue Grablege der Könige am benachbarten Felsen von Naksch-i-Rustem. Darius förderte den Reichskult Ahuramazdas, der zuvor in den Quellen nicht belegt ist.
Leistung und Person des Darius sind, trotz des bei Marathon unternommenen Versuchs, den ionischen Aufstand zu rächen und Hellas zu unterwerfen, von den Griechen stets mit Hochachtung behandelt worden. Platon nannte ihn geradezu das Muster eines guten Gesetzgebers und Königs, dessen Verordnungen das Perserreich noch immer aufrechterhielten.3 Darius war neben Kyros die zweite vielbewunderte Gestalt unter den persischen Großkönigen.
Das Attentat auf Smerdis ist die Geschichte, wie Darius auf den Thron gelangte. Das Achämenidenreich war eine Erbmonarchie, deren dynastische Legitimität seit Darius so populär, so stabil war, dass ein Familienfremder auch dann nicht König werden konnte, wenn er militärisch die Macht dazu besessen hätte. Das besagen nicht nur die antiken Historiker, das bestätigt auch ein Fall, den der Athener Xenophon, der dabei war, in seiner »Anabasis« beschreibt: Als die griechischen Söldner 401 v. Chr. in der Schlacht bei Kunaxa den König Artaxerxes Makrocheir besiegt hatten, ihr Herr, der auf den Thron strebende Bruder des Königs, der jüngere Kyros, aber gefallen war, da boten sie die Herrschaft einem persischen Adligen an, der nicht zur Königsfamilie gehörte. Dieser lehnte sie ab, weil ihm die Perser deswegen die Anerkennung verweigern würden.4
Die einzige Ausnahme vom Prinzip der dynastischen Erbfolge in der Geschichte des Achämenidenreiches ist, wie sich zeigen lässt, der Herrschaftsantritt des Darius. Die Geschichte steht bei Herodot und klingt wie ein politischer Roman. Zunächst der historische Zusammenhang. Kambyses, der Sohn und Nachfolger des Reichsgründers Kyros, war Anfang 525 nach Ägypten gezogen und hatte es erobert. Auf dem Rückweg 522 in Syrien erreichte ihn eine Schreckensnachricht aus Susa, der Hauptstadt Persiens.5 Ein Herold erschien im Heer und verkündete, Kambyses sei abgesetzt, und dessen jüngerer Bruder Smerdis habe den Königsthron bestiegen. Ihm seien die Perser nunmehr Gehorsam schuldig.
Diese Gefahr, schreibt Herodot, habe Kambyses vorausgesehen und deshalb seinen Gefolgsmann Prexaspes beauftragt, den Bruder Smerdis heimlich umzubringen. Herodot weiß nicht zu sagen, ob Smerdis auf der Jagd getötet oder im Roten Meer ertränkt wurde, behauptet aber, dass niemand etwas davon erfuhr.6 Schon vor dem Zug nach Ägypten habe Kambyses die Palastverwaltung einem Angehörigen des medischen Stammes der Magier namens Patizeithes übertragen. Wie nun die Nachricht zum König kam, dass Smerdis die Abwesenheit seines Bruders genutzt und sich selbst zum Großkönig aufgeworfen habe, rief Kambyses seinen Gefolgsmann Prexaspes vor sich und stellte ihn zur Rede, ob er den Smerdis denn nicht befehlsgemäß umgebracht habe? Dieses wurde nun von Prexaspes bestätigt, persönlich habe er Smerdis heimlich getötet und mit eigenen Händen begraben. Der Usurpator könne daher nie und nimmer der echte Smerdis sein.
Nun ließ Kambyses den Herold kommen und fragte ihn, von wem er den Auftrag erhalten habe, den Herrscherwechsel zu verkünden, ob er ihn von Smerdis selbst erhalten habe? Dies verneinte der Herold. Den Befehl habe er von dem Palastverwalter, von dem Magier Patizeithes bekommen; den Bruder des Königs selbst aber habe er seit dem Abzug des Kambyses nicht mehr erblickt. Jetzt glaubt der König seinem Gefolgsmann Prexaspes, dass Smerdis tot ist, aber versteht nicht, wer denn der Usurpator, der angebliche Smerdis, sei.
Prexaspes indes klärt die Sache auf. Der Magier Patizeithes, der Palastverweser, habe doch illegal Nachricht davon erhalten, dass der echte Smerdis von Kambyses heimlich aus dem Wege geräumt worden sei. Er selbst, der Magier Patizeithes, hätte aber ebenfalls einen Bruder gehabt, der zufällig dem Königsbruder Smerdis zum Verwechseln ähnlich gewesen sei und zufällig überdies noch gleichfalls Smerdis geheißen habe. Diesen falschen Smerdis, den Magier, hätte nun sein mächtiger Bruder Patizeithes für den echten, den Königsbruder ausgegeben und anstelle von Kambyses zum König ausrufen lassen. Wegen der physiognomischen Ähnlichkeit aber und wegen der Übereinstimmung des Namens hätten die Perser den Betrug nicht bemerkt.
Diese Erklärung trifft Kambyses wie ein Schlag, hatte er doch im Traum den Bruder Smerdis auf dem Thron sitzen und mit dem Scheitel den Himmel berühren sehen. Er beweint nun seine Untat, dass er seinen Bruder vergeblich hat ermorden lassen, schwingt sich aufs Pferd, um so rasch wie möglich nach Susa zu reiten und den Empörer zu beseitigen. Da springt die Kappe seines Dolches ab, die Klinge fährt dem König in den Schenkel und verletzt ihn tödlich. Kambyses beruft die Großen zu sich, beschwört sie bei allen Göttern, die Schmach zu beheben, die beiden Betrüger mit List oder Gewalt zu beseitigen und die Herrschaft von den Medern wieder an die Perser zu bringen. Kurz darauf stirbt Kambyses, ohne Kinder zu hinterlassen oder einen Nachfolger zu ernennen.
Doch die heimliche Ermordung des echten Smerdis und die trügerische Thronbesteigung des falschen sind nicht das Attentat, um das es hier geht; es ist nur die Vorgeschichte dazu. Unser Attentat ist die Beseitigung des angeblichen Usurpators durch Darius. Ich sage »angeblich«, weil ich davon überzeugt bin, dass diese ganze Verwechslungsgeschichte von Darius erlogen ist und dass in Wahrheit Kambyses seinen Bruder nicht umgebracht, sondern als Verwalter, vermutlich gemeinsam mit dem Meder Patizeithes, in Susa zurückgelassen hat. Diese These hat vor hundert Jahren der Königsberger Keilschriftforscher Paul Rost7 aufgestellt, ihm folgte der Berliner Orientalist Hugo Winckler,8 doch ist ihre Argumentation nur von wenigen Forschern akzeptiert worden.9 Die überwiegende Zahl der Gelehrten10 hält die Geschichte der trügerischen Verwechslung für historisch. Ulrich Kahrstedt erklärte die Zweifel an der Falschheit des Smerdis für »bare Willkür«11 und hatte Erfolg. Denn es gibt für das Recht des Darius eindrucksvolle, dennoch täuschende Quellenbelege. Nun aber zur abenteuerlichen Geschichte unseres Attentats, so, wie sie bei Herodot zu lesen ist.
Nachdem Kambyses in Syrien gestorben war, regierte der falsche Smerdis sieben Monate12 mild, gerecht und unangefochten. Die Perser, schreibt Herodot, denen er auf drei Jahre die Steuern erlassen hatte,13 hielten ihn allesamt für den echten Königsbruder und legitimen Thronerben. Und selbst der Gefolgsmann des Kambyses Prexaspes bestritt nun öffentlich, den echten Smerdis umgebracht zu haben, sodass niemand Anlass fand, an der Legitimität des herrschenden Smerdis zu zweifeln.
Verdacht schöpfte nur ein einziger Perser, ein Freund des Darius namens Otanes. Grund für den Verdacht war, dass der neue König sich den angesehenen Persern nicht zeigte und nie den Palast in Susa verließ. Um den Verdacht zu prüfen, kam ein Zufall zu Hilfe. Otanes hatte eine Tochter namens Phaidymia. Diese war eine der Frauen des Kambyses. Nach seinem Tode – immer nach Herodot – hatte der »falsche« Smerdis den Harem des Königs übernommen und schlief auch mit Phaidymia. Otanes fragte nun seine Tochter, ob sie mit dem Bruder des Königs, dem echten Smerdis, oder mit dem Bruder des Magiers, dem falschen Smerdis, das Bett teile. Sie antwortete, das wisse sie selber nicht, denn sie habe den Bruder des Königs zu Lebzeiten des Kambyses nie zu Gesicht bekommen. Daher könne sie nun auch nicht sagen, ob ihr der echte oder der falsche Smerdis beiwohne. Otanes sandte daraufhin eine zweite Botschaft zu seiner Tochter, sie möge Atossa, die Schwestergemahlin des Kambyses fragen. Phaidymia erwiderte, diese bekomme sie nicht mehr zu sehen.
Nun verstärkte sich der Verdacht des Otanes. Er schickte zum dritten Male eine Botschaft an Phaidymia und erklärte ihr, woran sie den falschen Smerdis...