E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Dennig Eingespritzt
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-903083-03-5
Verlag: Amalthea Signum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alma Liebekinds 2. Fall. Ein Wien-Krimi
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-903083-03-5
Verlag: Amalthea Signum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Constanze Dennig ist Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, geboren in Linz, lebt und arbeitet in Graz und Wien als Autorin von Theaterstücken, Drehbüchern, Romanen, Sachbüchern und Satiren, als Regisseurin und Produzentin zahlreicher Theaterprojekte. Sie ist Theaterleiterin des 'Theater am Lend' in Graz (gemeinsam mit Edith Zeier Draxl) und baut selbst Klappmaulpuppen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2. Kapitel
Was es heißt, einen Tisch im Gastgarten eines beliebten Wiener Innenstadtkaffeehauses an einem Abend, an dem jeder anscheinend glaubt, dass er den letzten Sonnenuntergang seines Lebens erlebt, verteidigen zu müssen, spüre ich hautnah. Rund um mich sitzen die Leute beinahe aufeinander, nur ich residiere privilegiert mit drei Sesseln – noch dazu zwei davon unbesetzt – in bester Kaffeehauslage. Das weckt Aggressionen. Berechtigt! Trotzdem verweigere ich anderen Gästen, sich zu mir zu setzen oder auch nur einen Sessel abzuzweigen. Als ich Ilse, von der Peterskirche Richtung Café hetzend, wahrnehme, springe ich auf und winke, um auf mich aufmerksam zu machen.
Ich hätte sie sofort erkannt, auch ohne das Foto auf ihrer Website. Noch immer die gleiche Frisur, halblang, brünett (jetzt wohl gefärbt), die Welle auf der Schulter korrekt nach außen geföhnt. Das beige Businesskostüm ähnelt der Privatkleidung, die sie schon in Schärding getragen hat – wohl jetzt sehr viel teurer. Mit der zu den roten Schuhen passenden roten Handtasche als Blickfang sieht Ilse wie eine richtig erfolgreiche Ärztin aus. Ist sie wohl auch! Eine würdige Vertreterin ihres Berufsstandes! Im Gegensatz zu mir, die ich beschämt auf meine blutverschmierte Wade hinunterblicke, über der ein schlecht gebügelter Rock zipfelt. Vielleicht sollte ich doch mehr auf meine Freundin Erika hören?
Ilse scheint sich über unser Treffen zu freuen: »Servus! Gut schaust aus …«, begrüßt sie mich.
Ich nehme ihre Hand und schließe sie zwischen meine beiden Handflächen ein: »Es tut mir so leid. Ich, ich, ich wusste nicht … Wir haben uns aus den Augen verloren … Tja, die Zeit … Das Schicksal …«
Ilse rettet mich davor, noch mehr belangloses Blabla auszuspucken. Auch ein Psychiater ist nur dann ein Profi im Trösten, wenn es nicht um persönliche Beziehungen geht. Das Bild der nackten, jungen Frauenleiche, jetzt dieser Mutter, mit der ich einige Zeit meines Lebens verbrachte, zugeordnet – das löst in mir plötzlich so was wie einen persönlichen Schmerz aus. Ich spüre, dass meine Augen nass werden. Ehrlich, die Geschichte geht mir nahe.
Ilse spürt das, denn sie umarmt mich spontan.
Um zu verhindern, dass alle Leute im Gastgarten auf uns starren, ziehe ich Ilse Richtung Eingang des Cafés: »Setzen wir uns rein, da sind wir allein.«
Ilse geht vor, ich packe meine Handtasche von einem Sessel und schiebe den anderen Stuhl zum Nachbartisch, vor dessen Gästen ich ihn eben noch verteidigt habe: »Bitte schön …«
Der Mann schaut mich erstaunt an und schüttelt den Kopf: »Jetzt haben wir schon einen …«
»Na, dann eben nicht …« Ich schiebe den Sessel wieder zurück und folge Ilse hinein. Verdammt noch mal, bin ich eines dieser Lebewesen in Wien, das den letzten gefühlten Sonnenuntergang seines Lebens aus Pietät innen drinnen im Café verbringen muss?
Im »Korb« gibt es immerhin keine Klimaanlage. Wir setzen uns an einen Tisch ganz im Eck gegenüber dem Eingang. Da hätte man keine Zuhörer, selbst wenn es Leute drinnen gäbe. Ilse trinkt einen Tee, ich bestelle noch einen Spritzer; den ersten habe ich draußen vergessen. Wir schweigen.
Ilse rührt in ihrer Tasse, und ich versuche eine professionelle Haltung einzunehmen, sprich zu warten, bis mein Gegenüber reden möchte. Da Geduld nicht so meine Stärke ist, unterbreche ich unprofessionell als Erste die Stille: »Wie hältst du das aus?«
Ilse schluckt, drückt ihre Verzweiflung durch den Kehlkopf in Richtung Speiseröhre, blickt mich an, schließt die Augen und schlägt mit der Hand auf den Tisch, dass der Teelöffel auf den Boden springt.
Ich bücke mich und lege ihn wieder auf die Untertasse.
»Gar nicht …«
»Nimmst du was?«, frage ich, denn Tranquilizer sind in so einer Situation ein Segen.
Sie nickt: »Drei Mal ein Lexotanil …«
»Passt! Solltest aber auch einen SSRI dazu nehmen. Weißt eh, die Abhängigkeit.«
Sie schaut mich entgeistert an: »Weißt du, wie egal mir das ist?«
Klar, mir wäre das an ihrer Stelle auch egal. Kind tot, und eine so blöde Kuh wie ich redet über Abhängigkeiten.
»Die Lea war perfekt! Nie ein Problem mit ihr. Ich habe immer gesagt: Mit Lea hab ich so ein Glück, das habe ich nicht verdient. Jetzt muss ich für dieses Glück bitter bezahlen.«
»Hast du noch mehr Kinder?«
Ilse schüttelt den Kopf: »Ich habe nichts mehr außer der Ordination.«
»Schrecklich!«
»Ich möchte nur noch wissen, an was sie gestorben ist, und dann bring ich mich um.«
»Sie war doch nicht krank, oder?«
»Topfit …«
»Was vermutest du?«
»Keine Ahnung, sie sagen Tako-Tsubo-Kardiomyopathie. Das glaube ich nicht, eine Ausrede. Sie vermuten was anderes, sonst wäre sie nicht sofort auf die Gerichtsmedizin gekommen. Ich bekomme keine Auskunft, nur Herumgerede. Drum bin ich froh, dass du dich gemeldet hast.«
»Der Chef der Gerichtsmedizin ist mein Freund, drum weiß ich von deiner Lea.«
»Ich würde mir wünschen, dass du für mich spionierst. Ich muss wissen, woran sie verstorben ist.«
»Ich meine, hm … Ich meine, na ja, hm … Wenn sie keines natürlichen Todes … Also wenn ihr jemand …«
Ilses Gesicht versteinert: »Du brauchst nicht herumreden. Ich sagte schon, ich muss wissen, was da geschah, und dann werde ich mich umbringen. Du brauchst mit mir nicht wie mit einer Patientin reden. Ich lebe nur mehr, um Gewissheit zu haben.«
»Gut. Was weißt du von irgendwelchen Feinden? Konflikte, privat, beruflich?«
»Feinde nein. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ihr ein Oberarzt immer anzügliche SMS und Mails geschrieben hat. Ihr unmittelbarer Vorgesetzter auf der Internen.«
»Das Handy hat die Polizei – nehme ich an.«
Ilse schüttelt den Kopf: »Nein, das Handy habe ich. Als ich ihre Sachen aus dem Krankenhaus abgeholt habe, gab es noch keinen Verdacht auf Fremdverschulden, drum hat mir die Schwester alle ihre Sachen mitgegeben.« Ilse zieht ein Handy aus der Tasche. »Die Polizei hat von mir dann Leas Sachen wieder eingefordert, aber das Handy habe ich verschwiegen. Irgendwie wollte ich nicht, dass Fremde ihre persönlichen Botschaften lesen.«
»Pff, und das ist denen nicht komisch vorgekommen? Ein Mensch ohne Handy?«
»Schon! Ich denke, sie vermuten, dass es wer anderer genommen hat.«
Ich greife nach dem Handy, das am Tisch in einer bunten gehäkelten Hülle liegt. Ich streiche über das wollene Telefongewand. »Damit es nicht friert?«
»Lea hat im Nachtdienst immer gestrickt. Das ist jetzt wieder in – Handarbeiten.«
Ich lächle Ilse an: »Kannst dich erinnern, das haben wir auch gemacht. Du mit dünnen Nadeln, ich mit den ganz dicken.«
Sie lächelt verkniffen zurück: »Du Schal, ich Weste mit kompliziertem Zopfmuster.«
»Genau! Drum du Augenarzt und ich nur Psychiater.« Ich ziehe das Handy aus seiner Hülle und versuche es anzumachen. Akku leer, klar, nach drei Tagen. »Hast du gelesen, was der geschrieben hat?«
»Nein, es war ausgeschaltet, und ich habe keinen PIN.«
»Oje, was machen wir da?«
»Ich schaue, dass ich den PUK in ihrem Schreibtisch finde. Mit dem geht es auch. Den wollte ich schon suchen, aber es war so viel los.«
»Wohnt ihr zusammen?«
»Ja, sie ist nicht ausgezogen. Eine eigene Wohnung hätte sich nicht ausgezahlt, da sie im Turnus ja sowieso noch in die Schweiz gehen wollte.«
»Alle wollen in die Schweiz, drum haben wir keine Jungärzte mehr. Wie heißt der Oberarzt?«
»Babovsky. Ist erst seit einem halben Jahr wieder in Österreich, war vorher angeblich in Amerika. Deshalb hat er auch immer so gescheit getan.«
»Das kennen wir doch auch, oder? Wie hieß unserer aus Amerika?«
»Sie…, Sie…, Sie…?«
»Siegbert, genau. Siegbert. Siegbert, der Sieger!«
Ilse muss lächeln – fast unverkrampft. Die Erinnerung an das Leben vor Lea scheint sie aufzumuntern.
»Rufst du mich an, wenn du den PUK gefunden hast?«
Ilse nickt, trinkt den letzten Schluck Tee aus, schiebt mir das Handy hin und steht auf.
»Nimm’s du, ich schaffe das nicht.«
Ich gebe ihr das Telefon wieder zurück: »Nein, da sind vielleicht noch andere Mitteilungen drauf, die mich nichts angehen.« Dann erhebe ich mich ebenfalls, wir umarmen uns über den Tisch hinweg, der Teelöffel...