Detering | Heimweh nach dem Leben | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 241 Seiten

Detering Heimweh nach dem Leben

Ein Ostsee-Roman | Über die besondere Kraft von Gemeinschaft und ein unvergessliches Jahr am Meer
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-98690-872-0
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Ein Ostsee-Roman | Über die besondere Kraft von Gemeinschaft und ein unvergessliches Jahr am Meer

E-Book, Deutsch, 241 Seiten

ISBN: 978-3-98690-872-0
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Zusammen ist man weniger allein: ein Ostsee- und Familienroman, der lange nachhalt. Was bleibt von der Liebe, wenn man alle Erinnerungen verliert? Diese Frage stellt sich Viktoria jeden Tag, während ihr Mann häufig nicht mehr weiß, was gestern und was heute ist. Richard, der doch immer ihr Fels in der Brandung war, findet sich im hektischen Hamburg immer weniger zurecht. Als sie unverhofft ein kleines Haus am Ostseebad Nienhagen erben, packt Viktoria darum kurzentschlossen ihre Koffer - und hat hier, am Meer unter weitem blauem Himmel, zum ersten Mal seit langem das Gefühl, wieder frei atmen zu können. Dabei hilft auch die etwas schräge Senioren-WG im Haus nebenan: vier liebenswerte Herren, die von Schriftstellerei bis Traumtänzerei alles betreiben - und die rüstige Frau Goldmann aus dem Ruhrpott, die immer im rechten Moment anzupacken weiß. Können sie gemeinsam das für Richard zurückholen, was längst verloren zu sein scheint? Blauer Himmel, weite See, eine kleine Gemeinschaft und die geheime Kraft der Bäume - ein Roman, so nachdenklich und herzerwärmend wie Petra Pellinis Bestseller »Der Bademeister ohne Himmel« und Amy Neffs »Warte auf mich am Meer«.

Monika Detering wollte Schiffsjunge, Malerin oder Schriftstellerin werden. Als Puppenkünstlerin arbeitete sie u. a. in New York, Washington und Philadelphia, aber auch auf Langeoog, Juist und Spiekeroog. Jahre als freie Journalistin folgten. 1997 erschien ihr erster Roman, viele weitere folgten. Neben Romanen veröffentlichte sie Krimis, Kurzprosa und Sachbücher. Sie gewann zahlreiche Preise, u. a. mit der Kurzgeschichte »Herrin verbrannter Steine« den 1. Preis des großen Wettbewerbs für Frauen aus deutschsprachigen Ländern. Monika Detering ist Mitglied bei den 42erAutoren. Monika Detering veröffentlichte bei dotbooks die drei Fälle um Kommissar Weinbrenner - auch im Sammelband »Liebesopfer« erhältlich - und ihren Spannungsroman »Bernd, der Sarg und ich«. Auch bei dotbooks erscheinen ihre Romane »Heimweh nach dem Leben« - als Hörbuch bei Saga Egmont erhältlich -, »Als wir unterm Kirschbaum saßen« und »Das Versprechen eines Lebens«. Gemeinsam mit Horst-Dieter Radke veröffentlichte sie bei dotbooks »Ein Sommer auf Hiddensee« und »Ein Sommer auf der Sanddorninsel« sowie mit Silke Porath zusammen »Das Geheimnis der Inselfreundinnen«.
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Kapitel 1


Dass ich seine Frau Viktoria bin, weiß Richard heute nicht immer. Wieder einmal sichte ich alte Fotos von ihm, lese in meinen Aufzeichnungen, so, wie ich die Erzählungen von Richard niedergeschrieben habe. Ob alles genau so stimmt, kann ich nicht nachprüfen. Es sind Richards Rückblicke in die Zeiten, in denen er gesund war.

Es war ein strahlender Tag, als Richard am 10. Mai 1936 in dem prächtigen Haus an der Wartenau in Hamburg geboren wurde.

Auf jeder der vielen Aufnahmen, die es von der Villa gibt, glänzt sie in hellem Licht mit wenigen Schatten, als wäre Hamburg ein Sonnenparadies.

Richard war ein Sonntagskind. Eine Hausgeburt. Sein Vater, Dr. Heinrich Georg Hintzpeter, genehmigte sich in seiner Bibliothek einen großzügigen Schluck eines erlesenen Hennessy Paradis Extra Rare Cognac, den er für besondere Anlässe bereithielt. Zuletzt hatte er davon getrunken, als er drei Jahre nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler in die NSDAP eintrat. Er war davon überzeugt, dass er dies als Unternehmer tun sollte.

Richards Mutter Greta hatte mit ihren siebenundzwanzig Jahren viel erreicht, ihr Aufstieg verlief so, wie sie es sich vorgestellt hatte.

Sie stammte aus dem Karolinenviertel, aus der Marktstraße, und war in einem engen Hinterhofgebäude groß geworden. Aus dieser Umgebung wollte sie so schnell wie möglich raus. Sie hatte in der Rumbaumschen Schule acht Volksschuljahre absolviert. Und wollte die Handelsschule besuchen. Da1923 Arbeitslosigkeit, Hunger und Wohnungsnot das tägliche Leben bestimmten, wurde sie von den Eltern gedrängt, sich eine Arbeit zu beschaffen. Der Vater war 1918 verletzt aus dem Krieg zurückgekehrt und fand nicht mehr in sein Leben zurück. Die Mutter kränkelte. Greta rannte von Firma zu Firma, stellte sich in den Geschäften anderer Viertel vor. In einer Künstler- und Konzertagentur in Altona durfte sie stundenweise Mädchen für alles sein. Gleichzeitig übte sie sich in einem Versicherungsbüro als Sekretärin. Nur, weil sie äußerst hübsch war und sehr arbeitswillig, lernte sie der Juniorchef an. So lange, bis sie wieder auf der Straße stand.

Knapp drei Jahre lang war sie arbeitslos und auf Stellensuche gewesen, als sie sich auf ihre charmante, auch ein wenig dreiste Art bei Dr. Heinrich Georg Hintzpeter als äußerst tüchtige Stenotypistin vorstellte und blieb. Zunächst hatte sie sich auf dem weitläufigen Firmengelände verirrt, ehe sie den Eingang zu den Büros, insbesondere des Chefbüros fand.

Greta war jung, sie war hübsch und sie war ehrgeizig. Sie hatte auch das in ihren Augen, was andere männerverschlingend nannten.

Sie schloss mit sich selbst eine Wette ab, eine Wette, die sie viele Jahre später ihrem erwachsenen Sohn lachend und stolz erzählte. »Und ich hatte wieder einmal gewonnen«, so ähnlich berichtete es Richard mir.

Greta wollte den Mann, sein Vermögen, sie wollte sehr gut leben – und sie besaß einen eisernen Willen. Jedenfalls zu jener Zeit. Schnell eroberte sie den nüchternen, strengen und schnell aufbrausenden Mann mit den schmalen Lippen, der die Altonaer Kalksandstein-Werke von seinem Vater übernommen hatte. Zwei Jahre später war sie Heinrichs Frau und sichtbar schwanger.

Die Eltern waren sehr stolz auf ihren ersten Sohn. Das ist deutlich auf den wenigen Fotos, die alle drei in großer Innigkeit zeigen, zu sehen. Er sollte ihr einziges Kind bleiben.

Richard wurde ein feiner, blonder und strammer Knabe, der hoffentlich später auch in die Partei eintreten würde. Das wünschte sich der Vater, der noch von der Ideologie der Nazis überzeugt war.

Greta hielt sich vom Politischen fern. Nach der Hochzeit brauchte sie nicht mehr im Büro zu arbeiten und erfüllte sich ihren nächsten Wunsch: Sie machte eine Ausbildung zur Sängerin. Sie wollte bewundert werden, und wo konnte dies besser gehen als auf der Bühne? In langer, eleganter Abendgarderobe, lasziver Haltung, in einer Hand einen Schal aus Pelz, der lässig über den Bühnenboden schleifte. Auf den Bildern waren auch ihre schlanken Fesseln zu sehen, und die Füße steckten in eleganten, teuer aussehenden Riemchenpumps. Das üppige braune Haar hatte sie in breite Wellen legen lassen.

Das alles war ganz in Heinrichs Sinne, denn so war sie beschäftigt, während er sich mit Firma und Partei befasste. Außerdem war Greta auf Festen und Empfängen hübsches und charmantes Beiwerk, ein Schmetterling, der vergnügt hierhin und dahin flirrte. Operetten und Schlager wie: Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre, oder: Ich bin heute ja so verliebt – ja, die lagen ihr.

Für Richards Betreuung wurde Tereza eingestellt. Sie stammte aus einem Dorf nahe Prag.

Ich besaß auch von den beiden mehrere Fotos. 6x6-Format, trotzdem waren die beiden mit einer Lupe gut zu erkennen. Tereza, sehr dichtes, dunkles Haar, mit Kämmen zur Seite gesteckt, an der Hand einen fast zu hübschen Jungen mit fragendem, nein, eher skeptischem Blick. In seinen Augen liegt ein scheues Lächeln.

Tereza kümmerte sich gut um Richard, spielte mit ihm und zog ihn fein an, wenn sie an der Alster spazieren gingen. Das machte ihr Spaß, und es war Mutter Greta wichtig, immer schön bei kühlem Wind das dunkelblaue »Hamburger Mäntelchen« anzuziehen und die dunkelblaue Baskenmütze auf den Kopf zu setzen. Sobald sie die Wartenau verlassen hatten und zum Kuhmühlenteich gingen, riss Richard die Baskenmütze runter und gab sie der Kinderfrau. »Kratzt!« Tereza lachte gutmütig und verstrubbelte sein blondes, gelocktes Haar. Vom Kuhmühlenteich aus war der Weg nicht weit bis zur Außenalster. War noch genügend Zeit, spazierten sie weiter zur Innenalster. Hier, am Ballindamm, wohnten die Großeltern, die ihren Enkel mit Vergnügen verwöhnten. Nachdem der Großvater sich aus dem Betrieb zurückgezogen hatte und nach einer heftigen Auseinandersetzung mit seinem Sohn Heinrich aus dem Haus an der Wartenau ausgezogen war, freute er sich ungemein, wenn Richard mit Tereza auftauchte. Großvater Dr. Albert Hintzpeter hatte sich mit seiner Frau Friederike von der Familie seines Sohnes zurückgezogen. Als Freimaurer verachtete er die politischen Ambitionen seines Sohnes.

Aber trotz aller Zuwendung von Großeltern und Kinderfrau vermisste Richard seine Mutter. Saß sie am Klavier, durfte er nicht stören. Abends brachte ihn meistens Tereza ins Bett, weil im Salon ein Musikabend stattfand, mit SS-Offizieren und deren Begleiterinnen. Richard wollte sich in den feinen Kleidern seiner Mutter vergraben, ihre Wärme spüren und ihren Duft einatmen. Manchmal wurde er aus dem Schlaf geholt und den Gästen vorgeführt, dann trug Greta ihn mit dekorativer mütterlicher Miene herum, und die Gäste sagten: »Ach, was für ein hübscher Junge.«

Und dann kam, was Vater Heinrich und seine Parteifreunde erwartet hatten: Der Krieg brach aus. Heinrich wurde als Offizier eingezogen, und Greta konnte ihre Gesangskünste zur Aufheiterung und Stabilisierung der Soldaten bei der Truppenbetreuung darbieten. Zwischendurch kam sie nach Hause, lachend, voller Unruhe – nein, sie konnte sich nicht um den Haushalt kümmern. Das war nicht ihr Metier. Sie brauchte Musik, das Tanzen und Feiern und Trinken. Sie brauchte Verehrer, und die gab es reichlich. Greta glaubte nicht, dass Bomben »ihr« Blankenese zerstören könnten.Aber es fielen erste Bomben auf Hamburg. Zu Anfang waren sie eher eine Sensation als eine Bedrohung.

Greta bekam neue Auftritte. 1941 entließ sie das Personal, bis auf die Köchin und den Gärtner. Heinrich konnte nur im Urlaub nach Hause kommen, und er begann, den Krieg und Hitler zu verfluchen. Für den kleinen Richard wurde er schnell ein fremder Mann.

Heinrich und wenige enge Freunde ahnten, dass die Spreng- und Brandbomben aus den Bombenschächten britischer Lancaster-Maschinen auch die Zivilbevölkerung als Ziel nutzen würden. Er sorgte sich um seine Familie, er zeigte Greta den nächsten Luftschutzbunker, falls es nötig würde, ihn aufzusuchen. Und was sie an Papieren immer bei sich tragen musste.

In den besonders schlimmen Zeiten sang Greta auch, sie bekam Engagements, sie sang vor heimwehkranken Soldaten.

So blieb dem Kind nur Tereza, die sich immer um ihn kümmerte. Richard weinte sich oft genug in den Schlaf, wenn die Mutter einmal wieder fort war und singen musste. Seine Sehnsucht nach ihr war groß. Wie oft saß er draußen auf der Freitreppe und wartete auf Greta. Er begann sich zurückzuziehen, er lernte: Sehnsucht nützte ihm gar nichts.

Der Krieg zerbombte das Kalksandsteinwerk, er tötete den Vater 1944 in der Tschechei, die Mutter, erst süchtig nach Arien, nach Aufmerksamkeit, fuhr regelmäßig in das Timmendorfer Spielcasino, und am Ende des Krieges war jegliches Vermögen dahin. Sie behalf sich mit Spielautomaten in Hamburg, nur ging von ihnen weder hoffnungsvoller Glanz aus, noch gab es in solchen Läden wohlhabend wirkende Kavaliere, die reiche und schöne Spielerinnen abzocken konnten. Hier galt nur die rasende Gier auf ein paar Groschen.

Das Kind Richard fühlte sich immer verlorener, er wollte weg von zu Hause und wurde nach Würzburg zu einem soliden kinderlosen Ehepaar geschickt, das sich auf den Jungen freute. Sie waren überglücklich, nun ein Kind zu haben.

Vielleicht hat Richard die permanente Unrast seiner Mutter geerbt. Vielleicht. Denn dieses Getriebensein hat sich lange durch sein Leben gezogen. Jedenfalls wollte er nach einigen Jahren nach Hamburg zurück, und Onkel Korbinian brachte ihn schweren Herzens zur Bahn. Tante Gertrud war in Tränen aufgelöst zu Hause geblieben. Ich habe diese netten Pflegeeltern noch kennengelernt, sie haben mir von diesem Abschied erzählt. Richard wollte seine Mutter sehen, die ihm nie geschrieben oder ihn angerufen hatte....



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